BFH: Einfuhrumsatzsteuer und Vorsteuerabzug
Bei richtlinienkonformer Auslegung von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfordert die Einfuhr für das Unternehmen eine Verwendung des eingeführten Gegenstandes für Zwecke der besteuerten Umsätze des Unternehmers. Dies setzt voraus, dass er den Gegenstand selbst und damit dessen Wert für diese Umsätze verwendet. Erbringt der Unternehmer in Bezug auf den eingeführten Gegenstand lediglich eine Verzollungs- oder eine Beförderungsdienstleistung, steht ihm daher kein Abzugsrecht zu.
UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
MwStSystRL Art. 167, Art. 168 Buchst. a, e
BFH-Beschluss vom 20.7.2023, V R 13/21 (veröffentlicht am 21.9.2023)
Vorinstanz: FG Hamburg vom 18.12.2020, 5 K 175/18 = SIS 21 03 91
I. Streitig ist die Berechtigung der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die von ihr als indirekte Zollvertreterin geschuldete Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) als Vorsteuer abzuziehen.
Die Klägerin, eine GmbH, meldete am 07.02.2018 beim Hauptzollamt (HZA) X als indirekte Zollvertreterin gemäß Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 Alternative 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union ‑‑UZK‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2013, Nr. L 269, 1) für die in der Türkei ansässige L Elektronikartikel zur Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr an. Das HZA X überließ die Ware antragsgemäß und setzte gegenüber der Klägerin ‑‑als Gesamtschuldnerin mit L‑‑ EUSt in Höhe von 227,81 € fest. Da die Ware nicht bei der in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ansässigen Empfängerin ankam, verzichtete die Klägerin darauf, das für die Abgabe der Zollanmeldung mit L vereinbarte Entgelt einzufordern.
Die Klägerin machte die EUSt in ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für März 2018 als Vorsteuer geltend. Der Einspruch gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs durch den Vorauszahlungsbescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) vom 22.08.2018 hatte keinen Erfolg.
Die auf Änderung des zwischenzeitlich erlassenen Umsatzsteuer-Jahresbescheids 2018 vom 24.06.2020 gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) seien nicht erfüllt, da die EUSt kein Kostenelement eines Ausgangsumsatzes der Klägerin geworden sei, nachdem die Klägerin auf eine Vergütung ihrer Dienstleistung verzichtet habe. Als Bestandteil ihrer Gemeinkosten sei die EUSt ebenfalls nicht abzugsfähig, weil der L durch die Dienstleistung der Klägerin entstandene Vorteil nicht nur nebensächlich sei. Der Neutralitätsgrundsatz werde auf andere Weise als durch die Gewährung des Vorsteuerabzugs für die Klägerin gewährleistet.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) reiche die Stellung als Steuerschuldner beziehungsweise Importeur aus, um zum Vorsteuerabzug der EUSt berechtigt zu sein. Dies ergebe sich aus dem Beschluss des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) Weindel Logistik Service vom 08.10.2020 ‑ C‑621/19 (EU:C:2020:814), der die im EuGH-Urteil DSV Road vom 25.06.2015 ‑ C‑187/14 (EU:C:2015:421) niedergelegten Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs für die EUSt erweitert habe, wobei dieser implizit an die EuGH-Urteile Kommission/Vereinigtes Königreich vom 09.02.2006 ‑ C‑305/03 (EU:C:2006:90) und Véleclair vom 29.03.2012 ‑ C‑414/10 (EU:C:2012:183) anknüpfe.
