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BFH: Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft auch bei Anfechtung des Steuerbescheids durch die Organgesellschaft

Sind die Voraussetzungen einer Organschaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes mit einer KG als Organgesellschaft aufgrund geänderter Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfüllt, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträ­ger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (Bestätigung des BFH-Urteils vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89 = SIS 23 05 84). Dies gilt auch im Rechts­behelfsverfahren der KG gegen eine ihr gegenüber ergangene Steuerfestset­zung.

UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
AO § 33 Abs. 1, § 73 Satz 1, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3

BFH-Urteil vom 5.9.2024, V R 5/23 (veröffentlicht am 21.11.2024)

Vorinstanz: FG Münster vom 23.3.2023, 5 K 232/18 U = SIS 23 08 32

I. Unternehmensgegenstand der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH & Co. KG, ist der Handel sowie das Erwerben, Verwalten und Vermieten von Geräten aller Art. Gesellschafter der Klägerin waren im Jahr 2016 (Streit­jahr) als Komplementärin die BVB‑GmbH, die ab 17.10.2016 als TLVB‑GmbH fir­mierte, und als einzige Kommanditistin die JB‑GmbH & Co. KG. Alleingesellschafter der BVB‑GmbH ‑‑der späteren TLVB‑GmbH‑‑ war BS, der neben BJ und MB auch einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer dieser GmbH war.

Mit Vertrag vom 26.02.2016 veräußerten die Kommanditisten der JB‑KG ihre Ge­sellschaftsanteile an die BS‑GmbH. Zudem beschloss die Gesellschafterversamm­lung der JB‑KG am 27.02.2016, dass deren Komplementär-GmbH aus der JB‑KG austrat, so dass das Vermögen der JB‑KG im Wege der Anwachsung auf die BS‑GmbH überging. Die Gesellschafterversammlung der BS‑GmbH beschloss am 13.10.2016 die Umfirmierung in TL‑GmbH. Gesellschafter der BS-GmbH ‑‑der späteren TL‑GmbH‑‑ waren im Streitjahr BS mit einer Beteiligung am Stammka­pital von 90 % sowie BJ und MB mit einer Beteiligung von jeweils 5 %. Einzelver­tretungsberechtigte Geschäftsführer der TL‑GmbH waren BJ und MB. Im Jahr 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der TL‑GmbH eröffnet.

Aufgrund eines Vertrags vom 12.06.2016 erwarb die Klägerin von der BS‑GmbH ‑‑der späteren TL‑GmbH‑‑ Fahrzeuge zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von 4.061.720,31 €, zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 771.726,86 €, zahlbar in 28 gleichen jährlichen Raten. Hierüber erteilte die BS‑GmbH ‑‑die spätere TL‑GmbH‑‑ der Klägerin eine Rechnung vom 13.06.2016, die Umsatzsteuer in Höhe von 771.726,86 € auswies.

In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das zweite Kalendervierteljahr 2016 er­klärte die Klägerin Umsätze aus dem Verkauf von zwei Fahrzeugen und machte als Vorsteuer nur den in der Rechnung vom 13.06.2016 ausgewiesenen Vorsteu­erbetrag geltend, was zu einem Überschuss zu ihren Gunsten führte. Im An­schluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung erließ der Beklagte und Revisions­kläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das zweite Kalendervierteljahr 2016, in dem er die Umsatzsteuer auf 16.150 € fest­setzte. Den geltend gemachten Vorsteuerabzug erkannte es nicht an, weil das zugrunde liegende Rechtsgeschäft rechtsmissbräuchlich zustande gekommen sei. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 23.01.2017 als unbegründet zurück.

Mit dem Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 vom 06.10.2017 schätzte das FA die Bemessungsgrundlage für regelbesteuerte Umsätze der Klägerin auf 450.000 € und setzte demgemäß Umsatzsteuer in Höhe von 85.500 € fest. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein und gab zugleich eine Jahressteuerer­klärung ab, in der sie Umsätze in Höhe von 636.450 € zum Regelsteuersatz er­klärte und erneut einen Vorsteuerbetrag in Höhe von 771.726,86 € geltend machte. Der Einspruch gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 blieb erfolg­los.

