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BFH: Verzinsung von Kapitalertragsteuerbeträgen, die nach § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 MTR zu erstatten sind

  1. Das zweigeteilte Verfahren des Kapitalertragsteuereinbehalts mit dem Er­fordernis für den Anteilseigner, sich die Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b des Einkommensteuergesetzes (EStG) antragsge­bunden erstatten zu lassen, ist mit dem Unionsrecht grundsätzlich vereinbar.
  2. Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) sind nach dem Unionsrecht zu verzinsen, wenn dem Anteilseigner vom Bundeszentral­amt für Steuern (BZSt) die Erstattung der Kapitalertragsteuer unter Bezug­nahme auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 ohne Anhaltspunkte, die auf eine miss­bräuchliche Gestaltung im Einzelfall hindeuten, vorenthalten wird.
  3. Der Zinslauf beginnt in Fällen, in denen ohne ein vorheriges Freistellungs­bescheinigungsverfahren die Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragt wird, drei Monate nach der Einreichung eines formal ordnungsgemäßen Erstat­tungsantrags. Er endet mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags.
  4. Der Zinslauf beginnt in Fällen, in denen eine zunächst erteilte Freistellungs­bescheinigung unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 vom BZSt wi­derrufen wird, ohne dass Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung vorliegen, mit dem Tag des Einbehalts der Kapitalertragsteuer und endet mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags.
  5. Die Zinsen sind für den relevanten Zinslauf nach dem Zinssatz gemäß § 238 der Abgabenordnung ohne Begrenzung auf volle Zinsmonate und unter Be­rücksichtigung der Regelung in § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs taggenau zu ermitteln.

AO § 233, § 233a Abs. 1 Satz 2, § 236, § 238
BGB § 187 Abs. 1
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 43b, § 50d Abs. 1, § 50d Abs. 2 Satz 6 und 7
EStG 2007 § 50d Abs. 3
MTR Art. 1 Abs. 2, Art. 5
AEUV Art. 49

BFH-Urteil vom 25.2.2025, VIII R 32/21 (veröffentlicht am 15.5.2025)

Vorinstanz: FG Köln vom 17.11.2021 = SIS 22 02 92

I. Streitig ist, ob und in welcher Höhe Ansprüche auf Erstattung von Kapitaler­tragsteuer und Solidaritätszuschlag zu verzinsen sind.

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine in Österreich ansässige Kapitalgesellschaft mit Sitz in A. Sie war für die im Streitfall relevanten Ausschüttungsvorgänge zu … % an der B‑AG, einer inländischen Aktiengesellschaft, beteiligt. Ge­sellschafterin der Klägerin war eine Stiftung mit Sitz in C (im Folgenden: Stiftung). Bei dieser handelte es sich um ein gemeinnütziges und von der Kör­perschaftsteuer nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes befrei­tes Körperschaftsteuersubjekt.

Am 16./17.04.2009 hatte die Klägerin beim Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Bundeszentralamt für Steuern ‑‑BZSt‑‑) einen Antrag auf Teilfreistellung von der deutschen Abzugsteuer (Freistellungsbescheinigung) unter Berufung auf die Steuerfreiheit der Bezüge von der B‑AG gemäß § 43b des für den Streitzeitraum jeweils geltenden Einkommensteuergesetzes (EStG) gestellt.

Die Erteilung der Freistellungsbescheinigung wurde vom BZSt am 12.11.2009 mit Hinweis auf die Regelung in § 50d Abs. 3 EStG (i.d.F. des Jahressteuer­gesetzes 2007 vom 13.12.2006, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28, im Folgenden: § 50d Abs. 3 EStG 2007) abgelehnt.

Die Klägerin erhob dagegen am 10.12.2009 Einspruch. Sie verwies zum feh­lenden Missbrauch ihrer Einschaltung in die Beteiligungskette darauf, dass die Kapitalertragsteuer im Fall eines Direktbezugs der Ausschüttungen durch die Stiftung wegen einer vollständigen Abstandnahme vom Steuerabzug gemäß § 44a EStG nicht zu erheben wäre. Die Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG 2007 seien nicht erfüllt.

Der Klägerin wurde danach die Freistellungsbescheinigung vom BZSt am 04.02.2010 für den Zeitraum vom 17.04.2009 bis zum 31.03.2012 unter dem Vorbehalt des Widerrufs und unter Auflagen erteilt.

Am 02.03.2011 hob das BZSt die Freistellungsbescheinigung gemäß § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) wieder auf. Zur Begründung nahm es auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 Bezug. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch. Zum weiteren Verlauf dieses Einspruchsverfahrens hat das Finanz­gericht (FG) keine Feststellungen getroffen. Das BZSt hat hierzu in der münd­lichen Verhandlung erläutert, der Einspruch sei nicht abschließend beschieden worden.

Bei den einzelnen Ausschüttungen der B‑AG an die Klägerin hat die B‑AG in folgender Höhe Kapitalertragsteuer sowie Solidaritätszuschlag einbehalten und die Klägerin beim BZSt die folgenden Erstattungsanträge gestellt:

Datum des Einbehalts der Kapital­ertragsteuer Betrag aus Kapital­ertragsteuer und Solidaritätszuschlag Ausschüttung an die Klägerin Erstattungs­antrag Registernummer des BZSt
21.03.2007 … €   … € 12.05.2009  
12.03.2008 … €   … € 12.05.2009  
17.03.2009 … €   … € 03.02.2011  
16.03.2011 … €   … € 10.07.2012  

Das BZSt lehnte die Erstattungsanträge jeweils unter Hinweis auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 ab. Die anschließend erhobenen Einsprüche ruhten im Hinblick auf die Musterverfahren C‑504/16 und C‑613/16 sowie C‑440/17 beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

Nach Ergehen der EuGH-Entscheidungen Deister Holding und Juhler Holding
vom 20.12.2017 ‑ C‑504/16 und C‑613/16, EU:C:2017:1009, BFH/NV 2018, 319; GS vom 14.06.2018 ‑ C‑440/17, EU:C:2018:437, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2019, 615 und des Schreibens des Bundes­ministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 04.04.2018 (BStBl I 2018, 589) er­stattete das BZSt der Klägerin die einbehaltenen und abgeführten Kapital­ertragsteuerbeträge.

Erstattungs­antrag Betrag aus Kapital­ertragsteuer und Solidaritätszuschlag Registernummer des BZSt Erteilung des Freistellungs­bescheids Auszahlungs­datum
12.05.2009 … €   28.09.2018 01.10.2018
12.05.2009 … €   12.07.2018 13.08.2018
03.02.2011 … €   12.07.2018 13.08.2018
10.07.2012 … €   12.07.2018 13.08.2018

Am 14.08.2018 (für die Auszahlungen vom 13.08.2018) und 05.10.2018 (für die Auszahlung vom 01.10.2018) beantragte die Klägerin die Festsetzung von Zinsen für den Zeitraum vom jeweiligen Tag des Steuereinbehalts bis zur Aus­zahlung des jeweiligen Erstattungsbetrags.

