BFH: IT-Projektleiter als freier Beruf
Ein Autodidakt, der über Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die in Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprechen, kann als Leiter von IT-Projekten einen ingenieurähnlichen und damit freien Beruf ausüben.
BFH-Urteil vom 22.9.2009, VIII R 79/06; SIS 10 02 32
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
Vorinstanz: FG München vom 18.10.2006, 9 K 763/03 (EFG 2007 S. 421 = SIS 07 01 46)
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) freiberuflich oder gewerblich tätig war.
Der Kläger absolvierte nach der mittleren Reife eine Ausbildung an der höheren Handelsschule mit dem Wahlpflichtbereich Datenverarbeitung (DV) und legte dort im Jahr 1981 erfolgreich die Prüfung zum staatlich geprüften Wirtschaftsassistenten DV ab. Anschließend war er in angestellter Position bis 1986 zunächst als Organisations- und dann als Systemprogrammierer tätig.
Ab 1986 war der Kläger selbständig auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) berufstätig. Er nahm, wie schon bisher, an einschlägigen Lehrgängen und Seminaren teil.
Während der Streitjahre 1998 und 1999 war der Kläger zunächst für die Firma A, eine Tochtergesellschaft des B Technologiekonzerns, als Subunternehmer tätig. Grundlage der Zusammenarbeit waren eine Rahmenvereinbarung und Einzelprojektverträge. Danach hatte der Kläger für das Projekt C Media Server eine Systemberatung zu erbringen. Diese Aufgabe umfasste u.a. die fachliche Leitung des Projekts, die Auswahl und Einweisung neuer Projektmitarbeiter, die Überprüfung der Leistungen und Sicherstellung des wöchentlichen Reportings, das Erstellen von Projektplänen und die Leitung von Besprechungen sowie die Mitarbeit bei der Definition und der vertraglichen Vereinbarung der Folgephasen. Bei dem C-Projekt waren fünf Lieferanten von DV-Komponenten zu koordinieren, um Kataloge (später auch einen WEB-Auftritt) bestehend aus Textvorgaben des Einkaufs und Bildern des Werbebereichs zu erstellen. Als Subunternehmer der Firma A war der Kläger des Weiteren als Gesamtprojektleiter für die D-Bank tätig. Hier ging es darum, etwa 6 000 neue Personalcomputer und Notebooks zu tauschen und diese Hardwareeinheiten über Verteilungsskripte mit Software auszustatten. Eine weitere Subunternehmertätigkeit entfaltete der Kläger schließlich für die Firma E. Seine Aufgabe bestand darin, die Projektleitung eines aus E und dem E-Kunden, der Firma F Business Services, gebildeten Teams zur genauen Ausarbeitung eines Service-Level-Agreements zu übernehmen. Dieses Projekt diente der Entwicklung eines SAN (Storage Area Network).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stufte die Tätigkeiten des Klägers als gewerblich ein. Das Finanzgericht (FG) schloss sich mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 421, veröffentlichten Urteil dieser Qualifikation im Ergebnis an. Es sah die Tätigkeit des Klägers als Leiter komplexer Datenverarbeitungsprojekte nicht als ingenieurähnlich an. Die Tätigkeit als Projektmanager stelle einen eigenständigen, von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfassten Beruf dar.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe den Bereich der als ingenieurähnlich anerkannten Systemtechnik eigens definiert und der vom Gericht bestellte Sachverständige habe bestätigt, dass seine Tätigkeit in diesen Bereich falle. Gerade Tätigkeiten als IT-Projektleiter seien als besonders hochwertige Ingenieurleistungen einzuordnen.
Der Kläger beantragt, die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 1998 und 1999 vom 17.12.2001, die Einspruchsentscheidung vom 21.1.2003 und das Urteil des FG München vom 18.10.2006, 9 K 763/03 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es schließt sich den Ausführungen im angegriffenen Urteil an.
II. Die Revision ist begründet. Der Senat entscheidet gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache und gibt der Anfechtungsklage statt. Die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide sind rechtwidrig. Der Kläger unterhielt in den Streitjahren keinen Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 EStG), sondern er war freiberuflich tätig.
1. Eine freiberufliche Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG übt auch aus, wer einem dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf nachgeht. Der ähnliche Beruf muss dem Beruf des Ingenieurs sowohl hinsichtlich der erforderlichen Berufsausbildung als auch hinsichtlich der tatsächlich entfalteten Tätigkeit im Wesentlichen gleichen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BFH-Urteil vom 9.2.2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270, m.w.N.).
a) Nach den von den Beteiligten nicht angegriffenen und damit bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG verfügte der Kläger als Autodidakt über Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Breite und Tiefe denen eines Diplom-Informatikers entsprachen. Er erfüllte damit die in der Rechtsprechung konkretisierten Anforderungen an eine vergleichbare Berufsausbildung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 16.12.2008 VIII R 27/07, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2009, 898).
