BFH: Vorsteuerberichtigung bei Rückzahlung von Einfuhrumsatzsteuer nach insolvenzrechtlicher Anfechtung
- Die Rückzahlung der Einfuhrumsatzsteuer in die Insolvenzmasse aufgrund einer insolvenzrechtlichen Anfechtung führt zur Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG).
- Der Begriff "erstattet" in § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG ist unionsrechtskonform dahin zu verstehen, dass allein die tatsächliche Rückzahlung auf der Zahlungsebene gemeint ist. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die ursprüngliche Zahlung ohne rechtlichen Grund im Sinne des § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung erfolgt ist.
- Der Begriff "geschuldet" in Art. 168 Buchst. e der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist dahin zu verstehen, dass er voraussetzt, dass der Steuerpflichtige eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung zur Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer hat, deren Abzug als Vorsteuer er begehrt. Fehlt es daran, so kann ihm kein Recht auf Vorsteuerabzug für noch nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer zustehen.
UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 17 Abs. 3 Satz 1
MwStSystRL Art. 168 Buchst. e, Art. 184 ff.
AO § 37 Abs. 2
InsO § 144, §§ 270 ff.
BFH-Beschluss vom 4.6.2025, XI R 7/22 (veröffentlicht am 23.10.2025)
Vorinstanz: FG Münster vom 7.12.2021, 15 K 3144/20 U = SIS 22 06 35
A. Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob die erfolgreiche Anfechtung einer Einfuhrumsatzsteuerzahlung im Insolvenzverfahren zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs führt.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, stellte im Januar 2019 beim Amtsgericht (Insolvenzgericht) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und beantragte zugleich Eigenverwaltung. Noch am selben Tag bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Sachwalter und ordnete an, dass die Klägerin berechtigt ist, ihr Vermögen unter Aufsicht des vorläufigen Sachwalters weiter zu verwalten.
Für die Monate Januar und Februar 2019 setzte das Hauptzollamt gegen die Klägerin Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von … € fest, welche die Klägerin beglich und als Vorsteuer bei den Umsatzsteuervoranmeldungen Januar und Februar 2019 abzog.
Im April 2019 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Insolvenzgericht ordnete Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑) an und bestellte einen Sachwalter, der die Kassenführung nicht an sich zog.
Im Oktober 2019 focht der Sachwalter die Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer für die Monate Januar und Februar 2019 nach §§ 129 ff. InsO an, woraufhin das Hauptzollamt die Einfuhrumsatzsteuer noch im Oktober 2019 in die Insolvenzmasse erstattete und sie zur Insolvenztabelle anmeldete.
Mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 2019 vom 19.12.2019 kürzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) den Vorsteuerabzug für den Voranmeldungszeitraum um die in die Masse erstattete Einfuhrumsatzsteuer. Zur Begründung stützte sich das FA auf § 17 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Die Vergütung der Vorsteuer bezwecke die Entlastung von einer Belastung. Wenn die Belastung wegfalle, sei auch die Entlastung rückgängig zu machen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 14.10.2020).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 372 veröffentlichten Urteil ab. Es entschied, dass die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung vorlägen; denn der Begriff "erstattet" im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG sei dahingehend zu verstehen, dass es allein auf den tatsächlichen Vorgang der Rückzahlung ‑‑hier in die Insolvenzmasse‑‑ ankomme.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie macht im Wesentlichen geltend, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG nicht erfüllt seien. Der Begriff "erstattet" in § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG erfordere die Minderung oder Rechtsgrundlosigkeit der Einfuhrumsatzsteuerschuld. Jedenfalls aber sei die Einfuhrumsatzsteuer (erneut) nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG als Vorsteuer zu berücksichtigen. Der Berichtigung des Vorsteuerabzugs stünde ein betragsmäßig übereinstimmendes Recht auf Vorsteuerabzug gegenüber, das durch die Anfechtung der Einfuhrumsatzsteuerzahlung nach § 144 Abs. 1 InsO wieder aufgelebt sei.
