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BFH: Keine Versicherungsteuerpflicht bei Versicherung von Risiken mit Bezug auf in einem Drittstaat registrierte Seeschiffe

Wenn lediglich der Inlandsbezug eines der Tatbestände in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG fehlt, die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen aber er­füllt sind, kann eine Versicherungsteuerpflicht nicht mit § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG ("andere als die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände") be­gründet werden.

VersStG 2014 § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 Satz 2
Richtlinie 2009/138/EG Art. 13 Nr. 13, Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1

BFH-Urteil vom 12.11.2020, V R 41/18 (veröffentlicht am 10.6.2021)

Vorinstanz: FG Köln vom 5.10.2017, 2 K 792/16 (DStR 2018, 1293) = SIS 18 04 10

I.

Streitig ist, ob von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) vermittelte Protection & Indemnity-Versicherungen (P&I Versicherungen) für auf den Marshallinseln registrierte Seeschiffe der Versicherungsteuer unterliegen.

Die Klägerin, eine GmbH, ist als Versicherungsmaklerin tätig. Sie vermittelt und betreut u.a. für Seeschiffe bestehende P&I Versicherungen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Haftpflichtversicherungen für den Betrieb von Seeschiffen.

Die Klägerin betreut insbesondere ... in einem Drittland ansässige Schiffseigentumsgesellschaften, die jeweils für ihr Schiff eine P&I Versicherung bei dem in Y ansässigen Versicherer R (nachfolgend: R) abgeschlossen haben, deren Versicherungsprämien die Klägerin für R einzieht. Die Schiffe werden durch die W GmbH als Vertragsreeder betreut und sind in keinem deutschen Schiffsregister, sondern ausschließlich im Schiffsregister der Marshallinseln eingetragen. Von den Schiffsgesellschaften wurde die Klägerin zur Anmeldung und Abführung der Versicherungsteuer bevollmächtigt. In den Versicherungsscheinen ist unter der Bezeichnung "Member" neben der jeweiligen Schiffsgesellschaft ("Registered Owner") auch die inländische W GmbH ("Manager") benannt. Nach den Versicherungsbedingungen des Versicherers R haften alle in den Versicherungsscheinen aufgelisteten Personen gemeinsam und getrennt hinsichtlich sämtlicher Prämien, Zahlungsaufforderungen und anderer an den Schiffsverband hinsichtlich des beigetretenen Schiffes fälligen Beträge.

Für den Anmeldungszeitraum Februar 2014 (Streitzeitraum) gab die Klägerin am 13.03.2014 eine nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehende Versicherungsteueranmeldung über einen Versicherungsteuerbetrag ab, der u.a. die P&I Versicherungen der genannten Schiffe berücksichtigte.

Die nach erfolglosem Einspruch hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) nach teilweiser Abhilfe durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung vom 05.10.2017 mit seinem in Deutsches Steuerrecht (DStR) 2018, 1293 veröffentlichten Urteil vom 05.10.2017 2 K 792/16 ab.

