BFH: Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen aus einer in den Niederlanden ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit
1. Die Sonderregelung zur Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes gilt aufgrund der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) auch für Vorsorgeaufwendungen, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einnahmen aus einer in den Niederlanden ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit stehen.
2. Das zur Ermittlung von Amts wegen verpflichtete Finanzgericht (FG) muss auch Fragen nachgehen, über welche die Beteiligten nicht streiten, wenn insoweit Zweifel bestehen.
3. Es ist Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung von Amts wegen zu ermitteln. Wie das FG das ausländische Recht ermittelt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Feststellungen zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts sind für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Fehlen jedoch die erforderlichen Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht, liegt ein materieller Mangel vor.
AEUV Art. 49
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 32b
FGO § 76 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 1
ZPO § 293, § 560
BFH-Urteil vom 24.05.2023, X R 28/21 (veröffentlicht am 31.8.2023)
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 21.10.2021 ‑ 9 K 1517/20 E (EFG 2023, 127)
I. Die Kläger, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Kläger) wohnen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und wurden im Streitjahr 2018 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger war im Inland nichtselbständig tätig und bezog Arbeitslohn in Höhe von 32.851 €. Die Klägerin arbeitete als selbständige Hebamme in den Niederlanden und erzielte aus dieser Tätigkeit einen (nach deutschem Recht ermittelten) Gewinn von 30.267 €. Sie hatte den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zufolge in den Niederlanden neben einem einkommensunabhängigen gesetzlichen Basisbeitrag zur Krankenversicherung (sogenannte Kopfpauschale) in Höhe von 1.352 € weitere einkommensabhängige Sozialversicherungsbeiträge geleistet, und zwar 6.084 € zur Rentenversicherung, 3.113 € zur Pflegeversicherung sowie 1.120 € zur Krankenversicherung.
Ebenfalls nach den Feststellungen des FG unterlag der von der Klägerin erzielte Gewinn in den Niederlanden nach Berücksichtigung von Grundfreibeträgen und der wegen der Lebens- und Einkommenssituation der Klägerin insgesamt höheren "Heffingskorting" (Steuerabzug für die persönlichen Verhältnisse) in Höhe von 7.460 € keiner Einkommensteuerbelastung.
Der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte den Gewinn der Klägerin bei der Ermittlung der Einkünfte nicht, erfasste ihn aber im Rahmen des Progressionsvorbehalts. Die Beiträge zur niederländischen Sozialversicherung hingegen blieben sowohl bei der Ermittlung des Einkommens als auch bei der Höhe des Progressionsvorbehalts unberücksichtigt.
Die dagegen gerichtete Klage hatte teilweise Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2023, 127). Das FG entschied, das FA habe zwar zu Recht die in den Niederlanden gezahlten einkommensabhängigen Vorsorgeaufwendungen (Renten‑ und Pflegeversicherungsbeiträge sowie Beiträge zur Zusatzversicherung zur Krankenversicherung) nicht als Sonderausgaben berücksichtigt und diese minderten auch nicht die im Rahmen des Progressionsvorbehalts anzusetzenden steuerfreien Einkünfte. Allerdings sei eine Berücksichtigung der einkommensunabhängigen Beiträge zur niederländischen Krankenversicherung, der sogenannten Kopfpauschale, europarechtlich geboten; denn § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) müsse bei einem unmittelbaren Zusammenhang der Vorsorgeaufwendungen mit Einnahmen aus selbständiger Arbeit jedenfalls dann sinngemäß angewendet werden, wenn ‑‑wie im Streitfall‑‑ Selbständige ebenso wie Nichtselbständige Pflichtbeiträge in ein Sozialversicherungssystem zu leisten hätten. Dies ergebe sich unmittelbar aus der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit (Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ‑‑AEUV‑‑) und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), insbesondere aus dem EuGH-Urteil Bechtel vom 22.06.2017 ‑ C‑20/16 (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271).
Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Da die von der Klägerin in den Niederlanden erzielten Einnahmen in Deutschland steuerfrei gewesen seien, dürften die in den Niederlanden geleisteten Versicherungsbeiträge gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG in Deutschland insgesamt nicht berücksichtigt werden; denn sowohl die einkommensabhängigen Versorgungsbeiträge als auch die sogenannte Kopfpauschale stünden in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den steuerfreien Einnahmen der Klägerin. Ausgenommen von diesem Abzugsverbot seien gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG nur Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit, die die Klägerin aber unstreitig nicht erzielt habe. Der Wortlaut dieser Regelung sei eindeutig. Es liege auch keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung rechtfertigen würde. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV in der Europäischen Union (EU) nur Nichtselbständige habe begünstigen wollen.
