BFH: Keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung ohne tatsächliche Verlusttragung durch eine inländische Muttergesellschaft
Eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft bei der inländischen Muttergesellschaft setzt voraus, dass die "Organschaft" zuvor in dem Sinne faktisch "gelebt" worden ist, dass die von der Tochtergesellschaft erwirtschafteten Verluste von der Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind.
KStG § 14 Abs. 1 Satz 1, § 17 Satz 1 Nr. 2
AktG § 291 Abs. 1
AEUV Art. 49 und Art. 54
GewStG § 2 Abs. 2 Satz 2
BFH-Urteil vom 9.8.2023, I R 26/19 (veröffentlicht am 14.12.2023)
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 13.3.2019, 1 K 218/15 = SIS 19 13 05
I. Streitig ist die Verrechnung von Verlusten einer ausländischen Tochtergesellschaft im Rahmen der Gewinnermittlung der inländischen Muttergesellschaft.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH mit Sitz im Inland. Sie war alleinige Gesellschafterin der … s.a.r.l. (s.a.r.l.) mit Sitz in Frankreich.
Die s.a.r.l. erzielte seit Jahren Verluste (Verlustvortrag zum 31.12.2011: … €). Im Jahr 2012 (Streitjahr) erwirtschaftete sie einen Verlust von … €.
Bereits im Jahr 2011 wurde entschieden, den Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. einzustellen; der Gesellschafterbeschluss vom 30.10.2012 sah die Auflösung der s.a.r.l. mit Wirkung zum 31.10.2012 ohne Liquidation durch Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die Klägerin im Wege einer Transmission Universelle de Patrimoine (TUP) gemäß Art. 1844‑5 des französischen Code Civil vor. Am 25.01.2013 wurde die s.a.r.l. mit Wirkung zum 31.10.2012 im französischen Handelsregister gelöscht.
Die Klägerin hatte die s.a.r.l. bis zur tatsächlichen Einstellung des aktiven Geschäftsbetriebes mit Waren beliefert. Zu den Forderungen aus den Warenlieferungen ergriff die Klägerin keine Beitreibungsmaßnahmen gegenüber der s.a.r.l., obwohl diese keine Zahlungen leistete. Allerdings nahm die Klägerin Wertberichtigungen auf die Forderungen vor. Im Jahresabschluss zum 31.12.2009 erfolgte eine Wertberichtigung in Höhe des von der s.a.r.l. bilanzierten (nicht durch Eigenkapital gedeckten) Fehlbetrags. Zum 31.12.2010 schrieb die Klägerin die noch bilanzierten Forderungen mit der Begründung in voller Höhe ab, dass der Geschäftsbetrieb der s.a.r.l. eingestellt werden solle. Auch in den Jahren 2011 und 2012 lieferte die Klägerin noch Waren an die s.a.r.l.; die Forderungen wurden von der Klägerin zum jeweiligen Jahresende mit derselben Begründung in voller Höhe abgeschrieben. Kumuliert nahm die Klägerin bis zum 31.12.2011 Forderungsabschreibungen in einer Gesamthöhe von … € vor, die ihrem Gewinn außerbilanziell jeweils wieder hinzugerechnet wurden.
Im Rahmen ihrer Gewinnermittlung für 2011 brachte die Klägerin den von der s.a.r.l. im Jahr 2011 erwirtschafteten Verlust in Höhe von … € in Abzug und gab eine entsprechende Körperschaftsteuererklärung ab, auf deren Grundlage sie zunächst erklärungsgemäß veranlagt wurde. Im Rahmen einer Außenprüfung stellte sich der Prüfer allerdings auf den Standpunkt, dass eine Verlustverrechnung nicht erfolgen könne. Es erging unter dem 27.02.2014 ein entsprechend geänderter Körperschaftsteuerbescheid für 2011. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin dagegen Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (FG). Auf den Hinweis des Berichterstatters, dass eine Verlustberücksichtigung allenfalls 2012 in Betracht komme, beantragten die Beteiligten übereinstimmend, das Klageverfahren ruhen zu lassen. Das FG folgte dem mit Beschluss vom 27.02.2017.
In ihrer Körperschaft- und Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr hatte die Klägerin eine Verrechnung des von der s.a.r.l. in diesem Jahr erwirtschafteten Verlustes in Höhe von … € vorgenommen. Diesen berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) in den am 27.03.2014 ergangenen Bescheiden über die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 nicht; diese Bescheide wurden am 14.05.2018 insbesondere bezogen auf die steuerliche Erfassung eines Konfusionsgewinns im Zusammenhang mit der Übertragung des Vermögens der s.a.r.l. auf die Klägerin geändert.
