BVerfG: Unzulässige Richtervorlage zu der in § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz festgelegten Höhe des Kinderfreibetrages im Jahr 2014
Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 85/2024 vom 2.10.2024
Beschluss vom 5. September 2024, 2 BvL 3/17
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zu § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 und Sätze 2 und 3 Einkommensteuergesetz (EStG) in der 2014 geltenden Fassung festgestellt. Die Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts betrifft die Frage, ob der Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes für das Jahr 2014 der Höhe nach verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird.
Eltern erhalten unter bestimmten Voraussetzungen für ihre Kinder entweder Kindergeld oder es werden bei der Einkommensteuerveranlagung Freibeträge berücksichtigt, unter anderem der Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 EStG). Im Jahr 2014 war altersunabhängig je Kind ein Kinderfreibetrag von 4.368 Euro zu berücksichtigen. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat zwei Töchter. Bei der Einkommensteuerfestsetzung 2014 berücksichtigte das Finanzamt für beide Kinder jeweils unter anderem den Kinderfreibetrag. Die Klägerin hielt dessen Höhe für verfassungswidrig und legte gegen den Steuerbescheid erfolglos Einspruch ein. Das Niedersächsische Finanzgericht setzte das nachfolgende Klageverfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vor, ob der Kinderfreibetrag 2014 der Höhe nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Nicht verfahrensgegenständlich ist hingegen der ebenfalls in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG geregelte zusätzliche Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs-
oder Ausbildungsbedarf.
Die Vorlage ist unzulässig. Das vorlegende Gericht legt nicht in einer den Darlegungsanforderungen genügenden Weise dar, weshalb es von der Verfassungswidrigkeit der in § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 EStG festgelegten Höhe des Kinderfreibetrags 2014 überzeugt ist. Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts sind insgesamt nicht nachvollziehbar und lassen überdies nicht erkennen, dass es die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift – wie geboten – sorgfältig geprüft hat.
Sachverhalt:
Die Regelung zum Kinderfreibetrag ist Teil des sogenannten Familienleistungsausgleichs, dessen Anliegen die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes einschließlich seiner Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung ist. Zu diesem Zweck werden nach § 32 Abs. 6 EStG entweder der Kinderfreibetrag – dessen Höhe Gegenstand der Normenkontrolle ist – und der Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs-
oder Ausbildungsbedarf bei der Berechnung der Einkommen-
steuer berücksichtigt oder es wird stattdessen Kindergeld als Steuervergütung gewährt. Ob Kindergeld gewährt wird oder die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG zu berücksichtigen sind, richtet sich danach, welche Variante für den Steuerpflichtigen günstiger ist. Im hier maßgeblichen Jahr 2014 lag unabhängig vom Alter des Kindes der je Kind zu berücksichtigende Kinderfreibetrag bei 4.368 Euro und der Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf bei 2.640 Euro.
Der Ermittlung des Kinderfreibetrags liegen in tatsächlicher Hinsicht die Berichte der Bundesregierung über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern zugrunde (Existenzminimumberichte). Der Neunte Existenzminimumbericht kam zu dem Ergebnis, dass für das Jahr 2014 eine Erhöhung des damaligen Kinderfreibetrags von 4.368 Euro auf 4.440 Euro erforderlich gewesen sei. Umgesetzt wurde dies nicht.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist alleinerziehende Mutter zweier Töchter. 2014 ging ihre ältere Tochter, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatte, einer erstmaligen Berufsausbildung nach und wohnte in einem eigenen Haushalt. Die jüngere Tochter hatte das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet und lebte im Haushalt der Klägerin. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags 2014 berücksichtigte das Finanzamt für beide Kinder die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein, den sie unter anderem mit der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Freibeträge begründete. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren setzte das Finanzgericht das nachfolgende Klageverfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 und Sätze 2 und 3 EStG für das Jahr 2014 der Höhe nach verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Vorlage ist unzulässig.
1. Die Ausführungen im Vorlagebeschluss verfehlen bereits ihrer Struktur nach die Anforderungen, die an eine nachvollziehbare Darlegung der Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der betroffenen Rechtsnorm zu stellen sind. Für keinen der vom vorlegenden Gericht angenommenen Verfassungsverstöße lässt sich dem Vorlagebeschluss eine in sich schlüssige, zusammenhängende und damit insgesamt nachvollziehbare Begründung entnehmen.
2. Darüber hinaus lassen die seitens des vorlegenden Gerichts im Kern erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen nicht erkennen, dass es die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift hinreichend sorgfältig geprüft hat.
a) Das vorlegende Gericht befasst sich wiederholt mit den im Neunten Existenzminimumbericht niedergelegten Erwägungen und versucht ausgehend von diesen, die Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags 2014 zu begründen. Es erörtert jedoch bereits nicht, weshalb es überhaupt auf die dort niedergelegten Erwägungen ankommen sollte. Dergleichen ist auch nicht ersichtlich.
Die Bedeutung der Existenzminimumberichte der Bundesregierung liegt im Sinne einer Erkenntnisquelle darin, zum einen – vornehmlich – in tatsächlicher Hinsicht die Höhe der für die Bemessung des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums maßgeblichen Teilbeträge aufzuzeigen, zum anderen – nachrangig – diese Beträge unter Beachtung der etablierten (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben hin zum Existenzminimum zusammenzufassen. Die Existenzminimumberichte erlauben aber weder unbesehen einen Rückschluss darauf, welche Erwägungen der Festlegung des Kinderfreibetrags im parlamentarischen Verfahren zugrunde gelegen haben, noch begründen etwaige Mängel der Existenzminimumberichte bei der rechnerischen Konkretisierung des Existenzminimums einen Verfassungsverstoß.
b) Ebenso wenig lassen die in verschiedene Zusammenhänge gestellten, sich wiederholenden Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur angeblichen Verfassungswidrigkeit des Ansatzes eines – nach der Anzahl der Altersjahrgänge bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewichteten – altersunabhängigen Durchschnittsbetrags für den Kinderfreibetrag 2014 erkennen, dass es die verfassungsrechtliche (Un-)Bedenklichkeit dieser Regelung sorgfältig geprüft hätte. Denn es setzt sich in diesem Zuge nicht in einer den Darlegungsanforderungen gerecht werdenden Weise mit der zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs auseinander.
c) Auch soweit das vorlegende Gericht davon ausgeht, dass der Kinderfreibetrag 2014 jedenfalls (ausgehend vom Neunten Existenzminimumbericht) um jährlich 72 Euro zu niedrig bemessen sei, befasst es sich nicht hinreichend mit den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Entsprechendes gilt hinsichtlich seiner Annahme, eine Saldierung des Kinderfreibetrags mit dem Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines Kindes nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG komme nicht in Betracht, weil die Freibeträge ihrer Konzeption nach anders geartete Teile des Existenzminimums beträfen, für die auch nicht ersichtlich sei, in welchem Umfang eine Saldierung statthaft sei.
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