BFH: Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten PKW des Arbeitnehmers als Arbeitslohn
- Ein Entgelt für Werbung des Arbeitgebers auf dem Kennzeichenhalter des privaten PKW des Arbeitnehmers ist durch das Arbeitsverhältnis veranlasst und damit Arbeitslohn, wenn dem mit dem Arbeitnehmer abgeschlossenen "Werbemietvertrag" kein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zukommt.
- Ist das für die Werbung gezahlte Entgelt als Arbeitslohn zu beurteilen, scheidet eine überwiegend eigenbetriebliche Veranlassung der Zahlung regelmäßig aus.
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Nr. 3
FGO § 96 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
BFH-Beschluss vom 21.6.2022, VI R 20/20; SIS 22 18 61 (veröffentlicht am 3.11.2022)
Vorinstanz: FG Münster vom 3.12.2019, 1 K 3320/18 L = SIS 19 21 33
I. Streitig ist, ob ein von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) an Teile ihrer Mitarbeiter gezahltes Entgelt für die Anbringung eines mit Werbung versehenen Kennzeichen­halters am privaten PKW der Lohnsteuer unterliegt.
Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen im Bereich ... Sie schloss mit einer Vielzahl ihrer Mitarbeiter als "Mietvertrag Werbefläche" bezeichnete Verträge ab, in welchen sich die Mitarbeiter dazu verpflichteten, von der Klägerin zur Verfügung gestellte, mit einem Werbeschriftzug versehene Kennzeichen­halter an ihren privaten PKW anzubringen. Im Gegenzug erhielten die Mitarbeiter ein jährliches Entgelt in Höhe von 255 €. Die Verträge waren auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses befristet und konnten von jeder Vertragspartei mit einer Frist von zwei Monaten gekündigt werden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gelangte nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung zu der Auffassung, dass die Vergütungen für die Anbringung der mit Werbung versehenen Kennzeichen­halter Arbeitslohn i.S. des § 19 des Einkommensteuer­gesetzes (EStG) seien. Er nahm daraufhin die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 05.07.2017 für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.05.2017 in Höhe von 2.214,80 € in Anspruch.
Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid blieben erfolglos.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Haftungsbescheid vom 05.07.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.09.2018 dahingehend zu ändern, dass der Haftungsbetrag um 2.214,80 € herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das Finanzgericht (FG) hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Klägerin für die nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer auf die an Teile ihrer Mitarbeiter gezahlten Vergütungen für die Anbringung der mit Werbung versehenen Kennzeichenhalter haftet.
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für die Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat.
Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die "für" eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss (Senatsurteile vom 04.07.2018 ‑ VI R 16/17, BFHE 261, 543, BStBl II 2019, 373, Rz 11; vom 13.02.2020 ‑ VI R 20/17, BFHE 268, 227, BStBl II 2021, 311, Rz 13, und vom 16.02.2022 ‑ VI R 53/18, Rz 15).
a) Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsurteile vom 13.08.2020 ‑ VI R 1/17, BFHE 270, 317, BStBl II 2021, 103, Rz 17, und in BFHE 268, 227, BStBl II 2021, 311, Rz 13; jeweils m.w.N.). Dagegen liegt kein Arbeitslohn vor, wenn eine Zuwendung wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt wird (Senatsurteile vom 19.10.2001 ‑ VI R 131/00, BFHE 197, 98, BStBl II 2002, 300, und vom 17.06.2009 ‑ VI R 69/06, BFHE 226, 47, BStBl II 2010, 69, unter II.1.a).
b) Bezüge oder Vorteile sind durch vom Arbeitsverhältnis unabhängige und eigenständige Sonderrechts­beziehungen veranlasst, wenn ihnen andere Erwerbsgrundlagen als die Nutzung der eigenen Arbeitskraft des Arbeitnehmers zugrunde liegen (Senatsurteil vom 03.07.2019 ‑ VI R 12/16, Rz 24). Ob ein Leistungsaustausch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung einer anderen Einkunftsart oder dem nicht einkommensteuerbaren Bereich zuzurechnen ist, ist nach dem wirtschaftlichen Gehalt des zu beurteilenden Lebenssachverhalts und nicht nach seiner äußeren Erscheinungsform zu würdigen (Senatsurteil vom 30.06.2011 ‑ VI R 80/10, BFHE 234, 195, BStBl II 2011, 948, Rz 15). Deshalb steht auch der Abschluss eines neben dem Arbeitsvertrag bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Behandlung eines Vorteils als Arbeitslohn nicht zwingend entgegen (Senatsurteil vom 23.06.2005 ‑ VI R 124/99, BFHE 209, 549, BStBl II 2005, 766, unter II.1.b), während umgekehrt allein aus der Vereinbarung eines Vorteils im Arbeitsvertrag nicht automatisch auf das Vorliegen von Arbeitslohn geschlossen werden kann (Senatsurteil in BFHE 234, 195, BStBl II 2011, 948, Rz 15).
