BFH: Unterkunftskosten bei einer doppelten Haushaltsführung im Ausland
- Bei einer doppelten Haushaltsführung im Ausland ist im Einzelfall zu prüfen, welche Unterkunftskosten notwendig sind (entgegen: Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228 = SIS 20 19 29, Rz 112).
- Bei einer beamtenrechtlich zugewiesenen Dienstwohnung sind die Unterkunftskosten am ausländischen Beschäftigungsort stets in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung abzugsfähig.
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, § 3c Abs. 1
BBG § 72 Abs. 2
SGB II § 22
BFH-Urteil vom 9.8.2023, VI R 20/21 (veröffentlicht am 9.11.2023)
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 22.6.2021, 3 K 1255/20 = SIS 21 15 69
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie unterhielten im Streitjahr eine Wohnung in Z. Der Kläger arbeitet als Botschafter für die Bundesrepublik Deutschland und war in dieser Funktion bis zum XX.XX.XXXX in Y (Republik A) und ab dem XX.XX.XXXX in X (Republik B) tätig. Die Bezüge wurden von seinem Arbeitgeber teilweise als steuerpflichtig und teilweise als steuerfrei behandelt.
Während seiner Dienstzeit wies das Auswärtige Amt dem Kläger in der jeweiligen Residenz belegene Wohnungen mit Flächen von 249,22 qm (Y) und 185,62 qm (X) beamtenrechtlich zu. Hierfür wurde ihm eine Dienstwohnungsvergütung vom Gehalt einbehalten.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erkannte die von den Klägern für diese Wohnungen geltend gemachten Unterkunftskosten (Dienstwohnungsvergütung und Nebenkosten) im Rahmen der doppelten Haushaltsführung des Klägers auch im Einspruchsverfahren lediglich anteilig bezogen auf eine Wohnfläche von 60 qm an.
Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1708 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 22.06.2021 ‑ 3 K 1255/20 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die dem Kläger entstandenen Unterkunftskosten (Dienstwohnungsvergütung und die vom Kläger getragenen Nebenkosten) ‑‑vorbehaltlich der Anwendung des § 3c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)‑‑ zu Recht in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten im Rahmen seiner doppelten Haushaltsführung berücksichtigt.
1. Dass der Kläger nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG im Streitjahr mit sämtlichen Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Ebenso steht nicht in Streit, dass das aufgrund der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des Klägers begründete innerstaatliche Besteuerungsrecht für die aus seiner Tätigkeit als Botschafter stammenden Einkünfte weder durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik A zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ... noch durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik B zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen ... ausgeschlossen ist. Der erkennende Senat sieht deshalb insoweit von einer weiteren Begründung ab.
2. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG).
a) Die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung sind im Streitfall erfüllt, wie das FG ohne Rechtsfehler entschieden hat. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus. Der Senat sieht auch insoweit von einer weiteren Begründung ab.
b) § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG enthält mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2014 eine besondere Bestimmung zur steuerlichen Berücksichtigung von Unterkunftskosten bei einer doppelten Haushaltsführung im Inland. Die Prüfung der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG vorgesehenen Beschränkung auf notwendige Mehraufwendungen entfällt in diesem Fall (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 106).
Angesichts des eindeutigen Wortlauts ("im Inland") scheidet eine Anwendung der Regelung auf einen ‑‑wie im Streitfall‑‑ im Ausland belegenen Zweithaushalt indes aus. Insoweit verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG, wonach notwendige Unterkunftskosten, das heißt begrenzt auf das nach objektiven Maßstäben zur Zweckverfolgung Erforderliche, als Werbungskosten abzugsfähig sind (z.B. Senatsbeschluss vom 12.07.2017 ‑ VI R 42/15, BFHE 258, 439, BStBl II 2018, 13, Rz 9).
c) Eine Typisierung dahingehend, dass Unterkunftskosten, die den Durchschnittsmietzins einer 60 qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht überschreiten, notwendig in diesem Sinne sind ‑‑wie der erkennende Senat in der bis zum Veranlagungszeitraum 2013 geltenden Fassung für Inlandssachverhalte angenommen hat (s. Senatsurteil vom 09.08.2007 ‑ VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, unter II.2. sowie Senatsbeschluss vom 12.07.2017 ‑ VI R 42/15, BFHE 258, 439, BStBl II 2018, 13, Rz 10, m.w.N.)‑‑, kommt für Auslandssachverhalte und damit im Streitfall nicht in Betracht (entgegen: BMF-Schreiben vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 112).
