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BFH: Unentgeltliche Wärmelieferungen aus unternehmerischen Gründen an andere Unternehmer für deren unternehmerische Tätigkeit; Entnahmebesteuerung; Bemessungsgrundlage

  1. Auch wenn Wärme unentgeltlich an andere Unternehmer für deren Unter­nehmen (wirtschaftliche Tätigkeit) abgegeben wird, handelt es sich um eine unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands im Sinne des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 UStG.
  2. Der Besteuerung der unentgeltlichen Zuwendung steht nicht entgegen, dass die Leistungs­empfänger die Wärme für Zwecke verwenden, die sie zum Vor­steuer­abzug berechtigen.
  3. Die Selbstkosten im Sinne des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG umfassen nicht nur die unmittelbaren Herstellungskosten oder Erzeugungs­kosten, son­dern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungs­aufwendungen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um vor­steuer­belastete Kosten handelt oder nicht.

MwStSystRL Art. 16 Satz 1
UStG § 3 Abs. 1b Satz 1 und 2, § 10 Abs. 4, § 15 Abs. 4

BFH-Urteil vom 4.9.2024, XI R 15/24 (XI R 17/20) (veröffentlicht am 7.11.2024)

Vorinstanz: Niedersächsisches FG vom 19.9.2019, 11 K 195/17 = SIS 20 12 47

I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zur dezentralen Strom- und Wärmeproduktion, das mit aus Biomasse selbst erzeugtem Biogas betrieben wird.

Der vom BHKW produzierte Strom wurde überwiegend in das allgemeine Stromnetz eingespeist und von dem Stromnetzbetreiber vergütet. Die vom BHKW erzeugte Wärme diente zu einem Teil dem Produktionsprozess. Den überwiegenden Teil der Wärme überließ die Klägerin im Besteuerungszeitraum 2008 (Streitjahr) mit Vertrag vom 29.11.2007 dem Unternehmer A "kostenlos" zur Trocknung von Holz in Containern und mit Vertrag vom 29.07.2008 der B GbR (B), die mit der Wärme ihre Spargelfelder beheizte. In beiden Verträgen ist geregelt, dass die Höhe der Vergütung je nach wirtschaftlicher Lage des Wärmeabnehmers individuell vereinbart und in den Verträgen nicht festgelegt werde.

Im Streitjahr erhielt die Klägerin für die Lieferung von 6 714 247 kWh Strom vom Stromnetzbetreiber neben der sogenannten Mindest-Einspeisevergütung nach § 8 Abs. 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes i.d.F. vom 07.11.2006 ‑‑EEG‑‑ (BGBl I 2006, 2550) in Höhe von 1.054.337,85 € einen Erhöhungsbe­trag nach § 8 Abs. 3 EEG (sogenannter Kraft-Wärme-Kopplung [KWK]-Bonus), weil es sich bei dem von ihr erzeugten Strom um solchen im Sinne von § 3 Abs. 4 des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes i.d.F. vom 19.03.2002 (BGBl I 2002, 1092) handelte. Auch dieser KWK-Bonus in Höhe von 85.070,66 € wur­de entsprechend der Umsatzsteuererklärung der Klägerin vom Beklagten, Re­visionskläger und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) in die Bemessungs­grundlage der steuerpflichtigen Umsätze einbezogen.

Da die Klägerin den Wärmeabnehmern kein Entgelt in Rechnung stellte, ging der Prüfer im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung von einer unentgeltlichen Zuwendung der Wärme im Sinne von § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an A und B aus. Mangels eines Einkaufspreises für Wärme berechnete er die Bemessungsgrundlage für diese Entnahme gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten. Von den in der Gewinn- und Verlustrechnung aufgeführten Gesamtkosten in Höhe von 1.104.453,35 € entfielen nach der Berechnung des Prüfers auf die abge­gebene Wärme 384.791,55 € (= 34,84 v.H.), so dass er ‑‑ausgehend von dieser Bemessungsgrundlage‑‑ insoweit Umsatzsteuer in Höhe von 73.110,29 € an­setzte.

Das FA folgte dem Ergebnis der Prüfung mit Umsatzsteuerbescheid für 2008 vom 17.11.2011. Den dagegen eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchs­entscheidung vom 01.08.2012 als unbegründet zurück.

