BFH: Verhältnis zwischen Verlustfeststellungsbescheid und Steuerbescheid
- Die Frage, ob ein im Steuerbescheid der Höhe nach bindend ermittelter Altersentlastungsbetrag nach § 24a des Einkommensteuergesetzes verlusterhöhend wirkt, ist grundsätzlich im Rahmen der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zu entscheiden (vgl. Senatsurteil vom 30.06.2020 ‑ IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859 = SIS 20 20 57).
- Dies gilt jedoch nicht, wenn in Höhe des geltend gemachten Verlustes ein Verlustrücktrag begehrt wird. Über Grund und Höhe des Verlustrücktrags ist ausschließlich im Rahmen der Steuerfestsetzung des Rücktragsjahres zu entscheiden.
FGO § 40 Abs. 2, § 67, § 68
EStG § 10d, § 24a
BFH-Urteil vom 23.1.2024, IX R 7/22 (veröffentlicht am 11.4.2024)
Vorinstanz: Thüringer FG vom 26.4.2022, 4 K 510/20 = SIS 23 01 98
I. Streitig ist, ob der Altersentlastungsbetrag nach § 24a des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) bei der Berechnung des nach § 10d Abs. 4 Satz 2 EStG verbleibenden Verlustvortrags verlusterhöhend zu berücksichtigen ist.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr 2017 neben positiven Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung und aus Altersvorsorgeverträgen Veräußerungsverluste nach § 17 EStG.
Mit Bescheid vom 09.07.2019 setzte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gegenüber dem Kläger zunächst Einkommensteuer in Höhe von 9.561 € ohne Berücksichtigung der erklärten Veräußerungsverluste fest. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Einspruch und Untätigkeitsklage. Während des Einspruchs- und Klageverfahrens änderte das FA mehrfach die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr, zuletzt mit Bescheid vom 10.03.2021. Darin setzte es Einkommensteuer in Höhe von 0 € fest. Hierbei berücksichtigte es antragsgemäß einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG in Höhe von 78.867 € und errechnete die Summe der Einkünfte mit ‑ 25.194 €. Den Gesamtbetrag der Einkünfte ermittelte das FA unter Abzug des Altersentlastungsbetrags von 1.824 € und errechnete einen Betrag in Höhe von ‑ 27.018 €.
Ebenfalls während des Klageverfahrens erging am 10.03.2021 ein Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2017. Darin stellte das FA erstmals einen verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG in Höhe von 194 € fest. Hierbei berücksichtigte es verbleibende negative Einkünfte in Höhe von 25.194 € und einen Verlustrücktrag nach 2016 in Höhe von 25.000 €. Den Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG in Höhe von 1.824 € bezog es nicht mit ein.
Mit Schriftsatz vom 22.03.2021 teilte der Kläger dem Finanzgericht (FG) mit, dass er gegen den Verlustfeststellungsbescheid Einspruch eingelegt habe, der Bescheid aber gleichwohl Gegenstand des Klageverfahrens sei.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens erklärten der Kläger und das FA übereinstimmend den Rechtsstreit hinsichtlich der Einkommensteuer für 2017 in der Hauptsache für erledigt. Der Kläger wandte sich nunmehr im Rahmen des Klageverfahrens gegen die Außerachtlassung des Altersentlastungsbetrags im Feststellungsbescheid vom 10.03.2021. Der Verlust sei unter Berücksichtigung des Altersentlastungsbetrags in Höhe von 27.078 € nach 2016 zurückzutragen und der verbleibende Verlustvortrag mit 0 € festzustellen.
Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 395 abgedruckten Urteil gab das FG der Klage statt. Es änderte den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2017 dahingehend, dass die verbleibenden negativen Einkünfte zum 31.12.2017 27.078 € betragen, der Verlustrücktrag nach 2016 27.078 € beträgt und der verbleibende Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG auf 0 € festgestellt wird.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht bei der Berechnung des Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG den Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG verlusterhöhend berücksichtigt.
Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Revisionsverfahren beigetreten.
II. Die Revision ist mit der Maßgabe begründet, dass die Klage unzulässig ist. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage als unzulässig (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO), da es die Klage zu Unrecht als zulässig angesehen hat.
1. Mit dem Eingang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten bei Gericht hat das Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für 2017 in der Hauptsache sein Ende gefunden. Die Erledigungserklärungen sind konstitutiv, das heißt, sie führen unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits; ein gerichtlicher Ausspruch hierüber ist nicht erforderlich (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 14.06.2017 ‑ I R 38/15, BFHE 259, 4, BStBl II 2018, 2, Rz 17).
Der Kläger wandte sich im Rahmen der Klage nur noch gegen den während des Klageverfahrens am 10.03.2021 ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2017 und begehrte die Herabsetzung des festgestellten verbleibenden Verlustvortrags in Höhe von 194 € auf 0 €.
