BFH: Veräußerung eines Dividendenanspruchs zwischen beschränkt Steuerpflichtigen
- Der Steuerentrichtungspflichtige ist befugt, gegen die auf seinen eigenen Anmeldungen beruhenden, unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Festsetzungen (§ 168 Satz 1 AO) der Kapitalertragsteuer zu klagen und diese auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (Anschluss an BFH-Beschluss vom 12.04.2022 ‑ VIII R 35/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2022, 1024 = SIS 22 11 55, Rz 16 ff., m.w.N.).
- Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG für die Besteuerung der Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG tritt nach der im Jahr 2013 geltenden Fassung auch dann ein, wenn der Gewinn aus der Veräußerung der Dividendenansprüche bei beschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 49 EStG nicht steuerpflichtig ist.
- Die Veräußerung des Dividendenanspruchs ist kein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO, da diese in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vom Gesetzgeber geregelt ist.
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2, § 44 Abs. 1 Satz 3, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a
AO § 42, § 168 Satz 1
BFH-Urteil vom 15.11.2022, VIII R 21/19 (veröffentlicht am 2.3.2023)
Vorinstanz: Hessisches FG vom 17.5.2019, 4 K 720/16 = SIS 19 11 12
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein inländisches Kreditinstitut. Sie verwahrte und verwaltete in dem Streitzeitraum April und Mai 2013 zu den jeweiligen Dividendenstichtagen folgende Wertpapiere nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Kreditwesengesetzes für das in Großbritannien ansässige Kreditinstitut AB, einer Aktiengesellschaft nach dem Recht Großbritanniens:
Aktien- gattung |
Aktien- anzahl |
Bruttodivi- dende |
Einlieferung |
Ex-Tag |
Auslieferung |
RWE | € | 08.04.2013 | 19.04.2013 | 23.04.2013 | |
VW | € | 15.04.2013 | 26.04.2013 | 03.05.2013 | |
MüRü | € | 15.04.2013 | 26.04.2013 | 03.05.2013 | |
Bayer | € | 16.04.2013 | 29.04.2013 | 30.04.2013 | |
BASF | € | 16.04.2013 | 29.04.2013 | 30.04.2013 | |
Porsche | € | 19.04.2013 | 02.05.2013 | 03.05.2013 | |
E.ON | € | 23.04.2013 | 06.05.2013 | 08.05.2013 | |
Adidas | € | 26.04.2013 | 09.05.2013 | 10.05.2013 | |
Allianz | € | 26.04.2013 | 08.05.2013 | 09.05.2013 | |
BMW | € | 03.05.2013 | 15.05.2013 | 16.05.2013 | |
DB | € | 13.05.2013 | 24.05.2013 | 24.05.2013 |
AB veräußerte jeweils mit auf den Tag der Einlieferung der Aktien in das Depot datierten Verträgen die künftigen Dividendenansprüche für das Geschäftsjahr 2012 an die Londoner Niederlassung AC, einer Kapitalgesellschaft nach dem Recht des US-Bundesstaats X. Als Kaufpreis waren zwischen 93 % und 97 % der zu erwartenden "Brutto-Dividenden" zu zahlen. Gleichzeitig wurde der jeweilige Anspruch auf die Auszahlung der Dividende abgetreten. Sämtliche Verträge enthielten hinsichtlich der Zusicherungen der Veräußerin identische Formulierungen. Danach übernahm AB weder die Verantwortung oder Haftung dafür, dass die Forderung in voller Höhe des Bruttodividendenbetrags entstand, noch für die Bonität und die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft nach dem Entstehen der Forderung.
Gegenüber der Klägerin wurde die Abtretung jeweils angezeigt. In den Abtretungsanzeigen wurde sie angewiesen, die zu erwartende Dividende auf ein Konto der AC auszuzahlen.