Unter dem 15.02.2022 ‑‑während des Revisionsverfahrens‑‑ hat das FA den Umsatzsteuerjahresbescheid 2019 erlassen. Weitere Streitpunkte sind dadurch in das Verfahren nicht eingeführt worden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerjahresbescheid 2019 vom 15.02.2022 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um … € herabgesetzt wird,
hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
B. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
I. Die Entscheidung kann im Verfahren gemäß § 126a FGO ergehen.
1. Dass sich die Richterbank gegenüber der Sitzung vom 19.03.2025 geändert hat, steht der Anwendung des § 126a FGO nicht entgegen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 15.09.2021 ‑ XI R 12/21 (XI R 25/19), BFHE 274, 317, BStBl II 2022, 417, Rz 21; vom 07.07.2022 ‑ V R 10/20, BFHE 276, 445, Rz 9; vom 18.10.2023 ‑ XI R 22/20, BFH/NV 2024, 182, Rz 18). Der Senatsvorsitzende, der in der Sitzung vom 19.03.2025 wegen Urlaubs verhindert war, wirkt gemäß IV. Nr. 1 Buchst. b, Nr. 2 des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2025 am Beschluss mit, da er nicht mehr verhindert ist.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin war es nicht geboten, die wesentlichen Gründe für eine Entscheidung nach § 126a FGO vorab darzulegen. Die Anhörungsmitteilung nach § 126a Satz 2 FGO bedarf keiner besonderen Begründung dazu, weshalb der Senat die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 08.01.2014 ‑ VII S 45/13, BFH/NV 2014, 563, Rz 4, m.w.N.; vom 20.10.2021 ‑ XI R 19/20, BFH/NV 2022, 429, Rz 26; vom 04.11.2021 ‑ VI R 48/18, BFH/NV 2022, 120, Rz 41; vom 22.11.2023 ‑ XI R 1/20, BFHE 283, 136, BStBl II 2024, 530, Rz 18; s.a. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 08.12.1992 ‑ 1 BvR 326/89, Betriebs-Berater 1993, 1409, unter 1.; vom 05.11.1986 ‑ 1 BvR 706/85, Neue Juristische Wochenschrift 1987, 1192; vom 04.12.1992 ‑ 1 BvR 1411/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 1993, 202). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Entscheidung ‑‑wie im Streitfall‑‑ nicht auf einen im bisherigen Verfahrensverlauf nicht angesprochenen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird und sich so nicht als Überraschungsentscheidung darstellt (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 22.07.2014 ‑ XI B 103/13, BFH/NV 2014, 1761, Rz 15; vom 03.02.2016 ‑ XI B 53/15, BFH/NV 2016, 954, Rz 23, m.w.N.). Insbesondere die von der Klägerin angesprochenen unionsrechtlichen Fragestellungen sind von den Beteiligten im Revisionsverfahren schriftsätzlich ausführlich diskutiert worden.
3. Die Vorschrift des § 126a FGO ist auch dann anwendbar, wenn das angefochtene Urteil ‑‑wie im Streitfall‑‑ wegen Auswechslung des Verfahrensgegenstandes im Revisionsverfahren aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben ist, der erkennende Senat bei seiner in der Sache selbst zu treffenden Entscheidung aber einstimmig das Revisionsbegehren materiell-rechtlich für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24.06.2014 ‑ VIII R 48/11, BFH/NV 2014, 1568, Rz 2; vom 27.09.2017 ‑ XI R 18/16, BFH/NV 2018, 244, Rz 16).
a) Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Denn ihm liegt ein nicht mehr existierender Verwaltungsakt zugrunde, weshalb es keinen Bestand haben kann (vgl. BFH-Urteile vom 03.11.2005 ‑ V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1.; vom 10.11.2010 ‑ XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, Rz 23; vom 24.04.2013 ‑ XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rz 25).