In seiner Teil-Einspruchsentscheidung vom 18.06.2018, in der über die Steuerpflicht des Konfusionsgewinns nicht entschieden wurde, vertrat das FA die Auffassung, die Verrechnung der Verluste der s.a.r.l. auf Ebene der Klägerin komme weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht in Betracht.
Ihre Klage, mit der die Klägerin die Berücksichtigung der bis 2012 bei der s.a.r.l. kumulierten operativen Verluste in Höhe von … € (… € Verlustvortrag auf den 31.12.2011 zuzüglich … € Verlust des Streitjahres) im Rahmen der Gewinnermittlung des Streitjahres begehrte, hatte keinen Erfolg. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 13.03.2019 ‑ 1 K 218/15 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1466 veröffentlicht.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, die sie auf die Verletzung von Bundesrecht stützt und mit der sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid 2012 sowie den Gewerbesteuermessbescheid 2012, jeweils vom 27.03.2014 und in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 18.06.2018, dahingehend zu ändern, dass bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens und des Gewerbeertrages ein Verlust in Höhe von … € berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten; es hat keinen Antrag gestellt.
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Entgegen der Auffassung der Klägerin können die "kumulierten operativen Verluste" der s.a.r.l. bestehend aus dem laufenden Verlust des Streitjahres (… €) und dem Verlustvortrag auf den 31.12.2011 (… €) weder vollständig noch teilweise auf der Grundlage einer unionsrechtskonformen Auslegung der §§ 14 ff. des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG) im Inland abgezogen werden.
1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG setzt die Berücksichtigung der Verluste einer Tochtergesellschaft auf der Ebene der Muttergesellschaft ein zwischen beiden Unternehmen bestehendes Organschaftsverhältnis voraus. Dazu muss sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) verpflichten, ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, für das in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 KStG weitere Voraussetzungen normiert sind (Organträger). Für andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG genannten Kapitalgesellschaften ‑‑insbesondere für GmbH‑‑ sieht § 17 KStG für die Begründung einer Organschaft modifizierte Anforderungen vor (s. zu den Motiven des Gesetzgebers auch Senatsurteil vom 10.05.2017 ‑ I R 93/15, BFHE 259, 49, BStBl II 2019, 278), die aber jedenfalls eine wirksame Verpflichtung zur Gewinnabführung an ein anderes Unternehmen und eine Vereinbarung über eine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG erfordern. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (GewStG) gelten diese Voraussetzungen auch für die gewerbesteuerrechtliche Organschaft.
2. Nach den Feststellungen des FG war zwischen der Klägerin, die unstreitig in den persönlichen Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 KStG fällt, und der s.a.r.l., die nach nationalem Recht keine taugliche Organgesellschaft ist, weil sie nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG weder über eine inländische Geschäftsleitung noch über einen Sitz im Inland verfügte, keine Vereinbarung über eine Gewinnabführung (Verlustübernahme) abgeschlossen worden.
3. Der Senat hatte bislang keinen Anlass, abschließend zu den Voraussetzungen für eine Verlustverrechnung "über die Grenze" bei einer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ansässigen (verlusterzielenden) Tochtergesellschaft und einer im Inland ansässigen Muttergesellschaft zu entscheiden. Im Beschluss vom 09.11.2010 ‑ I R 16/10 (BFHE 231, 554) hat er hervorgehoben, dass ‑‑unterstellt, ein Abzug von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässigen Tochterkapitalgesellschaft bei ihrer inländischen Mutterkapitalgesellschaft wäre aus unionsrechtlichen Gründen geboten‑‑ ein solcher Verlustabzug jedenfalls nicht im Veranlagungszeitraum des Entstehens der Verluste, sondern nur in einem Veranlagungszeitraum nach Beendigung der Geschäftstätigkeit oder gegebenenfalls einer Liquidation der Tochtergesellschaft (Finalitätsjahr) berücksichtigt werden könne. Dass die Verluste wirtschaftlich bereits in früheren Jahren entstanden und im Falle einer Organschaft im Sinne von §§ 14 ff. KStG bei der Muttergesellschaft hätten verrechnet werden können, ändere daran nichts, weil ein solches "gedachtes" Organschaftsverhältnis im Streitfall tatsächlich nicht vereinbart und praktiziert worden sei und das Besteuerungsrecht für die ‑‑im Ausland unbeschränkt steuerpflichtigen‑‑ Auslandsgesellschaften im Ausland lag.
