BFH: Unwirksame Optionserklärung des Kleinunternehmers bei Beschränkung auf einen Unternehmensteil
Ein Kleinunternehmer kann mit einer nur für einen Unternehmensteil erstellten Umsatzsteuererklärung nicht rechtswirksam auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG verzichten.
BFH-Urteil vom 24.7.2013, XI R 31/12 (veröffentlicht am 4.12.2013)
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Satz 2, § 19 Abs. 1 und 2
Vorinstanz: FG Köln vom 26.6.2012, 3 K 2961/07 (EFG 2013 S. 258 = SIS 13 02 84)
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) als Kleinunternehmer auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) im Streitjahr 2003 durch die für den Unternehmensteil "Hausverwaltung" eingereichte Umsatzsteuererklärung für 2003 rechtswirksam verzichtet hat.
Für das Kalenderjahr 2002 gab der seinerzeit ausschließlich als Trainer unternehmerisch tätige Kläger keine Umsatzsteuererklärung ab. In seiner ertragsteuerrechtlichen Einnahmen-Überschussrechnung für 2002 hat er Umsatzerlöse in Höhe von 10.014,86 €, steuerpflichtige Umsätze aus unentgeltlichen Wertabgaben in Höhe von 9.131,50 € und Zinseinnahmen in Höhe von ... € angeführt.
Am 7.7.2004 reichte er beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine ohne Mitwirkung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe erstellte Umsatzsteuererklärung für 2003 für den in diesem Jahr von ihm neu eröffneten Unternehmensteil "Hausverwaltung" ein, ohne im Rahmen der "Allgemeinen Angaben" oder an anderer Stelle des Vordrucks USt 2 A die - von ihm weiter ausgeübte - Trainertätigkeit anzugeben. In dieser Erklärung hatte der Kläger die Art des Unternehmens (Zeile 10) mit "Hausverwaltung" bezeichnet und Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, Entnahmen für unternehmensfremde Zwecke sowie Vorsteuerbeträge aus Rechnungen von anderen Unternehmern angesetzt. Daraus ergab sich eine Vorsteuervergütung in Höhe von ... €, die am 17.12.2004 an den Kläger ausbezahlt wurde. Die Umsätze und Vorsteuerbeträge aus der Tätigkeit als Trainer gab er in der Umsatzsteuererklärung für 2003 nicht an.
Der Kläger gab ebenfalls am 7.7.2004 seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ab. Mit der Steuererklärung reichte der Kläger zwei Gewinnermittlungen nach den Grundsätzen der Einnahmen-Überschussrechnung ein. Erstens legte der Kläger eine Gewinnermittlung für sein Unternehmen "..." (die Trainertätigkeit) vor. Zweitens reichte der Kläger eine Gewinnermittlung für das Unternehmen "Hausverwaltung" ein. In der Anlage GSE wies der Kläger einen Verlust aus dem Gewerbebetrieb "Hausverwaltung" und für die Trainertätigkeit einen Gewinn aus selbständiger Arbeit aus.
Am 22.1.2007 erließ das FA einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2003, in dem es unter Zugrundelegung der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung die Umsätze aus der Trainertätigkeit sowie die entsprechenden (geschätzten) Vorsteuerbeträge in die Steuerberechnung mit einbezog, da der Kläger nach Auffassung des FA mit der Umsatzsteuererklärung für 2003 für das gesamte Unternehmen auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet habe, so dass auch die Umsätze aus der Trainertätigkeit der Umsatzsteuer unterlägen.
Der Einspruch war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab dagegen der Klage statt; es setzte die Umsatzsteuer für 2003 unter Berücksichtigung der in Rechnungen unberechtigt ausgewiesenen Steuerbeträge (§ 14 Abs. 3 UStG) auf ... € fest.
Das FG führte im Wesentlichen aus, der Umsatzsteuererklärung für den Bereich "Hausverwaltung" komme nach den gesamten Umständen des Streitfalls nicht der Erklärungsgehalt zu, dass der Kläger auf die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung verzichtet habe und deshalb die von ihm ausgeführten Umsätze der Regelbesteuerung unterlägen. Die Umsatzsteuererklärung des Klägers für 2003 habe sich - für das FA erkennbar - nur auf einen Teilbereich seines Unternehmens erstreckt; ihr Erklärungsgehalt im Hinblick auf § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG sei mehrdeutig.
Bei der in Höhe von ... € festzusetzenden Umsatzsteuer handele es sich um die Steuerbeträge, die der Kläger in seinen im Streitjahr ausgestellten Rechnungen für den Bereich "Hausverwaltung" als Kleinunternehmer unberechtigt ausgewiesen habe.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 258 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA die Verletzung materiellen Rechts geltend. Das Urteil des FG verstoße gegen § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG. Der Kläger habe mit der Abgabe der Umsatzsteuererklärung für 2003 eine bewusste und gezielte Entscheidung, die Regelbesteuerung in Anspruch zu nehmen, getroffen. Er habe bezweckt, die (nur) aus der Tätigkeit als Hausverwalter resultierenden Vorsteuerüberhänge erstattet zu bekommen. Daher hätten sich nach dem objektiven Empfängerhorizont Anhaltspunkte für das FA ergeben, dass ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein vorgelegen habe. Die fehlende Kenntnis des Klägers von der Wirkung dieser Willenserklärung dahingehend, dass daraufhin die Umsatzsteuer auf sämtliche Umsätze des Unternehmens erhoben werde, sei unerheblich.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Umsatzsteuererklärung für 2003, die lediglich den Bereich "Hausverwaltung" erfasst, nicht der Erklärungsgehalt zukommt, der Kläger habe für sein Unternehmen auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG verzichtet.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer vom Kläger als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht zu erheben war.
