BFH: Rückabwicklung eines Anteilsverkaufs wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage als rückwirkendes Ereignis
Wird der Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft durch die Parteien des Kaufvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage tatsächlich und vollständig rückgängig gemacht, kann dieses Ereignis steuerlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken.
BFH-Urteil vom 28.10.2009, IX R 17/09; SIS 10 02 69
AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG § 17 Abs. 1
BGB § 313
Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom 8.4.2009, 1 K 687/04 = SIS 09 25 24
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind im Streitjahr (1997) zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute.
Die Klägerin war Geschäftsführerin einer durch Umwandlung aus einer landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaft entstandenen Schweineerzeugungs- und Schweinemast-GmbH. An deren Stammkapital waren zunächst 104 Gesellschafter beteiligt; die Stammeinlage der Klägerin betrug 3.000 DM. Bis 1996 schieden bis auf die Klägerin und die Gesellschafter L (Stammeinlage: 1.900 DM) und S (Stammeinlage: 800 DM) alle weiteren Gesellschafter aus und wurden von der GmbH nach den Vorschriften des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes ausbezahlt. Die verbliebenen drei Gesellschafter übernahmen keine Geschäftsanteile. Die GmbH hielt eigene Anteile in Höhe von 221.300 DM.
Die drei Gesellschafter der GmbH gründeten zeitlich vor dem Streitjahr eine GbR. Die GmbH veräußerte das für die Landwirtschaft benötigte Betriebsvermögen einschließlich Vieh zum Buchwert an die GbR. Sie gewährte ihren Gesellschaftern Kredite, mit denen die Betriebskosten der GbR beglichen wurden. Von den Darlehen von insgesamt 1.449.428,16 DM entfielen auf die Klägerin 596.662,98 DM, auf den Gesellschafter L 596.662,98 DM und auf den Gesellschafter S 256.102,20 DM. Am 20.12.1996 beschloss die Gesellschafterversammlung, aus dem EK 04 insgesamt 1.133.693,67 DM auszuschütten und mit den Darlehen zu verrechnen. Dadurch wurde das Darlehen der Klägerin in vollem Umfang getilgt.
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 30. Juni des Streitjahres veräußerte die Klägerin ihren in Teilgeschäftsanteile von 2.100 DM und 900 DM aufgeteilten Geschäftsanteil zum Gesamtkaufpreis von 13.750,50 DM mit Zustimmung der GmbH an die beiden übrigen Gesellschafter. Das Gewinnbezugsrecht ging mit Wirkung vom Beurkundungstag an die Erwerber über. Unter Ziff. 5 regelten die Vertragsparteien Folgendes: "Die mit dieser Urkunde und ihrem Vollzug verbundenen Kosten und die evtl. Steuern fallen der Gesellschaft zur Last". Am 11.12.2003 erklärten die Parteien des Kaufvertrags den Rücktritt vom Vertrag: "Aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung droht…" der Klägerin"… entgegen unseren Annahmen bei Vertragschluss eine Einkommensteuerbelastung, die von ihr persönlich nicht getragen werden kann und deren Überwälzung auf … (die GmbH) … gemäß Ziff. 5 des Vertrages vom 30.06.1997 auch für diese Gesellschaft ruinös wäre. Wir sind darüber einig, dass aufgrund dessen allen Vertragsparteien ein Rücktrittsrecht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zusteht und erklären hiermit wechselseitig den Rücktritt von dem o.a. Vertrag vom 30.06.1997". Zur Rückabwicklung vereinbarten sie, dass die Gesellschafter ihre von der Klägerin erworbenen Anteile an sie abtreten und die Klägerin im Gegenzug die erhaltenen Kaufpreise zurückzahlt. Die GmbH stimmte der Abtretung der Geschäftsanteile zu.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid für 1996, in dem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Ausschüttung aus dem EK 04 zunächst als Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb erfasst hatte, änderte das FA am 30.12.2003 den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und berücksichtigte darin nun einen Veräußerungsgewinn, in den die Ausschüttung aus dem EK 04 einfloss. Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin, den sie mit dem Rücktritt vom Kaufvertrag begründete, blieb im Wesentlichen ohne Erfolg.
