BFH: Keine Klagebefugnis des aufnehmenden Unternehmens bei Einbringung eines (Teil-)Betriebs oder Mitunternehmeranteils
Drittanfechtung - Rechtsweggarantie - Einheitlicher Ansatz des Werts des übernommenen Betriebsvermögens - Bekanntgabe des an die aufnehmende Gesellschaft gerichteten Bescheids an den Einbringenden
Im Falle der Einbringung eines (Teil-)Betriebs oder Mitunternehmeranteils i.S. des § 20 UmwStG 1995 kann das aufnehmende Unternehmen weder durch Anfechtungs- noch durch Feststellungsklage geltend machen, die seiner Steuerfestsetzung zu Grunde gelegten Werte des eingebrachten Vermögens seien zu hoch. Ein solches Begehren kann nur der Einbringende im Wege der sog. Drittanfechtung durchsetzen.
BFH-Urteil vom 8.6.2011, I R 79/10 (veröffentlicht am 16.11.2011)
FGO § 40 Abs. 2, § 41
GG Art. 19 Abs. 4
UmwStG 1995 § 20 Abs. 4 Satz 1
Vorinstanz: Sächsisches FG vom 28.7.2010, 2 K 322/10 = SIS 11 07 68
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtsfolgen einer Einbringung von zwei Betrieben.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren sämtliche Geschäftsanteile im Streitjahr (2004) von D gehalten wurden. D betrieb zu Beginn des Streitjahrs zugleich als Einzelunternehmer die Betriebe A in X und B in Y. Zwischen A und der Klägerin bestand eine Betriebsaufspaltung.
Mit Vertrag vom 26.8.2004 erhöhte D das Stammkapital der Klägerin um 174.435,59 € auf 200.000 €. Die zusätzliche Stammeinlage sollte durch die Einbringung der beiden Einzelunternehmen geleistet werden. Betriebsübergabe und Übergang der Gewinnberechtigung wurden auf den 1.1.2004 datiert. Die Einbringung erfolgte zu den in einer Einbringungsbilanz enthaltenen Buchwerten; danach beliefen sich der Wert der A auf ./. 1.065.192,06 € und der Wert der B auf 1.456.977,79 €.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) an, dass bei der A Aktiva in Höhe von 1.581.124,05 € und Passiva in Höhe von 2.535.737 € eingebracht worden seien. Deshalb seien bei A stille Reserven in Höhe von 954.612,95 € aufzudecken und dem entsprechend bei der Klägerin zusätzliche Abschreibungen in Höhe von 47.730,65 € zu berücksichtigen. Auf dieser Basis setzte das FA gegenüber der Klägerin für das Streitjahr in einem Änderungsbescheid die Körperschaftsteuer fest.
Die deshalb erhobene Klage hatte Erfolg. Das Sächsische Finanzgericht (FG) entschied mit Urteil vom 28.7.2010, 2 K 322/10, dass die Klage zulässig und begründet sei. Zwar habe D zwei Betriebe in die Klägerin eingebracht und sei bei mehreren Sacheinlagen die Frage einer Aufstockung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 4 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG 1995) für jeden Einlagegegenstand gesondert zu prüfen. Das gelte aber nicht, wenn dieselbe Person mehrere Sacheinlagegegenstände in einem einheitlichen Vorgang übertrage. Das sei im Streitfall geschehen, weshalb im Zusammenhang mit § 20 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 das negative Kapitalkonto des einen mit dem positiven Kapitalkonto des anderen Betriebs verrechnet werden könne.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung des § 20 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Diese ist unzulässig, da die Klägerin nicht dartun kann, durch den angefochtenen Bescheid beschwert zu sein.
1. Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Kläger die Festsetzung einer höheren als der im angefochtenen Verwaltungsakt festgesetzten Steuer begehrt (Senatsurteil vom 10.1.2007 I R 75/05, BFH/NV 2007, 1506, m.w.N.). Ein solcher Sachverhalt liegt im Streitfall vor, da die Klage darauf abzielt, dass die vom FA vorgenommene Erhöhung der Aktiva aus dem eingebrachten Betrieb A unterbleibt; eine solche Handhabung würde für die Klägerin zu einer Verminderung von Absetzungen für Abnutzung und mithin zur Festsetzung einer höheren Steuer führen.
2. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 FGO ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn in dem angefochtenen Steuerbescheid eine Steuer nicht oder zu niedrig festgesetzt worden ist. So können die Dinge z.B. liegen, wenn ein auf einen Betrag von Null lautender Bescheid sich für den Kläger deshalb nachteilig auswirkt, weil in ihm angesetzte Besteuerungsgrundlagen im Rahmen anderer Verfahren verbindliche Entscheidungsvorgaben liefern (BFH-Urteile vom 20.12.1994 IX R 80/92, BFHE 177, 44, BStBl II 1995, 537; vom 20.12.1994 IX R 124/92, BFHE 176, 409, BStBl II 1995, 628). Ebenso kann eine Klage gegen die Festsetzung einer zu niedrigen Steuer zulässig sein, wenn jene Festsetzung dazu führen kann, dass der Kläger bei späteren Steuerfestsetzungen Nachteile erleidet (BFH-Beschluss vom 17.12.1987 V B 152/87, BFHE 152, 40, BStBl II 1988, 286, m.w.N.). Im Streitfall liegt aber kein mit diesen Situationen vergleichbarer Sachverhalt vor. Denn die Klägerin, um deren Besteuerung es hier ausschließlich geht, kann durch den Ansatz überhöhter Einbringungswerte weder in späteren Steuerfestsetzungen noch in anderen Verfahren einen Nachteil erleiden. Sie ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert.
3. Eine Zulässigkeit der Klage folgt entgegen der Ansicht des FG nicht daraus, dass der streitgegenständliche Wertansatz für die Besteuerung des D verbindlich ist.
a) Nach den Feststellungen des FG hat allerdings D u.a. den Betrieb A in die Klägerin eingebracht und dafür neue Anteile an der Klägerin erhalten. Das führt nach § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 dazu, dass der von der Klägerin angesetzte Wert des eingebrachten Betriebsvermögens für D als Veräußerungspreis gilt. D muss mithin in jenem Wert enthaltene stille Reserven, die dem Betriebsvermögen des Betriebs A innewohnten, im Streitjahr versteuern.
b) Nach der Rechtsprechung des Senats folgt aus § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995, dass im Rahmen der Besteuerung des Einbringenden nicht geprüft werden kann, ob der von der übernehmenden Kapitalgesellschaft angesetzte Wert zutreffend ermittelt worden ist. Vielmehr ist der Einbringende insoweit grundsätzlich an jenen Wert gebunden. Er kann insbesondere nicht mit einem Rechtsbehelf gegen den ihn betreffenden Einkommensteuerbescheid geltend machen, dass der bei der aufnehmenden Kapitalgesellschaft angesetzte Wert überhöht sei und sich daraus für ihn - den Einbringenden - wegen § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 eine überhöhte Steuerfestsetzung ergebe (Senatsurteil vom 19.12.2007 I R 111/05, BFHE 220, 152, BStBl II 2008, 536). Diese Rechtsprechung hat der Senat kürzlich bestätigt (Senatsurteil vom 20.4.2011 I R 97/10, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt); an ihr ist weiterhin festzuhalten.
c) Die Bindung des Einbringenden an den bei der aufnehmenden Gesellschaft angesetzten Wert bewirkt aber nicht, dass die aufnehmende Gesellschaft jenen Wert ohne Rücksicht auf eine eigene Beschwer überprüfen lassen kann. Es trifft zwar zu, dass es mit der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) bestimmten Rechtsweggarantie nicht vereinbar wäre, die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung überhaupt auszuschließen. Jedoch ist diese Möglichkeit dadurch eröffnet, dass bei Streitigkeiten über die Höhe des Einbringungswerts der Einbringende die für die aufnehmende Kapitalgesellschaft maßgebliche Steuerfestsetzung anfechten kann. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Das gilt auch im Rahmen des Besteuerungsverfahrens. Daraus folgt, dass der Einbringende die Möglichkeit haben muss, einen aus seiner Sicht unzutreffend angesetzten Veräußerungsgewinn gerichtlich überprüfen zu lassen.