Die von der Klägerin im Februar 2014 vereinnahmten Beträge für die bei dem Versicherer R abgeschlossenen P&I Versicherungen seien als ein im Inland steuerbares und steuerpflichtiges Versicherungsentgelt anzusehen. Zwar sei ein Sondertatbestand für eine Versicherungsteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Versicherungsteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (VersStG) nicht erfüllt, da die Schiffe nicht in einem deutschen Seeschiffsregister, sondern jeweils in einem Schiffsregister der Marshallinseln, einem Drittland, und somit nicht im Geltungsbereich des VersStG, eingetragen seien. Jedoch sei der Anwendungsbereich des Grundtatbestandes nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG eröffnet. Eine Haftpflichtversicherung für den Betrieb eines Seeschiffes sei nicht bereits abschließend in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG geregelt. Dieser erfasse zwar auch Risiken mit Bezug auf Seeschiffe, sei jedoch mangels Registereintragung der Schiffe in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) nicht einschlägig. Vielmehr handele es sich bei den P&I Versicherungen für die Schiffe um Versicherungsverhältnisse, die sich auf ein "anderes Risiko" bzw. einen "anderen Gegenstand" beziehen als in § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG "genannt" sei. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG seien gegeben; insbesondere genüge es, dass mit der W GmbH einer der Versicherungsnehmer im Inland ansässig sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Klägerin macht geltend, das FG habe seiner Entscheidung ein unzutreffendes Verständnis von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG zugrunde gelegt und insbesondere die Reichweite seiner Sperrwirkung gegenüber der Vorschrift des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG verkannt. Die gegenständlichen Versicherungen seien sachlich von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG erfasst, weil die betroffenen Seeschiffe abstrakt der Pflicht zur Registrierung im Flaggenregister unterlägen. Es fehle jedoch am örtlichen Bezug, weil die Schiffe nicht konkret die deutsche Flagge führten, weshalb § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG das Risiko nicht als in Deutschland, sondern als in dem Flaggenstaat und damit als auf den Marshallinseln belegen ansehe. Entgegen der Auffassung des FG führe bereits die sachliche Anwendbarkeit von § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG dazu, dass die Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG aufgrund der Abgrenzung anhand der "in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände" ausgeschlossen sei. Nur diese Auslegung sei mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Die abweichende Auffassung des FG widerspreche der Vorgabe einer generellen und abschließenden Zuweisung des Besteuerungsrechts für fahrzeugbezogene Risiken nach Art. 13 Nr. 13 Buchst. b i.V.m. Art. 157 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit Solvabilität II (Amtsblatt der Europäischen Union ABlEU vom 17.12.2009 Nr. L 335/1) im Folgenden: Richtlinie 2009/138/EG . Da § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG hinsichtlich des Staates der Registereintragung nicht zwischen Staaten der Europäischen Union (EU)/des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und Drittstaaten unterscheide, habe der deutsche Gesetzgeber das ihm nach den Vorgaben der Richtlinie eröffnete Besteuerungsrecht für in Drittstaaten registrierte Fahrzeuge nicht wahrgenommen.

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Versicherungsteuer unter Abänderung des Bescheids für Februar 2014 vom 13.03.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.02.2016 (in der Fassung des Protokolls der mündlichen Verhandlung) um ... € herabzusetzen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Bundeszentralamt für Steuern) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Das FG habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Richtliniengeber habe das Besteuerungsrecht anhand der Belegenheit des Risikos dem Zulassungsmitgliedstaat zugewiesen. Hieran orientiere sich § 1 Abs. 2 VersStG für die Abgrenzung des deutschen Besteuerungsrechts im Verhältnis zu dem Recht anderer EU /EWR Mitgliedstaaten. Die Vorgaben des Richtlinienrechts seien jedoch nicht erschöpfend; so gebe es für Fahrzeuge, die außerhalb der EU /EWR Mitgliedstaaten zugelassen bzw. registriert seien, keinen Zulassungsmitgliedstaat. Insoweit verwehre das Richtlinienrecht keinem Mitgliedstaat die Besteuerung von Versicherungsentgelten; diese erfolge aus autonomen Rechten des besteuernden Mitgliedstaats. Dementsprechend greife § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG bereits ein, wenn im konkreten Fall die Sondertatbestände nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG zu verneinen seien. Letztere erfassten in Nr. 2 zwar grundsätzlich Risiken mit Bezug auf den Betrieb von Seeschiffen, jedoch fehle es im konkreten Fall an der erforderlichen Eintragung der Seeschiffe in einem inländischen Register. Nur bei Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat sei § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung richtlinienkonform auszulegen.

II.

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung FGO ). Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Zahlung der Versicherungsentgelte für die P&I-Versicherungen der auf den Marshallinseln registrierten Seeschiffe unterliege nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG der Versicherungsteuerpflicht.