aa) Der Senat hat sich bei dieser typisierenden Bestimmung des notwendigen zusätzlichen Wohnbedarfs am Beschäftigungsort an dem inländischen sozialhilferechtlich anerkannten Mindestbedarf für Unterkunft und Wohnen einer Person nach § 22 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und der zu dieser Vorschrift ergangenen sozialrechtlichen Rechtsprechung orientiert (s. Senatsurteil vom 09.08.2007 ‑ VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, unter II.2.d aa) und diesen im Hinblick auf die Finanzierung durch die eigene Berufstätigkeit auf 60 qm angehoben, da die sozialrechtlichen Vorgaben lediglich einer existenziellen Versorgung dienen (sogenannte "60 qm–Rechtsprechung"). Die vorgenommene Typisierung des Tatbestandsmerkmals "notwendig" gründet damit im Wesentlichen auf einem nach inländischen Verhältnissen bemessenen Merkmal, das sich als Maßgröße für die Notwendigkeit von Unterkunftskosten im Ausland nicht fruchtbar machen lässt.
bb) Im Übrigen ist eine "Übertragung" der sogenannten "60 qm–Rechtsprechung" auf Auslandssachverhalte schon deshalb nicht angezeigt, weil die dahingehende typisierende Gesetzesauslegung des Tatbestandsmerkmals "notwendig" nicht der einfacheren Handhabung in steuerlichen Massenverfahren dient. Sie ist vielmehr bei Auslandssachverhalten nicht handhabbar. Denn belastbare Feststellungen zum ortsüblichen Mietzins je Quadratmeter für eine nach Lage und Ausstattung durchschnittliche Wohnung (Durchschnittsmietzins) am ausländischen Beschäftigungsort können in der Regel ‑‑auch unter Berücksichtigung der erhöhten Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 90 Abs. 2 der Abgabenordnung)‑‑ weder von den Beteiligten im Veranlagungsverfahren erhoben noch von den Finanzgerichten belastbar überprüft werden. Dies belegt auch der vorliegende Streitfall, in welchem das FA zugunsten der Kläger mangels anderweitiger Erkenntnisse lediglich unterstellt hat, dass die tatsächlich vom Kläger gezahlte Dienstwohnungsvergütung der ortsüblichen Vergleichsmiete einer durchschnittlichen Wohnung entsprach.
cc) Hinzu kommt, dass eine Typisierung sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren muss (z.B. Senatsurteil vom 29.04.2021 ‑ VI R 31/18, BFHE 273, 183, BStBl II 2021, 606, Rz 19, m.w.N.). Ein solch typischer Fall lässt sich für Unterkunftskosten aufgrund einer doppelten Haushaltsführung im Ausland aber schon deshalb nicht ausmachen, weil diese maßgebend von den jeweiligen Gegebenheiten im einzelnen Land geprägt sind. Bei einer doppelten Haushaltsführung im Ausland ist deshalb stets im Einzelfall zu prüfen, welche Unterkunftskosten im Ausland notwendig, das heißt nach objektiven Maßstäben zur Zweckverfolgung erforderlich sind (entgegen: BMF-Schreiben vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 112).
3. Nach diesen Maßstäben sind die vom Kläger für seine Zweitwohnungen in X und Y gezahlten Unterkunftskosten ‑‑vorbehaltlich der Anwendung des § 3c Abs. 1 EStG‑‑ in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten im Rahmen seiner doppelten Haushaltsführung zu berücksichtigen, da sie nach objektiven Maßstäben insgesamt zur Zweckverfolgung erforderlich waren.
Das FG hat insoweit für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die in den jeweiligen Residenzen belegenen Wohnungen dem Kläger vom Auswärtigen Amt nach § 72 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesen wurden. Danach kann der Dienstvorgesetzte anweisen, wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern, dass eine Dienstwohnung zu beziehen ist. In solchen Fällen sind die vom Steuerpflichtigen zu tragenden Unterkunftskosten für die zugewiesene Dienstwohnung nach objektiven Maßstäben in voller Höhe zur Zweckverfolgung erforderlich (ebenso: Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 9 Rz 246; Tormöhlen in Korn, § 3 Nr. 13 EStG Rz 12; entgegen: Brandis/Heuermann/Thürmer, § 9 EStG Rz 400).
4. Das FG hat die Unterkunftskosten gemäß § 3c Abs. 1 EStG schließlich zu Recht nicht als Werbungskosten abgezogen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Bezügen des Klägers standen. Da dies zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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