Diese Möglichkeit hat er nicht im Rahmen der unmittelbar ihn selbst betreffenden Steuerfestsetzung. Denn § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 schließt es aus, in diesem Verfahren geltend zu machen, dass der bei der übernehmenden Gesellschaft angesetzte und für den Einbringenden verbindliche Wert überhöht sei. Der Körperschaftsteuerbescheid des aufnehmenden Unternehmens ist auch kein Grundlagenbescheid für den Einbringenden, denn dieser Bescheid enthält keine eigenständige Regelung, mit welchem Wert das eingebrachte Vermögen angesetzt wurde. Dieser Wert entfaltet vielmehr nur über die Regelung des § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 materielle Bindungswirkung (vgl. auch BFH-Urteil vom 19.4.2005 VIII R 27/03, BFH/NV 2005, 1807) für den Einbringenden. Die verfassungsrechtliche Rechtsweggarantie gebietet es aber, dem Einbringenden das Recht zuzubilligen, die insoweit für ihn verbindliche Steuerfestsetzung gegenüber der aufnehmenden Gesellschaft anzufechten (vgl. auch Frotscher in Schwarz, AO, Vor § 179 Rz 40 ff.). Ein Anfechtungsrecht der aufnehmenden Gesellschaft würde insoweit nicht ausreichen, da Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ausdrücklich dem in seinen Rechten Verletzten ("ihm") den Rechtsweg garantiert. Der Einbringende ist deshalb in Fällen dieser Art als Drittbetroffener anfechtungsberechtigt (ebenso wohl von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 40 Rz 122; Frotscher, ebenda). Daraus folgt zugleich, dass es nicht um des Schutzes des Einbringenden willen geboten ist, der aufnehmenden Gesellschaft entgegen § 40 Abs. 2 FGO trotz des Fehlens einer eigenen Beschwer ein Anfechtungsrecht zuzubilligen.
aa) Die Annahme eines Anfechtungsrechts des Einbringenden steht im Einklang mit der Behandlung anderer Sachverhalte, in denen einem Drittbetroffenen ein eigenes Anfechtungsrecht zugebilligt worden ist (vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Rz 71 ff.; von Beckerath in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 40 Rz 162 ff.). So kann nach den Senatsurteilen vom 4.3.2009 I R 6/07 (BFHE 224, 353, BStBl II 2009, 625) und vom 28.1.2004 I R 73/02 (BFHE 205, 174, BStBl II 2005, 550) der Vergütungsschuldner die Steueranmeldung bzw. den Widerruf der Freistellungsbescheinigung i.S. des § 50d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 anfechten. Ferner hat der BFH Konkurrenten eine eigene Klagebefugnis zugebilligt (Senatsurteile vom 15.10.1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl II 1998, 63; vom 18.9.2007 I R 30/06, BFHE 219, 184, BStBl II 2009, 126; BFH-Urteil vom 5.10.2006 VII R 24/03, BFHE 215, 32, BStBl II 2007, 243). Ebenso kann z.B. ein Arbeitnehmer einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid anfechten, der seinem Arbeitgeber gegenüber ergangen ist und an ihn - den Arbeitnehmer - erbrachte Leistungen betrifft (BFH-Urteil vom 29.6.1973 VI R 311/69, BFHE 109, 502, BStBl II 1973, 780).