Das BZSt lehnte die Anträge mit Bescheid vom 22.10.2018 ab.

Während des anschließenden Einspruchsverfahrens vertrat das BZSt die Auf­fassung, dass Zinsen für die erstatteten Kapitalertragsteuerbeträge weder nach den nationalen Regelungen der §§ 233 ff. AO noch auf der Grundlage eines unionsrechtlichen Verzinsungsanspruchs festzusetzen seien. Nach einer Stellungnahme der Klägerin vom 27.01.2020 teilte das BZSt der Klägerin mit Schreiben vom 03.03.2020 mit, dass die Frage der Verzinsung von Steuerab­zugsbeträgen im Kontext der Rechtsprechung des EuGH zu § 50d Abs. 3 EStG 2007 Gegenstand von Erörterungen der Finanzverwaltung auf der Bund-Län­der-Ebene sei. Nach Bekanntwerden eines Ergebnisses werde man unaufgefordert Stellung nehmen. Mit Schreiben vom 05.05.2020 erkundigte sich die Klägerin zum Sachstand. Das BZSt verwies in seiner Antwort vom 17.06.2020 nochmals auf den fortbestehenden Abstimmungsbedarf auf der Bund-Länder-Ebene.

Die Klägerin erhob daraufhin beim FG am 06.07.2020 eine Untätigkeitsklage, mit der sie unter Aufhebung des Ableh­nungsbescheids die Verpflichtung des BZSt zur Festsetzung von Erstattungs­zinsen in Höhe von insgesamt 652.934,50 € begehrte.

Eine Einspruchsentscheidung des BZSt zu den Verzinsungsanträgen erging an­schließend bis zum Tag der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des FG über die Verzinsungsanträge am 17.11.2021 nicht.

Das FG hat der Klage teilweise stattgegeben und das BZSt verpflichtet, Zinsen in Höhe von 505.199 € festzusetzen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 349 wiedergegeben.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Bundesrechts, soweit das FG der Klage nicht stattgegeben hat. Sämtliche Erstattungsbeträge seien ab dem Tag des Einbehalts zu verzinsen.

Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Aufhebung des Urteils des FG Köln vom 17.11.2021 ‑ 2 K 1544/20 und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22.10.2018 das BZSt zu verpflichten, die Erstattungsbeträge wie folgt zu verzinsen:

Festsetzung Erstattung Steuereinbehalt Klageantrag beim FG Entscheidung des FG Beantragte höhere Verzinsung laut Revision
12.07.2018 … € … € 268.370,00 € 85.650,00 €
12.07.2018 … € … €  91.757,50 € 29.146,50 €
28.09.2018 … € … €  75.288,00 € 32.938,50 €

Zur Revision des BZSt beantragt die Klägerin,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das BZSt beantragt,
die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen und
das Urteil des FG Köln vom 17.11.2021 ‑ 2 K 1544/20 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das BZSt rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Bundesrechts. Weder nach dem nationalen Recht noch nach dem Unionsrecht stehe der Klägerin eine Ver­zinsung der Erstattungsbeträge zu. Nach dem nationalen Recht hätte die Klä­gerin nur Prozesszinsen gemäß § 236 AO auf der Grundlage einer gerichtlichen Durchsetzung ihres Anspruchs beanspruchen können. Es wäre ihr auch mög­lich und zumutbar gewesen, die Erstattungen im Wege einer Untätigkeitsklage durchzusetzen. Die Abhilfe im Einspruchsverfahren, nachdem dieses wegen anhängiger Musterverfahren beim EuGH geruht habe, genüge nicht.

Seien dennoch nach dem unionsrechtlichen Verzinsungsanspruch Zinsen fest­zusetzen, sei dem BZSt nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanz­hofs (BFH) vom 22.10.2019 ‑ VII R 24/18 (BFHE 267, 90) ein angemessener Bearbeitungszeitraum einzuräumen, in dem die Verzinsung noch nicht begin­ne. Im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung sei bei Erstattungsan­trägen neben der Prüfung formaler Angaben wie des Steuereinbehalts und der Steuerabführung einschließlich der zugehörigen Bescheinigungen und Be­lege auch ein Missbrauch der Einschaltung der Klägerin in die Beteiligungsket­te zu prüfen. Es spreche der typische zeitliche Ablauf des Erstattungsverfah­rens dafür, dem BZSt einen zinsfreien Bearbeitungszeitraum von 12 Monaten einzuräumen, der nach Ablauf desjenigen Monats beginne, in dem der Erstat­tungsantrag und alle für die Entscheidung erforderlichen Nachweise vorlägen. Dies entspreche auch der Verzinsungsregel der Richtlinie 2003/49/EG des Ra­tes vom 3. Juni 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen ver­schiedener Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2003, Nr. L 157, 49) ‑‑Zins- und Lizenzrichtlinie‑‑ und des nationalen Umsetzungs­gesetzes (§ 50c Abs. 4 Satz 3 EStG i.V.m. Art. 1 Abs. 16 Zins- und Lizenzricht­linie). Gegen die Annahme einer angemessenen Bearbeitungsdauer von drei Monaten nach Maßgabe der gesetzlichen Entscheidungsfrist im Freistellungs­bescheinigungsverfahren führte das BZSt an, dass sich das dortige Prüfpro­gramm von dem des Erstattungsverfahrens und die Anzahl der zu bearbeiten­den Verfahren unterschieden. Es sei im Freistellungsbescheinigungsverfahren nicht zu prüfen, ob die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt worden sei. Der zinsfreie Bearbeitungszeitraum von 12 Monaten sei gleichermaßen für einen Erstattungsantrag anzuwenden, der nach dem Entzug einer zuvor erteil­ten Freistellungsbescheinigung gestellt werde.