Der im Revisionsverfahren ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid für 2019 vom 15.02.2022 hat den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Oktober 2019, der Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen ist, im Sinne von § 68 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§ 121 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch für den Umsatzsteuerjahresbescheid im Verhältnis zum Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 03.11.2005 ‑ V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1.; vom 10.11.2010 ‑ XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, Rz 24 f.; vom 24.04.2013 ‑ XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, Rz 26). Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerjahresbescheides 2019 vom 15.02.2022.
b) Die Sache ist spruchreif, weil der vom FG festgestellte Sachverhalt ausreicht, um abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2019 vom 15.02.2022 rechtmäßig ist (vgl. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 68 FGO Rz 74). Denn hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein streitigen Frage, ob aufgrund der Rückzahlung der Einfuhrumsatzsteuer durch das Hauptzollamt in die Insolvenzmasse die Voraussetzungen der Vorsteuerberichtigung vorliegen, hat sich durch Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheides für 2019 nichts geändert. Die Beteiligten haben auf Anfrage mitgeteilt, dass hierdurch keine weiteren Streitpunkte in das Verfahren eingeführt worden sind.
II. Das FG hat die Klage der Klägerin, die wegen angeordneter Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) Inhaberin der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse blieb und daher zutreffend Adressatin des angefochtenen Bescheides ist, zu Recht abgewiesen.
1. Im Oktober 2019 ist nach § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG der Vorsteuerabzug der Klägerin zu berichtigen.
a) Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG hat der Unternehmer den Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen, falls Einfuhrumsatzsteuer, die als Vorsteuer abgezogen worden ist, herabgesetzt, erlassen oder erstattet worden ist. Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 UStG ist § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung entsprechend anzuwenden, wonach die Berichtigung für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen ist, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.
b) Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs beruht unionsrechtlich auf Art. 184 ff. der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie ‑‑MwStSystRL‑‑) (vgl. BFH-Urteile vom 29.03.2017 ‑ XI R 5/16, BFHE 257, 465, BStBl II 2017, 738, Rz 18; vom 06.12.2023 ‑ XI R 5/20, BFHE 282, 186, BStBl II 2024, 316, Rz 24; BFH-Beschluss vom 13.11.2018 ‑ V B 60/18, BFH/NV 2019, 134, Rz 4). Nach Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL erfolgt die Berichtigung unter anderem dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugs berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.
c) Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Rückzahlung der Einfuhrumsatzsteuer, die das Hauptzollamt im Oktober 2019 nach Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse vorgenommen hat, die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG erfüllt; denn der Begriff "erstattet" in § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG verlangt lediglich die (Rück‑)Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer, nicht aber deren Rechtsgrundlosigkeit.
aa) Der Wortlaut des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG ("… erstattet …") lässt es zwar zunächst als naheliegend erscheinen, dass er ‑‑wie bei § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO)‑‑ einen Vorgang betrifft, bei dem ein Betrag ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt wird, und nicht allein die tatsächliche (Rück‑)Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer entscheidend ist. Dem Normtext ist jedoch nicht zu entnehmen, dass es auf Rechtsgrundlosigkeit ankäme. Der Blick auf den Wortlaut der beiden weiteren Fälle des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG ("herabgesetzt", "erlassen"), die erkennbar die Minderung der Steuerfestsetzung beziehungsweise den Billigkeitserlass erfassen, spricht eher dafür, dass der Fall "erstattet" in § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG entsprechend die (bloße) Zahlungsebene (und nicht den Grund der Zahlung) betrifft.
bb) Diese Auslegung des nationalen Rechts trägt außerdem den unionsrechtlichen Vorgaben für den Vorsteuerabzug Rechnung.