Ihrer Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Zwar sei ein Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) grundsätzlich steuerbar. Die Klägerin sei wesentlich an der GmbH beteiligt gewesen, weil eigene Geschäftsanteile außer Betracht bleiben müssten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18.4.1989 VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27). Auch sei der Veräußerungsgewinn unter Berücksichtigung der Ausschüttung aus dem EK 04 als negative Anschaffungskosten zu ermitteln gewesen (BFH-Urteil vom 20.4.1999 VIII R 44/96, BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698). Indes sei der Kaufvertrag auch steuerrechtlich rückwirkend durch den auf Wegfall der Geschäftsgrundlage beruhenden Rücktritt entfallen.
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, wenn sich die Klägerin keine Gedanken gemacht haben sollte, wie sich die Darlehensgewährung und -verrechnung habe auswirken können, rechtfertige das kein rückwirkendes Ereignis als Folge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die Problematik negativer Anschaffungskosten bei Ausschüttungen aus dem EK 04 sei im Schrifttum bereits (streitig) thematisiert worden. Überdies seien die Geschäftsanteile im Streitjahr übertragen worden. Die vom FG angenommene Rückwirkung erstrecke sich auch nicht über einen kurzen Zeitraum. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die steuerlichen Folgen eines Vertrages für eine der Vertragsparteien typischerweise zur Risikosphäre dieser Partei gehöre.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend keinen Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterworfen.
1. Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Eine wesentliche Beteiligung ist gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt war.
2. Im Streitfall war die Klägerin innerhalb der letzten fünf Jahre vor Abschluss des Anteilskaufvertrages am 30. Juni des Streitjahres zu mehr als einem Viertel an der GmbH beteiligt, weil die GmbH mit ihren eigenen Geschäftsanteilen wirtschaftlich nicht an ihrem Unternehmen beteiligt ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 27). In den deshalb grundsätzlich steuerbaren Veräußerungsgewinn der Klägerin sind auch die im Jahr 1996 vorgenommenen Ausschüttungen aus dem EK 04 der GmbH durch Verrechnung mit dem hingegebenen Darlehen als negative Anschaffungskosten einzubeziehen, wenn sie - wie hier - die Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698). Der entsprechende Ersatztatbestand des § 17 Abs. 4 EStG in der aktuellen Fassung gilt erst ab dem Jahr 1997 (vgl. dazu Blümich/Ebling, § 17 EStG Rz 265a) und damit nicht für die im Jahr 1996 vollzogene Ausschüttung. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Umstritten ist allein, ob dieser Gewinn aufgrund des Rücktritts vom Kaufvertrag mit steuerrechtlicher Wirkung entfallen ist. Diese Frage hat das FG zutreffend bejaht.
a) Ein Ereignis wirkt auf den bereits entstandenen materiellen Steueranspruch des § 17 Abs. 1 EStG ein und mithin zurück, wenn es sich materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung bezieht. So verhält es sich bei späteren Veränderungen des Veräußerungspreises (BFH-Beschluss vom 19.7.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Ist der Kaufpreis schon beglichen, wirkt auf den Veräußerungstatbestand ein, wenn der Kaufpreis aus Gründen zurückgewährt wird, die im Kaufvertrag selbst angelegt sind (BFH-Urteil vom 19.8.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107, m.w.N.). Ob dies aufgrund einer auflösenden Bedingung oder infolge Fehlens oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage geschieht, ist unerheblich. Denn der erforderliche Anknüpfungspunkt liegt stets im Kaufvertrag (vgl. dazu eingehend F. Dötsch, Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe, 1987, S. 143 ff.) und bezieht sich damit auf das Tatbestandsmerkmal der "Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft". Dem entspricht es, wenn die Rechtsprechung in der Rückabwicklung eines Anschaffungsgeschäfts wegen Vertragsstörungen kein steuerbares Veräußerungsgeschäft sieht (vgl. BFH-Urteil vom 27.6.2006 IX R 47/04, BFHE 214, 267, BStBl II 2007, 162).
b) Das FG hat die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und ihren Mitgesellschaftern zutreffend als Rückabwicklung des Anteilskaufvertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gewürdigt.