II. Die Revision der Klägerin ist begründet.

Das FG hat die Untätigkeitsklage zu Recht als zulässig angesehen (s. II.1.). Die in der Revision der Klägerin noch streitigen Zinsbeträge sind auf der Grundlage des unionsrechtlichen Verzinsungsanspruchs teilweise festzusetzen (s. II.2. und II.3.). Der Verzinsungszeitraum für diese Zinsansprüche, die reine Erstat­tungsfälle betreffen, beginnt drei Monate nach Einreichung des jeweiligen for­mal ordnungsgemäßen Erstattungsantrags beim BZSt und endet mit der Aus­zahlung des Erstattungsbetrags (s. II.4.). Das FG-Urteil ist aufzuheben, soweit es die in der Revision der Klägerin streitigen Zinsansprüche betrifft. Die Sache ist insoweit auch spruchreif. Für den jeweiligen Verzinsungszeitraum sind die Zinsen taggenau unter Anwendung eines monatlichen Zinssatzes von 0,5 % zu berechnen (s. II.5.). Der Klage ist nach Maßgabe der Gründe in weiterem Um­fang als bisher stattzugeben; im Übrigen wird sie abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

1. Das FG hat die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsverpflichtungsklage gemäß § 46 Abs. 1 FGO zu Recht als zulässig angesehen.

a) Zu den vom BFH als Revisionsgericht von Amts wegen zu überprüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen gehört auch die Frage, ob über eine Ver­pflichtungsklage entschieden werden darf. Dies ist der Fall, wenn nach § 44 Abs. 1 FGO das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist, anderenfalls, wenn mangels eines abge­schlossenen Vorverfahrens wie im Streitfall die Voraussetzungen der §§ 45, 46 FGO eingreifen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 23.02.2021 ‑ II R 22/19, BFHE 273, 190, BStBl II 2021, 636, Rz 33). Ist über einen außer­gerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in an­gemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abwei­chend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außer­gerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden, es sei denn, dass wegen beson­derer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist (§ 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGO).

b) Das FG hat die Klage nach diesen Vorgaben zutreffend als zulässig angese­hen. Bei der Klage handelt es sich um eine sogenannte "einfache" Untätig­keitsverpflichtungsklage (zur Abgrenzung von der ‑‑unzulässigen‑‑ "doppel­ten" Untätigkeitsverpflichtungsklage BFH-Urteile vom 19.05.2004 ‑ III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, unter II.3. [Rz 39]; vom 03.08.2005 ‑ I R 74/02, BFH/NV 2006, 19, unter II.2.b [Rz 17]). Im Zeitpunkt der Entscheidung des FG am 17.11.2021 konnte sich das BZSt nicht mehr auf einen sachlichen Grund für die Nichtentscheidung über die Einsprüche stützen. Die Klage ist jedenfalls in die Zulässigkeit hineingewachsen (vgl. z.B. BFH-Ur­teile vom 19.04.2007 ‑ V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, unter II.B.1.c [Rz 36]; vom 11.02.2021 ‑ VI R 37/18, BFH/NV 2021, 1085, Rz 55). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Der Senat sieht von wei­teren Ausführungen ab.

2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin eine Verzinsung der Erstattungsbeträge auf Grundlage der nationalen Verzinsungsregelungen in § 233 ff. AO nicht zusteht.

a) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) werden nur verzinst, soweit dies durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union vorge­schrieben ist (§ 233 Satz 1 AO). Nicht zu verzinsen ist gemäß § 233a Abs. 1 Satz 2 AO die Nachzahlung und Erstattung (eines Unterschiedsbetrags im Sin­ne des § 233a Abs. 3 AO) von Steuerabzugsbeträgen wie der Kapitalertrag­steuer und des Solidaritätszuschlags (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2007 ‑ I R 15/05, BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332, unter III.1.; nachgehend Be­schluss des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 03.09.2009 ‑ 1 BvR 1098/08, HFR 2010, 66; BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 71, m.w.N.). Kapitalertragsteuerbe­träge sind allenfalls gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO durch die Festsetzung von Prozesszinsen zu verzinsen, wenn die gemäß § 168 AO vom Steuerentrichtungspflichtigen angemeldeten Steuerbeträge aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder eines gleichgestellten Vor­gangs herabgesetzt und erstattet werden (s. z.B. Klein/Werth, AO, 18. Aufl., § 236 Rz 11; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 236 AO Rz 12, 13; wohl auch Loose in Tipke/Kruse, § 236 AO Rz 3 mit Verweis auf § 3 Abs. 1 AO, dazu Drüen in Tipke/Kruse § 3 AO Rz 16a). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Weder wurden die Kapitalertragsteueranmeldungen ge­richtlich angefochten und herabgesetzt noch ergingen die Freistellungsbe­scheide im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Die Herabsetzung und Er­stattung einer Steuer auf der Grundlage eines (zwischenzeitlich ruhenden) Einspruchsverfahrens genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 236 AO nicht (BFH-Urteil vom 02.03.1988 ‑ I R 72/84, BFH/NV 1988, 619, unter 4. [Rz 15]; BFH-Beschlüsse vom 03.04.2007 ‑ IX B 169/06, BFH/NV 2007, 1267; vom 23.10.2019 ‑ VII B 40/19, BFH/NV 2020, 81, Rz 26).

b) Eine Anwendung der nationalen Verzinsungsregelungen gemäß § 233 Satz 1 Alternative 2 i.V.m. § 233a ff. AO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Verzinsung der Erstattungsansprüche der Klägerin ist weder gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG noch in der für die jeweiligen Ausschüttungen und Erstattungsanträge in den Jahren 2007 bis 2009 geltenden Fassungen der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitglied­staaten (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1990 Nr. L 225, 6, Nr. L 266, 20, 1997 Nr. L 16, 98), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011 (ABlEU 2011, Nr. L 345, 8), ‑‑Mutter-Tochter-Richt­linie‑‑ (im Folgenden: MTR) im Sinne des § 233 Satz 1 Alternative 2 AO ange­ordnet worden.

3. Das FG hat zutreffend erkannt, dass die streitigen Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer und zum Solidaritätszuschlag nach dem aus dem Unions­recht abzuleitenden Verzinsungsanspruch zu verzinsen sind.

a) Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Einzelne, wenn ein Mitglied­staat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts eine Steuer erhoben hat, einen Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Steu­er, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Da­runter fallen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der vorzeitigen Fälligkeit der Steuer. Daraus folgt der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten aus dem Unionsrecht verpflichtet sind, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuerbeträge zuzüglich Zin­sen zu erstatten. In Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu, die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen ‑‑insbesondere den Zinssatz und die Berech­nungsmethode für die Zinsen‑‑ festzulegen. Diese Bedingungen müssen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, das heißt, sie dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung ein­räumt, praktisch unmöglich machen (z.B. EuGH-Urteile Littlewoods Retail u.a. vom 19.07.2012 ‑ C‑591/10, EU:C:2012:478, HFR 2012, 1018, Rz 25, m.w.N.; Irimie vom 18.04.2013 ‑ C‑565/11, EU:C:2013:250, HFR 2013, 659, Rz 21; Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost u.a. vom 28.04.2022 ‑ C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796, Rz 64; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 32 ff.; vgl. auch BFH-Urteile vom 22.09.2015 ‑ VII R 32/14, BFHE 251, 291, BStBl II 2016, 323; vom 15.11.2022 ‑ VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803, m.w.N.; vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 67; BFH-Beschluss vom 07.08.2024 ‑ VII B 168/22, BFH/NV 2025, 164).

