BFH: Kein Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 12 Nr. 3 EStG bei der Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers für Lohnsteuer, die auf den eigenen Arbeitslohn entfällt
Aufwendungen eines angestellten Geschäftsführers zur Tilgung von Haftungsschulden sind auch insoweit als Werbungskosten bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar, als die Haftung auf nicht abgeführter Lohnsteuer beruht, die auf den Arbeitslohn des Geschäftsführers entfällt. Das Abzugsverbot gemäß § 12 Nr. 3 EStG steht dem nicht entgegen.
AO § 3 Abs. 1, § 34, § 43, § 69
EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 10d Abs. 4 Satz 4, § 12 Nr. 3, § 38 Abs. 1, § 38 Abs. 2 Satz 1, § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 42d Abs. 3 Satz 4
FGO § 40 Abs. 2, § 68 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 Satz 1, § 127
BFH-Urteil vom 8.3.2022, VI R 19/20 (veröffentlicht am 18.8.2022)
Vorinstanz: Hessisches FG vom 19.11.2019, 6 K 360/18 = SIS 19 21 12
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war neben A Gesellschafterin und Geschäftsführerin der B-GmbH (GmbH). Sie bezog von der GmbH, die ein Restaurant betrieb, für ihre Geschäftsführertätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Über das Vermögen der GmbH wurde in 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin wurde mit einem auf §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid für von der GmbH für verschiedene Voranmeldungszeiträume im Jahr 2013 angemeldete, aber nicht an das Betriebsstättenfinanzamt abgeführte Lohnsteuern und Nebenabgaben in Höhe von insgesamt 19.995,08 € in Anspruch genommen. Auf diese Haftungsschulden entrichtete die Klägerin im Streitjahr 2014 insgesamt 13.746,12 € und im Streitjahr 2015 1.312,96 €. Den Haftungsschulden lagen teilweise auch Forderungen gegen die GmbH zugrunde, die dadurch entstanden waren, dass die GmbH angemeldete Lohnsteuern, die auf den Arbeitslohn der Klägerin selbst entfielen, nicht abgeführt hatte.
Die Klägerin machte ihre Aufwendungen zur Tilgung der Haftungsschulden als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte den Werbungskostenabzug ab.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage.
Das FA hat während des Klageverfahrens geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre erlassen. Soweit es hier von Bedeutung ist, hat es darin Leistungen der Klägerin auf die Haftungsschulden für 2014 in Höhe von 2.650,40 € und für 2015 in Höhe von 691,93 € als Werbungskosten anerkannt. Diese Beträge entfielen rechnerisch auf von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuern Dritter.
Die Klage hatte mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2020, 346 veröffentlichten Gründen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, bei den Aufwendungen der Klägerin in Zusammenhang mit ihrer Haftungsinanspruchnahme handele es sich auch insoweit um Werbungskosten, als die Klägerin für rückständige Lohnsteuern in Anspruch genommen worden sei, die sie selbst als Arbeitnehmerin der GmbH betroffen hätten.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA hat während des Revisionsverfahrens aus hier nicht im Streit stehenden Gründen geänderte Einkommensteuerbescheide für 2015 vom 21.08.2020 und vom 01.03.2021 erlassen.
Es beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. die Revision wegen Einkommensteuer 2014 zurückzuweisen,
2. das Urteil des FG aufzuheben, soweit es die Einkommensteuer für 2015 betrifft und den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 01.03.2021 dahin zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 621,03 € berücksichtigt werden.
II. Die Revision des FA ist unbegründet und zurückzuweisen, soweit das FG der Klage wegen Einkommensteuer 2014 stattgegeben hat (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin ihre Aufwendungen zur Tilgung der Haftungsschulden auch insoweit als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen kann, als sie für Schulden der GmbH wegen nicht abgeführter Lohnsteuern und Nebenabgaben, die auf ihren eigenen Arbeitslohn entfielen, in Anspruch genommen wurde.
Für das Streitjahr 2015 ist die Revision des FA hingegen begründet. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO), da sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand geändert hat, über dessen Rechtmäßigkeit das FG entschieden hatte (§ 127 FGO). Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 01.11.2019 entschieden. An dessen Stelle sind während des Revisionsverfahrens Änderungsbescheide getreten ‑‑zuletzt der Änderungsbescheid vom 01.03.2021‑‑, die nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde. Das angefochtene Urteil ist daher insoweit gegenstandslos geworden und aufzuheben (s. Senatsurteil vom 22.02.2018 ‑ VI R 17/16, BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 17, m.w.N.). Da sich durch die Bescheidänderungen hinsichtlich der im Revisionsverfahren streitigen Punkte keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es allein insoweit keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats in der Sache (s. Senatsurteil in BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 17, m.w.N.).