2. Die Klage gegen den angegriffenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags ist als unzulässig abzuweisen, da die für die Erhebung einer Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 2 FGO erforderliche Beschwer des Klägers fehlt.
a) Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der BFH als Revisionsgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19.04.2007 ‑ V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315, unter II.B.; vom 13.12.2018 ‑ V R 4/18, BFHE 263, 535, Rz 11 und vom 17.08.2023 ‑ III R 11/22, Rz 20).
b) Dabei kann hier dahinstehen, ob der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags überhaupt Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob jener Bescheid den zuvor angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2017 im Sinne von § 68 Satz 1 FGO ersetzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 16.12.2014 ‑ X B 113/14, Rz 18 f., für die Streitjahre 2008 und 2009; dem folgend BFH-Urteil vom 08.11.2016 ‑ I R 35/15, BFHE 256, 253, BStBl II 2017, 768, Rz 15; a.A. im Hinblick auf die nach dem Jahressteuergesetz 2010 vom 08.12.2010, BGBl I 2010, 1768, geltende Rechtslage: Paetsch in Gosch, FGO § 68 Rz 32.2.; Krumm in Tipke/Kruse, § 68 FGO Rz 10a). Gleiches gilt für die Frage, ob eine Klageänderung nach § 67 FGO in Betracht kommt (vgl. zur Unzulässigkeit einer Klageänderung bei Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen z.B. BFH-Urteile vom 25.04.2017 ‑ VIII R 64/13, Rz 49 und vom 13.12.2018 ‑ V R 4/18, BFHE 263, 535, Rz 11, jeweils m.w.N.).
c) Selbst wenn der Verlustfeststellungsbescheid Gegenstand des Klageverfahrens geworden wäre (§ 68 Satz 1 FGO) oder die Voraussetzungen einer Klageänderung im Sinne von § 67 FGO vorgelegen hätten, fehlt jedenfalls die für die Erhebung einer Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 2 FGO erforderliche Beschwer des Klägers.
aa) Gemäß § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist bei der Anfechtung eines Verlustfeststellungsbescheides mit dem Ziel, den festgestellten vortragsfähigen Verlust herabzusetzen, grundsätzlich nicht möglich, da damit eine Verböserung (in Form der Kürzung des Verlustvortrags) geltend gemacht wird. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn sich der Bescheid für den Kläger deshalb nachteilig auswirkt, weil in ihm angesetzte Besteuerungsgrundlagen im Rahmen anderer Verfahren verbindliche Entscheidungsvorgaben liefern (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 07.12.2016 ‑ I R 76/14, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, m.w.N. und Senatsurteil vom 30.06.2020 ‑ IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 15). Solche negativen Auswirkungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor.
bb) Der Kläger begehrt die verlusterhöhende Berücksichtigung des im Einkommensteuerbescheid 2017 der Höhe nach bindend ermittelten Altersentlastungsbetrags nach § 24a EStG. Wie der Senat im Urteil vom 30.06.2020 ‑ IX R 3/19 (BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859), auf das vollumfänglich Bezug genommen wird, entschieden hat, ist hierüber grundsätzlich im Verlustfeststellungsbescheid zu befinden.
cc) Dies gilt jedoch dann nicht, wenn in Höhe des geltend gemachten Verlustes ein Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG begehrt wird.
Dem angefochtenen Verlustfeststellungsbescheid oder den diesem zugrunde liegenden Feststellungsgrundlagen kommt keine Bindungswirkung für die Höhe des Verlustrücktrags zu. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH wird über Grund und Höhe des Verlustrücktrags ausschließlich im Rahmen der Veranlagung des Rücktragsjahres und nicht in dem Einkommensteuerbescheid oder in dem Verlustfeststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres entschieden (vgl. BFH-Urteil vom 27.09.1988 ‑ VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225; Senatsurteil vom 27.01.2010 ‑ IX R 59/08, BFHE 228, 301, BStBl II 2010, 1009 und BFH-Urteil vom 11.11.2014 ‑ I R 51/13, Rz 11; BFH-Zwischenurteil vom 28.11.2018 ‑ I R 41/18, Rz 18; Senatsurteil vom 10.03.2020 ‑ IX R 24/19, Rz 28; BFH-Beschlüsse vom 20.12.2006 ‑ VIII B 111/05, BFH/NV 2007, 699 und vom 09.02.2017 ‑ X B 49/16, Rz 13). Kommt es zu einem vollständigen Ausgleich oder Rücktrag des Verlustes, entfällt der Verlustvortrag ebenso wie die diesbezügliche Verlustfeststellung (BFH-Urteil vom 21.01.2004 ‑ VIII R 2/02, BFHE 205, 117, BStBl II 2004, 551, unter II.4.b und Senatsurteil vom 10.03.2020 ‑ IX R 24/19, Rz 28).
dd) So verhält es sich im Streitfall. Ob der dem Kläger für das Streitjahr zustehende Altersentlastungsbetrag verlusterhöhend im Sinne von § 10d EStG zu berücksichtigen ist, wäre durch einen Rechtsbehelf gegen den aufgrund des Verlustrücktrags geänderten Einkommensteuerbescheid für 2016 rechtlich zu klären gewesen.
3. Die Sache ist spruchreif. Vor dem Hintergrund vorstehender Erwägungen ist die Klage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2017 als unzulässig abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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