BFH: Gehaltsverzicht als im Wege einer verdeckten Einlage zugeflossener Arbeitslohn
- Für die Frage, ob ein Gehaltsverzicht zu einem Zufluss von Arbeitslohn führt, kommt es maßgeblich darauf an, wann der Verzicht erklärt wurde.
- Eine zum Zufluss von Arbeitslohn führende verdeckte Einlage kann nur dann gegeben sein, soweit der Steuerpflichtige nach Entstehung seines Gehaltsanspruchs aus gesellschaftsrechtlichen Gründen auf diese verzichtet, da in diesem Fall eine Gehaltsverbindlichkeit in eine Bilanz hätte eingestellt werden müssen (Bestätigung des Senatsurteils vom 15.5.2013, VI R 24/12, BFHE 241 S. 287, BStBl 2014 II S. 495 = SIS 13 22 45).
- 3. Verzichtet der Steuerpflichtige dagegen bereits vor Entstehung seines Gehaltsanspruchs auf diesen, wird er unentgeltlich tätig und es kommt nicht zum fiktiven Zufluss von Arbeitslohn beim Gesellschafter-Geschäftsführer.
BFH-Urteil vom 15.6.2016, VI R 6/13 (veröffentlicht am 31.8.2016)
EStG § 11 Abs. 1 Satz 1
Vorinstanz: Hessisches FG vom 15.8.2012, 12 K 2768/03
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden für das Streitjahr (1999) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger war mit 35 % an der Firma ... GmbH (GmbH) beteiligt und deren alleiniger Geschäftsführer. Ausweislich des Arbeitsvertrags vom 1.3.1980 hatte er Anspruch auf Reisekostenerstattungen bis zur Höhe der jeweils gesetzlich zulässigen Höchstbeträge.
In der Einkommensteuererklärung erklärte der Kläger einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 89.227 DM sowie Werbungskosten in Form von Reisekosten in Höhe von 20.285 DM. Dagegen wies die beigefügte Lohnsteuerkarte einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 136.556,73 DM aus. Der Kläger erläuterte dies damit, sein Arbeitgeber sei in finanzielle Schwierigkeiten geraten und er habe daher insoweit auf den Lohn verzichtet. Dazu legte er die Kopie einer zwischen der GmbH und ihm getroffenen Vereinbarung vom 16.1.1997 vor, wonach der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer zu Gunsten der Firma während eines Liquiditätsengpasses auf sein Gehalt verzichten könne.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) legte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr den auf der Lohnsteuerkarte ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 136.556 DM zu Grunde.
Mit der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Einkommensteuer nach einem entsprechenden Hinweis höher fest, weil es nun auch die bislang als Werbungskosten berücksichtigten Reisekosten nicht mehr anerkannte. Die Vereinbarung vom 16.1.1997 enthalte keinen im Voraus ausgesprochenen konkreten Gehaltsverzicht. Der Gehaltsanspruch sei mit Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung entstanden, so dass der Verzicht auf die Auszahlung des Lohns ebenso wie der Verzicht auf die dem Kläger nach dem Arbeitsvertrag zustehenden Erstattungen für Reisekosten jeweils als Gehaltsverwendung zu beurteilen sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage statt.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt sinngemäß, das Urteil des Hessischen FG vom 15.8.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Entscheidung des FG, dass dem Kläger für die Monate März, Mai, August und Dezember 1999 kein Arbeitslohn zugeflossen sei, hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen dem Senat indes keine abschließende Sachentscheidung. Das Verfahren ist daher an das FG zurückzuverweisen.
1. Arbeitslohn ist i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen; das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs oder der Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen (Senatsurteil vom 15.5.2013 VI R 24/12, BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495, m.w.N.).
a) Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen dementsprechend regelmäßig dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (Senatsurteil in BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495).
b) Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet, kann der Zufluss grundsätzlich nicht fingiert werden (Senatsurteil in BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495). Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14.2.1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 16.11.1993 VIII R 33/92, BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632). Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben (Senatsurteil in BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495; BFH-Urteil vom 11.2.1965 IV 213/64 U, BFHE 82, 440, BStBl III 1965, 407).
c) Überdies kann der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 9.6.1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, m.w.N.).
aa) Eine verdeckte Einlage liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet, ohne dass der Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhält, und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Letztere Voraussetzung ist gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht eingeräumt hätte (BFH-Urteil vom 20.7.2005 X R 22/02, BFHE 210, 345, BStBl II 2006, 457, m.w.N.).
bb) Als verdeckte Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens (BFH-Urteil vom 6.11.2003 IV R 10/01, BFHE 204, 438, BStBl II 2004, 416, m.w.N.). Ob das Vermögen der Kapitalgesellschaft durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens vermehrt ist, bestimmt sich nach Bilanzrecht (BFH-Urteile vom 24.5.1984 I R 166/78, BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747; vom 22.11.1983 VIII R 133/82, BFHE 140, 69; vom 22.11.1983 VIII R 37/79, BFHE 140, 63). Insofern ist maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747; Senatsurteil in BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495).