bb) Nach der Rechtsprechung des Senats muss, wenn der Einbringende einen ihm gegenüber erlassenen Steuerbescheid anficht und dabei die Fehlerhaftigkeit des angesetzten Einbringungswerts geltend macht, die aufnehmende Kapitalgesellschaft nicht zu einem darüber geführten Klageverfahren beigeladen werden (Senatsbeschluss in BFHE 220, 152, BStBl II 2008, 536). Dies liegt darin begründet, dass zwar die von der übernehmenden Kapitalgesellschaft angesetzten Werte für den Einbringenden verbindlich sind, nicht aber umgekehrt. Ficht jedoch der Einbringende die Steuerfestsetzung der aufnehmenden Gesellschaft an, ist jene zum Klageverfahren notwendig beizuladen (§ 60 Abs. 3 FGO). Denn hinsichtlich des Werts des übernommenen Betriebsvermögens kann die Entscheidung gegen einbringendes und aufnehmendes Unternehmen nur einheitlich ergehen. Hat der Einbringende mit seinem Begehren Erfolg, das eingebrachte Betriebsvermögen mit einem niedrigeren Wert anzusetzen, als es bislang der Besteuerung der aufnehmenden Gesellschaft zu Grunde lag, ist damit zugleich auch über den Wertansatz des aufnehmenden Unternehmens verbindlich entschieden.
cc) Dass in der vorliegend zu beurteilenden Situation der Einbringende den an die aufnehmende Gesellschaft gerichteten Bescheid anfechten kann, kann schließlich nicht unter Hinweis auf daraus erwachsende verfahrenstechnische Schwierigkeiten in Frage gestellt werden. Zwar ist in dieser Hinsicht zu bedenken, dass ein an die aufnehmende Gesellschaft gerichteter Steuerbescheid dem Einbringenden regelmäßig nicht bekannt gegeben wird, was im Hinblick auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit zu Unsicherheiten führen kann. Diese Folge muss aber im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hingenommen werden. Zudem hat die Finanzbehörde die Möglichkeit, diesen Unsicherheiten durch eine Bekanntgabe des genannten Bescheids an den Einbringenden zu begegnen. Dem steht das Steuergeheimnis i.S. des § 30 der Abgabenordnung (AO) nicht entgegen, da die Bekanntgabe einer am Verfassungsrecht orientierten Besteuerung des Einbringenden dient (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Dieser Vorgabe wird die vom FG gewählte Lösung, die Überprüfung des Bescheids (nur) auf einen Rechtsbehelf des aufnehmenden Unternehmens hin zu ermöglichen, nicht hinreichend gerecht. Ist eine solche Rechtsbehelfsmöglichkeit aber ohnehin aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht ausreichend, so besteht kein Anlass, sie abweichend von der allgemeinen Systematik der Klagebefugnis in § 40 Abs. 2 FGO zu eröffnen.
4. Die vorliegende Klage ist auch nicht als Feststellungsklage (§ 41 FGO) zulässig.
Das FG Düsseldorf hat mit Urteil vom 7.12.2010, 13 K 4432/08 AO (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 890) entschieden, dass das aufnehmende Unternehmen im Wege der Feststellungsklage die Werte des angesetzten Betriebsvermögens überprüfen könne. Die aufnehmende Gesellschaft sei dem Einbringenden gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Ansatz des eingebrachten Vermögens in der Bilanz der aufnehmenden Gesellschaft nicht entsprechend den zuvor getroffenen Vereinbarungen erfolge und dem Einbringenden daraus ein Schaden, etwa in Gestalt eines nicht gewollten Veräußerungsgewinns, entstehe. Angesichts dessen sei ein wirtschaftliches Interesse der aufnehmenden Gesellschaft an der Feststellung der zutreffenden anzusetzenden Werte zu bejahen.
Dem ist nicht zu folgen. Da dem Einbringenden insoweit ein eigenes Anfechtungsrecht gegen die Steuerfestsetzung des aufnehmenden Unternehmens zusteht, besteht daneben kein eigenes Feststellungsinteresse der aufnehmenden Gesellschaft. Denn sie kann möglichen Schadensersatzforderungen des Einbringenden entgegenhalten, dieser selbst habe die Möglichkeit gehabt, gegen die Bewertung des Betriebsvermögens durch Anfechtung des Steuerbescheids des aufnehmenden Unternehmens vorzugehen.
5. Ob im Streitfall D den angefochtenen Bescheid noch mit Aussicht auf Erfolg angreifen kann, muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden. Die von der Klägerin erhobene Klage ist jedenfalls unzulässig und muss daher abgewiesen werden.
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