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BFH: Kein Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung durch Zeugen

Der Unternehmer darf den ihm obliegenden sicheren Nachweis der materiellen Tatbestandsmerkmale einer innergemeinschaftlichen Lieferung auch jenseits der formellen Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nicht in anderer Weise als durch Belege und Aufzeichnungen führen.

BFH-Urteil vom 19.3.2015, V R 14/14 (veröffentlicht am 19.8.2015)

UStG § 6a
Richtlinie 77/388/EWG Art. 28c
FGO § 76

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 31.1.2014, 1 K 3117/12 U = SIS 14 14 98

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) fakturierte in den Streitjahren 2001 bis 2004 Gegenstände an die in Italien ansässige Firma CC, deren Geschäftsführer Herr v.B. war. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) davon aus, dass die Lieferungen an CC steuerpflichtig seien und erließ für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) seien die Lieferungen nicht nach § 6a des Umsatzsteuergesetzes i.d.F. der Streitjahre (UStG) als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei. Der Kläger habe den Belegnachweis nicht erbracht. Dieser ergebe sich nicht aus den Frachtbriefen. Im Streitfall lägen Beförderungen, nicht aber Versendungen durch Beauftragung selbständig tätiger Dritter vor. Zudem enthielten die Frachtbriefe keine Angaben zu im Ausland gelegenen Auslieferungsorten. Die im Abholfall nach § 17a Abs. 2 Nr. 4 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung i.d.F. der Streitjahre (UStDV) erforderliche Versicherung fehle. Es sei nicht erkennbar, wer die Frachtbriefe ausgestellt habe. Auch die nachträglich erteilte Bestätigung begründe keinen Belegnachweis, da sie nicht von der Person stamme, die die Transporte tatsächlich durchgeführt habe. Der in der mündlichen Verhandlung angebotene Beweis sei nicht zu erheben gewesen, da die Zeugenaussage unerheblich gewesen sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die Lieferungen seien steuerfrei. Die Unternehmereigenschaft des Abnehmers CC sei unstreitig. Im Bestimmungsland Italien sei die Erwerbsbesteuerung durchgeführt worden. Streitig sei nur der physische Transport in den Bestimmungsmitgliedstaat. Im Streitfall sei durch den Abnehmer befördert worden. Das für den Abnehmer CC, einer juristischen Person, vertretungsberechtigte Organ, der als Zeuge angebotene v.B., habe die Beförderung nach Italien nachträglich bestätigt. Es sei bestätigt worden, dass "der Transport der Waren nach Italien erfolgte" und sämtliche Waren dem italienischen Unternehmen zugeführt worden seien. Der Bestimmungsort ergebe sich aus den Rechnungsanschriften. Das FG habe zu Unrecht den finanzbehördlichen Erörterungstermin ignoriert. Die objektive Beweislage könne nicht nur durch Belege nachgewiesen werden. Es bestehe ein Gleichrang aller Beweismittel. Das FG hätte den in der Verhandlung präsenten Zeugen vernehmen müssen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2001 bis 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.7.2012 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2001 um 116.122,91 €, die Umsatzsteuer 2002 um 126.429,70 €, die Umsatzsteuer 2003 um 426.665,48 € und die Umsatzsteuer 2004 um 237.907,69 € gemindert wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Lieferungen seien steuerpflichtig. Der Belegnachweis sei nicht erbracht worden. Ein objektiv zweifelsfreies Feststehen erfordere, dass keine Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit bestünden, so dass sich weitere Ermittlungen erübrigten. Es sei unklar, ob die Ware nach Italien oder nach Frankreich oder Spanien befördert worden sei. Die nachträgliche Bestätigung sei unbeachtlich, da die Bestimmungsorte nicht bekannt seien. Zweifel ergäben sich auch aus der Aussage des Buchhalters.

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Lieferungen des Klägers nicht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sind.

1. Nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

"1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,

2. der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, ...

und

3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung."

Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit in den Streitjahren auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Steuerfrei sind danach "Lieferungen ..., die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beginn des Versandes oder der Beförderung der Gegenstände handelt".

2. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV beleg- und buchmäßig nachzuweisen. Diesen Buch- und Belegnachweis hat der Kläger nicht erbracht.

Der Unternehmer soll gemäß § 17a Abs. 2 UStDV in den Fällen, in denen er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert, den Nachweis führen

"1. durch das Doppel der Rechnung (§§ 14, 14a des Gesetzes),

2. durch einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere Lieferschein,

3. durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten sowie

4. in den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet zu befördern".