1. Nach § 1 Abs. 1 VersStG unterliegt der Versicherungsteuer die Zahlung des Versicherungsentgelts aufgrund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses. Besteht das Versicherungsverhältnis mit einem Versicherer, der im Gebiet der Mitgliedstaaten der EU oder anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den EWR niedergelassen ist, so ist die Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG u.a. bei der Versicherung von Risiken mit Bezug auf im Geltungsbereich des VersStG in ein amtliches oder amtlich anerkanntes Register einzutragende oder eingetragene und mit einem Unterscheidungskennzeichen versehene Fahrzeuge aller Art gegeben (Nr. 2). Sind durch die Versicherung andere als die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände abgesichert, besteht die Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG u.a., wenn der Versicherungsnehmer keine natürliche Person ist und sich bei Zahlung des Versicherungsentgelts der Sitz des Unternehmens, die Betriebsstätte oder die entsprechende Einrichtung, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht, im Geltungsbereich dieses Gesetzes befindet (Nr. 2).

2. Nach diesen Maßstäben ist das FG zwar zu Recht davon ausgegangen, dass eine Steuerpflicht der Zahlung der Entgelte für die P&I Versicherungen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG nicht besteht. Denn die Schiffe, auf die sich die von den P&I Versicherungen erfassten Risiken beziehen, sind nach den für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG nicht in ein inländisches Register einzutragen oder eingetragen ("in keinem deutschen Schiffsregister"), sondern ausschließlich im Schiffsregister der Marshallinseln.

3. Zu Unrecht hat das FG jedoch angenommen, dass die Zahlungen der Entgelte für die P&I Versicherungen an den in Y und damit im Gebiet eines EWR-Vertragsstaats ansässigen Versicherer gleichwohl nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG versicherungsteuerpflichtig sind. Denn durch die P&I-Versicherungen ist unabhängig von der ausschließlichen Registrierung der Schiffe auf den Marshallinseln ein in § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG genanntes Risiko abgesichert, sodass ein Rückgriff auf die Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG gemäß dessen Einleitungssatz ausgeschlossen ist. Dieser setzt u.a. voraus, dass durch die Versicherung "andere als die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände" abgesichert sind. Dies ist nicht der Fall, wenn es wie hier lediglich am Inlandsbezug eines der Tatbestände in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG fehlt, die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen aber im Übrigen erfüllt sind.

a) Die Auslegung von § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG ist umstritten. Die Finanzverwaltung und einzelne Stimmen in der Literatur bevorzugen zum Tatbestandsmerkmal "andere als die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände" ebenso wie das FG eine inlandsbezogene Auslegung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15.05.2014, BStBl I 2014, 871; Schmidt, eKomm ab 01.01.2015, § 1 VersStG Rz 63 (Aktualisierung vom 23.05.2017)). Andere als in Satz 1 genannte Risiken oder Gegenstände seien bereits anzunehmen, wenn die Tatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG nicht im Inland verwirklicht seien. Aufgrund richtlinienkonformer Auslegung gelte dies nicht, soweit die Tatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG in einem EU Mitgliedstaat oder in einem EWR Vertragsstaat verwirklicht sind (vgl. Schmidt, a.a.O., § 1 VersStG Rz 63). Andere Autoren hingegen legen das Tatbestandsmerkmal "risikobezogen" aus (Grünwald/Dallmayr, VersStG, FeuerschStG, § 1 VersStG Rz 260 ff.; Medert/Axer/Voß, Versicherungsteuergesetz, 2. Aufl., § 1 Rz 348 ff.). Erfasst seien nur Risiken und Gegenstände, die ihrer Art nach also unabhängig von ihrer Belegenheit nicht in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG genannt sind. Im Umkehrschluss handele es sich bei Fällen, in denen es lediglich an dem in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG vorausgesetzten Inlandsbezug fehlt, nicht um "andere als die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände" im Sinne der Vorschrift. Daher seien anders als nach der inlandsbezogenen Auslegung auch die Fälle auszuklammern, in denen die Tatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG in einem Drittstaat verwirklicht sind.

b) Der Senat schließt sich der "risikobezogenen Auslegung" an.

aa) Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG streitet entgegen der Auffassung des FG nicht nur für die inlandsbezogene Auslegung, sondern ermöglicht auch die "risikobezogene Auslegung" (vgl. Medert/Axer/Voß, a.a.O., § 1 Rz 354 f.).