(1) Der Vorsteuerabzug wie auch seine Berichtigung sind darauf ausgerichtet, ein Gleichgewicht zwischen Steuer und Vorsteuer zu gewährleisten. Wesentlicher Zweck des Vorsteuerabzugs ist es, die Neutralität der Mehrwertsteuer hinsichtlich sämtlicher Wirtschaftsteilnehmer zu gewährleisten, indem der Unternehmer vollständig von der von ihm geschuldeten und entrichteten Umsatzsteuer entlastet wird (vgl. z.B. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ NCC Construction Danmark vom 29.10.2009 ‑ C‑174/08, EU:C:2009:669, Rz 27; Humda vom 13.10.2022 ‑ C‑397/21, EU:C:2022:790, Rz 18; Schütte vom 07.09.2023 ‑ C‑453/22, EU:C:2023:639, Rz 19; Senatsurteil vom 18.09.2019 ‑ XI R 19/17, BFHE 267, 98, BStBl II 2020, 172, Rz 20; BFH-Beschluss vom 20.06.2024 ‑ V R 30/23, BStBl II 2024, 750, Rz 55).
(2) Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gebietet außerdem die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer. Insbesondere lässt es die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht zu, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Umsatzsteuer unterschiedlich behandelt werden (vgl. EuGH-Urteile JP Morgan u.a. vom 28.06.2007 ‑ C‑363/05, EU:C:2007:391, Rz 29; A vom 19.07.2012 ‑ C‑33/11, EU:C:2012:482, Rz 32, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 22.06.2016 ‑ V R 42/15, BFHE 254, 264, Rz 36). Eine Subventionierung der Unternehmer im Sinne einer Bereicherung durch die Umsatzsteuer sieht das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht vor.
(3) Dient der Vorsteuerabzug dazu, die Steuerpflichtigen von einer Belastung mit Mehrwertsteuer zu entlasten, ist er zu berichtigen, wenn die Belastung später wieder wegfällt. Die Mehrwertsteuer wird nur dann im Sinne des Art. 168 Buchst. e MwStSystRL geschuldet, wenn der Steuerpflichtige eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung zur Zahlung des entsprechenden Mehrwertsteuerbetrags hat, dessen Abzug als Vorsteuer er begehrt. Fehlt es daran, so kann ihm kein Recht auf Vorsteuerabzug für nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer zustehen (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Véleclair vom 17.11.2011 ‑ C‑414/10, EU:C:2011:748, Rz 58).
Dies gilt auch für § 17 Abs. 3 UStG. Die Belastung fällt für den Unternehmer weg, wenn die Zollverwaltung die Einfuhrumsatzsteuer zurückzahlt. Das Recht zur Entlastung der importierten Ware von der Einfuhrumsatzsteuer soll sich nämlich auf den Betrag beschränken, der von dem Unternehmer für den Einfuhrvorgang effektiv entrichtet worden ist (vgl. Kessens in Offerhaus/Söhn/Lange, § 17 UStG Rz 159). Zu einer Rückzahlung kommt es auch dann, wenn die Zahlung erfolgreich insolvenzrechtlich angefochten wurde (so auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 17 Rz 529; Pull in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 17 Rz 171).
(4) Diese Auslegung ist außerdem zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für Wettbewerber, die die Einfuhrumsatzsteuer entrichten, geboten. Ein Unternehmer würde sonst ‑‑anders als die Klägerin meint‑‑ unter Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer von der Umsatzsteuer beziehungsweise Einfuhrumsatzsteuer entlastet, obwohl er sie nicht getragen hat (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Véleclair vom 17.11.2011 ‑ C‑414/10, EU:C:2011:748, Rz 54 und 56) und dadurch gegenüber seinen Wettbewerbern bevorzugt, würde keine Berichtigung des Vorsteuerabzugs erfolgen. Darin läge ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer. Ebenso wenig wie beim Erlöschen der Steuerforderung des Staates besteht bei fehlender Durchsetzbarkeit dieser Forderung ein Bedürfnis, den Steuerpflichtigen von etwas zu entlasten, das er ‑‑wie die Klägerin‑‑ tatsächlich gar nicht mehr tragen muss.