Und im Senatsurteil vom 07.12.2011 ‑ I R 30/08 (BFHE 236, 159, BStBl II 2012, 507) wurde im Zusammenhang mit dem organschaftlich begründeten Ausschluss einer gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung ausgeführt, es sei ausgeschlossen, dass Unternehmen eines grenzüberschreitenden Verbunds unter Berufung auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten nachträglich einzelne für sie vorteilhafte Elemente der Organschaftsbesteuerung für sich in Anspruch nehmen können, ohne dass sie im relevanten Zeitraum zumindest den Willen bekundet haben, eine Organschaft bilden zu wollen, und ohne dass sie zumindest versucht haben, die für die steuerrechtliche Anerkennung der Organschaft im Inlandsfall erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Insofern werde die (dortige) Klägerin letztlich nicht anders besteuert als eine abhängige Kapitalgesellschaft mit im Inland ansässiger Muttergesellschaft, mit der eine Ergebnisabführung nicht vereinbart worden sei, weshalb es an einer Ungleichbehandlung fehle (vgl. auch Senatsurteil vom 13.10.2010 ‑ I R 79/09, BFHE 231, 529, BStBl II 2014, 943). Der Senat nahm dabei darauf Bezug, dass es sich bei der für die Organschaft erforderlichen Vereinbarung und Durchführung einer mindestens fünf Jahre andauernden Ergebnisabführung nach Maßgabe der §§ 14 ff. KStG nicht ‑‑wie bei dem Antrag auf Anwendung der britischen Gruppenbesteuerung (dazu Urteil des Europäischen Gerichtshofs [nunmehr: Gerichtshof der Europäischen Union] ‑‑EuGH‑‑ Metallgesellschaft u.a. vom 08.03.2001 ‑ C‑397/98, C‑410/98, EU:C:2001:134)‑‑ um eine formelle steuerverfahrensrechtliche Willenserklärung gegenüber der Finanzverwaltung handele; vielmehr seien damit einschneidende Eingriffe in die gesellschaftsrechtliche Organisation der beteiligten Unternehmen verbunden, die sich über den Bereich des Steuerrechts hinaus auswirken. Die steuerliche Anerkennung einer Organschaft erfordere die exakte Befolgung aller formellen und materiellen Voraussetzungen während der gesamten Laufzeit des Gewinnabführungsvertrags.
4. Auch im Streitfall ist nicht abschließend darüber zu entscheiden, ob die "kumulierten operativen Verluste" der s.a.r.l., wie die Klägerin meint, über eine unionsrechtskonforme Auslegung der §§ 14 ff. KStG (und des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) ‑‑im Sinne einer Restriktion des Tatbestandserfordernisses des Gewinnabführungsvertrags‑‑ im Inland abzugsfähig sein könnten. Entsprechendes gilt für die Frage, welche Schlussfolgerungen in diesem Zusammenhang aus dem auf Vorlage des Senats (Beschluss vom 06.11.2019 ‑ I R 32/18, BFHE 269, 205, BStBl II 2021, 68) ergangenen Urteil des EuGH W vom 22.09.2022 ‑ C‑538/20 (EU:C:2022:717) zu ziehen sind, dem finale Verluste einer ausländischen Betriebsstätte zugrunde lagen. Denn auch der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung des EuGH Marks & Spencer vom 13.12.2005 ‑ C‑446/03 (EU:C:2005:763) sowie den in der Folge ergangenen EuGH-Entscheidungen lässt sich bei einer Übertragung auf die nationalen Organschaftsregelungen (s. insbesondere Maack/Kersten, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2019, 2281 ff.) jedenfalls nicht entnehmen, dass die begehrte Verlustverrechnung ohne eine zumindest "faktisch gelebte Organschaft" möglich sein könnte, das heißt ohne dass die von der ausländischen Tochtergesellschaft jährlich erwirtschafteten Verluste von der inländischen Muttergesellschaft nach den Vorgaben der anzuwendenden nationalen Regelungen tatsächlich getragen worden sind. Diese Grundvoraussetzung lag im Streitfall nicht vor; nach den den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG fehlte es vor der Geschäftseinstellung der s.a.r.l. an einer den inländischen Organschaftsregelungen entsprechenden tatsächlichen Übernahme der jährlichen Verluste durch die Klägerin.