Die unionsrechtliche Befugnis zur gesetzlichen Anordnung eines Beleg- und Buchnachweises ergibt sich aus dem Einleitungssatz von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11.8.2011 V R 50/09, BFHE 235, 32, BStBl II 2012, 151, unter II.1.b). Danach ist die innergemeinschaftliche Lieferung nur "unter den Bedingungen, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen", steuerfrei.

a) Die zunächst erteilten Frachtbriefe wiesen nach den Feststellungen des FG entweder keine Bestimmungsorte oder lediglich Bestimmungsorte im Inland auf. Da sich der Mitgliedstaat der Erwerbsbesteuerung nach dem Bestimmungsort der Lieferung richtet, ist diese Angabe mit Blick auf die Korrespondenz von innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb (vgl. BFH-Urteil in BFHE 235, 32, BStBl II 2012, 151, unter II.2.a) nicht verzichtbar.

b) Soweit in den Frachtbriefen vereinzelt Bestimmungsorte in Frankreich oder Italien benannt waren, kam dem im Hinblick auf die vom FG zusätzlich festgestellte Unklarheit über die Person des Belegausstellers keine Bedeutung zu (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 12.5.2009 V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, Leitsatz 1).

c) Einen Sonderfall, bei dem als Bestimmungsort der Unternehmensort des Abnehmers der Lieferung anzusehen ist (BFH-Urteil vom 17.2.2011 V R 28/10, BFHE 233, 331, unter II.3.c), hat das FG im Hinblick auf die unterschiedlichen Auslieferungsorte, die - soweit die Frachtbriefe überhaupt Angaben zu den Bestimmungsorten enthielten - nach den Frachtbriefen in verschiedenen Mitgliedstaaten und dabei zum Teil im Inland lagen, zutreffend verneint. Ebenso enthielt die nachträglich erstellte Bestätigung keine Angaben zu den Bestimmungsorten der einzelnen Lieferungen.

3. Die Steuerbefreiung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Die Mitgliedstaaten dürfen formelle Voraussetzungen für die Steuerbefreiung (siehe unter 2.) aufstellen. Die Richtlinie 77/388/EWG enthält keine Vorschrift, die sich mit dieser Frage befasst. Seit dem Wegfall der Kontrollen an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in erster Linie anhand der von den Steuerpflichtigen vorgelegten Belege und abgegebenen Erklärungen zu prüfen, ob die Waren den Liefermitgliedstaat physisch verlassen haben (EuGH-Urteil Twoh International BV vom 27.9.2007 C-184/05, EU:C:2007:550, Rz 24, m.w.N.).

Vorliegend erfordern weder der Neutralitätsgrundsatz noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Steuerbefreiung der streitigen Umsätze.

a) Der Neutralitätsgrundsatz gebietet die Steuerbefreiung auch dann, wenn der Steuerpflichtige zwar die formellen Anforderungen an den Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht oder nicht vollständig erfüllt, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung indes unbestreitbar feststehen (EuGH-Urteil Collée vom 27.9.2007 C-146/05, EU:C:2007:549, Rz 31, 33). Das ist vorliegend aber gerade nicht der Fall.

b) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Unternehmer ist grundsätzlich nicht berechtigt, den ihm obliegenden sicheren Nachweis der materiellen Anforderungen in anderer Weise als durch Belege und Aufzeichnungen zu führen. Ein Beweis durch Zeugen kommt als Ersatz für den gesetzlich vorgesehenen Buch- und Belegnachweis grundsätzlich nicht in Betracht, und zwar weder von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 FGO) noch auf Antrag. Nur wenn der Formalbeweis ausnahmsweise nicht oder nicht zumutbar geführt werden kann, gebietet es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den Nachweis auch in anderer Form zuzulassen (vgl. dazu z.B. EuGH-Urteil Teleos u.a. vom 27.9.2007 C-409/04, EU:C:2007:548, Rz 52 ff.; Frye, Umsatzsteuer-Rundschau 2014, 753 ff.). Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger an der Führung des Buch- und Belegnachweises gehindert gewesen oder dieser für ihn unzumutbar gewesen sein könnte.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vertrauensschutz gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG.

Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl - wie hier - die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (vgl. zu den unionsrechtlichen Grundlagen BFH-Urteil vom 12.5.2011 V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 29).

Dies setzt nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG voraus, dass der Unternehmer den Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV ihrer Art nach nachkommt (dazu BFH-Urteil in BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, Rz 30).

Daran fehlt es hier: Mit Blick auf die unvollständigen und zudem widersprüchlichen Angaben in den Frachtbriefen sowie den nur allgemeinen Angaben in der nachträglichen Bestätigung und den sich daraus ergebenden Mängeln des Belegnachweises ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger keine Steuerfreiheit aus Vertrauensschutzgründen zu gewähren ist.

5. Die behaupteten Verfahrensmängel greifen nicht durch; der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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