Die für den Vorsteuerabzug der Umsatzsteuer entwickelte Leistungs- und Kostenformel passe nicht für die EUSt, weil diese unter anderen Bedingungen entstehe als die Umsatzsteuer; insbesondere spiele die Verfügungsmacht keine Rolle. Außerdem sei bei der EUSt Steuerschuldner und Abzugsberechtigter dieselbe Person. Da die Verfügungsmacht für die Entstehung der EUSt irrelevant sei, verstoße es auch gegen Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wenn diese zur Voraussetzung für den Vorsteuerabzug gemacht werde. Dasselbe gelte für den Wert der beförderten Ware, der lediglich eine Bemessungsgrundlage sei. Das FG-Urteil verstoße schließlich gegen den Neutralitätsgrundsatz, weil dem indirekten Zollvertreter der Vorsteuerabzug für die EUSt versagt werde, obwohl die EUSt im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit entstehe. Die Klägerin dürfe nicht auf ihren zivilrechtlichen Anspruch gegen ihre Auftraggeberin verwiesen werden. Von dieser könne man nicht verlangen, sich in Deutschland umsatzsteuerrechtlich registrieren zu lassen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2018 in der Fassung des Bescheids vom 24.06.2020 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 227,81 € herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Der Senat entscheidet in der geschäftsplanmäßigen Besetzung ohne den gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 41 Nr. 6 der Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeschlossenen Richter am Bundesfinanzhof A mit dem nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für dessen Vertretung zuständigen Richter am Bundesfinanzhof B.
Nach § 51 Abs. 1 FGO gelten für die Ausschließung oder Ablehnung der Gerichtspersonen die §§ 41 bis 49 ZPO sinngemäß. Auf der Grundlage des § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter unter anderem ausgeschlossen in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt. Die Regelung betrifft die Mitwirkung beim Erlass der angefochtenen Entscheidung selbst in einer früheren (unteren) Instanz (BFH-Urteil vom 04.07.2013 ‑ V R 8/10, BFHE 242, 271, BStBl II 2015, 969, Rz 23 sowie BFH-Beschlüsse vom 31.01.2001 ‑ II R 49/00, BFH/NV 2001, 931 und vom 06.02.1996 ‑ X B 95/95, BFH/NV 1996, 752). Dies trifft auf den Richter am Bundesfinanzhof A zu, der als Berichterstatter und Beisitzer an dem Urteil der Vorinstanz beteiligt war.
III. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unter Hinweis auf die maßgeblichen Gründe unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Dieser Verfahrensweise steht weder die Revisionszulassung durch das FG noch der bis zuletzt aufrecht gehaltene Antrag der Klägerin auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung entgegen (BFH-Beschlüsse vom 15.03.2022 ‑ V R 46/19, BFHE 275, 500, BStBl II 2022, 595, Rz 20; vom 29.08.2012 ‑ XI R 19/09, BFH/NV 2013, 272, Rz 14; vom 20.10.2021 ‑ XI R 19/20, BFH/NV 2022, 429, Rz 25).
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die Klägerin, die in Bezug auf die eingeführten Gegenstände lediglich Verzollungs- und gegebenenfalls Beförderungsdienstleistungen erbracht hat, aus der gegen sie festgesetzten EUSt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG kann der Unternehmer die entstandene EUSt für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG eingeführt worden sind, als Vorsteuerbetrag abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für die Einfuhr von Gegenständen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Diese Vorschriften beruhen auf Art. 168 Buchst. e MwStSystRL. Danach besteht das Abzugsrecht des Steuerpflichtigen (Unternehmers) für "die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist", soweit "die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden". Der BFH legt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG entsprechend Art. 168 Buchst. e MwStSystRL richtlinienkonform aus (BFH-Urteil vom 11.11.2015 ‑ V R 68/14, BFHE 251, 522, BStBl II 2016, 720, Rz 13).
2. Bei richtlinienkonformer Auslegung von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG erfordert die Einfuhr für das Unternehmen eine Verwendung des eingeführten Gegenstandes für Zwecke der besteuerten Umsätze des Unternehmers. Dies setzt voraus, dass er den Gegenstand selbst und damit dessen Wert für diese Umsätze verwendet.