Während des gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2016 gerichteten Klagever­fahrens lud das Finanzgericht (FG) den damaligen Insolvenzverwalter der TL‑GmbH zu dem Verfahren bei. Nachdem dieser die Rechnung vom 13.06.2016 storniert hatte, machte die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Ge­richtshofs der Europäischen Union (EuGH) Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 ‑ C‑868/19, EU:C:2021:285 geltend, der Umsatzsteuerjahres­bescheid 2016 sei ersatzlos aufzuheben, da zwischen ihr als Organgesellschaft und der TL‑GmbH als Organträgerin im Streitjahr eine Organschaft bestanden habe.

Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 873 veröffentlichten Urteil gab das FG der Klage, die zunächst auf die Festsetzung eines zu vergütenden Steuerbetrags gerichtet war und sodann auf die Aufhebung des Umsatzsteuer­jahresbescheids 2016 beschränkt wurde, statt, da die Klägerin Organgesellschaft der TL‑GmbH als Organträgerin gewesen sei. Die Voraussetzungen einer Organ­schaft im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) lägen vor. Auf der Grundlage des EuGH-Urteils Finanzamt für Körperschaften Berlin vom 15.04.2021 ‑ C‑868/19, EU:C:2021:285 sei die Klägerin trotz ihrer Rechts­form als KG finanziell in das Unternehmen der TL‑GmbH eingegliedert. Ihre wirt­schaftliche Eingliederung ergebe sich daraus, dass sie im Streitjahr "im Rahmen des Handels mit den Fahrzeugen/der Veräußerung der Fahrzeuge" eingebunden gewesen und damit im Rahmen des "Gesamtunternehmens" in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der TL‑GmbH tätig geworden sei. Auch die Voraussetzungen der organisatorischen Eingliederung lägen vor.

Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision, die es auf die Verletzung ma­teriellen Rechts stützt. Nach Maßgabe des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 02.12.2015 ‑ V R 25/13 (BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547) sei das Vorlie­gen einer Organschaft zu verneinen.

Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung der Vorinstanz. Der BFH habe mit Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) sein früheres Urteil vom 02.12.2015 ‑ V R 25/13 (BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547) aufgegeben. Das sich aus dem BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) ergebende Erfordernis einer Antragstellung durch den Insolvenzverwalter sei unbeachtlich, da der angefochtene Steuerbescheid ‑‑anders als in der vom BFH entschiedenen Fallgestaltung‑‑ nie formell bestandskräftig geworden sei. Der Klägerin könne auch im Hinblick auf die seit langer Zeit bekannte Unionsrechts­widrigkeit der nationalen Regelung zur Organschaft nicht entgegengehalten wer­den, sie hätte die TL‑GmbH zur Stellung eines Änderungsantrags "motivieren" müssen. Im Übrigen führe das Antragserfordernis zu einer Ungleichbehandlung von Personen‑ und Kapitalgesellschaften, die ‑‑genau wie die fehlende Erkenn­barkeit des Antragserfordernisses‑‑ unionsrechtliche Fragen aufwerfe, die nur durch eine EuGH-Vorlage geklärt werden könnten.

Während des Revisionsverfahrens hat der Senat den Beschluss über die Beila­dung des während des Revisionsverfahrens verstorbenen Insolvenzverwalters aufgehoben und die für das Insolvenzverfahren der TL‑GmbH neu bestellte Insol­venzverwalterin zum Verfahren beigeladen. Diese hat ‑‑wie der zuvor beigelade­ne Insolvenzverwalter‑‑ keinen Antrag gestellt.

Am 29.08.2024 hat die Klägerin nach dem Unternehmensstabilisierungs‑ und ‑restrukturierungsgesetz vom 22.12.2020 ‑‑StaRUG‑‑ (BGBl I 2020, 3256) für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabilisierungs‑ und Restrukturie­rungsrahmens das Restrukturierungsvorhaben beim Restrukturierungsgericht angezeigt und diesem am 03.09.2024 einen Restrukturierungsplan übermittelt.

