BFH: Kostenentscheidung bei Weitergeltungsanordnung des BVerfG
Der Kläger, dessen Revision zurückgewiesen wird, hat die Kosten des Revisionsverfahrens auch zu tragen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt auf Vorschriften beruht, die zwar verfassungswidrig sind, deren Anwendung im Streitfall aber aufgrund einer entsprechenden Anordnung des BVerfG zulässig ist.
BFH-Urteil vom 16.5.2018, II R 16/13; SIS 18 10 24 (veröffentlicht am 25.7.2018)
FGO § 135 Abs. 2
AO § 182 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG § 34a Abs. 3
Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 20.2.2013, 3 K 3190/09 (EFG 2013 S. 914 = SIS 13 13 02)
Folgeinstanz: BVerfG 24.1.2020, 1 BvR 1883/18 (Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen)
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb im Jahr 2008 ein Teileigentum in einem im ehemaligen Westteil von Berlin gelegenen Mehrfamilienhaus, das im Jahr 1983 in Teil- und Wohnungseigentum aufgeteilt worden war.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) rechnete ihm das Objekt durch Bescheid vom 13.2.2009 zum 1.1.2009 zu und wies darauf hin, dass der Einheitswert wie bisher 21.576 € (42.200 DM) betrage. Diesen Einheitswert hatte das FA gemäß § 122 Abs. 5 i.V.m. § 124 Abs. 8 des Bewertungsgesetzes (BewG) i.d.F. des Art. 14 Nr. 10 Buchst. c und Nr. 11 Buchst. b des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 (BGBl I 1993, 2310) durch Bescheid vom 25.5.1994 auf den 1.1.1994 festgestellt. Zur Berechnung des Grundstückswerts hatte das FA in diesem Bescheid auf den Einheitswertbescheid auf den 1.1.1984 vom 24.9.1984 verwiesen, in dem es für das neu gebildete Teileigentum eine Nachfeststellung durchgeführt hatte. Es war dabei von einer Jahresrohmiete von 6.218 DM und einem Vervielfältiger von 6,8 ausgegangen.
Den auf Neufeststellung des Einheitswerts zum 1.1.2009 gerichteten Antrag des Klägers lehnte das FA durch Bescheid vom 25.3.2009 ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger die ersatzlose Aufhebung des Einheitswerts für das ihm gehörende Teileigentum begehrte, mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG seien nicht erfüllt. Die der Bewertung zugrunde liegenden Vorschriften des Bewertungsgesetzes seien am Stichtag 1.1.2009 noch verfassungsgemäß gewesen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2013, 914, veröffentlicht.
Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Begehren zunächst weiter. Er rügte eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Aufgrund der lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkte (1.1.1964, im Beitrittsgebiet 1.1.1935) komme es bei der Einheitsbewertung zu ganz erheblichen Wertverzerrungen, die zum Stichtag 1.1.2009 aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht mehr gerechtfertigt werden könnten.
Auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.10.2014 II R 16/13 (BFHE 247, 150, BStBl II 2014, 957) entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 10.4.2018 1 BvL 11/14 u.a. (Deutsches Steuerrecht - DStR - 2018, 791), dass die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76, 79 Abs. 5, § 93 Abs. 1 Satz 2 BewG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes i.d.F. des Art. 2 des Gesetzes vom 22.7.1970 (BGBl I 1970, 1118), soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft und außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 1.1.2002 unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG sind. Der Gesetzgeber ist nach dem Urteil verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31.12.2019 zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten Regeln über die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer Neuregelung dürfen die beanstandeten Regelungen für weitere fünf Jahre ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31.12.2024 angewandt werden. Den Verfassungsbeschwerden 1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12, über die das BVerfG mit dem Urteil in DStR 2018, 791, ebenfalls entschied, gab das Gericht daher nur insoweit statt, als es feststellte, dass die angegriffenen BFH-Beschlüsse vom 18.1.2011 II B 74/10 und vom 24.2.2012 II B 110/11 sowie die vorangegangenen finanzgerichtlichen Urteile und Verwaltungsakte die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Aufgehoben wurden die Entscheidungen nicht. Es blieb daher auch bei den finanzgerichtlichen Kostenentscheidungen zulasten der Beschwerdeführer.
Der Kläger ist nunmehr der Ansicht, der Einheitswert müsse im Wege der griffweisen Schätzung auf 10.000 € herabgesetzt werden.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 16.9.2009 und den Bescheid vom 25.3.2009 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Einheitswert für das ihm gehörende Teileigentum auf 10.000 € herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten.
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 FGO). Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
1. Die im Streitfall anwendbaren Vorschriften über die Einheitsbewertung waren zwar entgegen der Ansicht des FG im Feststellungszeitpunkt 1.1.2009 nicht mehr verfassungsgemäß. Sie dürfen aber nach dem BVerfG-Urteil in DStR 2018, 791 auf diesen Zeitpunkt angewandt werden.
2. Der Kläger ist gemäß § 182 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung als Rechtsnachfolger an den vom FA durch Bescheid vom 25.5.1994 auf den 1.1.1994 festgestellten Einheitswert gebunden. Den Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) lässt sich nicht entnehmen, dass im Feststellungszeitpunkt 1.1.2009 die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung nach unten gemäß § 22 Abs. 1 oder 3 BewG erfüllt waren. Der Kläger hat die Feststellungen nicht mit einer Verfahrensrüge gemäß § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO angegriffen. Eine bloße griffweise Schätzung ist nicht möglich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Dies gilt auch dann, wenn wie im Streitfall das BVerfG die dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Vorschriften zwar rückwirkend für verfassungswidrig erklärt, aber zugleich deren weitere Anwendung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zugelassen hat und der Verwaltungsakt deshalb nicht aufzuheben oder zu ändern ist (BFH-Beschluss vom 18.3.1994 III B 543/90, BFHE 173, 506, BStBl II 1994, 473). Diese Beurteilung steht im Einklang mit dem Urteil des BVerfG in DStR 2018, 791, das die mit den Verfassungsbeschwerden 1 BvR 639/11 und 1 BvR 889/12 angegriffenen BFH-Beschlüsse vom 18.1.2011 II B 74/10 und vom 24.2.2012 II B 110/11 sowie die vorangegangenen finanzgerichtlichen Urteile einschließlich der getroffenen Kostenentscheidungen zulasten der Beschwerdeführer trotz des festgestellten Verfassungsverstoßes unverändert bestehen ließ.
Für die vom Kläger begehrte Anordnung, dass dem FA die ihm für das Verfahren vor dem BVerfG entstandenen Auslagen auferlegt werden, gibt es im vorliegenden Revisionsverfahren keine Grundlage. Die volle oder teilweise Erstattung der Auslagen im Verfahren vor dem BVerfG kann nach § 34a Abs. 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) nur von diesem Gericht und damit nicht vom BFH im Rahmen des Revisionsverfahrens angeordnet werden. § 34a Abs. 3 BVerfGG benennt als anordnungsbefugtes Gericht ausschließlich das BVerfG.
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