Die Klägerin gab in der Kapitalertragsteuer-Anmeldung vom 10.06.2013 für Mai 2013 allein die Ausschüttung der DB AG an, für die sie bei der Auszahlung an die Abtretungsempfängerin die Kapitalertragsteuer einbehalten hatte. Mit Schreiben vom 09.07.2013 legte sie Einspruch gegen die Kapitalertragsteuer-Anmeldung für Mai 2013 vom 10.06.2013 ein und begehrte, betreffend die Ausschüttung der DB AG die Kapitalertragsteuer um … € und den Solidaritätszuschlag um … € herabzusetzen.
Am 26.06.2015 reichte die Klägerin geänderte Kapitalertragsteuer-Anmeldungen für April und Mai 2013 ein, die die Ausschüttungen aller an die AC abgetretenen Dividendenzahlungen (s. oben Tabelle) umfassten, und legte gegen diese mit Schreiben vom 20.07.2015 Einspruch ein.
Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in den Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1593 mitgeteilten Gründen keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) folgte dem Prüfungsbericht der Außenprüfung, wonach das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien zum Zeitpunkt der Ausschüttung bei AB lag, und nahm an, dass die Klägerin gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a und § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Streitjahres 2013 (EStG) zum Einbehalt von Kapitalertragsteuer auf die Dividendenzahlungen im Auszahlungszeitpunkt verpflichtet war.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Klägerin beantragt,
1. Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17.05.2019 ergangene Urteil des Hessischen FG, zugestellt am 13.06.2019, wird aufgehoben.
2. Die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge i.S. des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG für den Anmeldungszeitraum April 2013 durch die Steueranmeldungen vom 10.05.2013 und 26.06.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.03.2016 von … € um … € auf … € sowie den entsprechenden Solidaritätszuschlag von … € um … € auf … € zu reduzieren.
3. Die Festsetzung der Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge i.S. des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG für den Anmeldungszeitraum Mai 2013 durch die Steueranmeldungen vom 10.06.2013 und 26.06.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.03.2016 von … € um … € auf … € sowie den entsprechenden Solidaritätszuschlag von … € um … € auf … € zu reduzieren.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA folgt im Wesentlichen den Ausführungen des FG. Die Klägerin sei zum Einbehalt von Kapitalertragsteuer auf die Dividendenzahlungen verpflichtet gewesen, da die Dividendenzahlungen von AB als Anteilseignerin gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 5 EStG zu versteuern seien. Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG in Bezug auf die Besteuerung der Dividenden finde keine Anwendung, da in § 49 Abs. 1 EStG nicht auf diese Vorschrift verwiesen werde. Eine Verdrängung der Besteuerung der Dividendenzahlungen aufgrund der Veräußerung der Dividendenansprüche lasse sich sachlich auch nur dann rechtfertigen, wenn eine Besteuerung der Veräußerungsgewinne ‑‑anders als im Streitfall‑‑ tatsächlich erfolge; der Gesetzgeber habe die Besteuerung der Dividendenzahlungen durch die Regelung der Sperrwirkung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG nicht per se aufgeben wollen. Mit der Neuregelung im Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 ‑‑KroatienAnpG‑‑ (BGBl I 2014, 1266) habe er außerdem klargestellt, dass eine tatsächliche Besteuerung der Veräußerungsgewinne für den Eintritt der Sperrwirkung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG erforderlich sei. Dies gelte auch für vorangegangene Besteuerungszeiträume. Es sei jedenfalls ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO) gegeben. Abgesehen von einem Abschlag zwischen 3 % und 7 % der zu erwartenden Bruttodividende entspreche das wirtschaftliche Ergebnis der Veräußerung dem, wie es bei einer späteren Vereinnahmung der Dividende eingetreten wäre. Der geringfügige Finanzierungsvorteil durch die Veräußerung der Dividendenansprüche von gerade einmal zehn Tagen sei vernachlässigbar. Die Gestaltung sei nur gewählt worden, um zu erreichen, dass die Dividendenzahlungen nicht der Besteuerung unterliegen.