II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sa­che zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverwei­sen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG, das das bei seiner Entscheidung noch nicht veröffentlichte BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) nicht berücksichtigen konn­te, hat entgegen dieser Entscheidung zu Unrecht einen Anspruch auf Aufhebung der gegenüber der Klägerin ergangenen Steuerfestsetzung im Hinblick auf deren Stellung als Organgesellschaft bejaht. Die Sache ist nicht spruchreif.

1. Der Rechtsstreit wurde nicht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 38 Satz 1 StaRUG und § 240 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) durch die Anzeige des Restrukturierungsvorhabens der Klägerin gemäß § 31 Abs. 1 StaRUG, mit der die Restrukturierungssache beim Restrukturierungsgericht rechtshängig wurde (§ 31 Abs. 3 StaRUG), unterbrochen. § 240 Satz 2 ZPO ist nicht entsprechend auf Maßnahmen nach dem Unternehmensstabilisierungs‑ und ‑restrukturierungs­gesetz anwendbar (Blankenburg in Morgen, StaRUG, 2. Aufl., § 38 Rz 47; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 240 Rz 5; BeckOK StaRUG/Kramer, 6. Ed. [01.10.2022], StaRUG § 38 Rz 36). Da die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache lediglich die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Instrumente des Stabi­lisierungs‑ und Restrukturierungsrahmens ist (§ 31 Abs. 1 StaRUG) und im Übrigen Sorgfalts‑ (§ 32 Abs. 1 StaRUG), Unterlassungs‑ (§ 22 Abs. 1 StaRUG) und Anzeigepflichten (§ 32 Abs. 2 bis 4, § 42 Abs. 1 Satz 2 StaRUG) beim Schuldner auslöst, führt sie zu keiner mit § 240 Satz 2 ZPO vergleichbaren Lage, die durch den Übergang der Verwaltungs‑ und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 21 Abs. 1 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑) gekennzeichnet ist. Da im Streitfall keine Stabilisierungsmaßnahme (§ 29 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG) in Form der Vollstreckungssperre (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG) angeordnet wurde, kann offenbleiben, ob die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs‑, Insolvenz‑ und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 172 vom 26.06.2019, S. 18) die Anwendung von § 240 Satz 2 ZPO auf Vollstreckungssperren verlangt (so Skauradszun, Zeitschrift für Restrukturierung und Insolvenz 2020, 404, 404 ff.; Schönfelder in Flöther, Sanierungsrecht, 2019, F. Rz 64; a.A. Boss/Luttmann in Morgen, StaRUG, 2. Aufl., § 49 Rz 38; Riggert in Braun, StaRUG, 2021, § 49 Rz 3; Schönen/Bender in Seibt/Westpfahl, StaRUG, 2022, § 49 Rz 4; Undritz/Knof in HambKomm/RestruktR, 3. Aufl., § 49 StaRUG Rz 44).

2. Ist eine KG entsprechend dem Urteil des FG aufgrund geänderter BFH-Recht­sprechung als Organgesellschaft anzusehen, setzt die Aufhebung einer gegen­über der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegen­den Steuerfestsetzung stellt (BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 20; zustimmend z.B. Jacobs, Umsatzsteuer-Rund­schau 2023, 409).

a) Der Senat hat dies mit dem im jeweiligen "Steuerrechtsverhältnis" zu beach­tenden Grundsatz von Treu und Glauben begründet, wobei dieses bei Bejahung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zum Organträger als Steuerschuldner und Steuer­pflichtigen besteht und sich auf die Organgesellschaft als Bestandteil dieses Steuerrechtsverhältnisses erstreckt (BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 20 ff.).