a) Das Verwendungserfordernis ist für alle Fälle des § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG nach denselben Kriterien zu bestimmen. Unionsrechtlich ergibt sich dies bereits daraus, dass sich der Einleitungssatz des Art. 168 MwStSystRL auf alle der dort genannten Fallgruppen des Vorsteuerabzugs bezieht. Dementsprechend überträgt der EuGH seine Rechtsprechung, mit der er die Verwendung für Zwecke besteuerter Umsätze bei entgeltlichen Eingangsleistungen (Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) nach dem Kriterium eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz und einer darauf aufbauenden Kostenbetrachtung bestimmt (vgl. z.B. EuGH-Urteile SKF vom 29.10.2009 ‑ C‑29/08, EU:C:2009:665, Rz 57; Eon Aset Menidjmunt vom 16.02.2012 ‑ C‑118/11, EU:C:2012:97, Rz 46 ff.; jeweils m.w.N.), auf den Vorsteuerabzug für die Einfuhr gemäß Art. 168 Buchst. e MwStSystRL (EuGH-Urteil DSV Road, EU:C:2015:421, Rz 49). Dies führt in Bezug auf den Vorsteuerabzug zu der sachlich gebotenen Gleichstellung eingeführter und im Inland gelieferter Gegenstände (zutreffend Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz 1145).
Hieraus leitet der EuGH ab, dass "der Wert der beförderten Waren" ‑‑und damit der Wert des eingeführten Gegenstandes‑‑ in den Preis der vom Unternehmer erbrachten Leistung einfließen muss (EuGH-Urteil DSV Road, EU:C:2015:421, Rz 50). Auf dieser Grundlage verneint der EuGH den Abzug der EUSt als Vorsteuer für den Unternehmer, der eingeführte Gegenstände lediglich befördert, ohne "deren Einführer oder Eigentümer" zu sein (EuGH-Urteil DSV Road, EU:C:2015:421, Rz 51).
b) Abweichendes folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus dem EuGH-Beschluss Weindel Logistik Service (EU:C:2020:814). Danach steht Art. 168 Buchst. e MwStSystRL der Gewährung eines Anspruchs auf Abzug der Mehrwertsteuer an einen Importeur entgegen, wenn dieser mit den Gegenständen nicht wie ein Eigentümer verfahren kann und wenn vorherige Einfuhrkosten nicht vorhanden sind oder diese nicht im Preis der einzelnen Ausgangsumsätze oder im Preis der Gegenstände und Dienstleistungen enthalten sind, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefert beziehungsweise erbringt (ABlEU 2021, Nr. C 44, 9). Dies ist, wie sich insbesondere daraus ergibt, dass sich der EuGH zur Auslegung von Art. 168 Buchst. e MwStSystRL in Rz 45 f. seines Beschlusses Weindel Logistik Service (EU:C:2020:814) darauf beschränkt, auf die Rz 49 f. seines Urteils DSV Road (EU:C:2015:421) zu verweisen, dahingehend zu verstehen, dass auch der Importeur nur dann aus der EUSt abzugsberechtigt ist, wenn er den eingeführten Gegenstand selbst und damit dessen Wert für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet. Nichts anderes folgt aus dem in den Rz 44 und 49 des EuGH-Beschlusses Weindel Logistik Service (EU:C:2020:814) verwendeten Begriff der Einfuhrkosten ("coûts d'importation"), der sich auf den Wert des eingeführten Gegenstandes (zutreffend Monfort, Umsatzsteuer-Rundschau ‑‑UR‑‑ 2021, 79, 81), nicht aber auf die vom EuGH gesondert erwähnte Mehrwertsteuer für die Einfuhr bezieht.
Als Importeur ist dabei insbesondere die Person anzusehen, die aufgrund der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr Zollschuldner in Bezug auf den eingeführten Gegenstand ist (EuGH-Beschluss Weindel Logistik Service, EU:C:2020:814, Rz 16). Als Schuldner der EUSt im Sinne von § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 77 Abs. 3 UZK ist er jedoch auch dann nicht zum Abzug der EUSt als Vorsteuer berechtigt, wenn er zwar den eingeführten Gegenstand in den zollrechtlich freien Verkehr überführt, er aber ‑‑wie zum Beispiel in dem EuGH-Beschluss Weindel Logistik Service (EU:C:2020:814) als Erbringer einer Umverpackungsdienstleistung‑‑ nicht den Wert des eingeführten Gegenstandes für sein Unternehmen verwendet, so dass dieser Wert auch nicht in den Preis der von ihm erbrachten Leistung einfließt.