(1) Zwar spricht für das Wortlautverständnis des FG, dass die Aufzählung in § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG mit der Wendung "folgender Risiken" eingeleitet wird. Dies könnte dafür sprechen, die Tatbestände der folgenden Nr. 1 bis 3 insgesamt, also einschließlich des dortigen Inlandsbezugs, als Definition der erfassten Risiken zu verstehen. Allerdings stellt § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG nicht nur auf die "in Satz 1 genannten Risiken", sondern auch auf die dort genannten "Gegenstände" ab und nimmt damit zugleich die in Satz 1 Nr. 1 unabhängig von ihrem Inlandsbezug bestimmten Gegenstände in Bezug.

(2) Zudem ist nicht zu verkennen, dass § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 3 VersStG die Risiken und Gegenstände, auf die sich § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG bezieht, ohne Inlandsbezug definiert. Denn der Inlandsbezug wird in diesen beiden Fällen erst durch den der Risikodefinition jeweils angefügten Konditionalsatz hergestellt. Die davon abweichende Fassung des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG beruht ersichtlich auf einer sprachlichen Verkürzung, die lediglich der Vermeidung von Wiederholungen dient. Im Übrigen verweist § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG zur Abgrenzung nur auf "die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände" und verlangt damit gerade nicht die nur bei entsprechendem Inlandsbezug bestehende Steuerpflicht der Versicherung dieser Risiken nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG (Grünwald/Dallmayr, a.a.O., § 1 VersStG Rz 260).

bb) Dabei spricht der unionsrechtliche Kontext dafür, die Inbezugnahme der Risiken und Gegenstände der Sondertatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG durch dessen Satz 2 nicht zugleich auf den in den Sondertatbeständen jeweils enthaltenen Inlandsbezug zu erstrecken.

(1) Nach Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 Alternative 1 Richtlinie 2009/138/EG unterliegen Versicherungsverträge ausschließlich den indirekten Steuern und steuerähnlichen Abgaben, die in dem Mitgliedstaat des Risikos auf Versicherungsprämien erhoben werden. Das Besteuerungsrecht des Mitgliedstaats der Verpflichtung nach Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 Alternative 2 Richtlinie 2009/138/EG erfasst den hier nicht vorliegenden Fall einer Lebensversicherung (Schmidt, a.a.O., § 1 VersStG Rz 63; Medert/Voß, DStR 2018, 1273, 1276; Franz, DStR 2019, 2006, 2007).

Mitgliedstaat des Risikos ist gemäß Art. 13 Nr. 13 Buchst. b Richtlinie 2009/138/EG bei der Versicherung von zugelassenen Fahrzeugen aller Art der Zulassungsmitgliedstaat (s.a. Dobratz in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., Rz 21.23). In allen nicht ausdrücklich in Art. 13 Nr. 13 Buchst. a bis c Richtlinie 2009/138/EG genannten Fällen ist Mitgliedstaat des Risikos der Mitgliedstaat, in dem der gewöhnliche Aufenthaltsort des Versicherungsnehmers oder wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist die Niederlassung des Versicherungsnehmers, auf die sich der Vertrag bezieht, belegen ist (Art. 13 Nr. 13 Buchst. d Richtlinie 2009/138/EG).