b) Der Senat hält hieran weiter fest. Zwar wird hierzu eingewendet, dass es für die Bestimmung des maßgeblichen Steuerrechtsverhältnisses auf ein Steuer­schuldverhältnis im Sinne von § 33 Abs. 1 AO ankomme, wobei dieses nicht "mit einem materiell-rechtlichen Steuersubjekt [i.S. des] § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gleichzusetzen" sei (Luther/von Cölln, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteu­errecht 2023, 674, 677). Allerdings ist gemäß § 33 Abs. 1 AO Steuerpflichtiger, wer eine Steuer schuldet, was sich nach den Einzelsteuergesetzen richtet (§ 43 Satz 1 AO; BFH-Urteil vom 26.08.2021 ‑ V R 13/20, BFHE 273, 364, Rz 16; vgl. auch Drüen in Tipke/Kruse, § 33 AO Rz 4 und Schindler in Gosch, AO § 33 Rz 9). Nach dem damit bei Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft maßgebli­chen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG kommt der Organgesellschaft ‑‑anders als im Körper­schaftsteuerrecht‑‑ gerade keine Steuerrechtsfähigkeit zu (BFH-Urteil vom 11.12.2019 ‑ XI R 16/18, BFHE 268, 240, Rz 47; BFH-Beschluss vom 07.05.2020 ‑ V R 40/19, BFHE 270, 166, Rz 17; vgl. auch Schindler in Gosch, AO § 33 Rz 41).

Selbst wenn Steuerschuldner (auch) derjenige wäre, gegen den eine Steuer zu Unrecht festgesetzt worden ist (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 33 AO Rz 3b und Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 33 Rz 25, die hierfür auf das BFH-Urteil vom 26.08.2021 ‑ V R 13/20, BFHE 273, 364, Rz 17, zur aller­dings anders gelagerten Problematik bei § 166 AO verweisen), ist ‑‑vorbehaltlich des im Streitfall nicht einschlägigen Falls der unanfechtbaren rechtswidrigen Festsetzung (vgl. hierzu BeckOK AO/Hennigfeld, 28. Ed. [15.04.2024], AO § 43 Rz 22)‑‑ zu beachten, dass sich die vorliegend geltend gemachte ‑‑und sich aus dem Fehlen eines eigenständigen Steuerrechtsverhältnisses ergebende‑‑ Rechts­widrigkeit der gegenüber der Organgesellschaft ergangenen Steuerfestsetzung ausschließlich aus dem mit dem Organträger bestehenden Steuerrechtsverhältnis ableitet, das sich seinerseits auf die Organgesellschaft ‑‑als dessen Bestandteil‑‑ erstreckt (BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 23). Diese auf dasselbe Steuerrechtsverhältnis bezogene Spiegelbildlichkeit erfordert eine sowohl auf Organträger als auch auf Organgesellschaft bezogene Betrachtung von Treu und Glauben.

Bestätigt wird das Antragserfordernis durch die in § 73 Satz 1 AO angeordnete Haftung, die entgegen der vorstehenden Kritik bei Verzicht auf ein Antragserfor­dernis leerliefe, da sie zwar ‑‑wie sich aus § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO ergibt‑‑ keine Steuerfestsetzung gegenüber dem Organträger, aber eine diesem gegen­über zumindest festsetzbare Steuerschuld voraussetzt, an der es grundsätzlich fehlen würde, wenn dieser sich auf Vertrauensschutz in Bezug auf eine aufgege­bene höchstrichterliche Rechtsprechung berufen könnte. Da der Haftungsschuld­ner höchstens die Steuer schuldet, die gegen den Steuerschuldner festgesetzt worden ist oder werden kann (Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 191 Rz 170), sind dem in dieser Vorschrift ausdrücklich geregelten Fall, dass eine Steuer wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr festgesetzt werden kann, andersartige Hindernisse gleichzusetzen, die ‑‑wie vorliegend eine Berufung auf Vertrauens­schutz‑‑ einer Festsetzung gegen den Organträger als Steuerschuldner dauerhaft entgegenstehen. Denn könnte der Organträger ‑‑ohne Antragserfordernis‑‑ bei seiner Besteuerung eine Beurteilung entsprechend der alten, aufgegebenen Rechtsprechung verlangen, würde die auf die Umsätze der Organgesellschaft ge­schuldete Steuer bei ihm nicht festgesetzt, so dass es bei einer ‑‑wie vorliegend dargelegt‑‑ zu bejahenden Anwendung von § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zum Erlass eines Haftungsbescheids gegen die Organgesellschaft ‑‑in Bezug auf deren Umsätze‑‑ kommen könnte.