(5) Soweit es bei dem Begriff "erstattet" in § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG demnach nur auf die Zahlung selbst ankommt ‑‑und insbesondere nicht auf die Frage, ob diese Zahlung rechtsgrundlos erfolgt ist‑‑, ist diese Auslegung Folge der Besonderheiten des Vorsteuerabzugs. Diesen Besonderheiten ist bei unionsrechtskonformer Auslegung Rechnung zu tragen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 02.04.1998 ‑ V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, Rz 22; vom 12.07.2023 ‑ XI R 41/20, BFHE 282, 10, Rz 49).
d) Die Einwendungen der Revision greifen nicht durch.
aa) Soweit die Klägerin sinngemäß darauf verweist, dass der insolvenzrechtliche Anspruch auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern (§ 143 Abs. 1 InsO) nach der Rechtsprechung des BFH kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 Abs. 2 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch ist (vgl. BFH-Beschluss vom 05.09.2012 ‑ VII B 95/12, BFHE 238, 325, BStBl II 2012, 854, Rz 9 f.; BFH-Urteil vom 12.11.2013 ‑ VII R 15/13, BFHE 243, 309, BStBI II 2014, 359, Rz 6), ist dies zwar zutreffend. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG auf den Streitfall nicht anzuwenden wäre.
Die Klägerin übersieht, dass § 37 Abs. 2 AO und das Steuerschuldverhältnis betroffen ist, soweit es nicht um § 143 Abs. 1 InsO, sondern um das Aufleben einer zunächst erloschenen Steuerschuld gemäß § 144 Abs. 1 InsO geht (vgl. BFH-Urteile vom 14.12.2021 ‑ VII R 15/19, BFHE 274, 515, Rz 31; vom 14.12.2020 ‑ VII R 61/20, BFH/NV 2022, 614, Rz 32). Diese Konstellation hat auch der Streitfall zum Gegenstand.
bb) Die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) steht dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Der Senat folgt der Klägerin nicht, wenn diese die Maßstäbe des Art. 116 Abs. 1 UZK auf § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG übertragen möchte.
(1) Zwar sind Einfuhrmehrwertsteuer und Zölle nach der Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich ihrer Hauptmerkmale insofern vergleichbar, als sie durch die Einfuhr der Waren in die Union und deren anschließenden Eintritt in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten entstehen (z.B. EuGH-Urteile Hauptzollamt Braunschweig vom 18.01.2024 ‑ C‑791/22, EU:C:2024:59, Rz 23; Hauptzollamt Hamburg vom 08.09.2022 ‑ C‑368/21, EU:C:2022:647, Rz 25; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Sanchez-Bordona vom 12.01.2016 in der Rechtssache Eurogate Distribution GmbH C‑226/14, EU:C:2016:1, Rz 90 f.). Dies hat zur Folge, dass die Einfuhrumsatzsteuer insoweit eine besondere Steuer ist, als sie in bestimmten Bereichen aus dem sachlichen Regelungsbereich des Umsatzsteuergesetzes ausgewiesen und durch das gemeinschaftsrechtliche Zollrecht bestimmt wird, was wiederum bedeutet, dass insoweit die nach § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß geltenden Zollvorschriften zur Anwendung gelangen können (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.2009 ‑ VII R 44/08, BFHE 226, 205, BStBl II 2010, 334, unter II.2. und II.2.a).
(2) Jedoch ist der Vorsteuerabzug und seine Berichtigung für die Einfuhrumsatzsteuer durch das Umsatzsteuergesetz selbst geregelt (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.2009 ‑ VII R 44/08, BFHE 226, 205, BStBl II 2010, 334, unter II.2.). Maßgeblich für die Auslegung dieser Regelungen sind insbesondere Art. 168, 184 ff. MwStSystRL; denn der Vorsteuerabzug ist dem Zollrecht fremd; er ist insbesondere von der Entstehung der Steuer zu unterscheiden. Hinsichtlich solcher Besonderheiten der Umsatzsteuer scheidet eine sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften regelmäßig aus (vgl. BFH-Urteil vom 21.11.2023 ‑ VII R 10/21, BFHE 283, 117, Rz 34 ff.). Soweit demnach zollrechtlich unter "Erstattung" stets die Minderung der Einfuhrumsatzsteuerschuld verstanden wird (vgl. hierzu Jatzke in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 21 Rz 86; Weymüller in Dorsch, Zollrecht, § 21 UStG Rz 106 ff.) ist dies für Zwecke der Vorsteuerberichtigung nicht maßgeblich.
cc) Auch den weiteren unionsrechtlichen Einwendungen der Revision bleibt der Erfolg versagt.
