Erbschaftsteuer: Steuerbefreiung für Erwerbe von selbstgenutzten Familienheimen
Einzelfälle mit Lösungshinweisen
OFD Rheinland 4.7.2012
ErbStG § 13 Abs. 1 Nr. 4 b, § 13 Abs. 1 Nr. 4 c
Im Zusammenhang mit dem Erwerb eines selbstgenutzten Familienheimes durch Ehegatten/Lebenspartner oder Kinder im Erbfall ergeben sich in der Praxis häufig Zweifelsfragen bei der Auslegung der folgenden Gesetzestextstelle des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG und des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG: " ...die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist...".
Vorab wird darauf hingewiesen, dass es sich stets um Einzelfallentscheidungen handelt, die nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften (Erhaltung des Familienheims) zu beurteilen sind. Nachfolgend wird aber zwecks Unterstützung der praktischen Tätigkeit in den Finanzämtern auf zu beachtende Kriterien besonders hingewiesen. Darüber hinaus werden Fälle der Praxis mit den hierzu erzielten Lösungsansätzen dargestellt. Diese "Fallsammlung" kann fortlaufend ergänzt werden.
1. Unverzügliche Selbstnutzung
Wesentliches Element der Befreiungsvorschriften ist, dass dieser Wohnungswechsel unverzüglich erfolgen muss. Unverzüglich heißt ohne schuldhafte Verzögerung eine eigene Nutzung zu Wohnzwecken aufnehmen (R E 13.4 Abs. 2 Satz 4 und R E 13.4 Abs. 7 Satz 4 ErbStR). Dies muss im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erwerb von Todes wegen erfolgen. Innerhalb dieser Frist muss der Erwerber den Entschluss fassen, die in den Nachlass gefallene Wohnung selbst zu nutzen, und diesen auch umzusetzen.
2. Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken
Was unter einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken verstehen ist, ergibt sich aus R E 13.3 Abs. 2 ErbStR. Zum Begriff Familienheim wird dort ausgeführt, dass sich der Wohnungsbegriff nach der tatsächlichen Nutzung bestimmt. In der Wohnung muss sich der Mittelpunkt des familiären Lebens befinden. Die Befreiung ist danach nicht möglich, wenn die Wohnung nur als Ferien- oder Wochenendwohnung genutzt wird oder für einen Berufspendler nur die Zweitwohnung darstellt.
Entscheidend ist die tatsächliche Nutzung zu eigenen Wohnzwecken. Es reicht deshalb nicht aus, sich lediglich beim Einwohnermeldeamt umzumelden. Gründe, bei denen die fehlende Selbstnutzung nicht schädlich für die Steuerbefreiung ist, sind auf wenige Lebensumstände, die die eigene Haushaltsführung unmöglich machen, begrenzt: z.B. Tod, Eintritt der Pflegebedürftigkeit, minderjähriges Kind.
Ob die Aufnahme der Selbstnutzung schließlich als unverzüglich beurteilt werden kann, richtet sich nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. Im Allgemeinen ist es nicht zu beanstanden, wenn der Wohnungswechsel innerhalb eines Jahres erfolgt, es sei denn, es sind nach Aktenlage konkrete Anhaltspunkte erkennbar, dass der Wohnungswechsel problemlos schneller möglich gewesen wäre.
Beispiel 1:
Zum Nachlass gehört ein vom Erblasser bisher selbst genutztes Einfamilienhaus, dass seit längerer Zeit nicht mehr renoviert worden ist. Der Sohn (Alleinerbe) möchte in das Haus einziehen. Innerhalb der ersten Monate nach dem Tod des Erblassers gibt er die umfangreichen Renovierungsarbeiten in Auftrag. Der Sohn zieht zeitnah nach Abschluss der zeitintensiven Arbeiten (18 Monate nach Erbanfall) in das Haus ein.
Dabei haben sich die Renovierungsarbeiten durch Umstände verzögert, auf die der Erbe keinen Einfluss hatte.
Lösungshinweis:
Es bestehen keine Bedenken, die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu gewähren, weil im vorliegenden Fall alles für einen unverzüglichen Einzug veranlasst und dieser nach Abschluss der Arbeiten auch erfolgte. Die Verzögerungen hat er nicht zu vertreten.