c) Auch unter Berücksichtigung neuerer EuGH-Rechtsprechung steht das An­tragserfordernis im Einklang mit dem Unionsrecht, selbst wenn man es nicht le­diglich am Maßstab der Äquivalenz und Effektivität (hierzu BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 27) misst.

aa) Das Antragserfordernis dient der Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), der verlangt, dass die mitgliedstaatliche Umsetzungsregelung einen einzigen Steuerpflichtigen vorsieht (EuGH-Urteil Finanzamt T II vom 11.07.2024 ‑ C‑184/23, EU:C:2024:599, Rz 39). Durch das Antragserfordernis werden ferner Haftungs­lücken bei der Anwendung von § 73 AO geschlossen, so dass die im Widerspruch zu Art. 11 MwStSystRL stehende Gefahr von Steuerverlusten vermieden wird (BFH-Urteile vom 18.01.2023 ‑ XI R 29/22 (XI R 16/18), BFHE 279, 320, Rz 28; vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 28).

bb) Das Antragserfordernis verstößt auch nicht in anderer Hinsicht gegen Unions­recht. Denn das Verbot des Rechtsmissbrauchs, dessen Ausprägung das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ist, stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unions­rechts dar (EuGH-Urteile Kofoed vom 05.07.2007 ‑ C‑321/05, EU:C:2007:408, Rz 38; N Luxembourg 1 u.a. vom 26.02.2019 ‑ C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16, C‑299/16, EU:C:2019:134, Rz 111) und ist im Mehrwertsteuerrecht als Ausle­gungsgrundsatz anerkannt (vgl. EuGH-Urteil Halifax u.a. vom 21.02.2006 ‑ C‑255/02, EU:C:2006:121, Rz 85; vgl. EuGH-Urteil N Luxembourg 1 u.a. vom 26.02.2019 ‑ C‑115/16, C‑118/16, C‑119/16, C‑299/16, EU:C:2019:134, Rz 111).

d) Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt dies nicht nur für den Fall, dass die KG ‑‑wie im BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89)‑‑ einen Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO stellt, sondern auch für die ‑‑hier gegebene‑‑ Anfechtung einer Steuerfestsetzung. Dass Organträger und Organgesellschaft nicht beanspruchen können, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil (hier: Organträger) auf der Grundlage der bishe­rigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil (hier: Organgesell­schaft) nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden, folgt aus der materiell-rechtlichen Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und der dabei erfor­derlichen Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben, so dass es auf die verfahrensrechtliche Unterscheidung, ob der Steuerbescheid aufgrund ei­nes Einspruchs oder aufgrund eines Änderungsantrags zu überprüfen ist, uner­heblich ist.

Soweit die Klägerin weiter darauf verweist, dass es nicht darauf ankommen kön­ne, dass sie "andere zu irgendwelchen Anträgen motivieren" müsse, lässt sie au­ßer Betracht, dass bei der von ihr bejahten Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur ein Steuerrechtsverhältnis zum Organträger als Steuerschuldner be­steht und die Organgesellschaft Bestandteil dieses Steuerrechtsverhältnisses ist (BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Rz 23).

3. Die weiteren Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch.

a) Das BFH-Urteil vom 17.01.1995 ‑ VII R 28/94 (BFH/NV 1995, 580, unter 1.) zur Verpflichtung der Anpassung von Umsatzsteuerbescheiden an eine nachträg­lich erkannte Organschaft betrifft den Fall, dass die Organschaft aus tatsächli­chen Gründen verkannt wurde, während das Antragserfordernis entsprechend dem BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) auf den Besonderheiten beruht, die sich aus der Anwendung von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auf Organschaften ergeben.

b) Aus dem Antragserfordernis entsprechend dem BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) folgt ‑‑entgegen der Auffassung der Klä­gerin‑‑ keine Ungleichbehandlung zwischen Kapitalgesellschaften und Personen­gesellschaften, da das Antragserfordernis gleichermaßen für Rechtsprechungs­änderungen gilt, die sich auf die Voraussetzungen der Organschaft zwischen Kapitalgesellschaften (vgl. BFH-Urteil vom 01.12.2010 ‑ XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600 zur mittelbaren finanziellen Eingliederung einer GmbH) beziehen.

