BMF: Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement - TIEA)
Bundesministerium der Finanzen 10. November 2015, IV B 6 - S 1301/11/10002 (DOK 2015/0811184)
2 Anlagen
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den Vertretern der obersten Finanzbehörden der Länder gelten in Ergänzung der BMF-Schreiben vom 25.5.2012, IV B 6 - S 1320/07/10004 (BStBl 2012 I S. 599 = SIS 12 22 13) und vom 16.11.2006, IV B 1 - S 1320 - 66/06 (BStBl 2006 I S. 698 = SIS 07 00 04) für die Anwendung der Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch die nachfolgenden Grundsätze.
Allgemeines
Die von Deutschland geschlossenen Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch (Tax Information Exchange Agreement - TIEA) bieten die Möglichkeit, behördliche Unterstützung durch Informationsaustausch auf Ersuchen im Einzelfall für Zwecke des Besteuerungsverfahrens oder des Steuerstraf- und Bußgeldverfahrens in Anspruch zu nehmen. Ein spontaner oder automatischer Informationsaustausch ist in diesen Abkommen nicht vorgesehen. Der Inhalt und Aufbau der Abkommen entsprechen weitgehend dem OECD-Musterabkommen für Informationsaustausch in Steuersachen aus dem Jahr 2002.
Amtshilfe wird auf Ersuchen durch Übermittlung von steuerlich voraussichtlich erheblichen Informationen regelmäßig für die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer, Umsatzsteuer, Versicherungsteuer, Erbschaftsteuer und die darauf erhobenen Zuschläge gewährt. Einzelheiten sind in der Übersicht (Anlage 1) enthalten. Darüber hinaus sieht eine Reihe von Abkommen die Möglichkeit vor, dass Bedienstete der ersuchenden Vertragspartei in das Gebiet der ersuchten Vertragspartei einreisen und mit Zustimmung der von dem Ersuchen betroffenen Personen diesen Fragen stellen und Dokumente einsehen können. Zudem dürfen ausländische Bedienstete mit Zustimmung der ersuchten Vertragspartei bei steuerlichen Außenprüfungen anwesend sein.
Die TIEAs stellen zugleich auch bilaterale Verträge auf dem Gebiet der justiziellen Rechtshilfe in Steuerstrafsachen dar. Insoweit gelten auch die Grundsätze der justiziellen Rechtshilfe. Die Rechtshilfe, die nach diesen Abkommen gewährt wird, ist auf die Übermittlung von Informationen, die der Förderung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens dienen, beschränkt ("Informationsrechtshilfe"). Dabei schließt die Rechtshilfe die Beschaffung der erbetenen Informationen durch die ersuchte Vertragspartei ein. Die ersuchte Vertragspartei bestimmt, inwieweit sie zur Aufklärung des strafrechtlich relevanten Sachverhalts strafprozessuale Maßnahmen, wie z.B. Durchsuchungen oder Zeugenvernehmungen anwendet.
Die nachfolgenden Ausführungen berühren nicht die Möglichkeiten, Rechtshilfe auf der Grundlage anderer Abkommen oder vertragslose Rechtshilfe in Anspruch zu nehmen.
Amtshilfe für Zwecke des Besteuerungsverfahrens
Für den Amtshilfeweg gelten die im BMF-Schreiben vom 25.5.2012, IV B 6 - S 1320/07/10004 (BStBl 2012 I S. 599 = SIS 12 22 13) festgelegten Grundsätze sowie die Dienstwegregelungen der Länder.
Die Anforderungen an ein Auskunftsersuchen nach TIEA, insbesondere an Form und Inhalt, sind in dem Artikel 5 des OECD-Musterabkommens für Informationsaustausch in Steuersachen entsprechenden Bestimmungen der jeweiligen Abkommen definiert (siehe Texte der Abkommen auf www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/staatenbezogene_info.html).
Für Auskunftsersuchen nach den Abkommen über den steuerlichen Informationsaustausch ist das Standardformblatt, das im wesentlichem dem von der OECD entwickelten Standardformblatt entspricht, zu verwenden (Anlage 2). Das Standardformblatt erfüllt sämtliche Formerfordernisse und abzugebende Erklärungen. Der dem Ersuchen zugrunde liegende Sachverhalt ist ausführlich und umfassend darzustellen. Auf die Verwendung komplizierter Fachausdrücke und von Gesetzeszitaten sollte jedoch verzichtet werden. Hierdurch werden unter anderem zu Verzögerungen führende Rückfragen der zuständigen Behörden der anderen Vertragspartei vermieden. Fragen sind so detailliert wie möglich zu stellen. Sollen zum Beispiel Kontoinformationen über einen Steuerpflichtigen angefordert werden, sollten auch die gemeinsam mit Dritten geführten Konten und sämtliche Konten, für die der Steuerpflichtige Zeichnungsberechtigter oder Endbegünstigter ist, abgefragt werden. Weitere Beispiele für Fragen für die Formulierung von Ersuchen bezogen auf bestimmte Sachverhalte sind auf dem KTZ-Server erhältlich (http://wiki.ktz.testa-de.net/cgi-bin/twiki/view/TIEA/WebStartseite).