Ungeachtet dessen setze die Ausnahmeregelung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG außerdem voraus, dass der Beschäftigungsstaat im Rahmen der dortigen Besteuerung der Einnahmen keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen zulasse. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt; denn nach den Feststellungen des FG sei in den Niederlanden zumindest ein Teil der Vorsorgeaufwendungen der Klägerin im Rahmen der Heffingskorting steuerlich berücksichtigt worden. Dies betreffe vorliegend sogar Vorsorgeaufwendungen derselben Sparte (Krankenversicherung). Dass die in den Niederlanden geleisteten Vorsorgeaufwendungen in Deutschland nicht berücksichtigt werden könnten, verstoße somit auch nicht gegen die Niederlassungsfreiheit. Denn nach ständiger Rechtsprechung sei ein solcher Ausschluss unter dem Gesichtspunkt der zu wahrenden Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse unionsrechtlich gerechtfertigt und damit zulässig, wenn im Falle einer grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit der Beschäftigungsstaat Vergünstigungen, die die persönliche und familiäre Situation des Erwerbstätigen beträfen, auf freiwilliger Basis gewähre und dadurch die gesamte persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen "im Ganzen gebührend" berücksichtigt werde (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 13.04.2021 ‑ I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357, Rz 19). Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt; der Großteil des Vorsorgeaufwands der Klägerin habe Eingang in die niederländische Steuerermittlung gefunden. Die Berücksichtigung sei auch nicht so geringfügig, dass aus unionsrechtlichen Gründen der Sonderausgabenabzug in Deutschland geboten sei (Hinweis auf Senatsurteil vom 05.11.2019 ‑ X R 23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 56).
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Kläger haben in Bezug auf die Revision des FA keinen Antrag gestellt.
Mit ihrer eigenen Revision machen die Kläger geltend, auch die einkommensabhängigen Vorsorgeaufwendungen seien als Sonderausgaben zu berücksichtigen. Zum einen stelle die Heffingskorting schon keine steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen dar; denn die sich daraus in Form eines Steuerabzugs ergebende Kürzung stehe weder dem Grunde noch der Höhe nach in einem Zusammenhang mit den tatsächlich gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen. Zum andern sei die Bundesrepublik Deutschland in dem mit dem Königreich der Niederlande geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 12.04.2012 (BGBl II 2012, 1415) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 11.01.2016 (BGBl II 2016, 868 ‑‑DBA-Niederlande 2012‑‑) von ihrer Verpflichtung zur vollständigen Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation der Steuerpflichtigen, die in Deutschland wohnten und ihre wirtschaftliche Betätigung in den Niederlanden ausübten, nicht entbunden worden. Daher werde selbst eine Doppelberücksichtigung von Vergünstigungen ‑‑die im Streitfall allerdings nicht vorläge‑‑ rechtlich nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus sei das DBA-Niederlande 2012 mit Wirkung zum 01.01.2016 im Hinblick auf die Besteuerung von Alterseinkünften gravierend geändert worden. Mit Ausnahme beamtenrechtlicher Bezüge sei das Besteuerungsrecht für sämtliche Alterseinkünfte dem Wohnsitzstaat zugeordnet worden. Für den Streitfall bedeute dies, dass die durch die Rentenversicherungsbeiträge erworbenen Ansprüche der Klägerin in der Auszahlungsphase im Wohnsitzstaat Deutschland nachgelagert besteuert würden. Allein daraus müsse sich schon ein Abzug der geleisteten Beiträge ergeben. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass sich das FG nicht mit dem niederländischen Steuersystem auseinandergesetzt habe.
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit die Klage abgewiesen worden ist, und den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 06.05.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2020 dahingehend zu ändern, dass weitere Sonderausgaben in Höhe von 11.669 € abgezogen werden.
Das FA tritt dem entgegen und ist der Auffassung, es fehle jedenfalls an der in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG genannten Voraussetzung, da das FG bindend festgestellt habe, dass die Heffingskorting eine steuerliche Berücksichtigung der einkommensabhängigen Sozialversicherungsbeiträge darstelle. Dies betreffe die (einkommensabhängigen) Beiträge der Klägerin zur niederländischen Rentenversicherung, Krankenversicherung (ohne sogenannte Kopfpauschale) und Pflegeversicherung. Ebenfalls bindend festgestellt habe das FG, dass die sogenannte Kopfpauschale in den Niederlanden steuerlich nicht berücksichtigt werde. Da jedoch der Großteil des Vorsorgeaufwands Eingang in die niederländische Steuerermittlung gefunden habe und dabei auch sämtliche Sparten von Vorsorgeaufwendungen steuerlich berücksichtigt worden seien, sei eine staatenübergreifende Berücksichtigung der streitigen Beträge in Deutschland als Wohnsitzstaat auch unionsrechtlich nicht geboten.
II. Die Revisionen des FA und der Kläger sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Ob der Abzug der streitigen Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ausgeschlossen ist, lässt sich anhand der Feststellungen des FG nicht beurteilen.
1. Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG ist Voraussetzung für den Abzug der in § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG bezeichneten Beträge (Vorsorgeaufwendungen), dass sie nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Durch diese Regelung soll ein ansonsten eintretender doppelter steuerlicher Vorteil vermieden werden (Senatsurteile vom 05.11.2019 ‑ X R 23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 15 sowie vom 27.10.2021 ‑ X R 11/20, BFHE 275, 52, Rz 16 und vom 14.12.2022 ‑ X R 25/21, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2023, 927, Rz 20; BFH-Beschluss vom 22.02.2023 ‑ I R 55/20, BFH/NV 2023, 801; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 10 EStG Rz 303; Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 10 Rz 136).
Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG sind ungeachtet dessen die genannten Vorsorgeaufwendungen zu berücksichtigen, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit in einem Mitgliedstaat der EU oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder in der Schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen (Buchst. a), diese Einnahmen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Inland steuerfrei sind (Buchst. b) und der Beschäftigungsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt (Buchst. c). Diese Regelungen sind gemäß § 52 Abs. 18 Satz 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11.12.2018 (BGBl I 2018, 2338, BStBl I 2018, 1377) auf alle "offenen Fälle" anzuwenden.
2. Im vorliegenden Streitfall kann schon nicht festgestellt werden, ob es sich bei den von der Klägerin in den Niederlanden geleisteten streitigen Beiträgen tatsächlich um Vorsorgeaufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG handelt und in welcher Höhe gegebenenfalls entsprechende Beiträge geleistet worden sind.
a) Zwar hat das FG ausgeführt, die Klägerin habe "sowohl einkommensabhängige Beiträge zur Renten‑ und Pflegeversicherung ... und zur Krankenversicherung als auch den gesetzlichen Basisbeitrag zur Krankenversicherung" geleistet. Zudem geht das FG offenbar davon aus, dass es sich hierbei um Beiträge im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG gehandelt hat.
Allerdings lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, auf welcher tatsächlichen Grundlage und nach welchen rechtlichen Bestimmungen das FG zu diesem Schluss gelangt ist. Die vom FG genannten Zahlungen lassen sich weder dem Grunde nach den jeweiligen Versicherungen zuordnen noch der Höhe nach nachvollziehen. Entsprechende Ausführungen finden sich in dem angefochtenen Urteil nicht. Die dem Senat vorliegenden Akten enthalten auch keine Abrechnungen oder Belege, aus denen sich entsprechende Zahlungen in der vom FG angenommenen Höhe ergeben würden.
b) Es genügt nicht, dass die Beteiligten selbst übereinstimmend von entsprechenden Zahlungen ausgegangen sind und die diesbezüglichen Feststellungen des FG demgemäß auch nicht angegriffen haben.
aa) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen.
Umfang und Intensität der dabei anzustellenden Ermittlungen können zwar einerseits auch vom Vortrag und Verhalten der Beteiligten abhängen. Insbesondere ist das FG nicht verpflichtet, einen zwischen den Beteiligten nicht streitigen Sachverhalt ohne bestimmten Anlass zu erforschen (vgl. BFH-Urteil vom 25.02.2015 ‑ XI R 15/14, BFHE 249, 343, BStBl II 2023, 514, Rz 85; BFH-Beschluss vom 22.08.2006 ‑ I B 21/06, BFH/NV 2007, 10, unter 1.a).
Andererseits rechtfertigt jedoch allein der Umstand, dass das FA dem Vortrag eines Steuerpflichtigen nicht entgegengetreten ist, für sich genommen nicht, auf weitere Sachverhaltsaufklärung zu verzichten; § 138 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) gilt im finanzgerichtlichen Verfahren nicht. Insbesondere dann, wenn sich in Bezug auf entscheidungserhebliche Tatsachen Zweifel ergeben, kann und muss das FG diesen daher auch dann nachgehen, wenn die Beteiligten darüber nicht streiten (vgl. Senatsurteil vom 17.05.1995 ‑ X R 185/93, BFH/NV 1995, 1076, unter 1. und Senatsbeschluss vom 28.09.2011 ‑ X B 35/11, BFH/NV 2012, 177, Rz 10; ebenso BFH-Urteil vom 25.02.2015 ‑ XI R 15/14, BFHE 249, 343, BStBl II 2023, 514, Rz 84; BFH-Beschluss vom 22.08.2006 ‑ V B 59/04, BFH/NV 2007, 116).
bb) Im vorliegenden Streitfall ergeben sich in Bezug auf die streitigen Vorsorgeaufwendungen schon deshalb Zweifel, weil sich die von den Klägern geltend gemachten Beträge nicht den Beträgen, die sich aus den vorgelegten Bescheiden des niederländischen Belastingdienstes (Bl. 58 f. und Bl. 60 f. der FG-Akte) ergeben, zuordnen lassen.