Der Senat kann auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz in der Sache selbst entscheiden. Der gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 01.03.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 100 Abs. 1 Satz 1, 121 Satz 1 FGO). Der Klägerin steht für 2015 ein weiterer Werbungskostenabzug in Höhe von 621,03 € zu, wie das FG zutreffend entschieden hat.
1. Das FG ist zu Recht (stillschweigend) davon ausgegangen, dass die Klage auch für das Streitjahr 2014 zulässig ist, obwohl das FA die Einkommensteuer für 2014 auf 0 € festgesetzt hat. Die Klägerin ist ungeachtet der Nullfestsetzung gemäß § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt, weil die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind. Da dies zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sieht der erkennende Senat insoweit unter Bezugnahme auf sein Urteil in BFHE 260, 532, BStBl II 2019, 496, Rz 19 ff. von einer weiteren Begründung ab.
2. Die Vorinstanz hat der Klägerin auch zutreffend den geltend gemachten Werbungskostenabzug zuerkannt.
a) Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liegen Werbungskosten vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht. Davon ist auszugehen, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, d.h. wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit stehen. Maßgeblich dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die ‑‑wertende‑‑ Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen "auslösenden Moments", zum anderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (z.B. Senatsurteile vom 16.01.2019 ‑ VI R 24/16, BFHE 263, 449, BStBl II 2019, 376, Rz 8, und vom 14.01.2021 ‑ VI R 15/19, BFHE 272, 42, BStBl II 2021, 453, Rz 11, m.w.N.).
b) Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei den fraglichen Aufwendungen der Klägerin zur Tilgung ihrer Haftungsschulden um Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG.
aa) Die Klägerin wurde vom FA gemäß §§ 69, 34 AO als Haftende für von der GmbH angemeldete, aber nicht abgeführte Lohnsteuern und Nebenabgaben für Januar bis Dezember 2013 in Anspruch genommen. Die Haftung beruhte damit auf Pflichtverletzungen, die der Klägerin aufgrund ihrer nichtselbständigen Tätigkeit als angestellter Geschäftsführerin der GmbH zur Last gelegt wurden. Denn sie hatte als Geschäftsführerin der GmbH dafür Sorge zu tragen, dass die GmbH ihre steuerlichen Pflichten erfüllte, insbesondere die einbehaltenen Lohnsteuern an das Betriebsstättenfinanzamt abführte und die entsprechenden Nebenabgaben entrichtete. Diesen beruflichen Pflichten ist die Klägerin jedoch nicht hinreichend nachgekommen.
Die Inhaftungnahme der Klägerin stand hiernach in wirtschaftlichem Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit als angestellte Geschäftsführerin der GmbH. Das "auslösende Moment" für die von der Klägerin auf die Haftungsschulden getätigten Aufwendungen lag folglich im Bereich der einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre. Die Aufwendungen standen damit in objektivem Zusammenhang mit der Einkünfteerzielung. Sie dienten auch subjektiv der beruflichen Tätigkeit der Klägerin, da diese mit den Aufwendungen Schulden tilgen wollte, die sie als angestellte Geschäftsführerin der GmbH getroffen hatten.
bb) Der hiernach bestehende erwerbsbezogene Veranlassungszusammenhang wurde nicht durch private Umstände aufgehoben (s. dazu Senatsbeschluss vom 20.10.2016 ‑ VI R 27/15, BFHE 255, 529, BStBl II 2018, 441, Rz 17, m.w.N.). Ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang kann nach der ständigen Rechtsprechung des BFH insbesondere aufgehoben werden, wenn der Arbeitnehmer strafbare Handlungen begeht, die mit seiner Erwerbstätigkeit nur insoweit im Zusammenhang stehen, als diese eine Gelegenheit zu einer Straftat verschafft, er seinen Arbeitgeber bewusst schädigen wollte oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert hat (BFH-Urteil vom 19.03.1987 ‑ IV R 140/84, BFH/NV 1987, 577; Senatsurteile vom 18.09.1987 ‑ VI R 121/84, BFH/NV 1988, 353; vom 03.05.1985 ‑ VI R 103/82, BFH/NV 1986, 392; vom 06.02.1981 ‑ VI R 30/77, BFHE 132, 461, BStBl II 1981, 362, und vom 18.10.2007 ‑ VI R 42/04, BFHE 219, 197, BStBl II 2008, 223).