Ein unionsrechtlicher Verstoß im Rahmen der Steuererhebung, der einen Er­stattungs- und einen Zinsanspruch begründen kann, kann sich auf jede Regel des Unionsrechts beziehen und sowohl von den Unionsgerichten als auch von einem nationalen Gericht festgestellt werden. Zur konkreten Umsetzung der Verzinsung hat der EuGH außerdem darauf hingewiesen, dass die Zinszah­lungsmodalitäten nicht dazu führen dürfen, dass dem Betreffenden eine an­gemessene Entschädigung für die erlittenen Einbußen vorenthalten wird. Dies setzt unter anderem voraus, dass die ihm gezahlten Zinsen den Gesamtzeit­raum abdecken, der je nach Lage des Falles zwischen dem Tag, an dem der Betreffende den fraglichen Geldbetrag entrichtet hat oder hätte erhalten sol­len, und dem Tag liegt, an dem dieser ihm erstattet oder an ihn entrichtet wurde (zum Vorstehenden s.a. EuGH-Urteile Gräfendorfer Geflügel und Tief­kühlfeinkost u.a. vom 28.04.2022 ‑ C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460; BFH-Urteile vom 15.11.2022 ‑ VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803; vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 68; BFH-Beschluss vom 07.08.2024 ‑ VII B 168/22, BFH/NV 2025, 164).

b) Soweit der I. Senat des BFH im Hinblick auf die Regelung in § 233 Abs. 1 Satz 2 AO für das frühere Abzugs- und Erstattungsverfahren in § 50 Abs. 5 i.V.m. § 50a EStG a.F. noch entschieden hatte, dass erstattete Steuerabzugs­beträge auch unter Beachtung des Unionsrechts nicht zu verzinsen seien (BFH-Urteil vom 18.09.2007 ‑ I R 15/05, BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332, unter III.; nachgehend BVerfG-Beschluss vom 03.09.2009 ‑ 1 BvR 1098/08, HFR 2010, 66), hat er hieran aufgrund der Fortentwicklung der EuGH-Rechtspre­chung zum unionsrechtlichen Verzinsungsanspruch nicht festgehalten, um ei­nen Verstoß der nationalen Regelungslage gegen den unionsrechtlichen Effek­tivitätsgrundsatz zu vermeiden (BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 71, 72). Dem schließt sich der er­kennende Senat an.

c) Die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Verzinsungsanspruchs hat das FG zu Recht im Ergebnis als erfüllt angesehen.

aa) Anders als das BZSt meint, können die Voraussetzungen für den unions­rechtlichen Verzinsungsanspruch nicht nur erfüllt sein, wenn der Unionsrechts­verstoß im Wege einer Klage verfolgt und die Erstattung der unionsrechtswid­rig erhobenen Steuern gerichtlich durchgesetzt wird. Auch die Abwehr des Unionsrechtsverstoßes im Rahmen eines (zwischenzeitlich ruhenden) Ein­spruchsverfahrens genügt.

Die Klägerin musste sich nicht auf die Rechtsverfolgung der Erstattungsbegeh­ren durch die Festsetzung von Freistellungsbescheiden im Wege einer Untätig­keitsverpflichtungsklage verweisen lassen, um die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Verzinsungsanspruchs zu er­füllen. Dies ergibt sich für den Senat aus der gefestigten EuGH-Rechtspre­chung (Urteile Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost u.a. vom 28.04.2022 ‑ C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796, Rz 78 bis 81, 84; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 36).

Auch der Umstand, dass das Einspruchsverfahren zu den reinen Erstattungs­anträgen der Klägerin im Hinblick auf Musterverfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO (hier: die Vorlage des FG vom 08.07.2016 ‑ 2 K 2995/12, EFG 2016, 1801 an den EuGH zu § 50d Abs. 3 EStG 2007) zwischenzeitlich zum Ruhen gebracht worden war und das Einspruchsverfahren mit einer Abhilfeentscheidung zu­gunsten der Klägerin endete, ist unerheblich. Entscheidend und ausreichend für eine Verzinsung der Erstattungsbeträge ist, dass deren Vorenthaltung auf einer unionsrechtswidrigen Auslegung oder Anwendung der maßgeblichen nati­onalen Regelungen (dazu unten dd) beruhte. Der unionsrechtliche Effektivi­tätsgrundsatz stünde einer Begrenzung des Zinsanspruchs nur auf rechtshän­gig gewordene Erstattungsansprüche im Sinne des § 236 AO entgegen (BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 73; BFH-Beschluss vom 07.08.2024 ‑ VII B 168/22, BFH/NV 2025, 164, Rz 9, 13 sowie bereits unter II.3.b).

Dass der unionsrechtliche Verzinsungsanspruch für im Rahmen eines Ein­spruchsverfahrens erstattete Kapitalertragsteuerbeträge insoweit einen wei­tergehenden Zinsanspruch als das nationale Recht gewährt (s. II.2.a), ist ebenfalls unerheblich.

bb) Wenn eine Steuer von einer nationalen Behörde "unter Verstoß gegen das Unionsrecht" rechtsgrundlos erhoben wird, begründet und rechtfertigt dies die Verzinsung der zu erstattenden Steuerbeträge (vgl. EuGH-Urteile Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost u.a. vom 28.04.2022 ‑ C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796, Rz 60; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 33). Ein Verstoß gegen das Unionsrecht im Rahmen der Steuererhebung kann jede Vorschrift des Unionsrechts zum Gegenstand ha­ben, sei es eine Bestimmung des Primär- oder Sekundärrechts oder einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts (EuGH-Urteile Gräfendorfer Ge­flügel und Tiefkühlfeinkost u.a. vom 28.04.2022 ‑ C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796, Rz 61; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 34; ebenso BFH-Urteile vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 70, m.w.N.; vom 15.11.2022 ‑ VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803, Rz 12; BFH-Be­schluss vom 07.08.2024 ‑ VII B 168/22, BFH/NV 2025, 164, Rz 9, 13). Zur Art des Verstoßes hat der EuGH ferner entschieden, dass die unionsrechtlichen Ansprüche auf Erstattung und auf Zahlung von Zinsen Ausdruck eines allge­meinen Grundsatzes sind, dessen Anwendung nicht auf bestimmte Unions­rechtsverstöße beschränkt und nicht bei bestimmten Unionsrechtsverstößen ausgeschlossen ist (EuGH-Urteile Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost u.a. vom 28.04.2022 ‑ C‑415/20, C‑419/20 und C‑427/20, EU:C:2022:306, BFH/NV 2022, 796, Rz 62; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 35).

cc) Zwar kommt die Verzinsung erhobener Steuerbeträge nach diesen Grund­sätzen auch in Betracht, wenn sich aus einer Entscheidung des EuGH oder ei­ner Entscheidung eines nationalen Gerichts ergibt, dass eine Quellensteuer von einer nationalen Behörde auf der Grundlage einer fehlerhaften Auslegung oder einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts erhoben wird (EuGH-Ur­teil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 37). Im Rahmen des zweigeteilten Verfahrens bestehend aus dem Kapitalertragsteuereinbehalt und einer anschließenden antragsgebundenen Erstattung der Steuerabzugsbeträge auf Grundlage der Regelungen in § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 MTR liegt je­doch grundsätzlich noch keine solche fehlerhafte Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts, die einen Verzinsungsanspruch begründen kann.