Mit ihrer ursprünglichen Klage machte die Klägerin unter anderem geltend, der KWK-Bonus sei ein Entgelt von dritter Seite. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der Klägerin im ersten Rechtsgang statt. Auf die Revision des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 31.05.2017 ‑ XI R 2/14 (BFHE 258, 191, BStBl II 2017, 1024) das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Der sogenannte KWK-Bonus, den der Stromnetzbetreiber an die Klägerin gezahlt habe, sei nicht Entgelt für die "kostenlosen" Wärmeabgaben der Klägerin. Es handele sich bei der Vergütung des Stromnetzbetreibers viel­mehr um ein Entgelt für den von der Klägerin an ihn gelieferten Strom. Die Sache sei nicht spruchreif, da nicht entschieden werden könne, in welcher Hö­he die unentgeltlichen Wertabgaben der Klägerin versteuert werden müssen. Dies richte sich nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG gemäß den Grundsätzen der BFH-Urteile vom 12.12.2012 ‑ XI R 3/10 (BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809) und vom 16.11.2016 ‑ V R 1/15 (BFHE 255, 354, BStBl II 2022, 777). Die dazu erforderlichen Feststellungen habe das FG nachzuholen.

Im zweiten Rechtsgang wendete sich die Klägerin unter anderem im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage für die Wärmelieferungen gegen die Berechnung des FA, das diese Wertabgabe gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten ermittelte (s. Änderungsbescheid vom 26.03.2019). Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang teilweise statt. Die Umsatzsteuer für die un­entgeltlichen Wertabgaben bemesse sich gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach den Selbstkosten, die nach der sogenannten Marktwertmethode und nicht wie im Änderungsbescheid vom 26.03.2019 aus Vereinfachungsgründen nach dem bundeseinheitlichen durchschnittlichen Fernwärmepreis zu berech­nen seien. Es sei auf die Marktwerte für Strom und Wärme am konkreten Ort der Klägerin abzustellen.

Auf die Beschwerde des FA hat der Senat mit Beschluss vom 30.06.2020 ‑ XI B 104/19 (nicht veröffentlicht) die Revision zugelassen. Daraufhin hat auch die Klägerin Revision eingelegt.

Mit der Revision rügt das FA die Berechnung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Fernwärmeabgabe. Das FA bringt im Wesentlichen vor, es müs­se eine Aufteilung nach energetischer Methode erfolgen. Eine Aufteilung nach der Marktwertmethode trage nicht dem Verursacherprinzip Rechnung. Es wür­de zudem für das Produkt Wärme für das Streitjahr an Marktwerten fehlen. Es würden nur Referenzpreise als Grundlage genommen und anfallende Beschaf­fungskosten (zum Beispiel Leitungsbau, Transport, Lieferkosten) nicht berück­sichtigt. Die räumliche Nähe der feststellbaren Preise lasse sich nicht feststel­len. Es sei daher die Vereinfachungsregelung des Abschn. 2.5 Abs. 22 Satz 8 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses anzuwenden.

Bezüglich der Revision der Klägerin hält es das FA nach den Grundsätzen des BFH im Streitfall für erforderlich, die Selbstkosten als Grundlage der Ermitt­lung der Bemessungsgrundlage für die unentgeltlichen Wärmelieferungen an­zusetzen, da sich ein Einkaufspreis für den Gegenstand oder für einen gleich­artigen Gegenstand nicht ermitteln lasse. Die Klägerin sei nicht an ein Fern­wärmenetz angeschlossen gewesen. Bundeseinheitliche Listenpreise würden für die Anwendung der Vereinfachungsregelung des Umsatzsteuer-Anwen­dungserlasses bei der Ermittlung der Selbstkosten sprechen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteuerbe­scheid für 2008 vom 26.03.2019 dahingehend zu bestätigen, dass die festge­setzte Umsatzsteuer 150.686,93 € beträgt (darin Bemessungsgrundlage der unentgeltlichen Wärmeabgabe 216.163 €), und die Revision der Klägerin zu­rückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Umsatzsteu­erbescheid für 2008 vom 26.03.2019 dahingehend zu ändern, dass die Um­satzsteuer unter Berücksichtigung unentgeltlicher Wertabgaben für 2008 in Höhe von 17.432,51 € (3 486 502 kWh x 0,005 €/kWh) festgesetzt wird und die Revision des FA zurückzuweisen.