Das FG hat private Umstände, die den bestehenden beruflichen Veranlassungszusammenhang ausschließen könnten, im Streitfall nicht festgestellt. Sie wurden vom FA auch weder geltend gemacht noch sind sie den dem Senat vorliegenden Akten zu entnehmen.
cc) Die berufliche Veranlassung der Aufwendungen wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin nicht nur Geschäftsführerin, sondern auch Gesellschafterin der GmbH war. Eine steuerlich relevante (Mit‑)Veranlassung der Aufwendungen durch das Gesellschaftsverhältnis ist nicht gegeben, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer nicht wegen seiner Stellung als Gesellschafter, sondern gemäß §§ 69, 34 AO als (angestellter) Geschäftsführer in Anspruch genommen wird und darauf beruhende Haftungsschulden tilgt (s.a. FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.07.2013 ‑ 4 K 1508/09, EFG 2013, 1651). Hierüber besteht zwischen den Beteiligten ‑‑zu Recht‑‑ auch kein Streit.
3. Das FG hat ferner zutreffend entschieden, dass das Abzugsverbot in § 12 Nr. 3 EStG der Berücksichtigung der Werbungskosten im Streitfall nicht entgegensteht.
a) Soweit in § 10 Abs. 1 Nrn. 1 (Fassung 2014), 2 bis 5, 7 und 9 sowie Abs. 1a Nr. 1 (Fassung 2015) EStG, den §§ 10a, 10b EStG und den §§ 33 bis 33b EStG nichts anderes bestimmt ist, dürfen nach § 12 Nr. 3 EStG (in den in den Streitjahren geltenden Fassungen) insbesondere die Steuern vom Einkommen und sonstige Personensteuern sowie die auf diese Steuern entfallenden Nebenleistungen weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden.
Die damit geregelte Zuordnung der Einkommensteuer einschließlich der auf diese Steuer entfallenden Nebenleistungen zur steuerlich unbeachtlichen Privatsphäre hat grundsätzlich nur klarstellende Bedeutung (BFH-Urteile vom 06.10.2009 ‑ I R 39/09, BFH/NV 2010, 470, unter II.2.f aa, und vom 28.02.2018 ‑ VIII R 53/14, BFHE 261, 223, BStBl II 2018, 687, Rz 24; BFH-Beschlüsse vom 21.10.2010 ‑ IV R 6/08, Rz 14, und vom 15.02.2012 ‑ I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012, 697, Rz 7). Denn Personensteuern wie die Einkommensteuer wären wegen ihrer Anknüpfung an die persönlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen auch ohne die Regelung des § 12 Nr. 3 EStG nicht der durch die einzelnen Einkunftsarten definierten Erwerbssphäre, sondern der Sphäre der privaten Einkommensverwendung zuzuordnen (BFH-Urteil in BFHE 261, 223, BStBl II 2018, 687, Rz 24; Schmidt/Loschelder, EStG, 41. Aufl., § 12 Rz 38; Brandis/Heuermann/Thürmer, § 12 EStG Rz 195).
b) Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 12 Nr. 3 EStG schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht erfüllt. Denn es geht weder um den Abzug von (nachgeforderter) Einkommen‑ oder Lohnsteuer (als besonderer Erhebungsform der Einkommensteuer gemäß § 38 Abs. 1 EStG) noch um den Abzug darauf entfallender Nebenleistungen, sondern allein um den Abzug von Zahlungen der Klägerin auf ihre Haftungsschulden, die auf §§ 69, 34 AO beruhen.
Solche Haftungsschulden sind jedoch keine Steuern gemäß § 3 Abs. 1 AO und mithin erst recht weder Steuern vom Einkommen noch eine sonstige Personensteuer i.S. von § 12 Nr. 3 EStG.
Der Haftungstatbestand der §§ 69, 34 AO begründet vielmehr die Pflicht des Haftenden, für eine zulasten eines anderen begründete Steuerschuld mit dem eigenen Vermögen unbeschränkt einstehen zu müssen. Die steuerliche Haftung ist Außen‑ und Fremdhaftung, also Einstehenmüssen für die Schuld eines Dritten gegenüber der Finanzbehörde (BFH-Urteil vom 12.10.1999 ‑ VII R 98/98, BFHE 190, 25, BStBl II 2000, 486; Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 69 AO Rz 49; Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 69 Rz 1; Koenig/Kratzsch, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 69 Rz 1).
c) Nichts anderes gilt, soweit die Haftungsschulden auf von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuer und Nebenabgaben der Klägerin selbst entfallen.