Die Vornahme des Kapitalertragsteuerabzugs im Zeitpunkt der Ausschüttung ist ‑‑ungeachtet der objektiv gegebenen Steuerfreiheit nach Art. 5 MTR und § 43b EStG‑‑ nach den Vorgaben des Unionsrechts grundsätzlich nicht zu be­anstanden. Die Kapitalertragsteueranmeldungen des inländischen Entrich­tungsschuldners (hier: der B‑AG) bilden ‑‑unionsrechtskonform‑‑ den Rechts­grund für das Vereinnahmen und das "Behaltendürfen" der Kapitalertragsteuer durch den deutschen Fiskus. Keinen Unionsrechtsverstoß begründet es ferner, dass der Anteilseigner als Empfänger der Bezüge die Erstattung der einbehal­tenen Steuer beantragen muss. Auch die ihm bis zur Erteilung des notwendi­gen Freistellungsbescheids entstehenden Liquiditätsnachteile können grund­sätzlich nicht kausal auf einen Unionsrechtsverstoß zurückgeführt werden (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 84, 85 mit Verweis auf EuGH-Urteil FKP Scorpio Konzert­produktionen vom 03.10.2006 ‑ C‑290/04, EU:C:2006:630, BStBl II 2007, 352; BFH-Urteile vom 24.04.2007 ‑ I R 39/04, BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95; vom 11.01.2012 ‑ I R 25/10, BFHE 236, 318; vom 25.10.2023 ‑ I R 35/21, BFHE 283, 1, BStBl II 2024, 343 und vom 25.04.2018 ‑ I R 59/15, BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

dd) Es ist aber von einer unionsrechtswidrigen Erhebung der Kapitalertrag­steuer auszugehen, wenn im Erstattungsverfahren ein mit dem Unionsrecht nicht mehr vereinbarer Vollzug der Entlastungsregelungen in § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 MTR stattfindet.

aaa) Ein unionsrechtswidriger Vollzug der Entlastungsregelungen im Erstat­tungsverfahren kann ‑‑wie bei der Erhebung der Steuerbeträge‑‑ auf einer fehlerhaften Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts beruhen, wobei der Verstoß jede Vorschrift des Unionsrechts, sei es eine Bestimmung des Primär- oder Sekundärrechts oder einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unions­rechts, zum Gegenstand haben kann (s. unter II.3.c bb; vgl. EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 37).

bbb) Der unionsrechtswidrige Vollzug der Entlastungsregelungen liegt für die hier betrachteten Erstattungsanträge darin, dass das BZSt der Klägerin die Erstattung unter Berufung auf die Regelung in § 50d Abs. 3 EStG 2007 vor­enthalten hat. Dies führte wie vom FG zutreffend erkannt zu einer fehlerhaften Aus­legung und Anwendung des Unionsrechts durch das BZSt (s. anders unter III.1. und III.2. für den dort streitigen unionsrechtswidrigen Widerruf der zuvor erteilten Freistellungsbescheinigung).

(1) Gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG 2007 hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung (von der Kapitalertrag­steuer), soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Frei­stellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und (Nr. 1) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder (Nr. 2) die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirt­schaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder (Nr. 3) die ausländi­sche Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen ein­gerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil­nimmt.

(2) § 50d Abs. 3 EStG 2007 hat der EuGH mit Urteil Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 ‑ C‑504/16 und C‑613/16, EU:C:2017:1009, BFH/NV 2018, 319 als nicht mit Art. 1 Abs. 2 MTR und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ‑‑AEUV‑‑) vereinbar angesehen. Er hat entschieden, dass eine nationale Regelung nur dann die Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen bezwe­cke, wenn ihr spezifisches Ziel in der Verhinderung von Verhaltensweisen lie­ge, die darin bestünden, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten, ungerechtfertigt einen Steuervor­teil zu nutzen. Insofern hat der EuGH insbesondere moniert, dass § 50d Abs. 3 EStG 2007 als Steuervorschrift wirke, die eine allgemeine Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung zu Lasten der beschränkt steuerpflichtigen Dividen­denbezieher begründe und diese vom Steuervorteil nach Art. 5 MTR ausge­nommen würden, ohne dass dem BZSt ein Anfangsbeweis für das Fehlen wirt­schaftlicher Gründe des Beteiligungsbezugs und eine Darlegung von Indizien für eine Steuerhinterziehung oder eine missbräuchliche Gestaltung abverlangt werde (EuGH-Urteil Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 ‑ C‑504/16 und C‑613/16, EU:C:2017:1009, BFH/NV 2018, 319, Rz 60, 61, 62).

(3) Auf dieser Grundlage hat das BZSt der Klägerin in den hier betrachteten reinen Erstattungsfällen (anders zu dem unter III.1. und III.2. behandelten Er­stattungsantrag) die Erstattungen jeweils in unionsrechtswidriger Weise vor­enthalten. Es hat sich zur Ablehnung der Erstattung jeweils auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 und die der Regelung innewohnende allgemeine Missbrauchsrege­lung gestützt, ohne selbst Umstände des Streitfalls zu benennen, aus denen im Sinne eines Anfangsbeweises auf fehlende wirtschaftliche Gründe für die Einschaltung der Klägerin in die Beteiligungsstruktur oder auf eine Steuerhin­terziehung geschlossen werden könnte. In der Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG 2007 als allgemeiner Missbrauchsregelung und der verfahrensrechtlichen Umkehrung der Darlegungs- und Feststellungslast für eine missbräuchliche Gestaltung (s. Nr. 14 des BMF-Schreibens vom 03.04.2007, BStBl I 2007, 446) liegt eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung der Vorgaben aus Art. 1 Abs. 2 MTR und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) durch das BZSt (s.a. BMF-Schreiben vom 04.04.2018, BStBl I 2018, 589 zur generellen Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG 2007 in Erstattungsfällen gemäß § 43b EStG nach Ergehen des EuGH-Urteils Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 ‑ C‑504/16 und C‑613/16, EU:C:2017:1009, BFH/NV 2018, 319).

(4) Der Senat hat angesichts der unmissverständlichen Aussagen des EuGH-Urteils Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 ‑ C‑504/16 und C‑613/16, EU:C:2017:1009, BFH/NV 2018, 319 auch keine Zweifel, dass hie­rin jeweils eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des Unionsrechts durch das BZSt zu sehen ist. Dies ist auch in der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig gewesen.

4. Das FG hat der Ermittlung der Zinsansprüche der Klägerin jedoch zu kurze Verzinsungszeiträume zugrunde gelegt. Aus diesem Grund ist das FG-Urteil für die mit der Revision der Klägerin weiterverfolgten Zinsansprüche aufzuheben.

a) Anders als die Klägerin meint, wird der maßgebliche Verzinsungszeitraum durch die grundsätzlich unionsrechtskonforme Steuererhebung im zweigeteil­ten Verfahren bestimmt. Er umfasst in Fällen, in denen dem Anteilseigner zu­nächst keine Freistellungsbescheinigung vorlag oder in unionsrechtswidriger Weise widerrufen wurde (s. dazu unter III.1. und I.2.), nicht den Zeitraum zwischen dem Steuereinbehalt und der Einreichung des Erstattungsantrags beim BZSt. Die Klägerin kann hinsichtlich der Verzinsung fiktiv nicht so gestellt werden, als sei ihr eine Abstandnahme vom Steuerabzug zu gewähren gewesen, wenn ihr tatsächliches Vorgehen und Rechtsschutzbegehren nur auf die nach­trägliche Entlastung von der Kapitalertragsteuer im Wege der Erstattung ge­richtet war (BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 87). Darüber hinaus liegt im Rahmen des Erstattungsver­fahrens kein unionsrechtswidriger Liquiditätsentzug vor, solange sich die Bear­beitung und Prüfung der Erstattung durch das BZSt als ordnungsgemäßer Voll­zug der steuerrechtlichen Entlastungsregelungen ‑‑hier gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 MTR‑‑ darstellt (s. unter II.4.c aa bis cc; BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 86, 87, m.w.N.). Hiervon ist auch das FG ausgegangen.

b) Nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags ist der Finanzverwal­tung daher ein Bearbeitungszeitraum für die Entscheidung über den Antrag bis zur Auszahlung des Erstattungsbetrags zuzubilligen, während derer der Liquiditäts­nachteil des Anteilseigners noch nicht auf einer unionsrechts­widrigen Vorent­haltung des Erstattungsanspruchs beruht (s. zur Erstattung der Mehrwertsteu­er ebenso EuGH-Urteile Enel Maritsa Iztok 3 vom 12.05.2011 ‑ C‑107/10, EU:C:2011:298; Rafinăria Steaua Română vom 24.10.2013 ‑ C‑431/12, EU:C:2013:686; BFH-Urteil vom 22.10.2019 ‑ VII R 24/18, BFHE 267, 90, Rz 26, 30). Denn auch bei einer zutreffenden Anwendung des Unionsrechts im Erstattungsverfahren, die keine Verzinsung auslösen würde, wäre nicht am Tag nach dem Eingang des Erstattungsantrags der begehrte Freistellungs­bescheid zu er­teilen und die Kapitalertragsteuer auszuzahlen.

c) Für die Dauer der Bearbeitungszeit kommt es maßgeblich darauf an, in wel­chem Zeitraum bei Hinwegdenken des Unionsrechtsverstoßes eine Entschei­dung über die Erstattungsanträge und die Auszahlung der Erstattungsbeträge hätte erwartet werden können. Die vom FG herangezogene Bearbeitungsfrist von vier Monaten und 10 Tagen ist für den hier betroffenen Sachbereich der Erstattungsanträge gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 MTR jedoch nicht geeignet. Der Senat hält einen typisierenden Bearbeitungs­zeitraum von drei Monaten nach Eingang eines formal ordnungsgemäßen Erstattungsan­trags beim BZSt für ausreichend und sachgerecht.

aa) Der vom FG herangezogene Bearbeitungszeitraum des BZSt von vier Mo­naten und 10 Tagen ab der Antragstellung ist hingegen nicht geeignet.

Der VII. Senat des BFH hat diese Bearbeitungsfrist im Urteil vom 22.10.2019 ‑ VII R 24/18 (BFHE 267, 90) aus Regelungen der Richtlinie 2008/9/EG (RL 2008/9/EG) des Rates vom 12.02.2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuer­pflichtige abgeleitet. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/9/EG müsse der Er­stattungsantrag dem zuständigen Mitgliedstaat spätestens am 30. September des auf den Erstattungszeitraum folgenden Kalenderjahres vorliegen. Sodann stünden der Behörde nach der Richtlinie insgesamt vier Monate und 10 Ar­beitstage zur Verfügung, um den Erstattungsantrag zu bearbeiten und den Erstattungsbetrag auszuzahlen. Diese Frist solle der für alle Antragsteller glei­chen Abgabefrist für die Erstattungsanträge und dem erhöhten Antragsauf­kommen zu bestimmten Zeiten Rechnung tragen (BFH-Urteil vom 22.10.2019 ‑ VII R 24/18, BFHE 267, 90, Rz 29 zur Übertragung auch auf Ver­fahren zur Entlastung von der Energiesteuer). Im Bereich der Kapitalertragsteuer beziehungsweise Abzugsteuer existiert jedoch wegen fehlender einheitlicher Abgabefristen für Erstattungsanträge zu einem bestimmten Stichtag eine ver­gleichbare Situation nicht (ebenso Beinert, Internationale Steuer-Rundschau ‑‑ISR‑‑ 2024, 225 (230); Erdem in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz 21.2; Paar/Pignot, Internationa­les Steuerrecht ‑‑IStR‑‑ 2022, 500 (504)).

bb) Die Dauer einer angemessenen behördlichen Bearbeitungsfrist für Erstat­tungsanträge ist ferner weder in § 43b EStG noch in § 50d Abs. 1 Satz 2 ff. EStG noch in der Mutter-Tochter-Richtlinie geregelt. Allerdings enthält § 50d Abs. 2 Satz 6 und 7 EStG für die Erteilung von Freistellungsbescheinigungen im hier relevanten Streitzeitraum die Vorgabe für das BZSt, über einen sol­chen Antrag innerhalb von drei Monaten entscheiden zu müssen. Diese Ent­scheidungsfrist beginnt mit der Vorlage aller für die Entscheidung erforderli­chen Nachweise beim BZSt.

cc) Der Senat sieht in der dreimonatigen Entscheidungsfrist einen angemesse­nen Bearbeitungszeitraum des BZSt für die Entscheidung über reine Erstat­tungsanträge wie im Streitfall. Bei den erforderlichen Nachweisen, die diesen typisierenden Zeitraum in Gang setzen, handelt es sich um die vom Antrag­steller beizubringenden und für die Bearbeitung des Antrags notwendigen formalen Nachweise (vgl. § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG: amtlich vorgeschriebener Vordruck und Amtliches Einkommensteuerhandbuch 2008 bis 2010 zu § 43b EStG mit Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 01.03.1994, BStBl I 1994, 203, Tz. 1.4.3, 2.4: Ansässigkeitsbescheinigung der ausländischen Steuerbehörde, Belege zu Art, Höhe und Zufluss sowie Einbehalt der Kapitalertragsteuer, zum Beispiel die Steuerbescheinigung).