Mit ihrer Revision vertritt die Klägerin die Ansicht, dass es möglich sei, einen Einkaufspreis zu ermitteln. Es sei ein (fiktiver) Einkaufspreis für einen ver­gleichbaren Gegenstand zu bestimmen. Es komme dabei nicht auf die Frage nach dem Vorhandensein eines tatsächlichen Fernwärmeanschlusses an.

Die Marktpreisermittlung des FG im Rahmen der Ermittlung der Selbstkosten verstoße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze. Es gebe für den Bereich der Holztrocknung einen vom Fachverband Biogas e.V. ermittelten Mit­telwert von unter 1 ct/kWh. Die Wärmelieferverträge ab dem Jahr 2010 halte das FG für das Streitjahr zu Unrecht nicht für marktgerecht. Der Grund für die geringeren Werte sei die Notwendigkeit von Wärmelieferungen, um den erhöh­ten KWK-Bonus zu erlangen. Deshalb werde auch heute kaum ein Entgelt für solche Wärmenutzungen gezahlt. Daher sei die Heranziehung von Entgelten örtlicher Stadtwerke nicht möglich. Dies gelte auch deshalb, weil ein hoher Anteil von Netzerrichtungskosten und Kosten für Instandhaltung bei den Stadtwerken zu berücksichtigen sei.

Bezüglich der Revision des FA wendet sich die Klägerin gegen die Behauptung des FA, dass es für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung gebe. Es sei auch nicht ein tatsächlicher Fernwärmeanschluss notwendig, um einen (fiktiven) Einkaufspreis zugrunde zu legen. Jedenfalls könnten die Selbstkosten nach Marktpreisen aufgeteilt werden. Der Begriff der Selbstkosten sei ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ im Umsatzsteuer-Anwendungserlass definiert. Die Begriffe Selbstkosten und (fiktiver) Einkaufspreis seien nicht vergleichbar. Es sei ein Markt für Fernwär­me vorhanden. Die Infrastrukturaufwendungen, die das FA berücksichtigen wolle, fielen bei der Holztrocknung beziehungsweise Spargelfeldbeheizung we­gen der unmittelbaren Nähe der Wärmeabnehmer nicht ins Gewicht. Die Ver­einfachungsregelung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses sei daher nicht anzuwenden. Es käme sonst zu einer Übermaßbesteuerung.

Mit Beschluss vom 22.11.2022 ‑ XI R 17/20 (BFHE 279, 262, BStBl II 2023, 601) hatte der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Handelt es sich um die 'Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuer­pflichtigen aus seinem Unternehmen ... als unentgeltliche Zuwendung' i.S. von Art. 16 [der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem] MwStSystRL, wenn ein Steuerpflichtiger Wärme aus seinem Unternehmen unentgeltlich an einen anderen Steuerpflich­tigen für dessen wirtschaftliche Tätigkeit abgibt (hier: Zuwendung von Wärme aus dem Blockheizkraftwerk eines Stromlieferanten an ein landwirtschaftliches Unternehmen zum Beheizen von Spargelfeldern)? Kommt es hierfür darauf an, ob der steuerpflichtige Empfänger die Wärme für Zwecke verwendet, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen?

2. Schränkt der Tatbestand der Entnahme (Art. 16 MwStSystRL) den Selbst­kostenpreis i.S. des Art. 74 MwStSystRL in der Weise ein, dass bei seiner Be­rechnung nur vorsteuerbelastete Kosten einzubeziehen sind?

3. Gehören zum Selbstkostenpreis nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten oder auch nur mittelbar zurechenbare Kosten wie z.B. Fi­nanzierungsaufwendungen?"

Der EuGH hat mit seinem Urteil Finanzamt X vom 25.04.2024 ‑ C‑207/23, EU:C:2024:352 über das Vorabentscheidungsersuchen entschieden und die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:

"1. Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass es sich um eine einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestell­te Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Un­ternehmen als unentgeltliche Zuwendung im Sinne dieser Bestimmung han­delt, wenn der Steuerpflichtige von ihm erzeugte Wärme unentgeltlich an an­dere Steuerpflichtige für deren wirtschaftliche Tätigkeit abgibt, wobei es hier­für nicht darauf ankommt, ob diese anderen Steuerpflichtigen die Wärme für Zwecke verwenden, die sie zum Vorsteuerabzug berechtigen.
2. Art. 74 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass der Selbstkosten­preis im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die unmittelbaren Herstellungs- oder Erzeugungskosten umfasst, sondern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder nicht."

