BFH: Zum Nachweis der Einzahlung einer Stammeinlage
Indizienbeweis
Der Nachweis der Einzahlung einer Stammeinlage im Hinblick auf daraus resultierende Anschaffungskosten i.S. von § 17 Abs. 2 EStG muss nach 20 Jahren seit Eintragung der GmbH nicht zwingend allein durch den entsprechenden Zahlungsbeleg geführt werden. Vielmehr hat das FG alle Indizien im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen.
BFH-Urteil vom 8.2.2011, IX R 44/10; SIS 11 18 73 (veröffentlicht am 15.6.2011)
EStG § 17 Abs. 1, 2
FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1
AO § 147
Vorinstanz: FG Köln vom 10.3.2010, 5 K 305/09 (EFG 2010 S. 2085 = SIS 10 37 03)
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Gesellschafterin der am 29.7.1986 gegründeten F GmbH (GmbH), an deren Stammkapital in Höhe von 50.000,00 DM (25.564,59 €) sie mit 16.500,00 DM (8.436,32 €) beteiligt war. Die Stammeinlagen waren lt. Gründungsurkunde zur Hälfte sofort bar einzuzahlen, im Übrigen nach Anforderung der Geschäftsführer. Im Juni 2006 lehnte das Amtsgericht (AG) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse ab. Die GmbH wurde im September 2006 im Handelsregister gelöscht.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 machte die Klägerin u.a. den Verlust aus der Beteiligung an der GmbH nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 4.218 € im Halbeinkünfteverfahren geltend, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr jedoch unberücksichtigt ließ. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 2085 veröffentlichten Urteil, das FA habe die Stammeinlage von 16.500 DM (8.436,32 €) zu Recht nicht als Anschaffungskosten für die Beteiligung der Klägerin an der GmbH nach § 17 EStG berücksichtigt. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie die streitige Stammeinlage tatsächlich erbracht habe. Hierfür sei in der Regel ein Zahlungsbeleg vorzulegen. Die vorgelegten Bilanzen erbrächten lediglich den Nachweis darüber, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen abgegeben worden seien, zumal die Klägerin nicht einmal vorgetragen habe, die Einzahlung der Bareinlage sei durch den mit der Bilanzerstellung Beauftragten überprüft worden. Gleiches gelte für die Prüferbilanz in der Anlage des Berichtes des FA vom Januar 1999. Denn regelmäßig werde die Prüferbilanz auf Grundlage der vorgelegten Bilanzen erstellt, ohne dass der Prüfer die Einzahlung der Stammeinlage gesondert überprüft hätte.
Der Umstand, dass in der Gründungsurkunde bzw. dem Gesellschaftsvertrag vom Juli 1986 versichert werde, dass 50 % Stammkapital sofort und der Rest auf Anforderung der Geschäftsführung einzuzahlen sei, beweise ebenfalls nicht, dass die Zahlungen tatsächlich erfolgt seien. Allenfalls diene die Vertragsurkunde als Beweis für die Abgabe der Erklärung durch die Klägerin, nicht aber als Beweis der Zahlungsvorgänge. Im Übrigen prüfe der Notar nicht die Richtigkeit der Erklärung eines GmbH-Beteiligten.
Dass die GmbH eingetragen worden sei und dies nach § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) grundsätzlich die vorherige Einzahlung eines Viertels des Stammkapitals erfordere, sei als Nachweis nicht ausreichend. Wie sich aus § 8 Abs. 2 GmbHG ergebe, erfolge die Eintragung durch das AG regelmäßig auf Basis einer entsprechenden Versicherung der GmbH-Beteiligten. Das Verlangen nach weiteren Nachweisen über die Einzahlung der Stammeinlage sei auch nicht unverhältnismäßig. Unabhängig von den steuerlichen Aufbewahrungspflichten obliege es einem GmbH-Beteiligten im eigenen Interesse, nicht nur für den Fall von steuerlichen, sondern auch von zivilrechtlichen Streitigkeiten über die Einzahlung des Stammkapitals Zahlungsnachweise hierüber aufzubewahren.