c) Keine andere Bedeutung kommt der ständigen Rechtsprechung des BFH zu, nach der der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG voraussetzt, dass dem Unternehmer die Verfügungsmacht an dem eingeführten Gegenstand zusteht (z.B. BFH-Urteile vom 16.03.1993 ‑ V R 65/89, BFHE 170, 481, BStBl II 1993, 473, unter II. zum fehlenden Abzugsrecht des am eingeführten Gegenstand lediglich Nutzungsberechtigten; vom 11.11.2015 ‑ V R 68/14, BFHE 251, 522, BStBl II 2016, 720, Rz 20 zum fehlenden Abzugsrecht einer Zolllagerbetreiberin), wie der Senat bereits unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils DSV Road (EU:C:2015:421) entschieden hat (BFH-Urteil vom 11.11.2015 ‑ V R 68/14, BFHE 251, 522, BStBl II 2016, 720, Rz 19). Der Streitfall gibt lediglich Veranlassung dies dahingehend zu präzisieren, dass der Wert des eingeführten Gegenstandes zu den Kostenelementen der unternehmerischen Tätigkeit für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG gehören muss, damit die auf diesen Wert bezogene EUSt zum Vorsteuerabzug berechtigt und durch diesen Abzug eine sich hieraus ergebende Kostenbelastung für den Unternehmer verhindert wird.
3. Danach hat das FG den Vorsteuerabzug der Klägerin zutreffend verneint. Erbringt der Unternehmer in Bezug auf den eingeführten Gegenstand lediglich eine Verzollungs- oder eine Beförderungsdienstleistung, steht ihm kein Abzugsrecht zu.
a) Die EUSt gehörte nicht zu den Kosten eines konkreten Ausgangsumsatzes der Klägerin, da es schon keinen Ausgangsumsatz gab, der mit der Entstehung der EUSt auch nur kausal zusammenhängen könnte. Wie das FG-Urteil, ohne dass dies mit Verfahrensrügen angegriffen wurde, festgestellt hat, kamen die Klägerin und L konkludent überein, dass die Klägerin angesichts des Abhandenkommens der Ware ihre Verzollungsdienstleistung nicht in Rechnung stellt.
b) Der Wert der eingeführten Gegenstände gehörte ‑‑auch unter Berücksichtigung der beabsichtigten, aber fehlgeschlagenen entgeltlichen Tätigkeit gegenüber dem Auftraggeber L‑‑ nicht zu den Kostenelementen der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin. Für die Klägerin gilt dasselbe wie für den Hauptverpflichteten, der Gegenstände in einem externen Versandverfahren befördert, dabei ‑‑wie die Klägerin‑‑ die Zollabfertigung übernimmt und wegen eines Verstoßes gegen die zollrechtlichen Versandverfahrensvorschriften zum Schuldner der EUSt wird (EuGH-Urteil DSV Road, EU:C:2015:421, Rz 15 ff.), für den Betreiber eines Zolllagers, der wegen Unregelmäßigkeiten bei der Lagerhaltung die EUSt schuldet (BFH-Urteil vom 11.11.2015 ‑ V R 68/14, BFHE 251, 522, BStBl II 2016, 720, Rz 20), und den Dienstleister, der Nicht-Unionswaren in den zollrechtlich freien Verkehr überführt, umverpackt und wieder ausführt (EuGH-Beschluss Weindel Logistik Service, EU:C:2020:814, Rz 16). Entscheidend ist, dass die Klägerin ebenso wie ein Frachtführer oder Lagerhalter den eingeführten Gegenstand nicht zur Erbringung einer Ausgangsleistung (z.B. Beförderungs- oder Verzollungsdienstleistung) verwendet hat, sondern der eingeführte Gegenstand lediglich das Objekt war, an dem die Klägerin ihre Leistung erbracht hat (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz 1145).