Um Auskünfte für das Besteuerungsverfahren kann nur für Besteuerungszeiträume ersucht werden, die am Tag oder nach dem Tag des Inkrafttretens des Abkommens beginnen. Wenn es keine Besteuerungszeiträume gibt, sind die Abkommen für Steuerbeträge anwendbar, die am oder ab dem Tag des Inkrafttretens entstehen. Es kann aber auch um Informationen ersucht werden, die in der Zeit vor dem Inkrafttreten und der erstmaligen Anwendung des Abkommens angefallen sind, sofern die erbetenen Informationen sich auf Besteuerungszeiträume beziehen bzw. für diese relevant sind, für die das Abkommen zeitlich anwendbar ist. Die nach diesen Abkommen erhaltenen Informationen dürfen auch für Besteuerungszeiträume verwendet werden, die vor dem Tag des Inkrafttretens liegen.
Amtshilfe und Steuerstrafverfahren
Die Steuerfahndung kann im Zusammenhang mit Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten sowohl im Steuerstraf- als auch im Besteuerungsverfahren tätig werden.
Ein anhängiges Steuerstrafverfahren sperrt nicht den Amtshilfeweg. Ob der Amtshilfeweg oder der Rechtshilfeweg beschritten wird, richtet sich nach den folgenden Grundsätzen.
Haben sich erste Anhaltspunkte für die Begehung einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu einem Anfangsverdacht verdichtet und ist daher ein Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden, ist der Rechtshilfeweg zu beschreiten, wenn das Steuerstrafverfahren gefördert werden soll. Dies gilt auch dann, wenn im Zusammenhang mit dem steuerstrafrechtlichen bzw. bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren die Besteuerungsgrundlagen ermittelt werden sollen (BFH vom 6.2.2001, VII B 277/0, BStBl 2001 II S. 306 = SIS 01 05 89). Die so erlangten Auskünfte können unmittelbar im Besteuerungsverfahren verwendet werden.
Die Finanzbehörden können nach den TIEAs auch nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens unter Beachtung des § 393 AO (i.V.m. §§ 77 Abs. 1, 1 Abs. 3 IRG) um Informationen im Wege der Amtshilfe ersuchen, wenn mit der im Ersuchen begehrten Auskunft das Besteuerungsverfahren gefördert werden soll, insbesondere durch die Feststellung der steuerlich relevanten Sachverhalte und Besteuerungsgrundlagen. Nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens kann damit nur im Wege der Amtshilfe um die Erteilung von Auskünften ersucht werden, soweit/sofern die Ermittlungsmaßnahme objektiv nicht der Verfolgung der Steuerstraftat dient.
Für Verfahrensabschnitte vor Einleitung des Steuerstrafverfahrens (z.B. Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO) kann um zwischenstaatliche Unterstützung durch Informationsaustausch nur auf dem Amtshilfeweg ersucht werden (siehe auch AStBV (St) 2014 Nr. 12), d.h. über das Bundeszentralamt für Steuern.
Amtshilfeersuchen für Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Abkommen zwecks Feststellung der Besteuerungsgrundlagen soweit Steuern hinterzogen wurden
In Fällen, in denen davon auszugehen ist, dass Steuern hinterzogen wurden und die Besteuerungsgrundlagen im Wege der Amtshilfe ermittelt werden sollen (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO), kann das Ersuchen, da es sich auf eine "Steuerstrafsache" im Sinne der Abkommen bezieht, auch für Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Abkommen gestellt werden (Ausnahmen: Abkommen mit Liechtenstein, Bermuda und Bahamas). Dies sind insbesondere Fälle, in denen ein Steuerstrafverfahren aufgrund von Strafverfolgungshindernissen nicht mehr betrieben werden kann, jedoch die Besteuerungsgrundlagen im Hinblick auf die noch mögliche Steuerfestsetzung ermittelt werden sollen (BFH vom 29.10.1986, I B 28/86, BStBl 1987 II S. 440 = SIS 87 02 50; BFH vom 16.12.1997, VII B 45-97, BStBl 1998 II S. 231 = SIS 98 06 51).
Rechtshilfe im Steuerstraf- und Bußgeldverfahren
Nach den TIEAs kann um Rechtshilfe zur Förderung des Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens ersucht werden. Rechtshilfe wird nach den TIEAs durch Übermittlung von Informationen gewährt, die der Förderung des Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens dienen ("Informationsrechtshilfe"). Wie sich der ersuchte Staat die erbetenen Informationen verschafft, hängt vom dortigen innerstaatlichen Recht ab.
Das Ersuchen ist durch die zuständigen Stellen der Finanzverwaltung auf dem jeweils vorgesehenen Dienstweg an das Bundesamt für Justiz als Bewilligungsbehörde zu leiten (§ 74 Abs. 2 IRG i.V.m. Nr. 5 Buchst. c Zuständigkeitsvereinbarung 20041, Nrn. 7, 30, 127 RiVASt). Die jeweils einschlägigen Landesbestimmungen über die Ausübung der Befugnisse für die Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten und über den Geschäftsweg bei Erstellung von Ersuchen sind zu beachten.