Soweit das BZSt in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass in einem Erstattungsverfahren ‑‑anders als in einem Freistellungsbescheini­gungsverfahren‑‑ zusätzlich die Abführung der (gegebenenfalls zu Unrecht be­scheinigten) einbehaltenen Kapitalertragsteuer zu prüfen sei, sieht der Senat hierin keinen Umstand, der gegen das Heranziehen der Dreimonatsfrist für das Freistellungsbescheinigungsverfahren als angemessenen Bearbeitungszeitraum für die Bemessung des Verzinsungszeitraums spricht. Der Senat orientiert sich insoweit nur typisierend an der gesetzlich vorgesehenen Entscheidungsfrist für das Freistel­lungsbescheinigungsverfahren, da es sich in beiden Verfahren um ein weitge­hend übereinstimmendes materielles Prüfungsprogramm handelt. Auch im Schrifttum (Beinert, ISR 2024, 225 (226 f., 230); Kohlhas, juris ‑ Die Monats­zeitschrift 2024, 310 (312 f.); Erdem in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Vor § 50d Abs. 3 EStG Rz 21.2, 21.3; engere Auffassung Paar/Pignot, IStR 2022, 500 (504 f.)) wird es für möglich gehalten, die dreimonatige Entscheidungsfrist des § 50d Abs. 2 Satz 6 EStG (heute § 50c Abs. 2 Satz 6 EStG) als angemessenen typi­sierenden Bearbeitungszeitraum des BZSt heranzuziehen, wenn dem Anteils­eigner die ihm gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und nach Art. 5 MTR zustehende Erstattung der Kapitalertragsteuer aufgrund der unions­rechtswidrigen Auslegung und Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG 2007 vor­enthalten wird.

dd) Dem steht auch nicht entgegen, dass der I. Senat des BFH für andere Fallkonstellationen einen Bearbeitungszeitraum des BZSt von sechs Monaten nach dem Antragseingang als sachgerecht erachtet hat (BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 88). We­gen der spezielleren gesetzlichen Regelungslage in § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG ist es für die hier betroffenen Erstattungsverfahren sachgerecht, an die gesetzliche Entscheidungsfrist für das Freistellungsbescheinigungsverfahren anzuknüpfen. Eine Bearbeitungsfrist von 12 Monaten in Anlehnung an § 50c Abs. 4 Satz 3 EStG, Art. 1 Abs. 16 Zins- und Lizenzrichtlinie hält der Se­nat aus diesem Grund ebenfalls für nicht sachgerecht, da der europäische Richt­liniengeber und der nationale Gesetzgeber diesen Verzinsungsanspruch abweichend von § 233a Abs. 1 Satz 2 AO nur für die Erstattung ein­behaltener Kapitalertragsteuer auf Zinsen und Lizenzeinnahmen einführen wollten (s.a. Beinert, ISR 2024, 225 (226 f., 230); Paar/Pignot, IStR 2022, 500 (504 f.); s.a. BTDrucks 19/27632, S. 55).

d) Für die Berechnung des Verzinsungszeitraums endete die angemessene Bearbeitungszeit des BZSt somit mit Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Erstattungsan­träge der Klägerin, die nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteilig­ten in der mündlichen Verhandlung formal ordnungs­gemäß und vollständig waren. Soweit das BZSt sich wegen § 50d Abs. 3 EStG 2007 an einer positiven Bescheidung der Anträge und Auszahlung der Erstattungsbeträge gehindert gesehen hat, handelt es sich nach Ablauf des dreimonatigen Bearbeitungszeit­raums nicht mehr um einen ordnungsgemäßen Vollzug der steuerrechtlichen Entlastungsregelungen in Art. 5 MTR und § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG. Insoweit beruhen die Liquiditätsnachteile der Klägerin auf der unions­rechtswidrigen Vorenthaltung der Erstattungsbeträge. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, ist das FG-Urteil aufzuheben, soweit es von der Klägerin mit der Revision angefochten worden ist.

5. Die Sache ist auch spruchreif. Das BZSt wird nach Maßgabe der folgenden Vorgaben zur Festsetzung der Zinsansprüche verpflichtet. Der Klage ist über den bisherigen Umfang hinaus teilweise stattzugeben. Im Übrigen ist sie abzuweisen.

a) In Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung kommt es der innerstaat­lichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu, die Bedingungen für die Zahlung der Zinsen nach dem unionsrechtlichen Verzinsungsanspruch ‑‑insbesondere den Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen‑‑ festzulegen. Diese Bedingungen müssen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, das heißt, sie dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen An­sprüchen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen. Die Zins­zahlungsmodalitäten dürfen nicht dazu führen, dass dem Betreffenden eine angemessene Entschädigung für die erlittenen Einbußen vorenthalten wird; dies setzt unter anderem voraus, dass die ihm gezahlten Zinsen den Gesamt­zeitraum abdecken, der je nach Lage des Falles zwischen dem Tag, an dem der Betreffende den fraglichen Geldbetrag entrichtet hat oder hätte erhalten sollen, und dem Tag liegt, an dem dieser ihm erstattet oder an ihn entrichtet wurde. Daraus folgt, dass das Unionsrecht einer rechtlichen Regelung entge­gensteht, die dieser Anforderung nicht entspricht, und die wirksame Geltend­machung der durch das Unionsrecht gewährleisteten Ansprüche auf Erstattung und Zahlung von Zinsen nicht ermöglicht (z.B. EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej we Wroclawiu vom 08.06.2023 ‑ C‑322/22, EU:C:2023:460, Rz 40; BFH-Urteile vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 67, 68, 74, m.w.N.; vom 15.11.2022 ‑ VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803).

Bei der Berechnung des Zinszahlungszeitraums im Fall von Erstattungsanträ­gen sind ‑‑anders als im Rahmen von § 238 Abs. 1 AO und als vom FG be­rechnet‑‑ daher nicht nur volle Zinsmonate zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 15.11.2022 ‑ VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803; vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 73).

b) Der Zinssatz bestimmt sich nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Er steht im Ein­klang mit den unionsrechtlichen Vorgaben, weil er auch im Fall der Verzinsung eines Körperschaftsteuererstattungsanspruchs nach nationalem Recht anzu­wenden wäre (vgl. BFH-Urteile vom 15.11.2022 ‑ VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1, BStBl II 2023, 803, Rz 37, 38; vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, , Rz 75, 76).

c) Anknüpfend daran sind die Zinsen für den maßgeblichen Verzinsungszeit­raum taggenau zu berechnen. Der Zinslauf beginnt mit dem Tag, der auf den Ablauf des dreimonatigen Bearbeitungszeitraums nach Eingang des Erstat­tungsantrags folgt. Er endet mit dem Auszahlungstag des Erstattungsbetrags. Für die Zinsberechnung ist gemäß § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Tag, ab dem der Bearbeitungszeitraum zugunsten des BZSt nicht mehr zu be­rücksichtigen ist und der Liquiditätsnachteil, auf dem der Unionsrechtsverstoß beruht, nicht mitzuzählen, da es sich um ein in diesen Tag fallendes "Ereignis" handelt (s. zur Zinsberechnung bei Ereignisfristen Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Aufl., § 246 Rz 9 und Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Aufl., § 187 Rz 1). Nach der Berechnung des Senats stehen der Klägerin auf dieser Grundlage Zinsen in der folgenden Höhe zu:

Einbehalt Antrags­eingang Bearbei­tungsfrist bis Erster Tag des Zinslaufs Zins­ende Zins­tage Zinsen laut BFH
… € 12.05.
2009
12.08.
2009
13.08.
2009
13.08.
2018
3.287 … €
… € 03.02.
2011
03.05.
2011
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III. Die Revision des BZSt ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

1. Die Revision ist hinsichtlich der Zinsansprüche, die das FG im Zusammen­hang mit den Erstattungsverfahren, denen kein Freistellungsbescheinigungs­verfahren vorausgegangen ist, aus den unter II. dargelegten Gründen unbe­gründet.