Beispiel 2:
Der Erbe eines EFH, das grundsätzlich die Voraussetzungen für ein Familienheim erfüllt, sieht zunächst Renovierungsbedarf. Im Zuge der Arbeiten wird allerdings festgestellt, dass eine Renovierung unwirtschaftlich ist und ein Abriss und Neubau kostengünstiger wäre. Nach zwei Jahren zieht der Erwerber schließlich in das neu errichtete Gebäude ein.
Lösungshinweis:
Hier kommt – unabhängig von dem Zeitpunkt des Einzugs – keine Steuerbegünstigung in Betracht, weil eine Nutzung der in den Nachlass gefallenen Wohnung nicht erfolgt ist. Entscheidungserheblich ist für die Steuerbefreiung, dass die Wohnung des Erblassers vom Erwerber (weiter)genutzt wird.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass in diesem Fall auch bei einer zunächst ausgeübten Selbstnutzung der originären Wohnung eine Steuerbefreiung im Ergebnis (rückwirkend) zu versagen wäre, da der Abriss des Gebäudes zur schädlichen Verfügung führt.
Beispiel 3:
Der Erwerber (von Todes wegen) einer zuvor vom Erblasser (Vater) selbstgenutzten Wohnung meldet sich kurzfristig um, behält aber seinen ursprünglichen Wohnsitz zunächst bei. In den folgenden zwei Jahren veranlasst der Erbe die Renovierung des Gebäudes. Die Aufträge werden nach und nach mit zum Teil großer zeitlicher Verzögerung erteilt. Nach Abschluss der Renovierungszeiten zieht der Erbe schließlich mit seiner Familie ein.
Lösungshinweis:
Hier liegt keine unverzügliche Selbstnutzung mehr vor. Der Erwerber hat zwar den Entschluss zeitnah gefasst, die Wohnung selbst zu nutzen, hat aber diese Entscheidung nicht unverzüglich umgesetzt. Die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt allein reicht als Indiz für eine unverzügliche Selbstnutzung nicht aus.
Beispiel 4:
Ein Erblasser konnte seine Wohnung aus objektiv zwingenden Gründen (Unterbringung in einem Pflegeheim) nicht mehr selbst nutzen. Die Wohnung war im Zeitpunkt des Erbanfalls vermietet. Der Alleinerbe (Sohn) will die Wohnung selber nutzen und kündigt das Mietverhältnis zeitnah nach dem Erbfall. Eine Selbstnutzung erfolgt anschließend kurzfristig.
Lösungshinweis:
Die Steuerbegünstigung ist zu gewähren, wenn der Sohn das Mietverhältnis zeitnah kündigt und nach dem Auszug des Mieters die Wohnung tatsächlich auch unverzüglich zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Weitere Verzögerungen durch erforderliche Renovierungs- oder Sanierungsarbeiten können ebenso angemessen berücksichtigt werden.
Diese Grundsätze sind bei Erwerben von Ehegatten und Lebenspartnern entsprechend anzuwenden.
3. Berichtigung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
Ob im Einzelfall vom Steuerpflichtigen beabsichtigt ist, eine Wohnung "unverzüglich" selbst zu nutzen oder nicht, kann im Prinzip nur aufgrund äußerer Umstände geprüft werden. Bei dem Tatbestandsmerkmal "zur unverzüglichen Selbstnutzung bestimmt" handelt es sich um eine so genannte "innere Tatsache", die nur anhand äußerer Merkmale (Hilfstatsachen) beurteilt werden kann. Grundsätzlich ist es nach der Rechtsprechung des BFH zulässig, einen Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu berichtigen, wenn eine nach dem Zeitpunkt der Steuerfestsetzung entstandene Hilfstatsachen für diesen Zeitpunkt zu einer veränderten Würdigung in Bezug auf eine innere Tatsache führt. Voraussetzung ist allerdings, dass die nachträglich entstandene Hilfstatsache einen sicheren Schluss auf die (innere) Haupttatsache ermöglicht; Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten reichen dafür nicht aus (vgl. BFH vom 6.12.1994, IX R 11/91, BStBl 1995 II S. 192 = SIS 95 08 52).
Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, alle Steuerfestsetzungen, in denen im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung nicht abschließend beurteilt werden kann, ob eine unverzügliche Selbstnutzung tatsächlich beabsichtigt ist, unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) oder vorläufig (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO) durchzuführen.
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