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Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2024/25: Entschlossen modernisieren – Versäumnisse bei Investitionen angehen, digitale Innovation im Finanzsystem vorantreiben

Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Pressemitteilung vom 13.11.2024

  • Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich weiterhin in der Stagnation: Die anhaltende Wachstumsschwäche legt nahe, dass die deutsche Wirtschaft von konjunkturellen wie auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird.
  • Das deutsche BIP dürfte in diesem Jahr real um 0,1 % schrumpfen und im Jahr 2025 um 0,4 % wachsen. Die Inflation geht deutlich zurück; die Inflationsrate wird voraussichtlich in diesem Jahr 2,2 % und im kommenden Jahr 2,1 % betragen.
  • Zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben werden seit Jahren zu wenig priorisiert. Um dies zu gewährleisten, müssen institutionelle Vorkehrungen mit hoher Bindungswirkung geschaffen werden, insbesondere ein Verkehrsinfrastrukturfonds und Mindestquoten für Bildungs- und Verteidigungsausgaben.
  • Bei der Digitalisierung im Finanzsystem hinkt Deutschland hinterher und verschenkt Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. Der digitale Euro kann eine kostengünstige, sichere Alternative für digitale Zahlungen bieten, die unabhängig von nicht-europäischen Zahlungsdienstleistern ist und den Wettbewerb erhöht.
  • Für mehr Wohnraum in Ballungsräumen und einen besseren Zugang zu Sozialwohnungen sollte das Wohnraumangebot gestärkt, der Wohnungsbestand effizienter genutzt und die soziale Wohnungspolitik zielgenauer werden.

Das Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen fünf Jahren real insgesamt lediglich um 0,1 Prozent gewachsen. Damit bleibt die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im internationalen Vergleich weiter zurück. „Die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft neben konjunkturellen auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird“, erläutert Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft. „In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft. Um so wichtiger ist es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben.“ Wie dies gelingen kann und wie insbesondere zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben bei der Haushaltsaufstellung und Finanzplanung verbindlich erhöht, die Digitalisierung des Finanzsektors vorangetrieben und Knappheiten im Wohnungsmarkt behoben werden können, diskutiert der Sachverständigenrat Wirtschaft im Jahresgutachten 2024/25.

Der Sachverständigenrat erwartet, dass die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2024 stagnieren und sich erst im Verlauf des Jahres 2025 leicht erholen wird. Im laufenden Jahr sind Produktion und Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zurückgegangen. Die Investitionen sind ebenfalls rückläufig. Gleichzeitig führt die Erholung der Weltwirtschaft nicht im bisher üblichen Maße zu einer Steigerung der Exporte. Die privaten Haushalte haben trotz deutlicher Reallohnzuwächse in den Jahren 2023 und 2024 ihren Konsum bisher nur wenig erhöht. Daher rechnet der Sachverständigenrat Wirtschaft für das Jahr 2024 mit einem Rückgang des preisbereinigten Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Deutschland um 0,1 Prozent. Pessimistische Erwartungen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und eine Verlangsamung der Reallohnsteigerungen dürften dazu führen, dass die privaten Konsumausgaben auch im Jahr 2025 nur wenig steigen werden. Auch das BIP dürfte im kommenden Jahr mit 0,4 Prozent nur leicht wachsen. „Die deutsche Wirtschaftsleistung wird 2025 voraussichtlich auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Corona-Krise liegen. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zeigt sich deutlich schwächer als in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften“, erklärt Martin Werding, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. In den USA liegt das BIP bereits heute um mehr als zwölf Prozent über dem Vor-Corona-Niveau, im Euro-Raum um gut vier Prozent.

Die Verbraucherpreisinflation geht deutlich zurück und nähert sich dem EZB-Ziel an. Die Inflationsrate dürfte im Jahr 2024 durchschnittlich 2,2 Prozent betragen, für das Jahr 2025 rechnet der Sachverständigenrat mit einer Rate von 2,1 Prozent.

Verbindlichkeit bei zukunftsorientierten öffentliche Ausgaben erhöhen

Zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben werden von der Politik zu wenig priorisiert und fallen daher in Deutschland seit Jahren gering aus. Diese Versäumnisse zeigen sich insbesondere bei den Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur, Verteidigung und Schulbildung, deren gesellschaftlicher Nutzen größtenteils erst in der Zukunft eintritt. Diese werden gegenüber Ausgaben, die der derzeitigen Wählerschaft zugutekommen, von der Politik oft zurückgestellt. Daher sind institutionelle Vorkehrungen notwendig, die die Politik wirksam verpflichten, ausreichende Mittel für zukunftsorientierte Ausgaben einzusetzen. In seinem Jahresgutachten diskutiert der Sachverständigenrat systematisch mögliche Instrumente mit hoher Bindungswirkung für die Priorisierung zukunftsorientierter öffentlicher Ausgaben.