Dabei obliegt die Vertragsauslegung dem FG als Tatsacheninstanz; sie bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25.2.2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268, m.w.N.). Im Streitfall ist die Auslegung des FG jedenfalls möglich. Es konnte bereits nach dem Wortlaut des Vertrages vom 11.12.2003 eine im Wegfall der Geschäftsgrundlage begründete und damit auch steuerrechtlich auf den Veräußerungstatbestand einwirkende Rückabwicklung des Anteilskaufvertrags annehmen. Entsprechend der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Lehre in der - hier maßgebenden - Zeit vor Kodifizierung der Grundsätze über das Fehlen und den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB kann auch der gemeinsame Irrtum über steuerliche Folgen zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH -, vom 18.11.1975 VI ZR 153/73, Der Betrieb 1976, 234; aus dem Schrifttum z.B. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 313 Rz 38; Unberath in Bamberger/Roth/Unberath, BGB, 2. Aufl., § 313 Rz 60; zum Begriff der Geschäftsgrundlage BGH-Urteil vom 24.11.1995 V ZR 164/94, BGHZ 131, 209, unter II.3.b, m.w.N.). Dabei gehören die steuerlichen Folgen eines Veräußerungsgeschäfts entgegen der Revision jedenfalls dann nicht in die alleinige Risikosphäre des Verkäufers, wenn die Vertragsparteien - wie hier in Ziff. 5 des Kaufvertrags - eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung explizit zur Vertragsgrundlage gemacht haben (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 6.11.2002 XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257).
Zwar handelt es sich bei dieser Klausel nicht um eine Steuerklausel im engeren Sinne, die den Vertrag bei einer bestimmten steuerrechtlichen Einordnung von vornherein entfallen lässt (vgl. dazu eingehend BFH-Urteil vom 24.11.1992 IX R 30/88, BFHE 170, 71, BStBl II 1993, 296). Indes ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass diese Vertragsbedingung eine gemeinsame Fehlvorstellung über die steuerrechtlichen Folgen offenbart, die erst mit dem BFH-Urteil in BFHE 188, 352, BStBl II 1999, 698, und damit nach Vertragsabschluss hinreichend geklärt wurden.
Es kommt mit dem FG auch nicht darauf an, ob das Rücktrittsbegehren wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor den Zivilgerichten zweifellos erfolgreich gewesen wäre, wenn die Kaufvertragsparteien diesen Vertrag - wie hier - tatsächlich und vollständig wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage rückabwickeln und sich infolgedessen so stellen, wie sie stünden, wenn der Kaufvertrag nicht abgeschlossen worden wäre. So haben sich die Parteien des Anteilskaufvertrags nach den Feststellungen der Vorinstanz in der Tat verhalten. Sie haben sich aufgrund des Rückabwicklungsvertrags vom 11.12.2003 mit ausdrücklicher und notariell beurkundeter Zustimmung der GmbH ihre jeweiligen Leistungen zurückgewährt: Die Klägerin bekam von den Gesellschaftern L und S ihren Gesellschaftsanteil zurück und zahlte ihrerseits den Kaufpreis zurück. Weiterer Rückabwicklungsbedarf bestand nicht, weil seit dem Kaufvertrag keine Gewinnausschüttungen oder Kapitalrückzahlungen vorgenommen wurden.
c) Ist damit die "Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft" auch steuerrechtlich rückwirkend entfallen, kommt es nicht zu einer Besteuerung nach § 17 Abs. 1 EStG. Da verfahrensrechtlich die Veranlagung des Streitjahres noch offen ist, bedarf es § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 22.7.2008 IX R 79/06, BFHE 222, 464, BStBl II 2009, 227, unter II.1., m.w.N.). Der Senat versteht die Ausführungen im BFH-Urteil in BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107, zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rein materiell-rechtlich in dem Sinne, dass ein rückwirkendes Ereignis auch - wie hier - bei noch offener Veranlagung zu berücksichtigen ist. Dementsprechend ist im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr kein Veräußerungsgewinn anzusetzen.
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