II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) und gibt der Klage statt. Zwar hat das FG die Klage zu Recht als zulässig angesehen, aber zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin zum Kapitalertragsteuerabzug verpflichtet war.
1. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als zulässig angesehen. Die Klägerin ist als Steuerentrichtungspflichtige befugt, gegen die auf ihren eigenen Anmeldungen beruhenden, unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Festsetzungen (§ 168 Satz 1 AO) der Kapitalertragsteuer zu klagen und diese auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 12.04.2022 ‑ VIII R 35/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2022, 1024, Rz 16 ff., m.w.N.).
2. Das Urteil ist jedoch aufzuheben, da das FG rechtsfehlerhaft die Klage als unbegründet abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des FG war die Klägerin als die Kapitalerträge auszahlende Stelle bei Auszahlung der Dividenden an AC nicht zum Abzug und zur Abführung der Kapitalertragsteuer und des hierauf entfallenden Solidaritätszuschlags nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG verpflichtet, da AB als Anteilseignerin der Aktien i.S. des § 20 Abs. 5 EStG keine steuerbaren Dividendeneinkünfte i.S. des § 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt hat. Rechtsgrund hierfür ist, dass nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG der Gewinn der AB aus der Veräußerung der Dividende an AC an die Stelle der Besteuerung der Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG getreten ist und dieser nicht unter die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte nach § 49 EStG fällt.
a) Die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 3, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG durch die Klägerin setzt voraus, dass AB als im Inland beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft steuerbare Kapitaleinkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt hat. Das ist vorliegend nicht der Fall.
aa) Anteilseignerin der Aktien i.S. des § 20 Abs. 5 EStG war bei der Ausschüttung der Dividenden im Streitzeitraum AB. Diese unterlag als Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Ausland hatte und damit im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig war, gemäß § 2 Nr. 1 KStG mit ihren inländischen Einkünften der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, also auch an die Anteilseigner ausgeschüttete Dividenden.
bb) Zwar werden die Dividendenzahlungen AB als Anteilseignerin i.S. des § 20 Abs. 5 EStG trotz der Abtretung der Dividendenansprüche an AC als Kapitaleinkünfte zugerechnet (vgl. BFH-Urteil vom 11.12.1968 ‑ I 250/64, BFHE 94, 488, BStBl II 1969, 188), so dass der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG an sich erfüllt ist. Jedoch tritt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Dividende durch den Inhaber des Stammrechts an die Stelle der Besteuerung der Dividende nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Besteuerung der Dividenden im Zeitpunkt ihrer Auszahlung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird hierdurch verdrängt (vgl. BFH-Urteil vom 02.03.2010 ‑ I R 44/09, BFH/NV 2010, 1622, Rz 17). Da Kapitaleinkünfte gemäß § 20 Abs. 2 EStG seit Einführung der Abgeltungsteuer keine inländischen Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 49 EStG sind, unterliegt AB in Bezug auf den von ihr erzielten Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der Dividenden auch insoweit im Inland nicht der inländischen Besteuerung, so dass auch keine Pflicht der Klägerin zum Einbehalt und zur Abführung der Kapitalertragsteuer besteht.