a) Das angefochtene Urteil behandelt den Rechtsstreit im Wesentlichen unter der Fragestellung, ob das Erfordernis des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG, zur Begründung eines wirksamen Organschaftsverhältnisses einen Gewinnabführungsvertrag abschließen zu müssen, "als solches" gegen das Unionsrecht verstößt und ob es im Wege geltungserhaltender Reduktion dadurch ersetzt werden kann, dass an seine Stelle ein schuldrechtliches Äquivalent tritt (s.a. Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.02.2010 ‑ 6 K 406/08, EFG 2010, 815, und FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.03.2010 ‑ 1 K 2406/07, EFG 2010, 1632; Mitschke, DStR 2010, 1368 ff.; Prinz/Ludwig, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2020, 1022, 1028; Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 89; Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 12 (K 31); von Freeden/Schumacher in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 KStG Rz 22; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 55; Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 39 ["GAV-Äquivalent"] und § 17 KStG Rz 17, jeweils m.w.N.), oder ob ein solcher Vertrag im Vergleich zum Gewinnabführungsvertrag nur ein (unzureichendes) "aliud" darstellen würde (s. Oberfinanzdirektion ‑‑OFD‑‑ Frankfurt/Main vom 12.11.2019, DStR 2019, 2701, und vom 09.07.2020, DB 2020, 1768; Graw, DB 2010, 2469, 2472; Schulz-Trieglaff, Internationale Wirtschaftsbriefe ‑‑IWB‑‑ 2020, 712, 718; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 17 Rz 8a).
b) Grundlage einer solchen unionsrechtsbedingten geltungserhaltenden Auslegung der nationalen Normen könnte die Einschätzung sein, das Erfordernis des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags sei geeignet, eine grenzüberschreitende Aktivität zu behindern oder wirtschaftlich weniger attraktiv zu machen (s. etwa Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 12 (K 31); ähnlich Mayr, Betriebs-Berater 2008, 1312, 1315; Schnitger, Internationales Steuerrecht ‑‑IStR‑‑ 2013, 82; Maack/Kersten, DStR 2019, 2281, 2282). Dem könnte allerdings ‑‑wie das BMF darlegt‑‑ entgegenzuhalten sein, dass der im Streitfall einschlägige § 17 KStG nicht verlangt, dass ein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen wird, der unmittelbar auf § 291 Abs. 1 AktG beruht, sondern nur, dass sich die Gesellschaft wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen im Sinne des § 14 KStG abzuführen (s.a. Bundesregierung, BTDrucks 19/18624, S. 2; zu einer Vergleichbarkeit bei ausländischen Vereinbarungen s. OFD Frankfurt/Main vom 12.11.2019, DStR 2019, 2701). Damit könnte grundsätzlich auch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat das Erfordernis des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags erfüllen. Indessen ist der Abschluss eines solchen Vertrags über die Grenze in den meisten EU-Staaten handelsrechtlich entweder nicht oder nur bei rein nationalen Sachverhalten möglich (s. Maack/Kersten, DStR 2019, 2281, 2283; Witt, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2009, 1045, 1047). Die die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 i.V.m. Art. 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ‑‑AEUV‑‑, Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) beschränkende Wirkung der deutschen Regelungen könnte daher darin bestehen, dass es nur wenige andere EU-Staaten gibt, die eine dem Gewinnabführungsvertrag vergleichbare Vereinbarung kennen, und zum Beispiel Frankreich (zur Maßgabe des Rechts des Ansässigkeitsstaates der Tochtergesellschaft s. Hoene, IStR 2012, 462, 463) nach dem Vortrag der Klägerin dazu nicht zählt. Eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung wäre damit nur im Verhältnis zu einer eingeschränkten Zahl ausländischer Kapitalgesellschaften möglich (so Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.02.2010 ‑ 6 K 406/08, EFG 2010, 815; Glahe, IStR 2012, 128, 131 f., m.w.N.).