(1) Zwar mag die Berichtigung des Vorsteuerabzugs regelmäßig damit einhergehen, dass sich die Bemessungsgrundlage oder der geschuldete Steuerbetrag ändert, doch ist zum Beispiel auch im Falle der Uneinbringlichkeit eine Berichtigung der Umsatzsteuer und der Vorsteuer vorzunehmen.
(2) Auch die Ausführungen der Klägerin, dass das hier gefundene Auslegungsergebnis zu § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG zu einer Gläubigerbenachteiligung im Insolvenzverfahren führe, gehen ins Leere. Das Unionsrecht stünde selbst einer nationalen Rechtsvorschrift und Rechtspraxis nicht entgegen, die der Befriedigung der Gläubiger der Umsatzsteuer in der Insolvenz einen Vorrang vor den Gläubigern anderer Forderungen einräumte (vgl. BFH-Beschluss vom 11.12.2024 ‑ XI R 1/22, BFH/NV 2025, 587, Rz 37; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Syndyk Masy Upadłości A vom 11.04.2024 ‑ C‑709/22, EU:C:2024:310, Rz 50).
(3) In diesem Zusammenhang hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) ‑‑anders als die Klägerin meint‑‑ nichts Abweichendes entschieden. In der von der Klägerin erwähnten Entscheidung hat der BGH vielmehr betont, dass die hier im Streit stehende Rechtsfrage höchstrichterlich ungeklärt ist (BGH-Urteil vom 08.02.2024 ‑ IX ZR 2/22, Deutsches Steuerrecht 2024, 778, Rz 28).
(4) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin überdies auf das EuGH-Urteil Véleclair vom 29.03.2012 ‑ C‑414/10 (EU:C:2012:183).
Zwar hat der EuGH dort entschieden, dass es den Mitgliedstaaten nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 168 Buchst. e MwStSystRL) verwehrt ist, das Recht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer von der vorherigen Zahlung dieser Steuer durch den Steuerschuldner abhängig zu machen, wenn dieser auch der zum Abzug Berechtigte ist (EuGH-Urteil Véleclair vom 29.03.2012 ‑ C‑414/10, EU:C:2012:183, Rz 35). Der deutsche Gesetzgeber hat daraufhin § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG geändert (vgl. Art. 10 Nr. 9 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetzes, BGBl I 2013, 1809) und macht nunmehr nicht mehr die Zahlung, sondern nur noch die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer zur Voraussetzung des Vorsteuerabzugs.
Daraus lässt sich aber nicht im Umkehrschluss ableiten, dass ‑‑anders als die Klägerin meint‑‑ es auch nicht auf die Rückzahlung der Einfuhrumsatzsteuer ankommen könne, diese insbesondere nicht zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs führen dürfe. Bei erloschener oder nicht mehr durchsetzbarer Steuerforderung ist ein Vorsteuerabzug jedenfalls abzulehnen (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Véleclair vom 17.11.2011 ‑ C‑414/10, EU:C:2011:748, Rz 51 ff.).