(2) Das ausschließliche Besteuerungsrecht ist demnach bei einer Versicherung von Risiken in Bezug auf Fahrzeuge, die anders als im Streitfall in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, dem anderen Mitgliedstaat zugewiesen (Art. 157 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Art. 13 Nr. 13 Buchst. b Richtlinie 2009/138/EG; vgl. zur Ausschließlichkeit des Besteuerungsrechts Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union EuGH Kvaerner vom 14.06.2001 C 191/99, EU:C:2001:332, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung HFR 2001, 919, Rz 44 zu Art. 2 Buchst. d, 25 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22.06.1988, ABlEU vom 04.07.1988 Nr. L 172, S. 1 Richtlinie 88/357/EWG , und "A" vom 17.01.2019 C 74/18, EU:C:2019:33, DStR 2019, 218, Rz 29; Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom 11.12.2013 II R 53/11, BFHE 244, 56, BStBl II 2014, 352, Rz 24 ff. zu Art. 25 Richtlinie 88/357/EWG). Ein Besteuerungsrecht Deutschlands kommt neben den Fällen der Zulassung im Inland allenfalls bei der Zulassung in einem Drittstaat in Betracht (für ein Besteuerungsrecht in diesen Fällen BRDrucks 262/20, S. 21; Schmidt, a.a.O., § 1 VersStG Rz 63; Medert/Voß, DStR 2018, 1273, 1275; vgl. aber auch EuGH-Urteile Kvaerner, EU:C:2001:332, HFR 2001, 919, Rz 45 f. zur Vorgängervorschrift in Art. 2 Buchst. d, 25 Abs. 1 Richtlinie 88/357/EWG, und "A", EU:C:2019:33, DStR 2019, 218, Rz 30; offengelassen durch Grünwald/Dallmayr, a.a.O., § 1 VersStG Rz 265).

(3) Vor diesem Hintergrund würde eine "gespaltene Auslegung" des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG erforderlich, wenn die dortige Inbezugnahme der Risiken und Gegenstände des § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG entsprechend der inlandsbezogenen Auslegung auch den jeweiligen Inlandsbezug in Satz 1 Nr. 1 bis 3 umfasste (vgl. Medert/Axer/Voß, a.a.O., § 1 Rz 367 f.). Denn sowohl in einem anderen Mitgliedstaat als auch in einem Drittstaat zugelassene Fahrzeuge erfüllen den Inlandsbezug des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG nicht, sodass Versicherungsentgelte folgte man der inlandsbezogenen Auslegung in beiden Fällen unter den weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG der Versicherungsteuer unterlägen. Wegen des fehlenden Besteuerungsrechts Deutschlands in den Fällen der Versicherung von Risiken mit Bezug zu Fahrzeugen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, wären diese jedoch in einem weiteren Schritt auszunehmen. Die daraus resultierende Differenzierung zwischen Versicherungen von Fahrzeugen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind, und Versicherungen von in einem Drittstaat zugelassenen Fahrzeugen ist jedoch anders als die Unterscheidung zwischen Risiko und Risikobelegenheit in § 1 Abs. 2 VersStG nicht angelegt.

(4) Zudem widerspricht die nach der inlandsbezogenen Auslegung erforderliche richtlinienkonforme Auslegung, mit der im Fall der Zulassung des Fahrzeugs in einem anderen Mitgliedstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht dieses anderen Mitgliedstaats gewahrt werden soll (vgl. Schmidt, a.a.O., § 1 VersStG Rz 63), dem Willen des Gesetzgebers. Denn mit der strukturellen Änderung des § 1 Abs. 2 VersStG durch das Verkehrsteueränderungsgesetz vom 05.12.2012 (BGBl I 2012, 2431) VerkehrStÄndG sollte eine Regelung geschaffen werden, die insgesamt den Vorgaben der Solvabilität II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG) entspricht (BTDrucks 17/10039, S. 17).