cc) Entgegen der Auffassung des FG entfällt die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG für die Besteuerung der Dividende nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht deshalb, weil in § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG auf diese Regelung nicht verwiesen wird. Denn § 49 Abs. 1 EStG knüpft an das Vorliegen der Einkünfte i.S. des § 2 i.V.m. §§ 13 ff. EStG punktuell an und enthält keine Erweiterung gegenüber dem für unbeschränkt Steuerpflichtige geltenden Einkünftebegriff (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteil vom 07.11.2001 ‑ I R 14/01, BFHE 197, 287, BStBl II 2002, 861, unter II.4.; BFH-Beschluss vom 01.12.1982 ‑ I B 11/82, BFHE 137, 178, BStBl II 1983, 367, unter 2.b; vgl. Hidien in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff ‑‑KSM‑‑, EStG, § 49 Rz A 1, A 24, A 300 und A 314; Bärsch in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 49 EStG Rz 5; Holthaus in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand 131. Lfg. 04.2022 § 49 EStG Rz 1; Schmidt/Loschelder, EStG, 41. Aufl., § 49 Rz 11). Im Falle einer Veräußerung von künftigen Dividendenansprüchen durch den Inhaber des Stammrechts wären die Dividendenzahlungen bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerbar, so dass dies ‑‑mangels einer gegenteiligen Regelung in § 49 EStG‑‑ auch für beschränkt steuerpflichtige Aktieninhaber gelten muss. Hätte der Gesetzgeber hiervon abweichen wollen, hätte er in § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG regeln müssen, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht zu berücksichtigen ist. Dies hat er aber ‑‑anders als in § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 des REIT-Gesetzes vom 28.05.2007 (BGBl I 2007, 914)‑‑ nicht geregelt (vgl. z.B. Helios/Klein, Finanz-Rundschau ‑‑FR‑‑ 2014, 110, 112).
dd) Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG für die Besteuerung der Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG tritt nach der im Streitzeitraum 2013 geltenden Fassung der Vorschrift auch dann ein, wenn eine Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Dividendenansprüche bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht erfolgt (vgl. Jachmann-Michel in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 1052 f.; Levedag in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 1. Aufl., § 2 Rz 84; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 49 Rz 74; Jochum in KSM, EStG, § 20 Rz D/2 26 und D/2 28a; Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 329; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 456; Bisle, Neue Wirtschafts-Briefe ‑‑NWB‑‑ 2013, 4108; Helios/Klein, FR 2014, 110, 112; Wiese/Berner, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2013, 2674; vgl. das Ergebnis in BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 1622; andere Auffassung Gesetzesbegründung zum KroatienAnpG in BTDrucks 18/1529, S. 53; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen ‑‑BMF‑‑ vom 26.07.2013 ‑ IV C 1‑S 2410/11/10001:003, BStBl I 2013, 939; BeckOK EStG/Mann, 14. Ed. [01.10.2022], EStG § 45 Rz 9 f.; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Kommentar zum KStG, § 20 EStG Rz 254; Ramackers, Recht der Finanzinstrumente ‑‑RdF‑‑ 2013, 241).
aaa) Aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG, nach dem "diese Besteuerung an die Stelle der Besteuerung nach Abs. 1 tritt", ist nicht zu folgern, dass der Gesetzgeber eine tatsächliche Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Dividende zur Voraussetzung der Sperrwirkung der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG machen wollte. Zum einen ist dies dem Begriff der "Besteuerung" nicht ohne weiteres zu entnehmen, da dieser im Einkommensteuergesetz in den unterschiedlichsten Zusammenhängen verwendet wird und erst im konkreten Bezug an Bedeutung gewinnt (vgl. Jochum in KSM, EStG, § 20 Rz D/2 26 und D/2 28; Wiese/Berner, DStR 2013, 2674, 2675). Zum anderen ist auch der Gesetzesbegründung zum Standortsicherungsgesetz vom 13.09.1993 (BTDrucks 12/5016, S. 87) in Bezug auf die Einführung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG nicht zu entnehmen, dass die Sperrwirkung für die Besteuerung der Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur dann eintreten soll, wenn die Gewinne aus der Veräußerung des Dividendenanspruchs tatsächlich besteuert werden. Mit der Einfügung des Satz 2 in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sollte nach der Gesetzesbegründung allein eine Doppelbesteuerung der Dividende und des Gewinns aus der Veräußerung des Dividendenanspruchs vermieden werden. Dass eine tatsächliche Besteuerung bzw. eine Einmalbesteuerung des Veräußerungsgewinns oder der Dividendenzahlungen sichergestellt werden sollte, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung indes nicht (so z.B. auch Bisle, NWB 2013, 4108, 4110; Wiese/Berner, DStR 2013, 2674, 2676).