4. Die Einwendungen der Klägerin hiergegen greifen nicht durch.
a) Der EuGH hat in seinem EuGH-Beschluss Weindel Logistik Service (EU:C:2020:814) seine bisherige Rechtsprechung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geändert, sondern bestätigt (s. oben III.2.b), wovon auch die überwiegende Auffassung im Schrifttum ausgeht (Monfort, UR 2021, 80 f.; Summersberger/Bieber, Außenwirtschaftliche Praxis 2021, 95, 96 f.; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz 1144; Weymüller in Dorsch, Zollrecht, § 15 UStG Rz 35).
b) Die Stellung als Schuldner der EUSt oder "Importeur"/"Einführer" ist keine hinreichende Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug der EUSt, wie sich bereits aus dem Einleitungssatz des Art. 168 MwStSystRL und daraus ergibt, dass der EuGH seine Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL auf Art. 168 Buchst. e MwStSystRL übertragen hat (s. oben III.2.a). Auch hiergegen wendet sich die Klägerin zu Unrecht.
aa) Anders als die Klägerin meint, ergibt sich nichts anderes aus den EuGH-Urteilen Kommission/Vereinigtes Königreich (EU:C:2006:90) und Véleclair (EU:C:2012:183). Die erstgenannte Rechtssache betraf nicht den Vorsteuerabzug, sondern die Frage, ob die Gewinnspanne eines Auktionators bei einer Versteigerung eines Gegenstandes, der im Rahmen des zollrechtlichen Verfahrens der vorübergehenden Verwendung bei vollständiger Befreiung von den Eingangsabgaben eingeführt wurde, ein eigenständiger steuerbarer Umsatz oder nur bei der Bemessungsgrundlage der Einfuhr zu berücksichtigen war (EuGH-Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, EU:C:2006:90, Rz 15, 26). Lediglich in diesem Kontext hat der EuGH die unterschiedlichen Entstehungsgründe der Mehrwertsteuer bei Einfuhr und Lieferung genannt (EuGH-Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, EU:C:2006:90, Rz 33). Das EuGH-Urteil Véleclair (EU:C:2012:183) behandelt die Frage, ob der Vorsteuerabzug von der Zahlung der Mehrwertsteuer abhängig gemacht werden dürfe; dass die dortige Klägerin im Übrigen zum Vorsteuerabzug berechtigt war, wurde dabei vorausgesetzt (EuGH-Urteil Véleclair, EU:C:2012:183, Rz 17).
bb) Soweit die Klägerin zur Begründung ihrer Auffassung auf Instanzgerichte (Urteil des FG Hamburg vom 19.12.2012 ‑ 5 K 302/09, Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 562, aufgehoben durch BFH-Urteil vom 13.02.2014 ‑ V R 8/13, BFHE 245, 263, BStBl II 2014, 595 und Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 18.02.2014 ‑ 4 K 150/12, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2014, 519) verweist, lässt sie außer Betracht, dass die in diesen Entscheidungen vertretene Rechtsauffassung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung von EuGH und BFH (s. oben III.2.) nicht vereinbar ist.
c) Abweichendes folgt auch nicht aus den von der Klägerin angenommenen Besonderheiten der Einfuhrmehrwertsteuer.
aa) Gegen die Sonderrolle der EUSt spricht, dass die "Einfuhr von Gegenständen" im Titel VI MwStSystRL ‑‑nach Lieferung, innergemeinschaftlichem Erwerb und Dienstleistung‑‑ als steuerbarer Umsatz behandelt wird. Die MwStSystRL verwendet auch keinen ‑‑auf eine dogmatische Eigenständigkeit hinweisenden‑‑ eigenständigen Begriff ("Einfuhrmehrwertsteuer"), sondern spricht zum Beispiel in Art. 168 Buchst. e MwStSystRL von der "Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen […] geschuldet wird" (hierzu Bender in Offerhaus/Söhn/Lange, § 21 UStG Rz 16). Beim Vorsteuerabzug legt der Eingangssatz von Art. 168 MwStSystRL einheitlich für sämtliche Eingangsumsätze fest, dass die einzelnen Eingangsumsätze "für die Zwecke [der] besteuerten [Ausgangs‑]Umsätze verwendet werden" (s. oben III.2.a).
bb) Unterschiede in Bezug auf die Definitionen des Einfuhrumsatzes (Art. 30 MwStSystRL) und der Lieferung (Art. 14 MwStSystRL) haben keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs. Zwar ist die "Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen" (Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL), Voraussetzung nur für die Lieferung. In Bezug auf den Vorsteuerabzug umschreibt der EuGH das Kriterium der Verfügungsmacht aber nur als die Verwendung des eingeführten Gegenstandes seinem Wert nach (s. oben III.2.b).