cc) Im Übrigen hätte die inlandsbezogene Auslegung zur Folge, dass die sachliche Reichweite von § 1 Abs. 2 VersStG jenseits der Differenzierung nach dem Staat, in dem der Versicherer niedergelassen ist derjenigen des Abs. 3 angenähert würde. Dabei ist der für die Begrenzung der autonomen Steuerhoheit der Mitgliedstaaten bedeutsame Territorialitätsbezug (sog. genuine link; vgl. insoweit Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 12.09.2019 in der Rechtssache Google Ireland C 482/18, EU:C:2019:728, Rz 42 ff.) aufgrund der Ansässigkeit des Versicherers in den Fällen des § 1 Abs. 2 VersStG in der Regel enger als bei § 1 Abs. 3 VersStG (s.a. Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl., § 18 Rz 70).

dd) Die "risikobezogene Auslegung" des Tatbestandsmerkmals "andere als die in Satz 1 genannten Risiken oder Gegenstände" wird schließlich durch die Genese der Vorschrift bestätigt.

Bei Versicherungsverhältnissen eines im Inland ansässigen Versicherungsnehmers mit einem Versicherer, der in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem anderen EWR-Vertragsstaat niedergelassen ist, war bis zur Änderung des § 1 VersStG durch das VerkehrStÄndG in BGBl I 2012, 2431 "Voraussetzung der Steuerpflicht (...) bei der Versicherung von (...) 2. Risiken mit Bezug auf Fahrzeuge aller Art, daß das Fahrzeug im Geltungsbereich dieses Gesetzes in ein amtliches oder amtlich anerkanntes Register einzutragen ist und ein Unterscheidungskennzeichen erhält" (§ 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG a.F.).

Die frühere Rechtslage differenzierte danach eindeutig zwischen dem versicherten Risiko und der Belegenheit dieses Risikos (vgl. BFH-Urteil in BFHE 244, 56, BStBl II 2014, 352, Rz 20 zu § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VersStG a.F.), weshalb die Versicherung von Risiken mit Bezug auf Fahrzeuge nur im Fall der Registrierungspflicht im Inland steuerpflichtig war. Dies sollte mit den strukturellen Änderungen des § 1 Abs. 2 VersStG durch das VerkehrStÄndG nicht geändert werden. Diese Änderungen dienten vielmehr lediglich der Klarstellung im Hinblick auf die Einbeziehung des früheren Abs. 3 (BTDrucks 17/10039, S. 17; vgl. auch Medert/Voß, DStR 2018, 1273, 1274).

4. Die Sache ist spruchreif. Sind die in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG genannten Risiken und Gegenstände nach dem Vorstehenden unabhängig von deren Inlandsbezug definiert, ist durch die P&I Versicherungen, um die es hier geht, jeweils ein solches Risiko abgesichert. Denn die betroffenen Schiffe sind als im internationalen Verkehr betriebene Seeschiffe bei unterstelltem Inlandsbezug in das Schiffsregister (§ 3 Abs. 1 Schiffsregisterordnung), in das Flaggenregister (§ 21 Abs. 1 der Flaggenrechtsverordnung FlRv i.V.m. § 3 des Flaggenrechtsgesetzes FlaggRG ) und in das Internationale Seeschifffahrtsregister (§ 23 FlRv i.V.m. § 12 FlaggRG) einzutragen und stellen damit abstrakt Fahrzeuge i.S. des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG dar (s. zur Frage des maßgeblichen Registers Schmidt, a.a.O., § 1 VersStG Rz 56, sowie Medert/Axer/Voß, a.a.O., § 1 Rz 318 ff.; vgl. auch FG Köln, Vorlagebeschluss vom 22.02.2019 2 K 434/16, DStR 2020, 446). Demnach ist eine Versicherungsteuerpflicht der Entgelte für die P&I Versicherungen (auch) nach § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG gemäß dessen Einleitungssatz ausgeschlossen. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war daher aufzuheben und der Klage stattzugeben.

5. Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 138 Abs. 2 Satz 1 FGO.

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