Die Klägerin trägt daraufhin vor, dass nach dem Wortlaut des EuGH-Urteils in Rz 55 die Ermittlung des Selbstkostenpreises der Steuerbehörde obliege. Wie die Finanzverwaltung dieses in der Praxis umsetzen solle, bleibe völlig offen. Denn grundsätzlich müsse der Unternehmer im Rahmen seiner Umsatzsteuer­erklärungen die Bemessungsgrundlage mitteilen. Der Senat möge sich dazu positionieren.

II. Die Revisionen des FA und der Klägerin sind unbegründet und daher jeweils gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Die Wärmeabgabe an A und B ist als unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands im Sinne des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zu erfassen (dazu 1.). Das FG hat zutreffend als Bemessungsgrundlage für die Wärmelieferungen an A und B die anteiligen Selbstkosten angesetzt (dazu 2.). Es hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den abziehbaren Anteil nach der Marktwertmethode ermittelt (dazu 3.). Die Berechnung der Selbstkosten begegnet keinen Bedenken. Zu den Selbstkosten gehören auch nicht vor-steuerbelastete Kosten (dazu 4.).

1. Die Wärmeabgabe an A und B ist als unentgeltliche Zuwendung eines Ge­genstands im Sinne des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG zu berücksichtigen.

a) Nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG, der auf Art. 16 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteu­ersystem (MwStSystRL) beruht, werden einer Lieferung gegen Entgelt unter anderem gleichgestellt die unentgeltliche Zuwendung eines Gegenstands. Vor­aussetzung ist, dass der Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben (§ 3 Abs. 1b Satz 2 UStG).

b) Wird ‑‑wie im Streitfall‑‑ Wärme unentgeltlich an andere Unternehmer für deren Unternehmen (wirtschaftliche Tätigkeit) abgegeben, handelt es sich nach Auffassung des EuGH um eine unentgeltliche Zuwendung im Sinne dieser Vorschriften beziehungsweise Bestimmungen. Der EuGH hat dies wie folgt be­gründet:

Rz 33 "Aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie geht hervor, dass in diesem 3. Fall die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt wird, wenn zum einen die Entnahme eine unent­geltliche Zuwendung bewirkt hat und zum anderen der entnommene Gegen­stand oder seine Bestandteile diesen Steuerpflichtigen zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben."

Rz 34 "Dagegen ergibt sich aus der Prüfung des Wortlauts dieser Bestimmung nicht, dass eine zusätzliche Voraussetzung im Zusammenhang mit dem steu­erlichen Status des Empfängers dieser Zuwendung insofern bestünde, als der Empfänger den zugewandten Gegenstand für Umsätze verwenden müsste, die zum Abzug der Mehrwertsteuer berechtigen."

Rz 35 "Im vorliegenden Fall lässt sich dem Vorabentscheidungsersuchen zum einen entnehmen, dass Y [gemeint ist die Klägerin], eine mehrwertsteuer­pflichtige Gesellschaft, ihrem Unternehmen Wärme entnommen hat, bei der es sich um einen körperlichen Gegenstand im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Mehr­wertsteuerrichtlinie handelt, den sie im Rahmen ihrer Tätigkeiten erzeugt hat. Zudem geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Wärme von Y unentgeltlich an A und B zur Ausübung von deren wirtschaftlichen Tätig­keiten zugewandt wurde."

Rz 36 "Zum anderen führt das vorlegende Gericht aus, dass Y angesichts des­sen, dass die entgeltlichen Lieferungen des vom Blockheizkraftwerk von Y er­zeugten Stroms der Mehrwertsteuer unterlegen hätten, berechtigt gewesen sei, die gesamte Vorsteuer für dieses Kraftwerk abzuziehen, das auch die an A und B unentgeltlich zugewandte Wärme erzeugt habe."

...

Rz 44 "Zudem ergibt sich aus Art. 16 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass nicht nach dem steuerlichen Status des Empfängers von Warenmustern diffe­renziert wird und dass dieser Status folglich für die Anwendung dieser Be­stimmung nicht relevant ist (vgl. in diesem Sinne zu Art. 5 Abs. 6 Satz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 Urteil vom 30. September 2010, EMI Group, C‑581/08, EU:C:2010:559, Rn. 51 und 52)."