cc) Das Zusammenfallen von Steuerschuld und Vorsteuerabzugsrecht ist ‑‑entgegen der Annahme der Klägerin‑‑ keine Besonderheit der EUSt, sondern liegt auch bei Lieferungen vor (§ 13b Abs. 5 und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Hieraus folgt keine gegenüber Lieferungen abweichende Beurteilung für den Vorsteuerabzug.
dd) Im Übrigen bestehen keine grundlegenden Unterschiede in Bezug auf die Bedeutung, die dem Wert eines gelieferten und eines eingeführten Gegenstandes zukommt. Denn ähnlich wie das vereinbarte Entgelt die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der entgeltlichen Lieferung ist (§ 10 Abs. 1 UStG), bestimmt der Transaktionswert, das heißt der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis, grundsätzlich die Bemessungsgrundlage für die EUSt (§ 11 Abs. 1 UStG i.V.m. Art. 70 Abs. 1 UZK).
ee) Schließlich besteht kein Widerspruch zu Art. 167 MwStSystRL. Da diese Bestimmung lediglich den zeitlichen Zusammenhang zwischen Steueranspruch und dem Recht auf Vorsteuerabzug regelt, verbietet sie es nicht, den Abzug der EUSt als Vorsteuer von anderen und dabei den ausdrücklich in Art. 168 MwStSystRL genannten Voraussetzungen abhängig zu machen.
d) Das FG-Urteil steht ‑‑entgegen der Auffassung der Klägerin‑‑ im Einklang mit der "Konzeption" des Vorsteuerabzugs im Sinne der Art. 167 ff. MwStSystRL und verstößt auch nicht gegen den Neutralitätsgrundsatz (Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL).
aa) Die Mehrwertsteuer wird bei allen Umsätzen nur abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente der Gegenstände und Dienstleistungen unmittelbar belastet hat (vgl. z.B. EuGH-Urteil Viking Motors u.a. vom 07.08.2018 ‑ C‑475/17, EU:C:2018:636, Rz 33). Auf diese Weise erlaubt der Vorsteuerabzug dem Leistenden, die von ihm zum Beispiel an seinen Leistenden gezahlte Mehrwertsteuer nicht als Preiselement behandeln zu müssen. Für Logistikdienstleistungen, die sich auf die entgeltliche Beförderung von Waren beschränken, ist der Wert der beförderten Ware dagegen kein Kostenbestandteil des für diese Dienstleistung in Rechnung gestellten Entgelts (EuGH-Urteil DSV Road, EU:C:2015:421, Rz 50; EuGH-Beschluss Weindel Logistik Service, EU:C:2020:814, Rz 46).
bb) Dass die EUSt im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin entstanden ist, ist keine hinreichende Bedingung für den Vorsteuerabzug. Die Neutralität der EUSt wird ‑‑wie das FG zutreffend ausgeführt hat‑‑ dadurch gewährleistet, dass sich der drittländische Auftraggeber des indirekten Zollvertreters ‑‑im Streitfall L‑‑ in Deutschland umsatzsteuerrechtlich registriert. Dass er hierzu nicht verpflichtet ist, ändert daran nichts. Somit folgt der Senat nicht einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (Killmann, Die unionsrechtlichen Grundsätze einer Vorsteuerabzugsberechtigung, in Summersberger, Einfuhr und innergemeinschaftliche Lieferung, 2014, S. 135), wonach sich zum Beispiel das Recht eines Spediteurs zum Abzug der von ihm geschuldeten EUSt als Vorsteuer aus dem Neutralitätsgrundsatz ergeben soll.
5. Der Senat hat die Entscheidung in einer Videokonferenz unter den hierfür von der BFH-Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen getroffen (vgl. BFH-Urteile vom 10.02.2021 ‑ IV R 35/19, BFHE 272, 152, Rz 34 und vom 08.09.2022 ‑ V R 26/21, BFHE 278, 348, BStBl II 2023, 361, Rz 26).
6. Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts, die ein an den EuGH gerichtetes Vorabentscheidungsersuchen erforderlich machen könnten, verneint der Senat.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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