bbb) Erst die Neufassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG in der Fassung des KroatienAnpG stellt auf eine tatsächliche Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung des Dividendenanspruchs für das Eintreten der Sperrwirkung ab. Danach tritt die Sperrwirkung erst dann ein, "soweit eine Besteuerung" des Gewinns aus der Veräußerung der Dividenden nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 1 EStG "erfolgt ist". Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung (s. BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 939) macht diese durch das KroatienAnpG eingeführte Neufassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG nicht nur eine bereits geltende Rechtsauffassung deutlich (so jedoch die Gesetzesbegründung in BTDrucks 18/1529, S. 53), sondern ändert das Gesetz dahingehend, dass der Ausschluss der Besteuerung der Dividende im Falle einer Veräußerung von Dividendenansprüchen von der tatsächlichen Besteuerung des sich daraus ergebenden Gewinns abhängt (so auch Hamacher/Dahm in Korn, § 20 EStG Rz 329; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 456). Die Neuregelung findet erstmals in dem Zeitpunkt Anwendung, in dem sie wirksam geworden ist und hat keine Rückwirkung. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 3 EStG in der Fassung des KroatienAnpG ist die Gesetzesänderung beim Steuerabzug vom Kapitalertrag erstmals auf Dividenden anzuwenden, die nach dem 31.12.2014 zufließen. Somit scheidet eine Anwendung der Neuregelung im Streitfall aus.
ccc) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Änderung der Regelung des § 49 EStG zur Besteuerung der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14.08.2007 ‑‑UntStRefG 2008‑‑ (BGBl I 2007, 1912). Diese Gesetzesänderung führte zu einer Streichung der Verweisung in § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG auf § 20 Abs. 2 EStG mit dem Ergebnis, dass der Gewinn aus der Veräußerung von Dividendenansprüchen nicht mehr der inländischen beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Hieraus ist jedoch entgegen der Auffassung des FG nicht zu schließen, dass der Gesetzgeber die Dividende nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG auch im Falle der Veräußerung des Dividendenanspruchs stets besteuern wollte, da mit der Gesetzesänderung auch der Verweis auf die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG entfallen ist. Dies ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen (s. BRDrucks 220/07, S. 113). Hätte eine solche Absicht des Gesetzgebers bestanden, hätte es nahe gelegen, die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG von einer tatsächlichen Besteuerung des Veräußerungsgewinns abhängig zu machen. Die Norm des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist aber durch das UntStRefG 2008 vom Gesetzgeber nicht geändert worden und sollte ausweislich der Gesetzesbegründung (s. BRDrucks 220/07, S. 88) der bisherigen Regelung entsprechen. Demzufolge kommt auch eine einschränkende Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG aufgrund der Änderung des § 49 EStG nicht in Betracht (so aber Ramackers, RdF 2013, 241, 243).
b) Die Klägerin war auch nicht zu einem Kapitalertragsteuerabzug gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG hinsichtlich der durch AB erzielten Gewinne aus der Veräußerung der Dividendenansprüche i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verpflichtet. Diese sind keine nach § 49 EStG beschränkt steuerpflichtige Einkünfte. Da keine inländische Steuerpflicht besteht, ist von der auszahlenden Stelle kein Kapitalertragsteuereinbehalt vorzunehmen (vgl. BMF-Schreiben vom 19.05.2022 ‑ IV C 1‑S 2252/19/10003:009, BStBl I 2022, 742). Zum Steuerabzug verpflichtet ist gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 EStG allein die für den Verkäufer der Dividendenansprüche den Verkaufsauftrag ausführende Stelle. Dies war vorliegend nicht die Klägerin.
c) Die Veräußerung der Dividendenansprüche i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG durch AB stellt auch keinen Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO dar.