c) Wenn es damit für die Rechtsfolge der Ergebnisverrechnung zwischen zwei Steuerpflichtigen maßgeblich auf das objektive Tatbestandsmerkmal des abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrags ankommt, liegt abweichend zur Auffassung der Klägerin jedenfalls kein (lediglich durch den Abschluss des Vertrags dokumentiertes) "Wahlrecht zu einer Konzernbesteuerung" vor, was auch das BMF betont (s.a. Senatsurteil vom 07.12.2011 ‑ I R 30/08, BFHE 236, 159, BStBl II 2012, 507 mit dem Hinweis auf "einschneidende Eingriffe in die gesellschaftsrechtliche Organisation der beteiligten Unternehmen ..., die sich über den Bereich des Steuerrechts hinaus auswirken"). Dies wiederum könnte dafür sprechen, das unionsrechtliche Vergleichspaar aus einer inländischen Muttergesellschaft mit inländischer Tochtergesellschaft ohne Gewinnabführungsvertrag und einer inländischen Muttergesellschaft mit ausländischer Tochtergesellschaft ebenfalls ohne Gewinnabführungsvertrag zu bilden und mit der Rechtsansicht des BMF schlicht festzuhalten, dass dann in beiden Fällen eine Verlustverrechnung ausscheiden würde und damit eine unionsrechtlich relevante Ungleichbehandlung nicht vorliege (so bereits Senatsurteile vom 07.12.2011 ‑ I R 30/08, BFHE 236, 159, BStBl II 2012, 507, und zuvor vom 13.10.2010 ‑ I R 79/09, BFHE 231, 529, BStBl II 2014, 943 [unter Verweis auf das EuGH-Urteil X Holding vom 25.02.2010 ‑ C‑337/08, EU:C:2010:89] ‑ die Verfassungsbeschwerde war erfolglos, s. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.10.2011 ‑ 2 BvR 1098/11, juris; s.a. Bundesregierung, BTDrucks 19/18624, S. 2). Demgegenüber wird aber geltend gemacht, dem Gesetzgeber würde es durch eine solche Sichtweise gleichsam in die Hand gegeben, jede Vergleichbarkeit durch Schaffung und Inbezugnahme eines inländischen Rechtsinstituts auszuschließen (so z.B. Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 39; Scheunemann, IStR 2006, 145, 147; Homburg, IStR 2011, 111; Kessler/Arnold, IStR 2016, 226, 230 f.; Maack/Kersten, DStR 2019, 2281, 2284; a.A. Mitschke, IStR 2011, 185, 186), was wiederum dafür sprechen soll, das Merkmal des Gewinnabführungsvertrags bei der Prüfung der Vergleichbarkeit außer Betracht zu lassen (so Graw, DB 2010, 2469, 2471).
d) Ungeachtet dieser auch im angefochtenen Urteil nicht eindeutig beantworteten und damit offenen Fragestellungen wird allerdings auch dann, wenn aus unionsrechtlichen Gründen auf eine vertragliche Gewinnabführungsverpflichtung vollständig zu verzichten wäre, als Grundvoraussetzung erforderlich bleiben, dass die Muttergesellschaft die angefallenen Verluste tatsächlich jährlich getragen hat (so z.B. Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 244; Heurung/Engel/Thiedemann, FR 2011, 212, 218 f.; Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1869, 1875; Schönfeld, IStR 2012, 368, 370; Schulz-Trieglaff, IWB 2020, 712, 720). Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der nationalen Organschaftsregelungen in §§ 14, 17 KStG, die als wesentliches ‑‑und aus unionsrechtlicher Sicht unbedenkliches‑‑ Strukturelement zumindest auf eine jährliche tatsächliche Verlustübernahme ausgerichtet sind, reicht hierfür eine Verlustübernahme (erst) zum Zeitpunkt der Finalität der Verluste (im Streitjahr) nicht aus (a.A. Maack/Kersten, DStR 2019, 2281, 2288; wohl auch Graw, DB 2010, 2469, 2472). Dies gilt unabhängig davon, ob eine steuerliche Verlustverrechnung im Inland auf Grundlage des EuGH-Urteils Marks & Spencer vom 13.12.2005 ‑ C‑446/03 (EU:C:2005:763) und dessen Folgeentscheidungen auch bei einem Verzicht auf das Merkmal der vertraglichen Gewinnabführungsverpflichtung und bei gleichzeitig faktisch gelebter Organschaft nicht im jeweiligen Verlustentstehungsjahr, sondern allenfalls im Finalitätsjahr in Betracht kommt (vgl. hierzu Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 39a).
e) Im Streitfall vermochte das FG keinerlei Hinweise darauf festzustellen, dass die Klägerin und die s.a.r.l. ein "Organschaftsverhältnis auf faktischer Grundlage gelebt" haben. Denn die Klägerin hat der s.a.r.l. fortwährend Fremdkapital in Gestalt von kreditierten Warenlieferungen (und nicht: Eigenkapital) zur Verfügung gestellt, so dass die Klägerin die laufenden Verluste der Tochtergesellschaft gerade nicht nach Maßgabe der §§ 14 ff. KStG getragen hat. Es hat zudem auf die von der Klägerin vorgenommenen Teilwertabschreibungen auf ihre gegenüber der s.a.r.l. bestehenden Forderungen abgehoben, die ebenfalls, so sie mit Blick auf die erwirtschafteten Verluste vorgenommen worden seien, "indiziell" gegen das Vorliegen eines faktischen Organschaftsverhältnisses sprächen. Nach dem im Revisionsverfahren geltenden Maßstab der Überprüfung einer solchen Würdigung kann dem von der Klägerin nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die s.a.r.l. sei schlussendlich aufgrund der TUP nach Art einer Anwachsung in der Klägerin aufgegangen ‑ denn die Übernahme von Verbindlichkeiten durch Anwachsung führt gerade nicht zu einer nach Maßgabe der §§ 14 ff. KStG auf das jeweilige Organschaftsjahr bezogenen tatsächlichen Verlustübernahme.
f) Auf dieser Grundlage teilt der erkennende Senat die Auffassung des FG im angefochtenen Urteil, dass die von der Klägerin vertretene Sichtweise zu einer quasi voraussetzungslosen Abzugsfähigkeit "finaler Verluste über die Grenze" ‑‑selbst bei einer nur "nachträglichen" Entscheidung für eine Organschaftsbesteuerung mit Verlustverrechnung im Anschluss an die Beendigung der Geschäftstätigkeit der Organgesellschaft‑‑ führen würde, für die es aber nach nationalem Recht keine Grundlage gibt und die auch aus unionsrechtlichen Gründen nicht geboten ist. Es ist ausgeschlossen, dass Unternehmen eines grenzüberschreitenden Verbunds unter Berufung auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten nachträglich einzelne für sie vorteilhafte Elemente der Organschaftsbesteuerung (hier: Verlustverrechnung) für sich in Anspruch nehmen können, ohne dass sie im relevanten Zeitraum zumindest den Willen bekundet haben, eine Organschaft bilden zu wollen, und ohne dass sie zumindest versucht haben, die für die steuerliche Anerkennung der Organschaft im Inlandsfall erforderlichen Voraussetzungen tatsächlich zu schaffen (s. bereits Senatsurteil vom 07.12.2011 ‑ I R 30/08, BFHE 236, 159, BStBl II 2012, 507, Rz 25).
5. Die Entscheidung auf der Grundlage dieser tatsächlichen Würdigung zur Verlustübernahme entsprechend dem nationalen Organschaftskonzept und der Umstand, dass die Klägerin letztlich nicht anders besteuert wird als eine Muttergesellschaft mit einer im Inland ansässigen abhängigen Kapitalgesellschaft, mit der eine Ergebnisabführung nicht vereinbart worden ist, weshalb es an einer Ungleichbehandlung fehlt, nötigt nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH (Urteil CILFIT vom 06.10.1982 ‑ Rs. 283/81, EU:C:1982:335; s. allgemein zu den Grenzen der Vorlagepflicht auf der Grundlage der sog. CILFIT-Doktrin z.B. EuGH-Urteil Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 ‑ C‑561/19, EU:C:2021:799) den Senat nicht zu einer Vorlage im Sinne des Art. 267 AEUV an den EuGH wegen unionsrechtlicher Zweifel an dem nationalen Tatbestandserfordernis des Gewinnabführungsvertrags in § 14 Abs. 1 KStG. Eine Vorlage hätte nur dann erforderlich sein können, wenn es vor der Geschäftseinstellung der s.a.r.l. zumindest tatsächlich ‑‑oder auf Grundlage einer schuldrechtlichen Vereinbarung‑‑ zu einer Übernahme der jährlichen Verluste der s.a.r.l. gekommen wäre. Erst dann hätte sich auch die Frage gestellt, ob und inwieweit das zu ausländischen Betriebsstätten ergangene EuGH-Urteil W vom 22.09.2022 ‑ C‑538/20 (EU:C:2022:717) auf die hier einschlägige Konstellation einer ausländischen Tochtergesellschaft übertragbar ist.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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