Führen die Finanzbehörden das Ermittlungsverfahren selbständig durch (§ 399 Abs. 1 AO i.V.m. § 386 Abs. 2 AO) und leiten sie das Ersuchen dem Bundesamt für Justiz direkt zu, soll gegenüber dem Bundesamt für Justiz eine für dieses Land zuständige Finanzbehörde festgelegt werden.
Die erforderlichen Übersetzungen sind von der Behörde zu beschaffen, die das dem Ersuchen zugrunde liegende Verfahren betreibt (Nr. 14 RiVASt). Ersuchen können auch für Zeiträume gestellt werden, die vor dem Inkrafttreten des TIEAs liegen. Dies gilt jedoch nicht für die Abkommen mit Liechtenstein, Bermuda und Bahamas. Um Auskünfte im Wege der Rechtshilfe kann die zuständige Liechtensteinische Behörde nur für Zeiträume beginnend ab dem 1. Januar 2010, die zuständige Behörde Bermudas für Zeiträume ab dem 1. Januar 2013 und die zuständige Behörde Bahamas für Zeiträume ab dem 1. Januar 2012 ersucht werden. Alle nach den Abkommen erhaltenen Auskünfte können auch für die Beurteilung von Zeiträumen herangezogen werden, die vor dem Inkrafttreten oder der erstmaligen Anwendung des Abkommens liegen.
Anwesenheit in- oder ausländischer Bediensteter bei Ermittlungshandlungen im anderen Vertragsstaat im Wege der Amtshilfe
Die von Deutschland geschlossenen Abkommen über den Informationsaustausch in Steuersachen sehen entsprechend Art. 6 Abs. 1 OECD-Musterabkommen über den Informationsaustausch die Möglichkeit vor, dass Bedienstete der ersuchenden Vertragspartei in das Gebiet der ersuchten Vertragspartei einreisen und dort zur besseren Kommunikation mit dem Ziel einer leichteren und schnelleren Sachverhaltsaufklärung bestimmte eigenständige Ermittlungshandlungen vornehmen können. Danach dürfen Bedienstete der ersuchenden Vertragspartei im Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei Beteiligte mit deren Zustimmung befragen und Unterlagen prüfen. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Vorgehensweise nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei zulässig ist und die zuständige Behörde der ersuchten Vertragspartei die Einreise zum Zwecke der vorgenannten Ermittlungshandlungen gestattet hat.
Wird ein solches Ersuchen an die deutsche Steuerverwaltung gerichtet, wird das Bundeszentralamt für Steuern in Absprache mit der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde die betroffenen inländischen Beteiligten unterrichten und um Abgabe einer schriftlichen Einwilligungserklärung bitten. Diese Einwilligungserklärung kann inhaltlich begrenzt werden. Weitere Voraussetzung ist die Zustimmung des Bundeszentralamtes für Steuern und der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde, die Ermittlungshandlungen der ausländischen Bediensteten zu dulden. Die Zustimmung wird nur unter der Bedingung erteilt, dass inländische Bedienstete während der gesamten Dauer der Befragung und der Einsichtnahme der Unterlagen anwesend sind.
Darüber hinaus kann die Anwesenheit ausländischer Bediensteter bei den für die Informationsbeschaffung relevanten Abschnitten steuerlicher Prüfungshandlungen gestattet werden. Hierzu zählen insbesondere steuerliche Außenprüfungen, Inaugenscheinnahme und Befragungen von Personen. Diese Anwesenheit ist jedoch nicht als Vornahme von Prüfungshandlungen zu verstehen. Der hinzugezogene ausländische Bedienstete darf lediglich während der relevanten Abschnitte der Prüfungshandlungen anwesend sein und Beweismittel, die ihm durch Vermittlung der Vertreter der ersuchten Vertragspartei zugängig gemacht werden, selbst würdigen. § 117 Abs. 4 AO ist zu beachten. Erforderlich hierfür ist ebenso die Zustimmung des Bundeszentralamtes für Steuern und der zuständigen obersten Landesfinanzbehörde.
Will die deutsche Finanzbehörde, dass Bedienstete ihrer Verwaltung bei Ermittlungshandlungen der ersuchten Behörde im Ausland anwesend sind, ist ein entsprechendes Ersuchen dem Bundeszentralamt für Steuern auf dem Dienstweg zuzuleiten. Das Bundeszentralamt für Steuern koordiniert das weitere Verfahren.
Anwesenheit in- oder ausländischer Bediensteter zum Zwecke der Strafverfolgung
Soll durch die Anwesenheit in- oder ausländischer Bediensteter, insbesondere Angehörige der Steuerfahndung das Strafverfahren gefördert werden, kann dies nicht auf die in Artikel 6 des OECD- Musterabkommens für Informationsaustausch in Steuersachen entsprechenden Bestimmungen der Abkommen gestützt werden. Es sind die übrigen Regelungen über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen zu beachten und gegebenenfalls das Einvernehmen innerhalb der Bundesregierung herzustellen.
1 Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28.4.2004 (BAnz. Nr. 100 vom 29.5.2005, S. 11494).
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