c) Zu keiner anderen Beurteilung führt schließlich der Einwand der Klägerin, dass das Antragserfordernis für sie nicht erkennbar gewesen sei. So ergibt sich das Antragserfordernis aus einer Berücksichtigung von Treu und Glauben im Anwen­dungsbereich des § 176 AO und geht damit auf das BFH-Urteil vom 08.02.1995 ‑ I R 127/93 (BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764, unter II.C.4.) ‑‑einer vor dem Streitjahr ergangenen Rechtsprechung‑‑ zurück. Zudem hat sich die Rechtsposi­tion der Klägerin im Vergleich zur früheren Auslegung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht zu ihren Ungunsten verändert. Nach der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung konnte die Klägerin mangels finanzieller Eingliederung in die TL‑GmbH keine Organgesellschaft sein, so dass sie auf dieser Grundlage ‑‑bei Abgabe der Jahressteuererklärung für das Streitjahr‑‑ zutreffend davon ausging, ihre Umsätze selbst versteuern zu müssen. Erst die geänderte Rechtsprechung eröffnete der Klägerin die Möglichkeit, eine für sie günstigere Rechtsposition zu erlangen. Dass sich der BFH im Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19) (BFHE 280, 89) nicht nur dieser Rechtsprechung angeschlossen, sondern gleich­zeitig die Änderung einer Steuerfestsetzung gegenüber einem (vermeintlichen) Steuerschuldner, der bis dahin die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als Organgesellschaft nicht erfüllen konnte, davon abhängig gemacht hat, dass der Organträger einen zu seinen Lasten wirkenden Antrag auf Änderung der ge­genüber ihm ergangenen Steuerfestsetzung stellt, ändert nichts daran, dass die Beurteilungsmöglichkeiten der Klägerin durch die Änderung der Rechtsprechung unter den mit der Neubeurteilung verbundenen Bedingungen im Ergebnis erwei­tert wurden.

4. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) Für die Aufhebung der gegenüber der Klägerin ergangenen Steuerfestsetzung, die mit einer geänderten BFH-Rechtsprechung begründet wird, nach der ein Mehrheitsgesellschafter geltend machen kann, dass er Organträger auch in Be­zug auf eine Tochter‑KG als Organgesellschaft ist, ohne dass dabei die Verhält­nisse in Bezug auf die Mitgesellschafter bei der KG zu betrachten sind (BFH-Ur­teile vom 19.01.2016 ‑ XI R 38/12, BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567, Leit­satz 3 und vom 01.06.2016 ‑ XI R 17/11, BFHE 254, 164, BStBl II 2017, 581, Leitsatz 2), kommt es auf einen Antrag der Beigeladenen auf Änderung der für die TL‑GmbH vorliegenden Steuerfestsetzung an. Hierzu hat das FG keine Fest­stellungen getroffen, die in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen sind.

b) Für das Verfahren im zweiten Rechtsgang weist der Senat ergänzend auf Fol­gendes hin:

aa) Das FG konnte zutreffend davon ausgehen, dass es für die Frage, ob eine KG als Organgesellschaft eines Organträgers anzusehen ist, nicht darauf ankommt, ob die Personen, die neben dem Organträger Gesellschafter der KG sind, finanzi­ell in den Organträger eingliedert sind. Soweit der Senat dies für erforderlich ge­halten hat (BFH-Urteil vom 02.12.2015 ‑ V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl II 2017, 547, Leitsatz), hat er diese Rechtsprechung aufgegeben (BFH-Urteil vom 16.03.2023 ‑ V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89, Leitsatz 1).

bb) Einer weitergehenden Prüfung im zweiten Rechtsgang bedarf hingegen das Vorhandensein einer wirtschaftlichen Eingliederung und hierbei insbesondere die Frage, ob mehr als nur unerhebliche Beziehungen zwischen den Unternehmens­bereichen vorlagen (BFH-Urteil vom 01.02.2022 ‑ V R 23/21, BFHE 276, 362, BStBl II 2023, 148, Leitsatz 1). Hierzu fehlen bislang hinreichende Feststellun­gen.

5. Ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 des Vertrags über die Ar­beitsweise der Europäischen Union ist nicht veranlasst (vgl. zu den Vorausset­zungen EuGH-Urteile CILFIT u.a. vom 06.10.1982 ‑ C‑283/81, EU:C:1982:335, Rz 21 und Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi vom 06.10.2021 ‑ C‑561/19, EU:C:2021:799, Rz 66). Für den Senat steht ‑‑wie dar­gelegt‑‑ zweifelsfrei fest, dass das Erfordernis einer Antragstellung durch den Organträger im Einklang mit dem Unionsrecht steht.

6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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  • „Irgendwann innerhalb dieser 20 Jahre habe ich es einmal mit einem anderen Anbieter versucht. Das war aber gleich wieder vorbei. Nachher wusste ich SIS erst richtig zu schätzen.“

    Brigitte Scheibenzuber, Steuerberaterin, 84137 Vilsbiburg

  • „Ihre Datenbank ist eigentlich schier unerschöpflich und ich arbeite sehr gern damit. Ein großes Lob für die leichte Handhabung, die vielfachen Suchmöglichkeiten und überhaupt.“

    Ingrid Nigmann, Kanzlei Dipl.-Kfm. Georg-Rainer Rätze, 39112 Magdeburg

  • „Wir benutzen mit größter Zufriedenheit Ihre Datenbank, sie stellt wirklich eine enorme Erleichterung im täglichen Arbeitsleben dar.“

    Schneider, Siebert & Kulle, Partnerschaftsgesellschaft, 60486 Frankfurt

  • „Ich möchte nicht versäumen, Sie für die ‘SteuerMail’ zu loben. Die Aktualität und die Auswahl der Themen ist wirklich sehr gut.“

    Frank Zoller, Rechtsanwalt und Steuerberater, 75179 Pforzheim

  • „Sie haben offensichtlich die Bedürfnisse des steuerberatenden Berufs bei seiner Arbeit richtig eingeschätzt. Die Zuordnung der verschiedenen Dokumente zur jeweiligen Rechts-Vorschrift ist schlichtweg genial. Auch der Hinweis auf weitere Kommentare und Aufsätze ist außerordentlich wertvoll.“

    Willi Besenhart, Steuerberater, 81739 München

  • "Es macht wirklich Spaß mit Ihrer Datenbank zu arbeiten."

    Robert Kochs, Steuerberater, 52074 Aachen

  • "Ich bin sehr zufrieden. Die Datenbank ist äußerst hilfreich, Preis-Leistungsverhältnis stimmt."

    Erika Dersch, Steuerberaterin, 82431 Kochel am See

  • "Bin von Anfang an begeisterter Anwender und möchte SIS nicht mehr missen."

    Harald Dörr, Steuerberater, 63571 Gelnhausen

  • "Die SIS-Datenbank ist hervorragend; m.E. besser als die von den Finanzbehörden in BW verwendete Steuerrechtsdatenbank."

    Wolfgang Friedinger, 89077 Ulm

  • "Sehr gut ist die SteuerMail mit den Anlagen und die Internetseite mit den aktuellen Themen!"

    Karin Pede, IHR-ZIEL.DE GmbH, 91320 Ebermannstadt

  • "Mit Ihrer SIS-Datenbank bin ich seit Jahren sehr glücklich, hat mir schon sehr viel geholfen und der Preis ist nach wie vor sehr zivil für diese feine Geschichte."

    G. Grisebach, Steuerberaterin

  • "Auf vieles kann man verzichten - auf SIS niemals! Herzlichen Glückwunsch zur aktuellen SIS-Datenbank, vielen Dank für Ihren äußerst aktuellen Informations-Service"

    Friedrich Heidenberger, Steuerberater, 90530 Wendelstein

  • "Ihre Datenbank ist konkurrenzlos benutzerfreundlich."

    Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld

  • "Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."

    Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart

  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

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