Rz 45 "Im Übrigen könnte eine Auslegung von Art. 16 Abs. 1 der Mehrwert­steuerrichtlinie dahin, dass der steuerliche Status des Empfängers des ent­nommenen und unentgeltlich zugewandten Gegenstands zu berücksichtigen wäre, zu praktischen Schwierigkeiten führen auf die sowohl vom vorlegenden Gericht als auch von der Europäischen Kommission in ihren schriftlichen Erklä­rungen hingewiesen wurde, da der Steuerpflichtige, der einen Gegenstand entnimmt und unentgeltlich zuwendet, gezwungen wäre, Nachforschungen anzustellen, um diesen Status zu prüfen."

Rz 46 "Schließlich hat der Gerichtshof zwar in Rn. 68 des Urteils vom 16. September 2020, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie (C‑528/19, EU:C:2020:712), auf das sich insbesondere Y beruft, entschieden, dass zu­gunsten einer Gemeinde durchgeführte Arbeiten zum Ausbau einer Gemein­destraße, die der Öffentlichkeit offensteht, aber im Rahmen der wirtschaftli­chen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, der diese Arbeiten unentgeltlich durchge­führt hat, von ihm sowie von der Öffentlichkeit genutzt wird, keinen Umsatz darstellen, der einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt im Sinne von Art. 5 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 (entspricht Art. 16 der Mehrwert­steuerrichtlinie) gleichzustellen ist."

Rz 47 "Zum einen jedoch kamen diese Arbeiten dem die Zuwendung vorneh­menden Steuerpflichtigen zugute und wiesen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit auf. Zum ande­ren waren die Kosten der erhaltenen Eingangsleistungen, die mit diesen Arbei­ten in Zusammenhang standen, Kostenelemente der von diesem Steuerpflich­tigen getätigten Ausgangsumsätze. Dagegen gibt es keinen Anhaltspunkt da­für, dass die von Y entnommene und unentgeltlich zugewandte Wärme auch von Y genutzt worden wäre."

2. Als Bemessungsgrundlage dieser Umsätze sind die Selbstkosten anzuset­zen, da kein Einkaufspreis existiert.

a) Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG wird der Umsatz bei Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1b UStG nach dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkos­ten für den Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises nach den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Um­satzes, bemessen. Unionsrechtlich beruht § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG auf Art. 74 MwStSystRL. Bemessungsgrundlage ist danach der Einkaufspreis für den entnommenen oder einen gleichartigen Gegenstand, hilfsweise der Selbst­kostenpreis. Sowohl der EuGH (Urteile Property Development Company vom 23.04.2015 ‑ C‑16/14, EU:C:2015:265; Het Oudeland Beheer vom 28.04.2016 ‑ C‑128/14, EU:C:2016:306) als auch der BFH (Urteil vom 12.12.2012 ‑ XI R 3/10, BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809) setzen auch bei selbst hergestellten Wirtschaftsgütern den Einkaufspreis, gegebenenfalls einen fiktiven Einkaufspreis an, sofern ein solcher am Markt zu ermitteln ist. Die Selbstkosten sind daher nur dann als Bemessungsgrundlage anzusetzen, wenn ein Einkaufspreis für den entnommenen oder für einen gleichartigen Gegen­stand am Markt nicht zu ermitteln ist (BFH-Urteil vom 12.12.2012 ‑ XI R 3/10, BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809, Rz 22, 28).

b) Im Streitfall ist die Entscheidung des FG, dass kein Einkaufspreis am Markt für einen gleichartigen Gegenstand ermittelt werden könne, weil die Klägerin nicht an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist, revisionsrechtlich nicht zu be­anstanden; denn von einem Fernwärmeversorger produzierte und angebotene Fernwärme kann nur dann als "gleichartiger Gegenstand" im Sinne der Vor­schrift angesehen werden, wenn sie für den jeweiligen Verbraucher (hier: die Klägerin) zum Zeitpunkt des Umsatzes grundsätzlich ebenso erreichbar und einsetzbar ist wie die selbst erzeugte Wärme (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2022 ‑ V R 34/20, BFHE 276, 369, Rz 16). Eine Anbindung an ein Fern­wärmenetz ist Voraussetzung für den Ansatz eines (fiktiven) Einkaufspreises (vgl. BFH-Urteil vom 25.11.2021 ‑ V R 45/20, BFHE 275, 392, Rz 31). Existiert kein (fiktiver) Einkaufspreis, sind Bemessungsgrundlage für die unentgeltli­chen Wärmeumsätze die darauf entfallenden Selbstkosten für die Errichtung und den Betrieb des BHKW.