c) Die Beantwortung der Frage, ob eine Leistung des Arbeitgebers den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung einer anderen Einkunftsart oder dem nicht einkommensteuerbaren Bereich zuzurechnen ist, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG. Denn ob ein Leistungsaustausch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung einer anderen Einkunftsart oder dem nicht einkommensteuerbaren Bereich zuzurechnen ist, kann nur aufgrund einer Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls entschieden werden (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom 03.07.2019 ‑ VI R 12/16, Rz 25, m.w.N.). Die Tatsachen­würdigung des FG ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO revisionsrechtlich bindend, soweit sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und nicht durch Denkfehler oder durch die Verletzung von Erfahrungssätzen beeinflusst ist (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 15.01.2013 ‑ VIII R 22/10, BFHE 240, 195, BStBl II 2013, 526).
2. Nach diesen Maßstäben hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die streitigen Zahlungen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören, weil sie durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sind und nicht auf einem Sonderrechtsverhältnis "Mietvertrag Werbefläche" beruhen, da diesem kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukommt.
a) Das FG hat seine Würdigung insbesondere darauf gestützt, dass dem gesondert abgeschlossenen "Mietvertrag Werbefläche" unter Berücksichtigung der am Markt befindlichen Angebote schon aufgrund seiner Ausgestaltung kein eigener wirtschaftlicher Gehalt zukomme, weil er die Erzielung einer Werbewirkung nicht sicherstelle und die Bemessung des Entgelts offensichtlich an der in § 22 Nr. 3 EStG geregelten Freigrenze orientiert gewesen sei. Der Werbeeffekt sei demgegenüber nicht ‑‑wie im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr üblich‑‑ ausschlaggebendes Kriterium für die Bemessung des Entgelts gewesen. Ergänzend hat das FG die Veranlassung der streitgegenständlichen Zahlungen durch das Arbeitsverhältnis damit begründet, dass Verträge ausschließlich mit Mitarbeitern abgeschlossen worden seien und die Laufzeit der geschlossenen Verträge an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geknüpft gewesen sei. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht nur möglich, sondern naheliegend.
b) Zu Recht hat das FG bei seiner Würdigung auch Umstände berücksichtigt, die für eine Veranlassung der streitigen Zahlungen durch ein Sonderrechtsverhältnis "Mietvertrag Werbefläche" mit eigenem wirtschaftlichen Gehalt sprechen könnten (u.a. Vertragsschluss nicht mit allen Mitarbeitern, Abschluss eines gesonderten, schriftlichen als "Mietvertrag Werbefläche" bezeichneten Vertrags sowie Kündigungsmöglichkeit des Vertrags bei gleichzeitigem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses). Diesen Umständen hat es jedoch im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen.
Da die Würdigung des FG nicht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt, ist der Senat hieran gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).
3. Die von der Vorinstanz aufgeworfene Frage, ob die Gewährung der streitigen Zahlungen aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse des Arbeitgebers erfolgt sei, erübrigt sich im Streitfall. Denn vorliegend haben die Mitarbeiter der Klägerin diese Geldleistungen nach der den Senat bindenden Würdigung des FG als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen ihrer Arbeitskraft erhalten. In einem solchen Fall stellt sich die Frage der überwiegend eigenbetrieblichen Veranlassung einer Zuwendung regelmäßig nicht.
4. Die weiteren Voraussetzungen des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG liegen vor. Insbesondere erfolgte die Berechnung der Haftungssumme zutreffend gemäß § 38a EStG. Ermessensfehler bei der Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin sind ebenfalls nicht gegeben.
5. Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) liegt nicht vor.
a) Das Recht der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das FG ist jedoch nicht verpflichtet, sich in der Begründung seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat. Daher liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur dann vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das FG das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (Senatsbeschluss vom 17.06.2005 ‑ VI B 176/04, BFH/NV 2005, 1796, und BFH-Beschluss vom 12.11.2004 ‑ VII B 99/04, BFH/NV 2005, 932).
b) Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin ist lediglich formal in eine Gehörsrüge gekleidet, tatsächlich erschöpft es sich in Einwendungen gegen die Würdigung des Einzelfalls durch das FG, die ‑‑wie dargelegt‑‑ revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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