a) Die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer wird von Unternehmern, die im Inland oder in den in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebieten ansässig sind, nicht erhoben, wenn der Umsatz zuzüglich der darauf entfallenden Steuer im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG).
b) Ein Unternehmer, der - wie das FG im Streitfall zutreffend festgestellt hat - die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt, weil er die dort genannten Umsatzgrenzen nicht überschreitet (sog. Kleinunternehmer), hat gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG die Möglichkeit, auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG zu verzichten. § 19 Abs. 2 UStG lautet: "Der Unternehmer kann dem Finanzamt bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung (§ 18 Abs. 3 und 4) erklären, dass er auf die Anwendung des Absatzes 1 verzichtet. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung bindet die Erklärung den Unternehmer mindestens für fünf Kalenderjahre. Sie kann nur mit Wirkung von Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden. Der Widerruf ist spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären."
c) Ein Verzicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG (sog. Option zur Regelbesteuerung) kann von einem sog. Kleinunternehmer dem FA gegenüber auch in der Weise durch konkludentes Verhalten erklärt werden, dass dieser dem FA auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck eine Umsatzsteuererklärung einreicht, in welcher er die Umsatzsteuer nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes berechnet und den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.12.1985 V R 167/82, BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter II.1.b; vom 9.7.2003 V R 29/02, BFHE 202, 403, BStBl II 2003, 904, unter II.2.b; Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses - UStAE -).
Bei der diesbezüglichen Würdigung kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Von ihnen hängt es ab, ob durch das FA der Inhalt einer Steuererklärung zweifelsfrei zugleich als Erklärung zur Ausübung des steuerrechtlichen Gestaltungsrechts aufgefasst werden darf oder ob dem Inhalt eine solche Bedeutung nicht zukommt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420, unter II.1.b).
In Zweifelsfällen muss das FA den Kleinunternehmer fragen, welcher Besteuerungsform er seine Umsätze unterwerfen will (vgl. Abschn. 19.2. Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 Satz 3 UStAE). Die Beseitigung etwa bestehender Zweifel ist wegen der erheblichen Rechtsfolgen, nämlich der nach § 19 Abs. 2 Satz 2 UStG für mindestens fünf Kalenderjahre geltenden Bindung des Verzichts auf die Kleinunternehmerbesteuerung, aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich. Verbleiben Zweifel, kann eine Option zur Regelbesteuerung nicht angenommen werden.
d) Da der § 19 UStG unterfallende Kleinunternehmer ein einheitliches Unternehmen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG) betreibt, muss der Verzicht nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Anwendung des § 19 Abs. 1 UStG für alle Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG des Unternehmers, d.h. für das gesamte Unternehmen, erklärt werden (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 19 Rz 125; Friedrich-Vache in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 19 Rz 35; Mößlang in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 19 Rz 4, 29; Meurer, Neue Wirtschafts-Briefe 2013, 2016, 2019; s. für einen von einem Insolvenzverwalter erklärten Verzicht BFH-Urteil vom 20.12.2012 V R 23/11, BFHE 240, 377, BStBl II 2013, 334, Rz 9 ff.). Eine Verzichtserklärung, die sich auf einzelne Unternehmensteile beschränkt, ist daher umsatzsteuerrechtlich wirkungslos (vgl. Nieuwenhuis in Offerhaus/Söhn/ Lange, § 19 UStG Rz 50; Mößlang in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 19 Rz 4, 28 f.; Meyer, EFG 2013, 259, 260). Die für Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer ist in einem solchen Fall nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht zu erheben.
Eine Umsatzsteuererklärung, aus der erkennbar der Verzicht auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG abgeleitet werden soll, muss sich damit auf alle Tätigkeiten des Unternehmers beziehen, weil der Erklärungsempfänger nur dann zweifelsfrei davon ausgehen kann, dass das umsatzsteuerrechtliche Rechtsverhältnis durch das vom Unternehmer ausgeübte Gestaltungsrecht umgestaltet werden soll.
2. Das FG hat hiervon ausgehend zu Recht entschieden, dass der Kläger im Streitfall mit der nur für den Unternehmensteil "Hausverwaltung" erstellten Umsatzsteuererklärung für 2003 - was dem FA als Erklärungsempfänger bekannt war - nicht rechtswirksam auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG verzichtet hat.
Der Umsatzsteuererklärung für 2003 kann - auch im Wege der Auslegung - nicht der Erklärungsgehalt entnommen werden, dass der Kläger für sein gesamtes Unternehmen zur Regelbesteuerung optieren wollte (gl. A. Meyer, EFG 2013, 259, 260). Er hat damit nicht rechtswirksam gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG verzichtet.
3. Das FA hat die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht angegriffen, soweit das FG die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG unter Berücksichtigung der vom Kläger in Rechnungen unberechtigt ausgewiesenen Steuerbeträge in Höhe von ... € festgesetzt hat (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 202, 403, BStBl II 2003, 904, unter II.3.a; BFH-Beschluss vom 9.3.2009 XI B 87/08, nicht veröffentlicht, juris).
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