2. Das FG ist teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.
a) Unstreitig sind die dem Kläger zustehenden Geschäftsführergehälter für die Monate März, Mai, August sowie Dezember des Streitjahres nicht ausgezahlt worden.
b) Das FG hat für den Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass keine Umstände erkennbar sind, die für gleichgerichtete Interessen der Kläger - und damit für eine beherrschende Stellung des nur zu 35 % an der GmbH beteiligten Klägers - sprechen. Es hat daher eine Fiktion des Zuflusses bei Fälligkeit der von der Kapitalgesellschaft geschuldeten Gehälter, die - wie dargelegt wurde - nur bei beherrschenden Gesellschaftern in Betracht kommt, im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.
c) Das FG hat jedoch zu Unrecht das Vorliegen einer verdeckten Einlage verneint, ohne Einzelheiten zu dem "Verzicht" des Klägers auf die Auszahlung der einzelnen Monatsgehälter festzustellen.
aa) Es ist unzutreffend davon ausgegangen, eine verdeckte Einlage scheide schon deshalb aus, weil der Verzicht nicht zum Wegfall einer zuvor passivierten Verbindlichkeit geführt und der Kläger deshalb sein Vermögen nicht in Beteiligungskapital umgeschichtet, sondern vielmehr selbst tatsächlich eine Vermögenseinbuße erlitten habe.
bb) Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag der GmbH die streitigen Gehälter nicht gestundet, sondern ihr "zum Erhalt geschenkt".
Wie das FA zu Recht ausgeführt hat, kommt es deshalb maßgeblich darauf an, ob der Kläger bereits jeweils vor Entstehung oder erst im Nachhinein auf den einzelnen Gehaltsanspruch verzichtet hat. Entscheidend ist damit, ob bzw. inwieweit im Zeitpunkt des jeweiligen Verzichts eine Gehaltsverbindlichkeit in eine Bilanz hätte eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 176, BStBl II 1984, 747 - betreffend verdeckte Einlage bei Verzicht auf Zinsverbindlichkeiten). Nur falls der Kläger im Vorhinein - vor Entstehung des jeweiligen Gehaltsanspruchs - verzichtet hätte, er mithin für den jeweiligen Monat von vornherein unentgeltlich tätig geworden wäre, wäre es nicht zur Vermögensmehrung bei der GmbH gekommen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 140, 69 - zum Verzicht auf Pachtzahlungen in künftigen Jahren, sowie vom 14.3.1989 I R 8/85, BFHE 156, 452, BStBl II 1989, 633). Andernfalls - bei einem Verzicht im Nachhinein - hätte die GmbH zunächst jeweils Gehaltsverbindlichkeiten passivieren müssen. Verzichtet der Geschäftsführer auf einen solchen bereits entstandenen Anspruch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen, erbringt er insoweit, als seine Forderung im Zeitpunkt des Verzichts werthaltig ist, eine bei ihm zum Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) führende verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, unter C.II.1.b der Gründe). Der Forderungsverzicht bewirkt, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird, einen Zufluss beim Gesellschafter in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung.
cc) Zu den Zeitpunkten des (jeweiligen) Gehaltsverzichts für März, Mai, August und Dezember 1999 hat sich der Kläger bislang nicht eingelassen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG deshalb insbesondere aufzuklären haben, wie und durch wen die Zahlung der Löhne und Gehälter bei der GmbH erfolgte und wer zu welchem Zeitpunkt wem die Anweisung erteilte, die streitigen Gehälter ausnahmsweise nicht auszuzahlen.
Da eine verdeckte Einlage eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis voraussetzt, wird das FG ggf. auch hierzu die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Eine solche ist (nur) dann gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns den Vermögensvorteil der Gesellschaft nicht eingeräumt hätte, was grundsätzlich durch Fremdvergleich festzustellen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 15.10.1997 I R 80/96, BFH/NV 1998, 624).
Liegen nach alledem verdeckte Einlagen vor, sind diese mit dem Teilwert zu bewerten (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307). Dass dieser - wie die Kläger geltend machen - jeweils 0 DM betragen haben soll, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Ausweislich der Akten wurden alle übrigen Gehälter sowohl des Klägers als auch der weiteren Beschäftigten stets gezahlt. In Insolvenz befand sich die GmbH erst ab Mitte 2004.
3. Dagegen hat das FG den Werbungskostenabzug für die vom Kläger selbst getragenen Werbungskosten im Ergebnis zu Recht bejaht. Denn nach den vom FA nicht angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden die dem Kläger entstandenen Reisekosten bereits seit Jahren einvernehmlich nicht mehr von der GmbH erstattet. Das FG ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass ein Erstattungsanspruch insoweit im Streitjahr bereits nicht zur Entstehung gelangt ist, weil der dem Kläger im Arbeitsvertrag eingeräumte Anspruch zumindest konkludent aufgehoben war (vgl. ergänzend Senatsurteil in BFHE 241, 287, BStBl II 2014, 495). Eine verdeckte Einlage scheidet damit insoweit aus.
4. Da die Revision schon mit der Sachrüge Erfolg hat, braucht der Senat über die Verfahrensrüge des FA nicht zu entscheiden.
5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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