2. Der Klägerin steht auch kein (neuerlicher) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG zu.
a) Zutreffend geht die Revision zwar davon aus, dass ein insolvenzrechtliches Anfechtungsrecht hinsichtlich der durch die Klägerin an die Zollverwaltung gezahlten Einfuhrumsatzsteuer wegen Gläubigerbenachteiligung tatsächlich bestand, weshalb die Rückzahlung der Steuer nach § 144 Abs. 1 InsO zum Wiederaufleben der Forderung führte (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2020 ‑ VII R 61/20, BFH/NV 2022, 614, Rz 29; BGH-Urteil vom 08.02.2024 ‑ IX ZR 194/22, HFR 2024, 371). Der Annahme einer mittelbaren Gläubigerbenachteiligung durch die Zahlung von Einfuhrumsatzsteuer steht insbesondere weder das von der Entstehung der Steuer abhängige Recht zum Vorsteuerabzug noch die ‑‑nunmehr vom hiesigen Senat bestätigte‑‑ Pflicht zur Berichtigung des getätigten Vorsteuerabzugs entgegen (vgl. BGH-Urteil vom 08.02.2024 ‑ IX ZR 194/22, HFR 2024, 371).
b) Als Rechtsfolge ergibt sich aus § 144 Abs. 1 InsO aber nicht, dass ‑‑was die Klägerin sinngemäß geltend macht‑‑ (abermals) "entstandene Einfuhrumsatzsteuer" im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG vorläge, die wiederum zum Vorsteuerabzug berechtigte.
aa) Der (erneute) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG scheitert schon am Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen. Die Einfuhrumsatzsteuer ist aufgrund der Anfechtung nicht im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG (erneut) entstanden. Steuertatbestand und Steueranspruch treten bei der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 70 MwStSystRL, § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt. Die Einfuhrumsatzsteuer entsteht, wenn die betreffenden Gegenstände aus dem Drittlandsgebiet für das Unternehmen der Klägerin in das Inland eingeführt worden waren (vgl. dazu etwa Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 15 Rz 425 ff.; Bunjes/Heidner, UStG, 24. Aufl., § 15 Rz 201 ff.; Hartman in Offerhaus/Söhn/Lange, § 15 UStG Rz 151 f.). Hierzu kam es im Oktober 2019 nicht erneut.
bb) Unabhängig davon wird die Mehrwertsteuer nur dann im Sinne des Art. 168 Buchst. e MwStSystRL geschuldet, wenn der Steuerpflichtige eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung zur Zahlung des entsprechenden Mehrwertsteuerbetrags hat, dessen Abzug als Vorsteuer er begehrt. Fehlt es daran, so kann ihm kein Recht auf Vorsteuerabzug für nicht entrichtete Einfuhrumsatzsteuer zustehen (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Véleclair vom 17.11.2011 ‑ C‑414/10, EU:C:2011:748, Rz 58).
cc) Greift § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG demnach schon im Tatbestand nicht ein, fehlt es an einem Konkurrenzverhältnis zu § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG. Die Angriffe der Revision dahingehend, das FG habe ohne Stütze im Gesetz eine "Sperrwirkung" des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG gegenüber dem ‑‑vermeintlich‑‑ tatbestandlich erfüllten § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG angenommen, gehen ins Leere. Einer Äußerung des Senats zu der vom FG angenommenen Sperrwirkung bedarf es nicht; darauf kommt es nicht an.
dd) Inwieweit eine erneute Berichtigung des Vorsteuerabzugs ‑‑zeitlich nach dem hier maßgeblichen Streitzeitraum‑‑ in entsprechender Anwendung des § 17 UStG in Betracht kommt, sollte die Einfuhrumsatzsteuer, etwa nach Abschluss des Insolvenzverfahrens, (quotal) von der Klägerin gezahlt worden sein beziehungsweise gegen diese durchsetzbar gewesen sein, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Allerdings wäre dann die Umsatzsteuer insoweit im Sinne des Art. 168 Buchst. e MwStSystRL "entrichtet".
3. Masseverbindlichkeiten können auch im Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270 ff. InsO) begründet werden (vgl. BGH-Urteil vom 05.05.2022 ‑ IX ZR 142/21, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2022, 1293, Rz 16; BFH-Urteil vom 27.09.2018 ‑ V R 45/16, BFHE 262, 214, BStBl II 2019, 356, Rz 24 ff.). Dies verlieh dem FA die Befugnis, die Berichtigung durch den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid festzusetzen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.