2. Die Revision des BZSt ist auch unbegründet, soweit das FG der Klägerin für die Ausschüttung vom 16.03.2011 für die Erstattungsbeträge Zinsen für den Zeitraum vom Tag des Einbehalts der Kapitalertragsteuer bis zur Auszahlung zugesprochen hat.

a) Es ist für die Prüfung der Voraussetzungen des Verzinsungsanspruchs das tatsächlich durchgeführte Begehren ‑‑Erstattungsbegehren oder Steuerab­standnahmebegehren‑‑ heranzuziehen (vgl. BFH-Urteil vom 13.03.2024 ‑ I R 1/20, BStBl II 2025, 193, Rz 81). Für den hier be­trachteten Zinsanspruch kommt es danach auf den unionsrechtswidrigen Wi­derruf der Freistellungsbescheinigung samt der Steuerabstandnahmemöglich­keit der B‑AG an.

b) Ein unionsrechtlicher Verstoß im Rahmen der Steuererhebung, der einen Zinsanspruch begründen kann, kann sich ‑‑wie schon ausgeführt‑‑ auf jede Regel des Unionsrechts beziehen und sowohl von den Unionsgerichten als auch von einem nationalen Gericht festgestellt werden (s. II.3.a). Er kann ungeach­tet des grundsätzlich unionsrechtskonformen Einbehalts der Kapitalertragsteu­er mit dem Erfordernis einer anschließenden Erstattung im zweigeteilten Ver­fahren (s. II.3.b und c) auch dadurch begründet werden, dass eine dem An­teilseigner erteilte Freistellungsbescheinigung in unionsrechtswidriger Weise widerrufen wird. In diesem Fall beruht der unionsrechtswidrige Liquiditätsent­zug darauf, dass der ausschüttenden Gesellschaft die Möglichkeit zur Abstand­nahme vom Steuerabzug entzogen wird. Folglich beruht schon der Steuerein­behalt auf dem Unionsrechtsverstoß. Der Zinslauf beginnt ‑‑wie auch vom FG erkannt‑‑ ungeachtet eines späteren Erstattungsverfahrens, in dem die Erstat­tung nochmals unionsrechtswidrig vorenthalten wird, im Zeitpunkt des Steuer­einbehalts und endet mit der Auszahlung des Erstattungsbetrags.

Für die Ausschüttung vom 16.03.2011 ist der erhebliche Unionsrechtsverstoß danach im Widerruf der zunächst erteilten Freistellungsbescheinigung zu se­hen. Der Widerruf wurde vom BZSt ebenfalls auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 ge­stützt, ohne dass es dabei auf konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuch­liche Gestaltung angekommen wäre; denn nach der damaligen Gesetzeslage waren solche Anhaltspunkte seitens des BZSt ex ante nicht zu prüfen, vielmehr musste von vorneherein der Steuerpflichtige den Nachweis fehlenden Missbrauchs erbringen, weshalb die Regelung wie dargelegt unionsrechtswidrig war. Wäre die Freistellungsbescheinigung nicht in unionsrechtswidriger Weise widerrufen worden, wäre für die Ausschüt­tung vom 16.03.2011 von der B‑AG keine Kapitalertragsteuer einzubehalten gewesen.

c) Da sich die Klägerin im Wege des Einspruchs gegen den Widerruf der Frei­stellungsbescheinigung gewehrt hat, hat sie zudem die notwendigen Schritte zur Wahrung ihrer unionsrechtlichen Rechtsposition unternommen. Dass die Klägerin neben dem Einspruchsverfahren gegen den Widerruf der Freistel­lungsbescheinigung anschließend auch ein Erstattungsverfahren wegen der einbehaltenen Kapitalertragsteuer durchgeführt hat, ändert an dem für den Liquiditätsentzug kausal gewordenen Unionsrechtsverstoß im Freistellungsbe­scheinigungsverfahren nichts.

d) Die Entscheidung des FG ist insoweit im Ergebnis nicht zu beanstanden.

IV. 1. Der Senat erachtet die Unionsrechtslage auf der Grundlage der Rechtspre­chung des EuGH als eindeutig. Dies gilt für die grundsätzliche Unionsrechts­konformität des zweigeteilten Verfahrens, die unionsrechtswidrige Ausgestal­tung und Anwendung der Regelung des § 50d Abs. 3 EStG 2007 und die Vor­aussetzungen des unionsrechtlichen Verzinsungsanspruchs. Ferner hat der EuGH aus Sicht des Senats bereits abschließend geklärt, dass der zuständigen Behörde nach der unionsrechtskonformen Erhebung eines Steuerbetrags in einem anschließenden Erstattungsverfahren nach dem Eingang eines vollstän­digen Erstattungsantrags ein angemessener Bearbeitungszeitraum zuzubilligen ist, während dem ein Liquiditätsentzug noch nicht durch eine unionsrechtswid­rige Vorenthaltung der Erstattung verursacht ist. Die Bestimmung des angemesse­nen Bearbeitungszeitraums und der Zinszahlungsmodalitäten unter dem uni­onsrechtlichen Verzinsungsanspruch im jeweiligen Sachbereich ("nach der La­ge des Falles") steht nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH den Ge­richten der Mitgliedstaaten zu. Die weiteren Vorgaben des EuGH, den nach der Lage des Falles maßgeblichen Gesamtzeitraum zwischen dem Unions­rechtsver­stoß und der Erstattung der Steuerbeträge in den Zinslauf einzube­ziehen, hat der Senat im Rahmen der taggenauen Berechnung der Zinsen beachtet. Einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es daher nicht (EuGH-Urteile CILFIT vom 06.10.1982 ‑ C-283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415; Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 ‑ C‑561/19, EU:C:2021:799; vgl. auch BVerfG-Beschlüsse vom 04.03.2021 ‑ 2 BvR 1161/19, HFR 2021, 504; vom 08.11.2023 ‑ 2 BvR 1079/20, HFR 2024, 357).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

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