Die dem FG gegebene Auskunft des FA, die in dem niederländischen Steuerbescheid aufgeführten Beträge entsprächen "den tatsächlichen Beiträgen ohne Anwendung des von der Finanzverwaltung im Hinblick auf die Heffingskorting entwickelten Tools" (s. Telefonvermerk vom 08.10.2021 ‑ Bl. 71 der FG-Akte), lässt sich so ebenfalls nicht nachvollziehen. Einen Nachweis über die "tatsächlichen Beiträge" haben die Kläger offenbar nicht vorgelegt. Welche Modifikationen das genannte "Tool" vornimmt und warum eine solche notwendig ist beziehungsweise ob die sich daraus ergebenden Beträge zutreffend sind, hätte vom FG aufgeklärt werden müssen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass es aus Sicht des FA auf einen Nachweis der geltend gemachten Beträge nicht ankam, da vom Rechtsstandpunkt des FA aus die Beträge insgesamt nicht zu berücksichtigen sind.
3. Im Streitfall kann die Frage, ob es sich bei den von der Klägerin in den Niederlanden geleisteten streitigen Beiträgen um Vorsorgeaufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG handelt und in welcher Höhe ‑‑gegebenenfalls‑‑ entsprechende Beiträge geleistet worden sind, nicht dahingestellt bleiben. Denn eine Berücksichtigung als Sonderausgaben ist entgegen der Auffassung des FA nicht schon von vornherein nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ausgeschlossen.
Zwar handelt es sich bei den Beiträgen ‑‑gegebenenfalls‑‑ um Vorsorgeaufwendungen, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG stehen (unter a). Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Vorsorgeaufwendungen gleichwohl gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG zu berücksichtigen sind (unter b).
a) Die von der Klägerin geltend gemachten Vorsorgeaufwendungen stehen ‑‑gegebenenfalls‑‑ in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG.
aa) Ein solcher Zusammenhang ist immer dann anzunehmen, wenn die Einnahmen und die Aufwendungen durch dasselbe Ereignis veranlasst sind. Diese Voraussetzung wiederum ist erfüllt, wenn ein Steuerpflichtiger steuerfreie Einnahmen erzielt und dieser Tatbestand gleichzeitig Pflichtbeiträge an einen Sozialversicherungsträger auslöst; in diesem Fall geht die Steuerbefreiung dem Sonderausgabenabzug vor. Die mit der Verausgabung der Pflichtbeiträge verbundene Minderung der Leistungsfähigkeit wird bereits durch den Bezug der steuerfreien Einnahmen aufgefangen (Senatsurteile vom 05.11.2019 ‑ X R 23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 15 und vom 18.04.2012 ‑ X R 62/09, BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721, Rz 17, m.w.N.). Ein doppelter steuerlicher Vorteil ‑‑also Steuerbefreiung und Sonderausgabenabzug‑‑ soll ausgeschlossen werden (BFH-Beschluss vom 22.02.2023 ‑ I R 55/20, BFH/NV 2023, 801, Rz 10, m.w.N.).
Eine solche Konstellation ist nach der Senatsrechtsprechung unter anderem dann gegeben, wenn grundsätzlich abzugsfähige Vorsorgeaufwendungen auf Einnahmen beruhen, die im Inland aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerfrei gestellt werden, und zwar ‑‑entgegen der Ansicht der Kläger‑‑ unabhängig davon, ob die künftigen Leistungen aus einer Rentenversicherung im Inland steuerpflichtig sind (Senatsurteile vom 14.12.2022 ‑ X R 25/21, DStR 2023, 927, Rz 24 und vom 05.11.2019 ‑ X R 23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 16, jeweils m.w.N.).
bb) Ob hier die streitigen Aufwendungen im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen der Klägerin aus ihrer in den Niederlanden ausgeübten Tätigkeit als selbständige Hebamme stehen und ob diese Einnahmen gemäß Art. 7 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g DBA-Niederlande 2012 im Inland steuerfrei sind, kann der Senat allerdings gegenwärtig nicht entscheiden. Denn das FG hat auch insoweit keine Feststellungen getroffen, die es erlauben würden, hierzu eine rechtliche Einordnung vorzunehmen beziehungsweise die von dem FG vorgenommene Einordnung nachzuvollziehen. Es ist bereits nicht festgestellt worden, in welcher Weise die Klägerin ihre Tätigkeit als selbständige Hebamme in den Niederlanden ausgeübt hat; vor allem aber geht aus dem angefochtenen Urteil nicht hervor, nach welchen (niederländischen) Vorschriften die von der Klägerin erzielten Einkünfte Pflichtbeiträge zum niederländischen Sozialversicherungssystem ausgelöst haben. Auf welcher Grundlage das FG annimmt, dass ein solcher Zusammenhang "offenkundig" sei, kann der erkennende Senat wiederum nicht nachvollziehen.
b) Auch wenn man ‑‑mit den Beteiligten und mit dem FG‑‑ davon ausgeht, dass die streitigen Vorsorgeaufwendungen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen der Klägerin stehen, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die streitigen Vorsorgeaufwendungen gleichwohl gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind.
aa) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG auch für Vorsorgeaufwendungen gilt, die im Zusammenhang mit Einkünften aus einer freiberuflichen Tätigkeit stehen.