Geeignete institutionelle Vorkehrungen müssen auf die Anforderungen im jeweiligen Aufgabenbereich abgestimmt werden. „Für den Erhalt, die Modernisierung und den Ausbau des bundeseigenen Straßen- und Schienennetzes eignet sich ein Verkehrsinfrastrukturfonds mit dauerhaft eigenen Einnahmequellen, die aus dem Bundeshaushalt übertragen werden – wie beispielsweise Mauteinnahmen”, sagt Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. Der Nachholbedarf zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur könnte über begrenzte Kreditrahmen innerhalb einer reformierten Schuldenbremse finanziert werden. Für die Verteidigungsausgaben sowie für Bildungsausgaben, insbesondere für Schulbildung, sollten Mindestausgabenquoten definiert werden. Für Verteidigung bietet sich das Zwei-Prozent-Ziel der NATO an. Bei der Bildung könnte ein Indikator ausgehend von Mindestausgaben je Schülerin und Schüler festgesetzt werden. Diese Quoten sollten jedoch länderspezifisch festgelegt werden, da die Kosten für Bildung von den Ländern getragen werden.

Digitalen Wandel im Finanzmarkt zulassen

Bei der Digitalisierung des Finanzmarkts besteht ebenfalls Nachholbedarf. Deutschland liegt hier im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld und verschenkt dadurch Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. „Digitale Innovationen dürften vor allem von neuen Finanzmarktakteuren wie FinTech- und BigTech-Unternehmen ausgehen“, erläutert Ulrike Malmendier, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. Die Digitalisierung verspricht niedrigere Kosten, da sie Dienstleistungen effizienter macht. Gründe dafür sind die Automatisierung von Geschäftsprozessen, die bessere Verwendung digitaler Daten sowie ein intensiverer Wettbewerb, der die Marktmacht der Anbieter verringert. Gleichzeitig entstehen neue Produkte, die die Nutzerfreundlichkeit der Finanzdienstleistungen verbessern.

„Die zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung besteht darin, digitale Innovation im Finanzsektor zu ermöglichen, ohne die Finanzstabilität zu gefährden“, sagt Ulrike Malmendier. Insbesondere für FinTechs sollten regulatorische Experimentierräume für neue Produkte und Geschäftsmodelle eingerichtet werden. Darüber hinaus könnte auf Kundenwunsch eine einfachere Übertragung finanzieller Kundeninformationen zu alternativen Anbietern den Wettbewerb stärken. Der geplante digitale Euro könnte eine kostengünstige und sichere Alternative zu Kreditkarten sowie zu Internet-Bezahlverfahren bieten. Dadurch könnte er den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in Europa fördern sowie die Unabhängigkeit gegenüber nicht-europäischen Anbietern stärken. Die EZB ist beim Datenschutz besonders glaubwürdig, da sie kein originäres Interesse daran hat, Zahlungsdaten kommerziell zu nutzen.

Knappheiten im Wohnungsmarkt beheben, Umzugshürden abbauen, Zugang erleichtern

In den vergangenen 15 Jahren sind die Preise im deutschen Wohnungsmarkt stark angestiegen. Gerade in Ballungsräumen und wirtschaftlich starken ländlichen Regionen hat die Wohnraumnachfrage stark angezogen. Gleichzeitig sind dort zu wenig zusätzliche Wohnungen geschaffen worden. Die Knappheit des Wohnraums ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesamtwirtschaftliches Problem, weil es den Zuzug von Arbeitskräften in produktive Regionen hemmt. „Der Wohnungsneubau kann durch die Mobilisierung von Baulandpotenzialen, stärkere Bauanreize und eine Senkung der Baukosten mittels harmonisierter Bauvorschriften erhöht werden“, erläutert Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft.

Der Abstand zwischen Neu- und Bestandsmieten hat sich deutlich vergrößert und ist gerade in Ballungsräumen besonders groß. Dies reduziert die finanziellen Anreize für Umzüge. Daher sollten Kappungsgrenzen für zulässige Erhöhungen von Bestandsmieten in angespannten Wohnungsmärkten nicht mehr abgesenkt werden. Generell sollte eine restriktive Mietenregulierung nur temporär gelten und zwingend mit Maßnahmen zur Erweiterung des Wohnraumangebots einhergehen. Um die Anreize zu stärken, solche Maßnahmen zu ergreifen, sollte die Mietpreisbremse nach 2028 nicht mehr verlängert werden.

Einkommensschwache Haushalte werden beim Zugang zum Wohnungsmarkt zielgenau durch das Wohngeld (Subjektförderung) unterstützt. Für Personengruppen, die unabhängig von ihrer Einkommenssituation auf dem regulären Wohnungsmarkt benachteiligt sind, sichern Sozialwohnungen (Objektförderung) den Zugang zu angemessenem Wohnraum. Die soziale Wohnraumförderung sollte allerdings zielgenauer werden, indem Fehlbelegungen durch Fehlbelegungsabgaben reduziert werden. Dann können sich Subjekt- und Objektförderung sinnvoll ergänzen.

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