aa) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ein Missbrauch nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Jedoch macht das Motiv, Steuern zu sparen, eine Gestaltung noch nicht unangemessen i.S. des § 42 AO. Der Steuerpflichtige darf seine Verhältnisse grundsätzlich so gestalten, dass keine oder möglichst geringe Steuern anfallen und dabei zivilrechtliche Gestaltungen, die vom Gesetz vorgesehen sind, frei verwenden. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige nicht die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen erkennbaren wirtschaftlichen Zweck hat, kann der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn durch mehrere Geschäfte, die sich wirtschaftlich gegenseitig neutralisieren, lediglich ein steuerlicher Vorteil erzielt werden soll oder wenn die Gestaltung in ihrer wirtschaftlichen Auswirkung durch eine gegenläufige Gestaltung kompensiert wird und sich deshalb im Ergebnis lediglich als formale Maßnahme erweist (vgl. BFH-Urteile vom 29.09.2020 ‑ VIII R 9/17, BFHE 271, 114, BStBl II 2021, 385, Rz 19; vom 12.06.2018 ‑ VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 19; vom 08.03.2017 ‑ IX R 5/16, BFHE 257, 211, BStBl II 2017, 930, Rz 18 f.; vom 25.08.2009 ‑ IX R 55/07, BFH/NV 2010, 387, unter II.1.a, und vom 11.10.2000 ‑ I R 99/96, BFHE 193, 330, BStBl II 2001, 22, unter II.1.g).
bb) Nach diesen Grundsätzen liegt im vorliegenden Fall ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO nicht vor. AB hat lediglich von gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, diese aber nicht missbraucht. Sie hat sich entschieden, die Dividendenzahlungen nicht abzuwarten, sondern ihre künftigen Dividendenansprüche bereits zu einem früheren Zeitpunkt wirtschaftlich zu verwerten. Dieses Ziel war (sinnvoll) durch eine Veräußerung zu erreichen. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sieht die Veräußerung von Dividendenansprüchen ausdrücklich vor und unterwirft sie der Besteuerung. AB hat daher nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihr durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit zum Verkauf des Dividendenanspruchs vor Ausschüttung der Dividende Gebrauch gemacht, weshalb es ‑‑entgegen der Ansicht des FA‑‑ auch nicht erheblich ist, ob dies zu einem größeren Aufwand (z.B. durch den Abschluss von Verträgen, das Ausbringen von Garantieversprechen oder die Verwahrung der Aktien in einem selbständigen Depot) als der spätere Erhalt der Dividenden geführt hat (s. hierzu BFH-Urteil in BFHE 271, 114, BStBl II 2021, 385).
cc) Die Gestaltung ist auch nicht etwa deshalb rechtsmissbräuchlich, weil AB die künftigen Dividendenansprüche erst ca. zehn Tage vor dem Tag, an dem der Aktienkurs um die Dividende gekürzt wurde, an AC veräußerte. Zum einen ist der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht zu entnehmen, dass die Möglichkeit einer Veräußerung von Dividendenansprüchen zeitlich begrenzt werden sollte. Zum anderen kann das von AB auf AC mit der Veräußerung der Ansprüche übertragene Risiko, dass die Dividendenzahlung gekürzt wird oder ausfällt, auch in diesem kurzen Zeitraum zum Tragen kommen.
3. Die Sache ist spruchreif. Der BFH kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO) und gibt der Klage statt. Nach den Ausführungen unter II.2. ist die Kapitalertragsteuer-Festsetzung für April 2013 vom 26.06.2015 um … € (Kapitalertragsteuer) bzw. … € (Solidaritätszuschlag) und die Kapitalertragsteuer-Festsetzung für Mai 2013 vom 26.06.2015 um … € (Kapitalertragsteuer) bzw. … € (Solidaritätszuschlag) ‑‑jeweils im Rahmen des Steuerabzugs durch die auszahlende Stelle bei den Kapitalerträgen i.S. des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG‑‑ herabzusetzen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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