(1) Zwar ist dem FA zuzugeben, dass sich dieses Ergebnis nicht aus der Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG selbst herleiten lässt. Der sachliche Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist nach ihrem Wortlaut ausdrücklich und unmissverständlich auf Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit beschränkt und soll zudem nach ihrer Entstehungsgeschichte (s. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24.09.2018, BTDrucks 19/4455, S. 41 f.) und ebenso nach ihrem Sinn und Zweck allein der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV Geltung verschaffen. Eine Auslegung gegen den Wortlaut stünde damit im Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers und ließe sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Überlegungen rechtfertigen (vgl. allgemein Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 15.10.1996 ‑ 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 93 und vom 16.08.2001 ‑ 1 BvL 6/01, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ‑ Rechtsprechungs-Report 2002, 117, unter II.1.).
(2) Doch muss die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG enthaltene Ausnahme vom Ausschluss des Sonderausgabenabzugs entgegen dem Wortlaut dieser Regelung auch dann Anwendung finden, wenn eine Steuerpflichtige ‑‑wie im Streitfall‑‑ in einem anderen Mitgliedstaat der EU als Beschäftigungsstaat einer selbständigen Tätigkeit nachgeht.
(a) Dies gebietet die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV, die von einem nationalen Gericht im Rahmen ihrer Zuständigkeit als unmittelbar geltendes Recht zu beachten ist. Dieses ist nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verpflichtet, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen dieses Rechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede nationale Regelung, die einer Grundfreiheit entgegensteht, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (ständige Rechtsprechung, vgl. EuGH-Urteile T.C. u.a. vom 16.02.2023 ‑ C‑638/22 PPU, EU:C:2023:103, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2023, 692, Rz 90 und The Minister for Justice and Equality and Commissioner of the Garda Siochana vom 04.12.2018 ‑ C‑378/17, EU:C:2018:979, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2019, 27, Rz 35, m.w.N.).
Der EuGH hat in seiner Entscheidung Bechtel (EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271, Rz 44 ff.) den Ausschluss des Sonderausgabenabzugs für Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG a.F. unter bestimmten Voraussetzungen als nicht mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) vereinbar angesehen, sofern ein Steuerpflichtiger, der von dieser Grundfreiheit Gebrauch macht, im Hinblick auf die unter Progressionsvorbehalt stattfindende Steuerfreistellung des ausländischen Arbeitslohns in seinem Wohnsitzstaat Aufwendungen, die die persönliche und familiäre Situation betreffen, steuerlich nicht in Abzug bringen kann und somit schlechter steht, als wenn er in seinem Wohnsitzstaat als Arbeitnehmer tätig wäre. Aufgrund dessen haben zunächst die Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 11.12.2017, BStBl I 2017, 1624) und nachfolgend der Gesetzgeber den Abzugsausschluss im Hinblick auf die eingangs genannten Voraussetzungen modifiziert, dies aber ‑‑offensichtlich anknüpfend an die Konstellation der EuGH-Entscheidung‑‑ (unter anderem) auf Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit beschränkt.
(b) Das FG hat insoweit zutreffend erkannt, dass die Gründe, die der EuGH in seiner Entscheidung für den von ihm festgestellten Verstoß des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG a.F. gegen die in Art. 45 AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit angeführt hat, in gleicher Weise auch ‑‑unter Berücksichtigung der in Art. 49 AEUV gewährleisteten Niederlassungsfreiheit‑‑ für eine entsprechende Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen herangezogen werden können, die in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit stehen. Denn die Einschränkung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG verbunden mit der fehlenden Aufnahme der selbständigen Tätigkeit in die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG beschränkt die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV in gleicher Weise, wie die Einschränkung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG a.F. die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV beschränkt hat. Warum in einem solchen Fall im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV andere Maßstäbe gelten sollten, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht (vgl. auch Korn, DStR 2019, 1, 5; Reddig, juris PraxisReport Steuerrecht 26/2020, Anm. 2, unter C.IV.; Lutter, EFG 2021, 628, 629; HHR/Kulosa, § 10 EStG Rz 304; Bleschick in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 10 Rz 35b; Kempny in Musil/Weber-Grellet, 2. Aufl., EStG § 10 Rz 31a).
Die oben dargestellten Grundsätze hat der EuGH erkennbar nicht allein auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bezogen; in seinem Urteil Imfeld und Garcet vom 12.12.2013 ‑ C‑303/12 (EU:C:2013:822, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2014, 183) hat er sie unter anderem auch auf die Niederlassungsfreiheit angewandt. Zudem zeigt das EuGH-Urteil Montag vom 06.12.2018 ‑ C‑480/17 (EU:C:2018:987, DStR 2018, 2622), auch wenn es darin um einen beschränkt Steuerpflichtigen ging, dass der EuGH in Bezug auf die Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen in Form von Pflichtbeiträgen Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit grundsätzlich nicht anders behandelt als Einnahmen aus einer nichtselbständigen Tätigkeit.