§ 12 Nr. 3 EStG greift auch dann nicht ein, wenn die Haftung des Geschäftsführers auf von der vertretenen Gesellschaft einbehaltenen, aber nicht abgeführten eigenen Lohnsteuern des Geschäftsführers beruht (ebenso z.B. FG Köln, Urteil vom 20.10.1992 ‑ 8 K 4449/88, EFG 1993, 509; Niedersächsisches FG, Urteil vom 18.03.1993 ‑ XI 264/88, EFG 1993, 713; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 12 Rz 38; Schmidt/Krüger, a.a.O., § 19 Rz 110 "Haftung"; Brandis/ Heuermann/Thürmer, § 9 EStG Rz 700 "Haftungsschuldner"; von Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz B 700 "Haftung von Geschäftsführern ..."; BeckOK EStG/Straßburger, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 9 Rz 815; KKB/Merx, § 19 EStG, 7. Aufl., Rz 396 "Haftung"; Boeker in HHSp, § 69 AO Rz 58; Loose in Tipke/Kruse, vor § 69 AO Rz 11; Richter, Finanz-Rundschau 1988, 350, 351; a.A. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 322).aa) Die Pflicht zur Entrichtung der (angemeldeten) Lohnsteuer obliegt dem Arbeitgeber (§ 41a Abs. 1 EStG i.V.m. § 43 AO), im Streitfall also der GmbH. Aus der Sicht der Klägerin handelte es sich damit bei der Entrichtungsschuld der GmbH um eine fremde Steuerschuld, für deren Entrichtung sie aus den von ihr als Geschäftsführerin verwalteten Mitteln der GmbH zu sorgen hatte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Entscheidungen vom 15.04.1987 ‑ VII R 160/83, BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167; vom 12.07.1988 ‑ VII R 108‑109/87, BFH/NV 1988, 764; vom 08.05.2001 ‑ VII B 252/00, BFH/NV 2001, 1222, und vom 07.03.2006 ‑ X R 8/05, BFHE 212, 398, BStBl II 2007, 594; Koenig/Kratzsch, a.a.O., § 69 Rz 25).
Die Klägerin wurde mit dem Haftungsbescheid mithin nicht als Steuerschuldnerin gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG für ihre eigene Lohnsteuer herangezogen. Der Haftungsbescheid betraf vielmehr nur ihre Inanspruchnahme als Geschäftsführerin der GmbH gemäß §§ 69, 34 AO. Dies gilt auch, soweit den noch im Streit befindlichen Aufwendungen materiell von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuern der Klägerin selbst zugrunde liegen. Denn die Klägerin wurde mit der durch den Haftungsbescheid festgesetzten Haftungsschuld auch insoweit für eine andere Abgabe als für ihre eigene Lohnsteuer in Anspruch genommen. Sie hatte mit der Haftungsschuld nicht dieselbe Abgabe wie die Lohnsteuer zu entrichten, sondern im Wege der Haftung auf eine fremde Schuld ‑‑nämlich die Lohnsteuer-Entrichtungsschuld der GmbH‑‑ zu zahlen (s. BFH-Urteile in BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167, und in BFHE 212, 398, BStBl II 2007, 594).
Nach § 38 Abs. 3 i.V.m. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG hat nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber dessen Lohnsteuer einzubehalten und an sein Betriebsstättenfinanzamt abzuführen. Damit obliegt die Pflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer nicht dem Arbeitnehmer (hier: der Klägerin), sondern dem Arbeitgeber, also der GmbH. Deshalb leistete die Klägerin die vorliegend zu beurteilenden Aufwendungen trotz der im Streitfall gegebenen Personenidentität zwischen Steuerschuldnerin und Haftungsschuldnerin nicht auf eigene Lohnsteuerschulden, sondern auf die davon zu unterscheidenden Haftungsschulden, die ihrerseits auf den Lohnsteuer-Entrichtungsschulden der GmbH beruhten.
bb) Die streitigen Aufwendungen der Klägerin können schließlich auch deshalb nicht als nach § 12 Nr. 3 EStG nicht abziehbare Ausgaben angesehen werden, weil die Lohnsteuer der Klägerin bereits durch den von der GmbH durchgeführten Lohnsteuereinbehalt nach § 38 Abs. 1 i.V.m. § 38 Abs. 3 EStG erhoben worden war. Mit der Duldung des Lohnsteuerabzugs hatte die Klägerin als Arbeitnehmerin ihre insoweit bestehenden lohnsteuerrechtlichen Pflichten erfüllt. Sie konnte seitens der Finanzbehörden gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG daher nicht mehr bzw. nicht noch einmal wegen der von der GmbH bereits einbehaltenen und angemeldeten Lohnsteuern in Anspruch genommen werden. Der Umstand, dass die GmbH ihrer Entrichtungspflicht nicht nachgekommen war, ändert daran nichts. Es gab im Streitfall deshalb weder einen Anlass für die Klägerin, Lohnsteuern und Nebenabgaben an das FA zu zahlen, noch bestand hierfür überhaupt eine Rechtsgrundlage. Dementsprechend erlosch aufgrund der streitgegenständlichen Aufwendungen der Klägerin ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ auch nicht die durch den Lohnsteuereinbehalt der GmbH bereits erhobene Lohnsteuer der Klägerin, sondern lediglich die Lohnsteuer-Entrichtungsschuld der GmbH.
4. Die Berechnung der Einkommensteuer für 2015 wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und Abs. 2 FGO.
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