Eine Ausnahme von den strengen Beweisanforderungen sei im Streitfall nicht zu machen. Zwar seien nach der Zivilrechtsprechung diesbezügliche Ausnahmen grundsätzlich möglich, so etwa bei besonders langem Zeitablauf, nach Erbfall oder bei Verlust von Nachweisen aufgrund höherer Gewalt und gleichzeitigem Zeugenbeweis. Der Klägervortrag biete jedoch hierfür keinen Anlass.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Verletzung von § 17 Abs. 4 EStG und des § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rügt. Unbeschadet der Darlegungs- und Beweislast des jeweiligen Gesellschafters für die einem Beteiligungsverlust i.S. des § 17 EStG als Anschaffungskosten der Beteiligung zugrunde liegenden Stammeinlagezahlungen sei bei längerem Zeitablauf seit den streitigen Zahlungsvorgängen von einer Abschwächung der Beweislastanforderungen auszugehen. Seien keine gegen die Einlagezahlungen sprechenden Indizien ersichtlich, könne anstelle eines Hauptbeweises ein Indizienbeweis genügen oder bei Ablauf von ca. 20 Jahren seit Fälligkeit der Gründungseinlage dem Gesellschafter sogar eine Beweisführungslast nicht mehr aufzuerlegen sein. Unabhängig hiervon sei es aus Sicht der Klägerin nicht gerechtfertigt, in Fällen des § 17 EStG für die zum Privatbereich gehörenden Zahlungsbelege über die Einzahlung der Stammeinlagen eine längere Aufbewahrungszeit zu verlangen als § 147 der Abgabenordnung (AO) für entsprechende Belege im betrieblichen Bereich vorschreibe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass der von der Klägerin geltend gemachte Verlust i.S. des § 17 Abs. 4 EStG nach den Vorschriften des Halbeinkünfteverfahrens zur Hälfte einkommensmindernd berücksichtigt wird, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die finanzgerichtliche Würdigung der Frage der Einzahlung der streitbefangenen Stammeinlage seitens der Klägerin hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Klägerin war wesentlich i.S. von § 17 Abs. 1 EStG an der GmbH beteiligt. Im Rahmen der Berechnung des daraus resultierenden Auflösungsverlusts (§ 17 Abs. 4 EStG) führt die Einzahlung einer Stammeinlage - wovon zutreffend auch das FG ausgeht - zu Anschaffungskosten der Beteiligung i.S. von § 17 Abs. 2 EStG, § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs. Die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG trägt jedoch dessen Beweislastentscheidung hinsichtlich der Einzahlung der Stammeinlage seitens der Klägerin nicht.
a) Die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -, § 3 Abs. 1 AO) erfordert grundsätzlich die reale Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Merkmale der jeweiligen Steuernorm. Dem tragen der Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) sowie § 96 Abs. 1 1. Halbsatz FGO Rechnung; das FG hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des jeweiligen Besteuerungstatbestandes zu gewinnen (vgl. nur Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz 2, 65).
aa) Ist dabei eine unmittelbare Beweisführung nicht möglich, sind also keine Beweismittel vorhanden, aus denen sich direkt das Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache ergibt, so hat das FG ggf. vorhandene Hilfstatsachen (Indizien) zu würdigen, die mittelbar - auch über Erfahrungssätze - einen Schluss auf eine entscheidungserhebliche Haupttatsache ermöglichen (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 96 FGO Rz 35).
Dabei deuten einzelne Indizien lediglich mit mehr oder weniger hoher bzw. schwacher Wahrscheinlichkeit auf einen bestimmten Geschehensablauf hin, sodass sie immer nur Teil einer umfassenden Beweiswürdigung sein können. Das FG erlangt beim Indizienbeweis erst durch die Gesamtwürdigung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9.7.2002, IX R 99/00, BFH/NV 2002, 1563; Spindler, Steuerberater-Jahrbuch 2002/2003, 61, 63) mehrerer, für sich allein genommen nicht ausreichender Beweisanzeichen seine volle Überzeugung vom Nicht-Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Merkmals des Besteuerungstatbestands (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 96 FGO Rz 36).
Der revisionsrechtlichen Kontrolle (§ 118 Abs. 2 FGO) hält eine darauf beruhende Entscheidung des FG stand, wenn dessen Schluss möglich bzw. vertretbar ist, das heißt das FG im Rahmen freier Beweiswürdigung zu einer verfahrensfehlerfreien Gesamtwürdigung gelangt, die weder Denkgesetze noch Erfahrungssätze verletzt und auch keinen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) oder sonstiges Verfassungsrecht enthält (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO Rz 64, 87; BFH-Urteile vom 18.4.2000 VIII R 74/96, BFH/NV 2001, 152; in BFH/NV 2002, 1563, unter II.1.c).
bb) Allein der Umstand, dass ein unmittelbares Beweismittel aus dem Bereich des Steuerpflichtigen nicht zur Verfügung steht, entbindet das FG nicht vom Untersuchungsgrundsatz und von einer Gesamtwürdigung aller vorhandenen Indizien.
Lediglich in Fällen, in denen die Prozessbeteiligten schuldhaft die ihnen obliegenden Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten verletzen, kann dies im Ergebnis zu einer Beweismaßreduzierung (BFH-Beschluss vom 7.5.2004 IV B 221/02, BFH/NV 2004, 1367) führen. Jenseits dessen kann die Mitverantwortung der Beteiligten für die Sachverhaltsaufklärung die Ermittlungspflicht des FG begrenzen und ggf. Schlussfolgerungen zum Nachteil des Verantwortlichen rechtfertigen.
b) Nach diesen Grundsätzen kann die Beweislastentscheidung des FG hinsichtlich der Einzahlung der Stammeinlage der Klägerin keinen Bestand haben.
Das FG hat verkannt, dass es sich bei den von ihm als unmittelbare Beweismittel für die Einzahlung der Stammeinlage verworfenen Umständen, insbesondere der Einzahlungsverpflichtung lt. Gesellschaftsvertrag, der Bilanzierung ausstehender Einlagen bei der GmbH mit 0 DM wie auch der Eintragung der GmbH um Indizien handelt, die in eine Gesamtwürdigung hätten einfließen müssen. Stattdessen hat das FG alle festgestellten Indizien nur je für sich, aber nicht insgesamt gewürdigt. Ohne den langen Zeitablauf seit Gründung der GmbH in eine Gesamtwürdigung miteinzubeziehen, hat sich das FG auf die Feststellung beschränkt, der Klägervortrag biete keinen Anlass, von den strengen Beweisanforderungen abzuweichen. Damit hat das FG das Erfordernis und den Inhalt der Gesamtwürdigung der vorhandenen Indizien wie auch die Ergiebigkeit einzelner Indizien verkannt. Es hat eine Beweislastentscheidung getroffen, ohne zuvor - wie dies der Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) gebietet - die Voraussetzungen eines non liquet hinreichend geprüft zu haben.
2. Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann die vom FG unzutreffend unterlassene Gesamtwürdigung der seitens des FG hinreichend festgestellten Einzelindizien selbst vornehmen (vgl. BFH-Urteil vom 22.8.2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351).
Ergiebiges Indiz für die Einlageleistung der Klägerin ist der bilanzielle Ausweis der ausstehenden Einlage mit 0 DM und dessen Übernahme in die Prüferbilanz. Der Prüferbilanz verleiht der Umstand besonderes Gewicht, dass der Prüfer bei Nichtverzinsung einer nicht erbrachten Stammeinlage ggf. eine verdeckte Gewinnausschüttung zu veranschlagen gehabt hätte (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Wenn das FA in der Prüferbilanz aber den Ausweis der ausstehenden Einlagen mit 0 DM anerkannt hat, kann dies nicht mit bloßem neuerlichen Bestreiten seitens des FA entkräftet werden, stellt sich dies doch lediglich als Bestreiten ins Blaue hinein (vgl. Oberlandesgericht - OLG - Frankfurt a.M., Urteil vom 26.7.2000 - 23 U 118/99, Neue Juristische Woche-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2001, 402) und damit als venire contra factum proprium dar. Auch die Eintragung der Gesellschaft bestätigt - zumindest, was die hierfür erforderliche Einlage betrifft - die Richtigkeit des bilanziellen Ausweises, zumal falsche Angaben über die Einlageleistung zum Zwecke der Eintragung der GmbH gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbewehrt sind.
Demgegenüber kann angesichts des langen Zeitablaufs seit der Eintragung der GmbH jedenfalls daraus, dass die Klägerin keinen Einzahlungsbeleg mehr vorweisen kann, kein Indiz dafür abgeleitet werden, dass keine Einzahlung erfolgt ist (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 5.4.2006 4 U 156/05, Der Betrieb 2006, 996).
In die Gesamtwürdigung hat auch einzufließen, dass es unverhältnismäßig wäre, würde die Berücksichtigung der Stammeinlage als Anschaffungskosten nach 20 Jahren von der Vorlage des entsprechenden Zahlungsbelegs abhängig gemacht, wenngleich sie eine Aufbewahrungspflicht vergleichbar der in § 147 AO normierten nicht trifft.
Unabhängig davon, ob sich daraus eine Beweismaßreduzierung ergibt, verstärkt der Zeitablauf ohne Aufbewahrungspflicht und ohne dass für die Klägerin besondere Umstände erkennbar gewesen wären, speziell einen Einzahlungsbeleg über die Stammeinlage aufzubewahren, jedenfalls die indizielle Bedeutung der Aussage der Klägerin zu ihrer Einlageleistung sowie der entsprechenden buchmäßigen Behandlung der Stammeinlage bei der eingetragenen Gesellschaft.
Danach hat der Senat keine Zweifel, dass die Klägerin die streitige Einlage vollständig erbracht hat.
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