(c) Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, im Fall einer solchen Kollision von Unionsrecht und nationalem Recht dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts dadurch Geltung zu verschaffen, dass die einschlägige nationale Regelung normerhaltend in der Weise angewendet wird, dass das unionsrechtswidrige Tatbestandsmerkmal bei der Rechtsanwendung unberücksichtigt bleibt (Senatsurteile vom 27.10.2021 ‑ X R 11/20, BFHE 275, 52, Rz 27 und vom 05.11.2019 ‑ X R 23/17, BFHE 267, 34, BStBl II 2020, 763, Rz 44; BFH-Urteile vom 20.09.2006 ‑ I R 113/03, BFH/NV 2007, 220, unter III.1. und vom 22.07.2008 ‑ VIII R 101/02, BFHE 222, 453, BStBl II 2010, 265, unter IV.1.; vgl. auch Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., Kap. 4 Rz 24 ff.).
Folglich führt der Anwendungsvorrang der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV im Streitfall dazu, dass bei der Anwendung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. a EStG die unionsrechtswidrige Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs der Ausnahmeregelung auf Einnahmen aus "nichtselbständiger" Tätigkeit nicht beachtet wird. Die Regelung ist vielmehr auch auf Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit anzuwenden.
(3) Eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV kommt insoweit nicht in Betracht. Die Unionsrechtslage ist, insbesondere unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Montag (EU:C:2018:987, DStR 2018, 2622), in Bezug auf die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit für die Frage nach der Zulässigkeit von Beschränkungen beim steuerlichen Abzug von Aufwendungen für die persönliche und familiäre Situation des Steuerpflichtigen hinreichend geklärt und damit eindeutig (vgl. zur acte-clair-Rechtsprechung u.a. EuGH-Urteil C.I.L.F.I.T. vom 06.10.1982 ‑ Rs. 283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415, Rz 13 ff.; BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 ‑ 2 BvR 1161/19, HFR 2021, 504, Rz 55, m.w.N.; Senatsurteil vom 27.10.2021 ‑ X R 11/20, BFHE 275, 52, Rz 32 und BFH-Urteil vom 13.04.2021 ‑ I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357, Rz 27; Fehling in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Gerichtliche Durchsetzung des Unionsrechts, Rz 27.16.).
bb) Ob im Streitfall auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. b EStG erfüllt sind, dass die Einnahmen der Klägerin aus selbständiger Arbeit nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) im Inland steuerfrei sind, kann der erkennende Senat nicht ohne finanzgerichtliche Feststellungen zu der Frage entscheiden, in welcher Weise die Klägerin ihre Tätigkeit als Hebamme in den Niederlanden ausgeübt hat. Die Ausübung einer freiberuflichen oder sonstigen selbständigen Tätigkeit wird gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. f und g DBA-Niederlande 2012 den Unternehmensgewinnen zugerechnet und für Unternehmensgewinne gilt gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Niederlande 2012 vom Ausgangspunkt her das Wohnsitzprinzip. Das Besteuerungsrecht liegt damit beim Wohnsitzstaat (hier: Deutschland), wenn die Geschäftstätigkeit nicht durch eine in dem anderen Staat (hier: den Niederlanden) belegene Betriebsstätte (Art. 5 DBA-Niederlande 2012) ausgeübt wird. Feststellungen zu einer Betriebsstätte der Klägerin fehlen jedoch bislang. Auch in der niederländischen Gewinnermittlung der Klägerin finden sich ‑‑soweit ersichtlich‑‑ keine Hinweise auf Aufwendungen für eine Praxis oder sonstige Räumlichkeiten.
cc) Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang schließlich eine Berücksichtigung der streitigen Aufwendungen im Inland gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG aufgrund einer steuerlichen Berücksichtigung in den Niederlanden ausgeschlossen ist, kann der erkennende Senat ebenfalls nicht entscheiden, da das FG auch keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, in welcher Weise in den Niederlanden Vorsorgeaufwendungen bei der Besteuerung von Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit berücksichtigt werden. Dies gilt sowohl in Bezug auf die einkommensabhängigen Beiträge zur Renten‑, Kranken- und Pflegeversicherung als auch in Bezug auf den gesetzlichen Basisbeitrag zur Krankenversicherung, die sogenannte Kopfpauschale.
Zwar geht das FG in Bezug auf die einkommensabhängigen Sozialversicherungsbeiträge in dem angefochtenen Urteil (auf S. 7, erster Absatz) davon aus, dass diese in den Niederlanden "bei der Besteuerung der Einkünfte der Klägerin im Wege einer Kürzung oder Verrechnung (in Gestalt der Heffingskorting) berücksichtigt" worden sind. Wie eine solche Berücksichtigung vorgenommen worden sein soll, kann der erkennende Senat jedoch wiederum nicht nachvollziehen, da das FG auch insoweit keine Feststellungen getroffen hat. Zunächst lässt das FG offen, aus welchen Vorschriften des niederländischen Steuerrechts sich ergibt, dass mit dem niederländischen Heffingskorting Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung der Einnahmen der Klägerin aus selbständiger Arbeit berücksichtigt werden. Des Weiteren bleibt offen, in welcher Art und Weise und in welchem tatsächlichen Umfang im Streitfall eine solche Berücksichtigung erfolgt ist.