3. Die Aufteilung der Selbstkosten auf Strom und Wärme ist nach der Markt­wertmethode vorzunehmen.

a) § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG enthält keine ausdrückliche Aufteilungsrege­lung für Selbstkosten, die gleichermaßen für die entgeltliche Lieferung (von Strom) und die unentgeltliche Zuwendung (von Wärme) anfallen. Für die gleichwohl erforderliche Aufteilung kann ‑‑wie der Senat bereits im ersten Rechtsgang entschieden hat (vgl. BFH-Urteil vom 31.05.2017 ‑ XI R 2/14, BFHE 258, 191, BStBl II 2017, 1024, Rz 44)‑‑ der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 UStG heranzuziehen sein. Dies hat die Rechtsprechung später dahin­gehend weiter präzisiert, dass sie die von der Finanzverwaltung angewendete, ausschließlich energetische Methode als nicht sachgerecht verworfen hat und stattdessen eine zweistufige, ausschließlich umsatzbezogene Schätzung (ohne Berücksichtigung der nicht genutzten Wärme) als sachgerecht angesehen hat (vgl. BFH-Urteile vom 15.03.2022 ‑ V R 34/20, BFHE 276, 369, Rz 22; vom 09.11.2022 ‑ XI R 31/19, BFHE 279, 227, Rz 15 und 25). Daran hält der Senat weiter fest.

b) Auf der Grundlage dieser Schätzungsmethode ist die Schätzung des FG re­visionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Das FG ist, wie die Berechnung in Rz 57, 62 der Vorentscheidung zeigt, von der zutreffenden Schätzungsmethode des BFH ausgegangen. Im Rahmen der Berechnung hat es Verkaufspreise von zwei Anbietern von Fernwärme in der Nähe der Anlage der Klägerin (Stadtwerke X und Stadtwerke Y) herangezogen.

bb) Diese Schätzung hält den Angriffen der beiden Revisionen stand.

(1) Entgegen der Auffassung des FA ist die vom FG gewählte, der Methode des BFH entsprechende, Schätzungsmethode sachgerecht. Die Heranziehung der Verkaufspreise von zwei Anbietern von Fernwärme in der Nähe der Anlage der Klägerin begegnet ebenfalls keinen Bedenken, da das FG im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis auf Grundlage speziellerer Wertermittlungen Wer­te für die Lieferung von Wärme ermitteln darf (vgl. BFH-Urteil vom 09.11.2022 ‑ XI R 31/19, BFHE 279, 227, Rz 15).

(2) Entgegen dem Vortrag des FA und der Klägerin hat das FG sehr wohl im Rahmen des Abschlags berücksichtigt, dass die Abnehmer die Kosten der In­stallation eines Leitungsnetzes tragen mussten. Der Abschlag war auch nicht unangemessen.

(3) Es handelte sich des Weiteren bei den zwei Vergleichsanbietern ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ um in räumlicher Nähe liegende Marktanbieter. Beide Marktanbieter befanden sich im regionalen Umfeld der Klägerin.

(4) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das FG die anderen im finanzge­richtlichen Verfahren ermittelten Marktpreise für Fernwärme nicht in die Be­rechnung der Bemessungsgrundlage hat mit einfließen lassen. Denn entweder betrafen sie andere Zeiträume (2010; 2016) als das Streitjahr (2008) oder wurden vom FG nicht als marktgerecht beurteilt, da sie im Vergleich zum er­mittelten Durchschnittswert gering waren. Auch diese mögliche tatsächliche Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; sie bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO).

4. Die Berechnung der Selbstkosten begegnet ebenfalls keinen Bedenken.

a) Das FG hat als Selbstkosten auch nicht unmittelbar mit der Herstellung oder Erzeugung zusammenhängende Kosten berücksichtigt, die nicht mit Vorsteuer belastet sind (zum Beispiel Finanzierungskosten).

b) Dies hat der EuGH auf Vorlage des Senats als unionsrechtlich zutreffend bestätigt (vgl. Urteil Finanzamt X vom 25.04.2024 ‑ C‑207/23, EU:C:2024:352, Tenor Ziffer 2): Art. 74 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass der Selbstkostenpreis im Sinne dieser Bestimmung nicht nur die unmit­telbaren Herstellungskosten oder Erzeugungskosten umfasst, sondern auch mittelbar zurechenbare Kosten wie Finanzierungsaufwendungen, wobei es kei­ne Rolle spielt, ob es sich um vorsteuerbelastete Kosten handelt oder nicht.

c) Dies ist im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG in das nationale Recht zu übertragen; die Begriffe "Selbst­kostenpreis" und "Selbstkosten" sind identisch auszulegen und synonym zu verwenden (vgl. bereits BFH-Urteil vom 12.12.2012 ‑ XI R 3/10, BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809, Rz 42). Soweit die gesetzgebenden Körperschaften die Begriffe zunächst nicht synonym verstanden haben sollten, weil sie den Unternehmergewinn nicht in die Selbstkosten einbeziehen wollten (BTDrucks 11/5970, S. 45), ist dies nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 10.03.1994 ‑ V R 91/91, BFH/NV 1995, 451) weder bei den Selbstkosten noch nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil Finanzamt X vom 25.04.2024 ‑ C‑207/23, EU:C:2024:352, Rz 59) beim Selbstkostenpreis der Fall. Der Senat hält daher an seinem synonymen Verständnis der Begriffe im BFH-Urteil vom 12.12.2012 ‑ XI R 3/10 (BFHE 239, 377, BStBl II 2014, 809, Rz 42) fest.

d) Soweit die Klägerin darauf verweist, dass nach Rz 55 des EuGH-Urteils Fi­nanzamt X vom 25.04.2024 ‑ C‑207/23, EU:C:2024:352 der Steuerbehörde die Ermittlung des Selbstkostenpreises obliegt, versteht der Senat dies in der Weise, dass bei der Überprüfung der Steueranmeldungen das FA als "Steuer­behörde" die genannten Umstände zu beachten hat. Entgegen den Bedenken der Klägerin bleibt es jedoch die Aufgabe des Steuerpflichtigen, die Steuer gemäß den Regelungen in § 16 UStG selbst zu berechnen (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 UStG) und die selbst berechnete Steuer anzumelden (§ 150 Abs. 1 Satz 3, § 167 Satz 1, § 168 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung). Er muss folglich dazu auch die erforderlichen Ermittlungen selbst vornehmen. Da außerdem bei der Ermittlung der Selbstkosten die bestehende Regelungslücke entsprechend § 15 Abs. 4 UStG durch sachgerechte Schätzung nach dem Kri­terium der wirtschaftlichen Zurechnung zu schließen ist (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2022 ‑ V R 34/20, BFHE 276, 369, Rz 19), ist die Schätzung grundsätz­lich Sache des Unternehmers, der zu entscheiden hat, welche Schätzungsme­thode er wählt, wobei die Steuerbehörde (und damit auch das FG) nachprüfen kann, ob diese Schätzung sachgerecht ist (vgl. BFH-Urteil vom 09.11.2022 ‑ XI R 31/19, BFHE 279, 227, Rz 12). Hieran ändert sich durch Rz 55 des EuGH-Urteils Finanzamt X vom 25.04.2024 ‑ C‑207/23, EU:C:2024:352 aufgrund des nationalen Verfahrensrechts nichts; denn bei fehlenden Unionsregeln zu einer verfahrensrechtlichen Frage ist es nach dem Grundsatz der Verfahrens­autonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung je­des Mitgliedstaats, entsprechende Regeln festzulegen, wobei diese dem Äqui­valenzgrundsatz und dem Effektivitätsgrundsatz genügen müssen (vgl. z.B. EuGH-Urteil Farkas vom 26.04.2017 ‑ C‑564/15, EU:C:2017:302, Rz 31), was hier der Fall ist.

5. Die Kostenentscheidung ist nach dem Grundsatz der einheitlichen Kosten­verteilung nach Quoten der Gesamtkosten zu treffen, wenn ‑‑wie hier‑‑ beide Beteiligte Revision eingelegt haben (vgl. BFH-Urteil vom 26.06.1997 ‑ VII R 10‑11/97, BFH/NV 1997, 906, unter II.3.). Die Kostenverteilung ergibt sich nach dem Maße des Obsiegens beziehungsweise Unterliegens (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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