b) Der Kläger war in den Streitjahren auch wie ein Ingenieur tätig. Die für seinen Beruf prägenden Tätigkeiten waren mit für den Beruf eines Informatik-Ingenieurs typischen Tätigkeiten im Wesentlichen vergleichbar. Welche Aufgaben für den Beruf des Ingenieurs i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG typisch sind, bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung und unterliegt insoweit umfassender revisionsrechtlicher Nachprüfung. Hingegen ist die Feststellung, ob die vom Steuerpflichtigen tatsächlich entfaltete Tätigkeit in diesem Sinne ingenieurtypisch geprägt ist, Aufgabe des FG (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), an dessen tatsächliche Feststellungen der BFH grundsätzlich gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO).
aa) Eine Tätigkeit als Ingenieur zeichnet sich dadurch aus, dass sie durch die Wahrnehmung von für den Ingenieurberuf typischen Aufgaben geprägt wird. Zu den Aufgaben eines Ingenieurs gehört es, auf der Grundlage naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse und unter Berücksichtung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (BFH-Urteil vom 5.6.2003 IV R 34/01, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761, m.w.N.). Typisch für den Beruf des Ingenieurs sind aber auch überwachende, kontrollierende und rein beratende Tätigkeiten, soweit sie nicht auf bloße Absatzförderung gerichtet sind (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1270). Kernbereiche des Ingenieurberufs sind danach Forschung und Lehre, Entwicklung, Konstruktion, Planung, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme und Instandhaltung, Vertrieb, Beratung, Versuchs- und Prüfungswesen, technische Verwaltung und Betriebsführung, Produktions- und Prozesssteuerung, Sicherheit, Patent- und Normenwesen (vgl. BFH-Urteile vom 11.6.1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584; vom 7.9.1989 IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359; Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl., Stichwort "Ingenieur"; www.wikipedia.de, Stichwort "Ingenieur", Abschn. Berufsbild).
bb) Auf dem Gebiet der EDV und der Informationstechnik gehören zu den Tätigkeiten von Ingenieuren nicht nur die Entwicklung und Konstruktion von Hard- und Software. Die Tätigkeit eines Ingenieurs umfasst auch die Entwicklung von Betriebssystemen und ihre Anpassung an die Bedürfnisse des Kunden, die rechnergestützte Steuerung, Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, den Aufbau, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzwerken und -servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen sowie die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen, wie etwa Benutzerservice und Schulung. Informatik-Ingenieure arbeiten u.a. auch in der Netz- und Systemadministration, sie beurteilen die Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen oder bewerten die Energieeffizienz bestehender Systeme (zum Ganzen: Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Berufe "Ingenieur - Elektrotechnik/technische Informatik" und "Ingenieurinformatik").
cc) Für die tatsächliche Ausübung eines ähnlichen Berufs gilt nichts anderes. Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob eine vergleichbare Tätigkeit auch vorliegt, wenn die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nicht in jeder Hinsicht derjenigen eines Ingenieurs entspricht und welche Anforderungen in diesem Fall an die erforderliche Ähnlichkeit zu stellen sind.
2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Der Senat entscheidet in der Sache selbst, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG das Ergebnis tragen, dass der Kläger in den Streitjahren einen ingenieurähnlichen Beruf ausgeübt hat.
a) Der Kläger war auf einem typischen Betätigungsfeld von Informatik-Ingenieuren, nämlich der IT-Projektleitung berufstätig. Bei den vom Kläger betreuten Projekten handelte es sich um hoch komplexe Datenverarbeitungsprojekte. Dabei ging es in erster Linie um die technische Realisierung der Vorhaben. Der Kläger hatte die technische Oberleitung der Arbeiten und die Verantwortung für die technische Realisierung. Dem FG-Urteil ist zu entnehmen, dass diese Aufgabe nur einer Person anvertraut werden konnte, die über besonders fundierte Fachkenntnisse und ein entsprechendes Fachwissen im Bereich der EDV verfügte. Der Kläger ist damit wie ein projektleitender Ingenieur tätig geworden (zu diesem Berufsbild vgl. die Berufsinformationen der Bundesagentur für Arbeit, abrufbar unter www.berufenet.arbeitsagentur.de, Beruf "Projektingenieur").
b) Dass die vom Kläger geleiteten Projekte wegen ihres Umfangs und aufgrund ihrer Schwierigkeit von einem Team bearbeitet wurden, ist unschädlich. Freiberufliche Leistungen können grundsätzlich im Wege der Teamarbeit erbracht werden (vgl. BFH-Urteil vom 28.10.2008 VIII R 69/06, BFHE 223, 206, BStBl II 2009, 642, m.w.N.). Die Anerkennung freiberuflicher Teamarbeit setzt voraus, dass der - eigenverantwortlich und leitend i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG tätige - Projektverantwortliche neben Fachkenntnissen über weitere Fähigkeiten verfügt, die nicht auf fachlichem oder technischem Gebiet liegen. Dass von einem IT-Projektleiter oder einem Projektingenieur zusätzlich Managementleistungen und soziale wie kommunikative Fähigkeiten verlangt werden, macht ihn nicht zum Gewerbetreibenden.
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