In Bezug auf die sogenannte Kopfpauschale, den gesetzlichen Basisbeitrag zur Krankenversicherung, gilt dies gleichermaßen. Denn da bereits nicht ersichtlich ist, in welcher Weise die einkommensabhängigen Sozialversicherungsbeiträge steuerlich berücksichtigt worden sind, lässt sich auch keine Aussage zu der Frage treffen, ob eine Berücksichtigung weiterer, einkommensunabhängiger Beiträge nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG ausgeschlossen ist.
4. In Anbetracht dessen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, da das FG ‑‑wie dargelegt‑‑ weder die notwendigen Tatsachenfeststellungen noch die erforderlichen Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht getroffen hat.
a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Wie es dies tut, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Anforderungen an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters lassen sich nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen. Jedenfalls sind an die Ermittlungspflicht umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder je fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist. Gleiches gilt, wenn die Beteiligten zur ausländischen Rechtspraxis detailliert und kontrovers vortragen. Der Umstand, dass das ausländische Recht gegebenenfalls sehr komplex ist, kann das FG von dieser Ermittlungspflicht nicht entbinden (s. im Einzelnen Senatsurteil vom 22.03.2018 ‑ X R 5/16, BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 22 ff. und BFH-Urteil vom 19.10.2021 ‑ VII R 7/18, BFHE 276, 189, Rz 63 ff., jeweils m.w.N.).
Eine Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass die Vorentscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts beruhe; denn ausländisches Recht gehört nicht zum "Bundesrecht" im Sinne des § 118 Abs. 1 FGO. Vielmehr sind die Feststellungen über das Bestehen und den Inhalt ausländischen Rechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln (z.B. BFH-Urteile vom 19.10.2021 ‑ VII R 7/18, BFHE 276, 189, Rz 63 und vom 19.01.2017 ‑ IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61), auch wenn die ausländischen Rechtssätze dadurch nicht selbst zu Tatsachen werden und eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast in diesem Bereich daher nicht möglich ist (Senatsurteil vom 22.03.2018 ‑ X R 5/16, BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 23 und BFH-Urteil vom 25.06.2021 ‑ II R 13/19, BFHE 275, 231, BStBl II 2022, 481, Rz 22, jeweils m.w.N.).
Die revisionsrechtliche Bindungswirkung entfällt allerdings, soweit die erforderlichen Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht fehlen oder auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen. In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor (z.B. BFH-Urteile vom 20.04.2021 ‑ IV R 3/20, BFHE 273, 119, Rz 50 und vom 19.01.2017 ‑ IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61).
b) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze liegt im Streitfall ein materieller Mangel vor; denn es fehlen jegliche Feststellungen zum maßgeblichen niederländischen Recht. Solche Feststellungen wären aber schon deswegen geboten gewesen, weil die Rechtsfiguren des allgemeinen "Heffingskorting", des "Arbeitskorting" und des "einkommensabhängigen Kombinationskorting" dem deutschen Einkommensteuerrecht fremd sind.
5. Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat ‑‑ohne Bindungswirkung nach § 126 Abs. 5 FGO‑‑ auf Folgendes hin:
a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass für die Frage, ob der Beschäftigungsstaat nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 Buchst. c EStG "keinerlei" steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Besteuerung dort bezogener Einnahmen zulässt, die einzelnen Sparten der Vorsorgeaufwendungen getrennt zu beurteilen sind und dass Vorsorgeaufwendungen, die bei einer grenzüberschreitenden Tätigkeit bereits der Beschäftigungsstaat im Rahmen der Besteuerung der dort erzielten und im Inland steuerfreien Einnahmen zum Abzug zulässt, im Rahmen der inländischen Besteuerung nicht nochmals als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind (Senatsurteil vom 27.10.2021 ‑ X R 28/20, BFHE 275, 63, Rz 29 ff.).
Die diesbezüglichen Ausführungen des erkennenden Senats beziehen sich zwar auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV). Sie gelten aber gleichermaßen auch im Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und werden daher auch im vorliegenden Streitfall zu berücksichtigen sein. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannte Entscheidung Bezug genommen.
b) Ebenfalls durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt ist, dass Vorsorgeaufwendungen nicht im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind.
Nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind die durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der deutschen Besteuerung freigestellten Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Daran anknüpfend bestimmt § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG, dass die betreffenden Einkünfte den anzuwendenden Steuersatz erhöhen oder vermindern. Folglich gehen nur "Einkünfte" in die von § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG vorgeschriebene Berechnung ein. Sonderausgaben zählen jedoch nicht zu den Einkünften, sondern werden erst im Anschluss an die Ermittlung der Einkünfte vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen (§ 2 Abs. 4 EStG). Dies schließt ‑‑wie auch das FG zutreffend erkannt hat‑‑ ihre Berücksichtigung im Rahmen des Progressionsvorbehalts aus (BFH-Urteil vom 03.11.2010 ‑ I R 73/09, BFH/NV 2011, 773, Rz 9 und Senatsurteil vom 18.04.2012 ‑ X R 62/09, BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721, Rz 43, m.w.N.; ebenso: BFH-Urteil vom 13.04.2021 ‑ I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357, Rz 24; BFH-Beschluss vom 22.02.2023 ‑ I R 55/20, BFH/NV 2023, 801, Rz 17).
Stehen in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR beziehungsweise in der Schweiz geleistete Vorsorgeaufwendungen im Zusammenhang mit nach einem DBA steuerfreien ausländischen Einkünften, lässt sich eine entsprechende Verpflichtung auch nicht aus dem Unionsrecht herleiten, soweit die Berücksichtigung dieser Vorsorgeaufwendungen durch ein DBA dem besteuernden Beschäftigungsstaat übertragen worden ist (BFH-Urteil vom 13.04.2021 ‑ I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357, Rz 26). Dasselbe gilt, wenn ‑‑wie möglicherweise im Streitfall‑‑ die Entpflichtung des Wohnsitzstaats darauf beruht, dass der Beschäftigungsstaat die Vorsorgeaufwendungen außerhalb einer bilateralen oder multilateralen Übereinkunft steuerlich berücksichtigt und den Steuerpflichtigen dadurch entlastet (Senatsurteil vom 27.10.2021 ‑ X R 28/20, BFHE 275, 63, Rz 41). Beide Urteile sind wiederum zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) ergangen, lassen sich aber ebenso auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) übertragen. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Urteile Bezug genommen.
6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
-
„Vielen Dank für die stets freundliche und konstruktive Betreuung durch Ihr Haus“
Horst Flick, Groß- und Konzernbetriebsprüfer in Hessen
-
„Irgendwann innerhalb dieser 20 Jahre habe ich es einmal mit einem anderen Anbieter versucht. Das war aber gleich wieder vorbei. Nachher wusste ich SIS erst richtig zu schätzen.“
Brigitte Scheibenzuber, Steuerberaterin, 84137 Vilsbiburg
-
„Ihre Datenbank ist eigentlich schier unerschöpflich und ich arbeite sehr gern damit. Ein großes Lob für die leichte Handhabung, die vielfachen Suchmöglichkeiten und überhaupt.“
Ingrid Nigmann, Kanzlei Dipl.-Kfm. Georg-Rainer Rätze, 39112 Magdeburg
-
„Wir benutzen mit größter Zufriedenheit Ihre Datenbank, sie stellt wirklich eine enorme Erleichterung im täglichen Arbeitsleben dar.“
Schneider, Siebert & Kulle, Partnerschaftsgesellschaft, 60486 Frankfurt
-
„Ich möchte nicht versäumen, Sie für die ‘SteuerMail’ zu loben. Die Aktualität und die Auswahl der Themen ist wirklich sehr gut.“
Frank Zoller, Rechtsanwalt und Steuerberater, 75179 Pforzheim
-
„Sie haben offensichtlich die Bedürfnisse des steuerberatenden Berufs bei seiner Arbeit richtig eingeschätzt. Die Zuordnung der verschiedenen Dokumente zur jeweiligen Rechts-Vorschrift ist schlichtweg genial. Auch der Hinweis auf weitere Kommentare und Aufsätze ist außerordentlich wertvoll.“
Willi Besenhart, Steuerberater, 81739 München
-
"Es macht wirklich Spaß mit Ihrer Datenbank zu arbeiten."
Robert Kochs, Steuerberater, 52074 Aachen
-
"Ich bin sehr zufrieden. Die Datenbank ist äußerst hilfreich, Preis-Leistungsverhältnis stimmt."
Erika Dersch, Steuerberaterin, 82431 Kochel am See
-
"Bin von Anfang an begeisterter Anwender und möchte SIS nicht mehr missen."
Harald Dörr, Steuerberater, 63571 Gelnhausen
-
"Die SIS-Datenbank ist hervorragend; m.E. besser als die von den Finanzbehörden in BW verwendete Steuerrechtsdatenbank."
Wolfgang Friedinger, 89077 Ulm
-
"Sehr gut ist die SteuerMail mit den Anlagen und die Internetseite mit den aktuellen Themen!"
Karin Pede, IHR-ZIEL.DE GmbH, 91320 Ebermannstadt
-
"Mit Ihrer SIS-Datenbank bin ich seit Jahren sehr glücklich, hat mir schon sehr viel geholfen und der Preis ist nach wie vor sehr zivil für diese feine Geschichte."
G. Grisebach, Steuerberaterin
-
"Auf vieles kann man verzichten - auf SIS niemals! Herzlichen Glückwunsch zur aktuellen SIS-Datenbank, vielen Dank für Ihren äußerst aktuellen Informations-Service"
Friedrich Heidenberger, Steuerberater, 90530 Wendelstein
-
"Ihre Datenbank ist konkurrenzlos benutzerfreundlich."
Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld
-
"Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."
Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart
-
"Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."
Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera