EuGH: Standstill-Klausel, nationale Regelung betreffend in dritten Ländern ansässige Zwischengesellschaften, Änderung dieser Regelung, gefolgt von der Wiedereinführung der vorherigen Regelung
Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Kapitalverkehr – Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern – Standstill-Klausel – Nationale Regelung eines Mitgliedstaats, die in dritten Ländern ansässige Zwischengesellschaften betrifft – Änderung dieser Regelung, gefolgt von der Wiedereinführung der vorherigen Regelung – Einkünfte einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft aus Forderungen gegenüber einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft – Einbeziehung solcher Einkünfte in die Steuerbemessungsgrundlage eines Steuerpflichtigen, der seinen steuerlichen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs – Rechtfertigung
EuGH-Urteil vom 26. Februar 2019, Rechtssache C-135/17
Vorinstanz: BFH 12.10.2016, I R 80/14 = SIS 17 03 79
- Die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV die Anwendung einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen nicht berührt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats am 31. Dezember 1993 im Wesentlichen bestand, deren Tragweite aber nach diesem Stichtag auf Beteiligungen ohne Zusammenhang mit einer Direktinvestition ausgeweitet wurde.
- Die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass das in Art. 63 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot auf eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen Anwendung findet, wenn die dieser Beschränkung zugrunde liegende nationale Steuerregelung nach dem 31. Dezember 1993 durch den Erlass eines Gesetzes wesentlich geändert wurde, das in Kraft trat, dann aber, noch bevor es in der Praxis zur Anwendung gelangte, durch eine Regelung ersetzt wurde, die mit der am 31. Dezember 1993 geltenden Regelung im Wesentlichen übereinstimmt, es sei denn, dass die Anwendbarkeit dieses Gesetzes nach dem nationalen Recht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde, so dass es trotz seines Inkrafttretens nicht auf den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehr anwendbar war; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
- Art. 63 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der die von einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft erzielten, nicht aus einer eigenen Tätigkeit dieser Gesellschaft stammenden Einkünfte wie die „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne dieser Regelung anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligung in die Steuerbemessungsgrundlage eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einbezogen werden, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens 1 % an der genannten Gesellschaft beteiligt ist und die Einkünfte im Drittland einem niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegen als in dem betreffenden Mitgliedstaat, nicht entgegensteht, es sei denn, dass ein rechtlicher Rahmen besteht, der insbesondere vertragliche Verpflichtungen vorsieht, die es den Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats ermöglichen können, die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die betreffende Gesellschaft zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt werden, dass die Beteiligung des Steuerpflichtigen an ihr nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht.
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 und 64 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X GmbH, einer Gesellschaft deutschen Rechts, und dem Finanzamt Stuttgart – Körperschaften (Deutschland). Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Einbeziehung der Einkünfte von Y, einer Gesellschaft schweizerischen Rechts, an der X zu 30 % beteiligt ist, in die Steuerbemessungsgrundlage von X.
Rechtlicher Rahmen
3 Der Vierte Teil („Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften“) des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen vom 8. September 1972 (Außensteuergesetz) (BGBl. 1972 I S. 1713) in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: AStG 2006) umfasst die §§ 7 bis 14 dieses Gesetzes.
4 In § 7 Abs. 1 AStG 2006 wird eine „ausländische Gesellschaft“ definiert als „Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist“. Des Weiteren sind nach § 7 Abs. 1 AStG 2006, wenn unbeschränkt Steuerpflichtige zu mehr als der Hälfte an einer solchen Gesellschaft beteiligt sind, die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft im Sinne von § 8 AStG 2006 ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt.
5 § 7 Abs. 6 AStG 2006 bestimmt:
„Ist eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Sinne des Absatzes 6a und ist ein unbeschränkt Steuerpflichtiger an der Gesellschaft zu mindestens 1 Prozent beteiligt, sind diese Zwischeneinkünfte bei diesem Steuerpflichtigen in dem in Absatz 1 bestimmten Umfang steuerpflichtig, auch wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 im Übrigen nicht erfüllt sind. …“
6 § 7 Abs. 6a AStG 2006 sieht vor:
„Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter sind Einkünfte der ausländischen Zwischengesellschaft …, die aus dem Halten, der Verwaltung, Werterhaltung oder Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen (mit Ausnahme der in § 8 Abs. 1 Nr. 8 und 9 genannten Einkünfte) oder ähnlichen Vermögenswerten stammen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass sie aus einer Tätigkeit stammen, die einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 fallenden eigenen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dient …“.
7 Gemäß § 8 Abs. 1 AStG 2006 ist eine ausländische Gesellschaft „Zwischengesellschaft“ für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus den in den Nrn. 1 bis 10 dieses Absatzes aufgezählten wirtschaftlichen Tätigkeiten stammen. Nach den Nrn. 1 bis 10 sind von dem Begriff „Zwischengesellschaft“ Gesellschaften ausgeschlossen, die – vorbehaltlich einiger Ausnahmen und näherer Bestimmungen – Einkünfte aus der Land- und Forstwirtschaft, der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Montage von Sachen, der Erzeugung von Energie sowie dem Aufsuchen und der Gewinnung von Bodenschätzen, dem Betrieb von Kreditinstituten oder Versicherungsunternehmen, dem Handel, Dienstleistungen, der Vermietung und Verpachtung, der Aufnahme und darlehensweisen Vergabe von Kapital, für das der Steuerpflichtige nachweist, dass es ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten und nicht bei einer ihm oder der ausländischen Gesellschaft nahestehenden Person aufgenommen wird, Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften, der Veräußerung eines Anteils an einer anderen Gesellschaft sowie aus deren Auflösung oder der Herabsetzung ihres Kapitals und Umwandlungen beziehen.
8 Zur Definition der in einem Drittland ansässigen Zwischengesellschaft bestimmt § 8 Abs. 3 AStG 2006, dass eine niedrige Besteuerung vorliegt, wenn die Einkünfte einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 % unterliegen.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass X, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts, in dem für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum zu 30 % an Y, einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz, beteiligt war. Im Juni 2005 schloss Y einen „Forderungskauf- und Übertragungsvertrag“ mit der Z GmbH, einer in Deutschland ansässigen Verwertungsgesellschaft für Sportrechte.
10 Den damit auf Y übertragenen Forderungen lagen Verträge zugrunde, nach denen Z Sportvereinen nicht rückzahlbare Zuschüsse zahlte, wodurch sie ihnen Liquidität zur Verfügung stellte, und als Gegenleistung „Erlösbeteiligungen“ erhielt, die mindestens dem Betrag der von Z gezahlten Zuschüsse entsprachen, aber je nach dem sportlichen Erfolg des jeweiligen Vereins und dessen Einnahmen, insbesondere aus Übertragungsrechten, höher sein konnten.
11 Als Kaufpreis für die Abtretung der fraglichen Forderungen zahlte Y an Z einen Betrag von 11 940 461 Euro, den sie in voller Höhe fremdfinanziert hatte. X gewährte Y im November 2005 ein Darlehen in Höhe von 2,8 Mio. Euro.
12 Mit Bescheid vom 1. Januar 2007 stellte das Finanzamt Stuttgart – Körperschaften fest, dass X Einkünfte aus passivem Erwerb einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft erzielt habe. Da Y nach Ansicht des Finanzamts als Zwischengesellschaft für „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne von § 7 Abs. 6 und 6a AStG 2006 anzusehen war, wurde ein Teil der von Y aufgrund der Forderungen, die sie von Z erworben hatte, erzielten Einkünfte der Steuerbemessungsgrundlage von X hinzugerechnet und bei X für das Jahr 2006 ein Gewinn von 546 651 Euro festgestellt, von dem ein Verlust von 95 223 Euro aus dem Vorjahr abgezogen werden konnte.
13 X erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland), die jedoch abgewiesen wurde.
14 Daraufhin rief X den Bundesfinanzhof (Deutschland) an. Nach dessen Ausführungen steht fest, dass Y für X eine „Zwischengesellschaft“ war und dass die von Y infolge des Forderungsübertragungsvertrags erzielten Einkünfte „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne von § 7 Abs. 6 und § 8 Abs. 1 AStG 2006 waren. Da X zu mehr als 1 % an dieser in einem Drittland ansässigen Gesellschaft beteiligt gewesen sei, seien die fraglichen von Y erzielten Einkünfte zu Recht im Einklang mit diesen Bestimmungen anteilig in Höhe der Beteiligung von X an Y der Steuerbemessungsgrundlage von X hinzugerechnet worden. Nach deutschem Recht sei das Rechtsmittel von X gegen den Bescheid vom 1. Januar 2007 daher unbegründet.
15 Das vorlegende Gericht stellt jedoch fest, dass diese Bestimmungen nur auf Beteiligungen deutscher Steuerpflichtiger an in dritten Ländern ansässigen Gesellschaften Anwendung finden. Daher wirft es die Frage auf, ob sie möglicherweise gegen Art. 63 Abs. 1 AEUV verstoßen, in dem es u. a. heißt, dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind.
16 Bevor das vorlegende Gericht auf die Frage der Vereinbarkeit der innerstaatlichen Regelung mit Art. 63 AEUV eingeht, weist es jedoch darauf hin, dass nach der sogenannten Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV das in Art. 63 AEUV genannte Verbot „nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder [berührt], die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit [u. a.] Direktinvestitionen … bestehen“. Da das vorlegende Gericht davon ausgeht, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens eine Direktinvestition in einem dritten Land – im vorliegenden Fall der Schweiz – betrifft, hält es für vorab klärungsbedürftig, ob die im streitigen Steuerjahr geltenden innerstaatlichen Vorschriften über in dritten Ländern ansässige Zwischengesellschaften in Anbetracht der Tatsache, dass sie nach dem 31. Dezember 1993 einige Änderungen erfahren haben, als Beschränkung anzusehen sind, „die am 31. Dezember 1993 [besteht]“.
17 Hierzu erläutert der Bundesfinanzhof, dass diese Vorschriften, wie sie am 31. Dezember 1993 bestanden hätten, u. a. durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23. Oktober 2000 (BGBl. 2000 I S. 1433, im Folgenden: StSenkG 2000) geändert worden seien, das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten sei. Durch das StSenkG 2000 seien die am 31. Dezember 1993 bestehenden Vorschriften „von Grund auf neu geordnet“ worden, doch seien die damit bewirkten Änderungen kurz darauf durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts vom 20. Dezember 2001 (BGBl. 2001 I S. 3858, im Folgenden: UntStFG 2001), das insoweit am 25. Dezember 2001 in Kraft getreten sei, wieder aufgehoben worden. Hinsichtlich der Steuerregelung für in dritten Ländern ansässige Zwischengesellschaften enthalte dieses Gesetz eine Beschränkung des Kapitalverkehrs in Bezug auf Direktinvestitionen, die im Wesentlichen mit derjenigen übereinstimme, die sich aus den am 31. Dezember 1993 bestehenden Vorschriften ergebe. Da die durch das StSenkG 2000 eingeführten Änderungen gemäß den einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes erst ab 2002 eine Einbeziehung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter in die Steuerbemessungsgrundlage eines inländischen Steuerpflichtigen hätten bewirken können, seien sie bereits aufgehoben worden, bevor die Steuerverwaltung eine solche Einbeziehung aufgrund der genannten Änderungen habe vornehmen können.
18 Unter diesen Umständen bittet der Bundesfinanzhof um eine Auslegung der in Art. 64 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Standstill-Klausel unter zwei Aspekten.
19 Erstens möchte er im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 64 Abs. 1 AEUV vorgesehene Ausnahme es zulässt, eine Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland in Bezug auf Direktinvestitionen anzuwenden, auch wenn der sachliche Geltungsbereich der betreffenden Regelung nach dem 31. Dezember 1993 auf andere Investitionen, insbesondere sogenannte Portfolioinvestitionen, ausgedehnt wurde. Insoweit weist er darauf hin, dass durch § 7 Abs. 6 AStG 2006 in der Fassung des UntStFG 2001 u. a. die für eine solche Hinzurechnung erforderliche Mindestbeteiligung an einer in einem Drittland ansässigen Zwischengesellschaft von 10 % auf 1 % gesenkt worden sei. Da diese Änderung Direktinvestitionen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden aber in der Regel nicht betreffe, könnte die Standstill-Klausel unter den Umständen des Ausgangsverfahrens gleichwohl Anwendung finden.
20 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zu Art. 64 Abs. 1 AEUV betrifft die zeitliche Dimension der durch das StSenkG 2000 bewirkten erheblichen Änderungen der Vorschriften über „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“. Diese Änderungen seien in Kraft getreten, hätten aber erst zu einem Zeitpunkt zu einer Hinzurechnung von Zwischeneinkünften zur Steuerbemessungsgrundlage eines inländischen Steuerpflichtigen führen können, zu dem sie bereits durch das UntStFG 2001 aufgehoben worden seien. Gleichwohl sei die Änderung der am 31. Dezember 1993 bestehenden Rechtslage – wenn auch nur vorübergehend – Teil der nationalen Rechtsordnung geworden und könnte damit die Geltung der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Beschränkungsregeln unterbrochen haben. Insoweit sei fraglich, ob die Bestandsgarantie für eine am 31. Dezember 1993 bestehende einzelstaatliche Beschränkung des freien Kapitalverkehrs ausschließlich aufgrund der formalen Gesetzeswirkung einer Änderungsregelung in Fortfall geraten könne oder ob diese Regelung auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt worden sein müsse.
21 Für den Fall, dass die fragliche nationale Regelung wegen eines dieser beiden Aspekte nicht unter die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV falle und daher im Licht der Unionsvorschriften über den freien Kapitalverkehr beurteilt werden müsse, stelle sich die Frage, ob eine solche Regelung eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verbotene Beschränkung darstelle und, falls ja, ob eine solche Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein könne. Der Gerichtshof habe die Frage der Besteuerung der Einkünfte von Zwischengesellschaften in der Rechtssache geprüft, in der das Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544), ergangen sei. Diese Rechtssache habe allerdings im Kontext der im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Niederlassungsfreiheit gestanden und nicht im Kontext des auch im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten geltenden freien Kapitalverkehrs.
22 Wären die in dem genannten Urteil herausgearbeiteten Grundsätze uneingeschränkt auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern zu übertragen, verstieße die fragliche deutsche Regelung gegen Art. 63 Abs. 1 AEUV. Nach dieser Regelung würden die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter nämlich nicht nur bei rein künstlichen Gestaltungen, die im Sinne des Urteils vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544), darauf ausgerichtet seien, der Anwendung nationaler Steuervorschriften zu entgehen, in die Steuerbemessungsgrundlage eines in Deutschland ansässigen Aktionärs einbezogen. Vielmehr greife die fragliche nationale Regelung unabhängig von der wirtschaftlichen Funktion der Zwischengesellschaft ein, und dem betreffenden Aktionär werde nicht die Möglichkeit geboten, gegenüber den Finanzbehörden die wirtschaftliche Substanz seines Engagements in einem Drittland darzulegen und nachzuweisen.
23 Daher sei fraglich, ob die im Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544), genannten Gründe, die eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen könnten, im Verhältnis zu Drittländern Anwendung fänden und welche qualitativen und quantitativen Anforderungen die Beteiligung an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft in diesem Zusammenhang gegebenenfalls erfüllen müsse, um nicht als „rein künstlich“ angesehen zu werden.
24 Vor diesem Hintergrund hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt Art. 64 Abs. 1 AEUV) dahin auszulegen, dass eine zum 31. Dezember 1993 im Zusammenhang mit Direktinvestitionen bestehende Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern durch einen Mitgliedstaat auch dann nicht von Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) berührt wird, wenn die zum Stichtag bestehende, den Kapitalverkehr mit dritten Ländern beschränkende einzelstaatliche Rechtsvorschrift im Wesentlichen nur für Direktinvestitionen galt, aber nach dem Stichtag dahin erweitert worden ist, dass sie auch Portfoliobeteiligungen an ausländischen Gesellschaften unterhalb der Beteiligungsschwelle von 10 % erfasst?
- Falls die erste Frage zu bejahen ist: Ist Art. 57 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass es als Anwendung einer am Stichtag 31. Dezember 1993 bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschrift zur Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern in Zusammenhang mit Direktinvestitionen anzusehen ist, wenn eine der am Stichtag bestehenden Beschränkung im Wesentlichen entsprechende spätere Rechtsvorschrift zur Anwendung kommt, die zum Stichtag bestehende Beschränkung jedoch nach dem Stichtag aufgrund eines Gesetzes kurzzeitig wesentlich verändert worden ist, welches zwar rechtlich in Kraft getreten, in der Praxis aber nie zur Anwendung gekommen ist, weil es noch vor dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Anwendbarkeit auf einen Einzelfall durch die jetzt zur Anwendung kommende Rechtsvorschrift ersetzt worden ist?
- Falls eine der ersten beiden Fragen zu verneinen ist: Steht Art. 56 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der in die Steuerbemessungsgrundlage eines in jenem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, der an einer in einem anderen Staat (hier: Schweiz) ansässigen Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt ist, die von dieser Gesellschaft erzielten positiven Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter anteilig, in Höhe der jeweiligen Beteiligungsquote, einbezogen werden, wenn diese Einkünfte einem niedrigeren Besteuerungsniveau als im erstgenannten Staat unterliegen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
25 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV die Anwendung einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen nicht berührt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats am 31. Dezember 1993 im Wesentlichen bestand, deren Tragweite aber nach diesem Stichtag auf Beteiligungen ohne Zusammenhang mit einer Direktinvestition ausgeweitet wurde.
26 Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet allgemein alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Kapitalverkehr im Sinne dieser Bestimmung sind insbesondere direkte Investitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen (sogenannte Direktinvestitionen), sowie der Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen (sogenannte Portfolioinvestitionen) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. September 2006, Kommission/Niederlande, C‑282/04 und C‑283/04, EU:C:2006:608, Rn. 18 und 19, sowie Gutachten 2/15 [Freihandelsabkommen mit Singapur] vom 16. Mai 2017, EU:C:2017:376, Rn. 80 und 227).
27 Ein Mitgliedstaat kann jedoch nach Art. 64 Abs. 1 AEUV in seinen Beziehungen zu dritten Ländern Beschränkungen des Kapitalverkehrs, die in den sachlichen Geltungsbereich dieser Bestimmung fallen, auch dann anwenden, wenn sie gegen den in Art. 63 Abs. 1 AEUV niedergelegten Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstoßen, sofern sie bereits am 31. Dezember 1993 bestanden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 187, vom 24. Mai 2007, Holböck, C‑157/05, EU:C:2007:297, Rn. 39, und vom 24. November 2016, SECIL, C‑464/14, EU:C:2016:896, Rn. 86).
28 Da die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV bestimmt, dass „Artikel 63 [AEUV] … nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder [berührt], die am 31. Dezember 1993 aufgrund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder aufgrund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen … bestehen“, ergibt sich bereits aus ihrem Wortlaut, dass die Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit Drittländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen in den sachlichen Geltungsbereich dieser Klausel fallen. Portfolioinvestitionen gehören dagegen nicht zu dem von ihr erfassten Kapitalverkehr.
29 Hierzu geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass X in dem für das Ausgangsverfahren erheblichen Steuerjahr eine Beteiligung von 30 % an Y hielt, die das vorlegende Gericht als Direktinvestition einstuft, und dass der Geltungsbereich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nach dem 31. Dezember 1993 dahin erweitert wurde, dass nicht nur Beteiligungen von mehr als 10 % am Kapital von Gesellschaften mit Sitz in Drittländern erfasst werden, sondern auch Beteiligungen von weniger als 10 % am Kapital solcher Gesellschaften, die das vorlegende Gericht als Portfolioinvestitionen einstuft.
30 Die Anwendbarkeit der in Art. 64 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Standstill-Klausel setzt aber nicht voraus, dass sich die einzelstaatliche Regelung, die den Kapitalverkehr mit Drittländern beschränkt, ausschließlich auf den von dieser Bestimmung erfassten Kapitalverkehr bezieht.
31 Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es der Anwendbarkeit der Standstill-Klausel unter den darin festgelegten Voraussetzungen nicht entgegenstehen kann, dass eine nationale Regelung nicht nur auf den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehr Anwendung finden kann, sondern auch in anderen Fällen. Der sachliche Geltungsbereich dieser Klausel hängt nämlich nicht vom spezifischen Gegenstand einer nationalen Beschränkung ab, sondern von deren Auswirkung auf den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehr (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Februar 2017, X, C‑317/15, EU:C:2017:119, Rn. 21 und 22).
32 Somit berührt Art. 63 Abs. 1 AEUV nicht die Anwendung einer am 31. Dezember 1993 nach nationalem Recht bestehenden Beschränkung des von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehrs und insbesondere von Direktinvestitionen in oder aus Drittländern, ungeachtet etwaiger späterer Erweiterungen des Geltungsbereichs der dieser Beschränkung zugrunde liegenden Regelung auf andere Arten von Kapitalverkehr wie etwa Portfolioinvestitionen.
33 Daher kann – wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 und 59 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat – die durch das UntStFG 2001 eingeführte Änderung in Form einer Senkung der Beteiligungsschwelle von 10 % auf 1 % des Kapitals der betreffenden Gesellschaften, auch wenn sie zur Einbeziehung anderer Investitionen als Direktinvestitionen in den Geltungsbereich der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung geführt haben mag, keine Auswirkung auf die Möglichkeit des betreffenden Mitgliedstaats haben, die am 31. Dezember 1993 nach nationalem Recht bestehenden Beschränkungen, sofern sie den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehr betreffen, weiterhin auf Drittländer anzuwenden.
34 In Anbetracht dessen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV die Anwendung einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen nicht berührt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats am 31. Dezember 1993 im Wesentlichen bestand, deren Tragweite aber nach diesem Stichtag auf Beteiligungen ohne Zusammenhang mit einer Direktinvestition ausgeweitet wurde.
Zur zweiten Frage
35 Mit seiner zweiten Frage, die für den Fall gestellt wird, dass die erste Frage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass das in Art. 63 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot auf eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen Anwendung findet, wenn die dieser Beschränkung zugrunde liegende nationale Steuerregelung nach dem 31. Dezember 1993 durch den Erlass eines Gesetzes wesentlich geändert wurde, das in Kraft trat, dann aber, noch bevor es in der Praxis zur Anwendung gelangte, durch eine Regelung ersetzt wurde, die mit der am 31. Dezember 1993 geltenden Regelung im Wesentlichen übereinstimmt.
36 Wie im Wesentlichen aus Rn. 27 des vorliegenden Urteils hervorgeht, erlaubt die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV, abweichend von dem im AEU-Vertrag niedergelegten Grundsatz des freien Kapitalverkehrs, die Anwendung von Beschränkungen auf bestimmte Kategorien des Kapitalverkehrs, sofern es sich dabei um „Beschränkungen …, die am 31. Dezember 1993 … bestehen“, handelt.
37 Hinsichtlich des Ausdrucks „Beschränkungen …, die am 31. Dezember 1993 … bestehen“, in Art. 64 Abs. 1 AEUV ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede nationale Bestimmung, die nach diesem Zeitpunkt erlassen wird, allein deswegen automatisch von der dort vorgesehenen Ausnahmeregelung ausgeschlossen ist. Der Gerichtshof hat nämlich anerkannt, dass derartigen „bestehenden“ Beschränkungen solche gleichgestellt werden können, die durch Vorschriften vorgesehen sind, die nach dem 31. Dezember 1993 erlassen wurden und im Wesentlichen mit der früheren Regelung übereinstimmen oder nur ein Hindernis, das nach der früheren Regelung der Ausübung der Verkehrsrechte und ‑freiheiten entgegenstand, abmildern oder beseitigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 189 und 192, vom 24. Mai 2007, Holböck, C‑157/05, EU:C:2007:297, Rn. 41, und vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, EU:C:2007:804, Rn. 49).
38 Zwar berechtigt die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV somit die Mitgliedstaaten, Beschränkungen, die in den sachlichen Geltungsbereich dieser Klausel fallen, ohne zeitliche Begrenzung weiter anzuwenden, sofern diese Beschränkungen in ihrem Wesen erhalten bleiben, doch setzt der Begriff „am 31. Dezember 1993 bestehende Beschränkung“ nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs voraus, dass der rechtliche Rahmen, in den sich die betreffende Beschränkung einfügt, seit diesem Datum ununterbrochen Teil der nationalen Rechtsordnung war (Urteile vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, EU:C:2007:804, Rn. 48, vom 5. Mai 2011, Prunus und Polonium, C‑384/09, EU:C:2011:276, Rn. 34, und vom 24. November 2016, SECIL, C‑464/14, EU:C:2016:896, Rn. 81).
39 So hat der Gerichtshof entschieden, dass die Ausnahmeregelung, die durch die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV geschaffen wurde, keine Anwendung auf die von einem Mitgliedstaat erlassenen Vorschriften finden kann, die zwar im Wesentlichen mit einer am 31. Dezember 1993 bestehenden Regelung übereinstimmen, durch die aber ein Hindernis für den freien Kapitalverkehr wieder eingeführt wurde, das nicht mehr bestand, nachdem die frühere Regelung aufgehoben wurde oder Vorschriften erlassen wurden, mit denen der Grundgedanke, auf dem diese Regelung beruhte, geändert wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, EU:C:2006:774, Rn. 192, vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, EU:C:2007:804, Rn. 49, und vom 24. November 2016, SECIL, C‑464/14, EU:C:2016:896, Rn. 87 und 88).
40 Nimmt der betreffende Mitgliedstaat eine solche Aufhebung oder Änderung vor, begibt er sich nämlich der für ihn nach Art. 64 Abs. 1 AEUV bestehenden Möglichkeit, im Verhältnis zu Drittländern bestimmte Beschränkungen des Kapitalverkehrs, die am 31. Dezember 1993 bestanden, weiter anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2016, SECIL, C‑464/14, EU:C:2016:896, Rn. 86 bis 88).
41 Daher setzt die Anwendung von Art. 64 Abs. 1 AEUV nicht nur voraus, dass der wesentliche materielle Gehalt der fraglichen Beschränkung erhalten bleibt, sondern auch, dass die Beschränkung ohne Unterbrechung fortbesteht. Würde nicht verlangt, dass die nach der Standstill-Klausel in dieser Bestimmung erlaubten Beschränkungen seit dem 31. Dezember 1993 ununterbrochen Teil der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats waren, könnte ein Mitgliedstaat nämlich jederzeit Beschränkungen für den Kapitalverkehr nach oder aus Drittländern wieder einführen, die in der nationalen Rechtsordnung am 31. Dezember 1993 bestanden, aber nicht aufrechterhalten wurden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, EU:C:2007:804, Rn. 48, vom 5. Mai 2011, Prunus und Polonium, C‑384/09, EU:C:2011:276, Rn. 34, sowie vom 24. November 2016, SECIL, C‑464/14, EU:C:2016:896, Rn. 81).
42 Überdies ist die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Desgleichen sind die Voraussetzungen, die nationale Rechtsvorschriften erfüllen müssen, um trotz einer späteren Änderung des einzelstaatlichen Rechtsrahmens als am 31. Dezember 1993 „bestehend“ angesehen werden zu können, ebenfalls eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2018, EV, C‑685/16, EU:C:2018:743, Rn. 80 und 81).
43 Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung, die am 31. Dezember 1993 bestand, später geändert wurde. Wie insbesondere in den Rn. 17 und 20 des vorliegenden Urteils ausgeführt wird, weist das vorlegende Gericht jedoch darauf hin, dass die durch das StSenkG 2000 bewirkten Änderungen des damals bestehenden Rechtsrahmens einige Zeit nach ihrem Erlass durch das anschließend in Kraft getretene UntStFG 2001 aufgehoben worden seien.
44 Zwar geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass die Vorschriften, die der am 31. Dezember 1993 bestehenden Beschränkung, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt, zugrunde liegen, durch das StSenkG 2000 aufgehoben wurden, doch scheint das vorlegende Gericht gleichwohl der Auffassung zu sein, dass mit den Änderungen der früheren Regelung durch dieses Gesetz zumindest der Grundgedanke, auf dem diese Regelung beruhte, geändert worden sei. Es führt hierzu nämlich aus, der deutsche Gesetzgeber habe das System der Besteuerung von Gesellschaften und ihrer Aktionäre einschließlich der nach Maßgabe dieses allgemeinen Systems ausgestalteten Regelung für ausländische Zwischengesellschaften, die „von Grund auf neu geordnet“ worden sei, durch das StSenkG 2000 grundlegend reformiert.
45 Geht man – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – davon aus, dass mit diesen durch das StSenkG 2000 bewirkten Änderungen der nationalen Regelung tatsächlich der Grundgedanke, auf dem die frühere Regelung beruhte, geändert oder diese Regelung sogar aufgehoben wurde, ist zu prüfen, welche Auswirkung es auf die Anwendbarkeit der Standstill-Klausel hat, dass – wie das vorlegende Gericht hervorgehoben hat – diese Änderungen, obwohl sie am 1. Januar 2001 in Kraft traten, erst ab 2002, d. h. nach ihrer Aufhebung durch das am 25. Dezember 2001 in Kraft getretene UntStFG 2001, bewirken konnten, dass „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ in die Steuerbemessungsgrundlage eines Steuerpflichtigen einbezogen wurden.
46 Wie sich aus der in den Rn. 39 und 40 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, kann u. a. dann nicht davon ausgegangen werden, dass eine nach nationalem Recht seit dem 31. Dezember 1993 bestehende Beschränkung des Kapitalverkehrs seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen Bestandteil der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats war, wenn die ihr zugrunde liegende Regelung aufgehoben oder der Grundgedanke, auf dem diese Regelung beruhte, geändert wurde. Eine solche Aufhebung oder Änderung tritt grundsätzlich zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Bestimmungen, mit denen die bestehende Regelung aufgehoben oder geändert wird, im Einklang mit den in der einzelstaatlichen Verfassung hierfür vorgesehenen Verfahren in Kraft treten.
47 Ungeachtet des förmlichen Inkrafttretens der Bestimmungen, mit denen die Regelung, die einer am 31. Dezember 1993 bestehenden Beschränkung zugrunde liegt, aufgehoben oder geändert wird, ist diese Beschränkung allerdings als ununterbrochen aufrechterhalten anzusehen, wenn das nationale Recht vorsieht, dass die Aufhebungs- oder Änderungsbestimmungen erst zu einem späteren Zeitpunkt anwendbar werden, und wenn sie ihrerseits aufgehoben werden, bevor sie zur Anwendung gelangen. In einem solchen Fall ist nämlich davon auszugehen, dass eine derartige Beschränkung ununterbrochen Teil der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats war.
48 Wurden – was zu prüfen Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist – dem StSenkG 2000 Bestimmungen beigefügt, nach denen es erst später zur Anwendung kommen sollte, und waren somit die durch dieses Gesetz bewirkten Änderungen der steuerlichen Regelung für Zwischengesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat vom 1. Januar 2001 bis 25. Dezember 2001, an dem das UntStFG 2001 in Kraft trat, auf den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten grenzüberschreitenden Kapitalverkehr nicht anwendbar, wäre daher davon auszugehen, dass die vom vorlegenden Gericht genannte Beschränkung seit dem 31. Dezember 1993 im Sinne der in dieser Bestimmung vorgesehenen Standstill-Klausel ohne Unterbrechung aufrechterhalten wurde.
49 Sollte das vorlegende Gericht dagegen feststellen, dass die Vorschriften des StSenkG 2000 schon bei ihrem Inkrafttreten anwendbar wurden, wäre davon auszugehen, dass der Erlass dieses Gesetzes den fortwährenden Bestand der im Ausgangsverfahren fraglichen Beschränkung unterbrach, so dass die Anwendung von Art. 64 Abs. 1 AEUV ausgeschlossen wäre.
50 Dies wäre der Fall, wenn die steuerlichen Vorschriften, die sich aus dem am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen StSenkG 2000 ergeben, implizierten, dass die im Jahr 2001 erzielten Zwischeneinkünfte in die Steuerbemessungsgrundlage des betreffenden inländischen Steuerpflichtigen einzubeziehen waren, ungeachtet dessen, dass die Finanzverwaltung diese Vorschriften bei der Besteuerung der betreffenden Einkünfte im Jahr 2002 letztlich nicht heranzog, weil das StSenkG 2000 am 25. Dezember 2001 aufgehoben worden war.
51 In Anbetracht dessen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass das in Art. 63 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot auf eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen Anwendung findet, wenn die dieser Beschränkung zugrunde liegende nationale Steuerregelung nach dem 31. Dezember 1993 durch den Erlass eines Gesetzes wesentlich geändert wurde, das in Kraft trat, dann aber, noch bevor es in der Praxis zur Anwendung gelangte, durch eine Regelung ersetzt wurde, die mit der am 31. Dezember 1993 geltenden Regelung im Wesentlichen übereinstimmt, es sei denn, dass die Anwendbarkeit dieses Gesetzes nach dem nationalen Recht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurde, so dass es trotz seines Inkrafttretens nicht auf den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehr anwendbar war; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Zur dritten Frage
52 Für den Fall, dass das vorlegende Gericht in Anbetracht der Antwort auf die zweite Frage der Auffassung sein sollte, dass die nationale Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht unter die Standstill-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV fällt, ist im Einklang mit dem Ersuchen des vorlegenden Gerichts dessen dritte Frage zu prüfen.
53 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der die von einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft erzielten, nicht aus einer eigenen Tätigkeit dieser Gesellschaft stammenden Einkünfte wie die „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne dieser Regelung anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligung in die Steuerbemessungsgrundlage eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einbezogen werden, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens 1 % an der genannten Gesellschaft beteiligt ist und die Einkünfte im Drittland einem niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegen als in dem betreffenden Mitgliedstaat.
54 Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst das Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 AEUV und anschließend gegebenenfalls die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung zu prüfen.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs
55 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gehören zu den Maßnahmen, die als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (vgl. u. a. Urteile vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, EU:C:2007:804, Rn. 40, vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 50, und vom 8. November 2012, Kommission/Finnland, C‑342/10, EU:C:2012:688, Rn. 28).
56 Nach der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Regelung werden einem Steuerpflichtigen mit steuerlichem Wohnsitz in Deutschland, der zu mindestens 1 % an einer in einem Drittland mit „niedrigem“ Besteuerungsniveau ansässigen Gesellschaft beteiligt ist, die von dieser Gesellschaft erzielten sogenannten „passiven“ Einkünfte, d. h. die „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne dieser Regelung, unabhängig von einer Gewinnausschüttung anteilig in Höhe seiner Beteiligung zugerechnet. Dagegen unterliegt ein Steuerpflichtiger, der eine entsprechende Beteiligung an einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft hält, der genannten Regelung nicht, da diese definitionsgemäß nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte Anwendung findet.
57 Eine solche unterschiedliche steuerliche Behandlung kann zu nachteiligen Folgen für einen gebietsansässigen Steuerpflichtigen führen, der an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft beteiligt ist, die derartige „passive“ Einkünfte erzielt, da die Gewinne dieser Gesellschaft der Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen anteilig in Höhe seiner Beteiligung an dieser Gesellschaft hinzugerechnet werden. Gegenüber einem Steuerpflichtigen, der eine vergleichbare Beteiligung an einer im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes – hier Deutschland – ansässigen Gesellschaft hält, schafft diese unterschiedliche Behandlung einen Steuernachteil für den Steuerpflichtigen, der in einem Drittland investiert, da ihm nach der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Regelung die Gewinne einer anderen juristischen Person zugerechnet und bei ihm besteuert werden (vgl. entsprechend Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 45).
58 Daher ist die Regelung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, geeignet, in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Investoren von Investitionen in Gesellschaften, die in bestimmten Drittländern ansässig sind, abzuhalten, und stellt somit eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
Zur Zulässigkeit der Beschränkung
59 Da die im Ausgangsverfahren in Frage stehende Regelung beschränkenden Charakter hat, ist – wie von der deutschen Regierung geltend gemacht – zu prüfen, ob die durch diese Regelung geschaffene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Licht von Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV gerechtfertigt sein kann, wonach „Artikel 63 [AEUV] … nicht das Recht der Mitgliedstaaten [berührt], … die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln“.
60 Nach ständiger Rechtsprechung ist Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Diese Bestimmung kann somit nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (Urteile vom 11. September 2008, Eckelkamp u. a., C‑11/07, EU:C:2008:489, Rn. 57, vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 56, sowie vom 10. April 2014, Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C‑190/12, EU:C:2014:249, Rn. 55).
61 Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen dürfen nämlich nach dessen Abs. 3 weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung darstellen. Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass solche Ungleichbehandlungen nur zulässig sind, wenn sie Situationen betreffen, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder, anderenfalls, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Juni 2000, Verkooijen, C‑35/98, EU:C:2000:294, Rn. 43, vom 7. September 2004, Manninen, C‑319/02, EU:C:2004:484, Rn. 29, und vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome, C‑182/08, EU:C:2009:559, Rn. 68).
62 Folglich ist erstens zu klären, ob die fragliche Ungleichbehandlung objektiv miteinander vergleichbare Situationen betrifft, und gegebenenfalls zweitens zu prüfen, ob die fragliche Beschränkung des freien Kapitalverkehrs durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann.
– Zur Vergleichbarkeit der Situationen
63 Die deutsche Regierung verneint das Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und macht geltend, die von der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Regelung erfasste Situation von Steuerpflichtigen mit einer Beteiligung an einer in einem Drittland ansässigen, einer niedrigen Besteuerung unterliegenden Gesellschaft sei nicht mit der Situation von Steuerpflichtigen mit einer Beteiligung an einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft vergleichbar. Diese Situationen seien insbesondere deshalb nicht vergleichbar, weil die fragliche Regelung Beteiligungen an Gesellschaften betreffe, die nicht unter die deutsche Steuerhoheit fielen und in einem Drittland nur einer niedrigen Besteuerung unterlägen.
64 Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Prüfung der Vergleichbarkeit einer grenzüberschreitenden Situation mit einer mitgliedstaatsinternen Situation das mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgte Ziel zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juli 2007, Oy AA, C‑231/05, EU:C:2007:439, Rn. 38, vom 1. April 2014, Felixstowe Dock and Railway Company u. a., C‑80/12, EU:C:2014:200, Rn. 25, sowie vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 32).
65 Nach den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts wird mit der Regelung, um die es im Ausgangsverfahren geht, bezweckt, „die Verlagerung von (passiven) Einkünften unbeschränkt Steuerpflichtiger in Staaten mit niedrigem Steuerniveau zu verhindern bzw. zu neutralisieren“. Nach den Angaben der deutschen Regierung soll diese Regelung zudem die Steuerumgehung durch künstliche Verlagerung von Einkünften in Drittländer mit niedrigem Besteuerungsniveau verhindern.
66 Zwar wird ein Mitgliedstaat das Ziel, die Verlagerung von Einkünften in Drittländer mit niedrigem Besteuerungsniveau zu bekämpfen, nicht im Kontext von Investitionen innerhalb dieses Mitgliedstaats verfolgen.
67 Wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, soll jedoch mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die Situation gebietsansässiger Gesellschaften, die Kapital in eine Gesellschaft mit Sitz in einem Drittland mit „niedrigem“ Besteuerungsniveau investiert haben, so weit wie möglich an die Situation gebietsansässiger Gesellschaften angeglichen werden, die ihr Kapital in eine andere in Deutschland ansässige Gesellschaft investiert haben, um insbesondere die etwaigen steuerlichen Vorteile für die erstgenannten Gesellschaften aufgrund der Kapitalanlage in einem Drittland zu neutralisieren. Wenn ein Mitgliedstaat eine gebietsansässige Gesellschaft in Bezug auf Einkünfte, die eine in einem Drittland ansässige Gesellschaft, an der die gebietsansässige Gesellschaft beteiligt ist, einseitig der Steuer unterwirft, nähert sich die Situation dieser gebietsansässigen Gesellschaft aber der einer gebietsansässigen Gesellschaft an, die an einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft beteiligt ist (vgl. entsprechend Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 45, sowie vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 35 und 36).
68 Daher würde – unbeschadet der Prüfung, ob die im Ausgangsverfahren in Frage stehende Regelung möglicherweise durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist – Art. 63 Abs. 1 AEUV, der Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs gerade verbietet, seines Inhalts entleert, wenn man Situationen allein deshalb für nicht vergleichbar hielte, weil der fragliche Investor an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft beteiligt ist (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 35).
69 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die im Ausgangsverfahren in Frage stehende Ungleichbehandlung objektiv vergleichbare Situationen betrifft.
– Zum Vorliegen eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses
70 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nur zulässig sein, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist und sofern sie in diesem Fall geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, sowie nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Oktober 2007, ELISA, C‑451/05, EU:C:2007:594, Rn. 79 und 82, vom 23. Januar 2014, DMC, C‑164/12, EU:C:2014:20, Rn. 44, und vom 21. Juni 2018, Fidelity Funds u. a., C‑480/16, EU:C:2018:480, Rn. 64).
71 In ihren schriftlichen Erklärungen vertreten die deutsche, die französische und die schwedische Regierung die Auffassung, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Frage stehende durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein könne, die in der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten, der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung sowie der Notwendigkeit bestünden, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu gewährleisten.
72 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Notwendigkeit, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten zu wahren, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs insbesondere dann rechtfertigen kann, wenn mit den fraglichen nationalen Maßnahmen Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 121, vom 10. Mai 2012, Santander Asset Management SGIIC u. a., C‑338/11 bis C‑347/11, EU:C:2012:286, Rn. 47, sowie vom 10. April 2014, Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C‑190/12, EU:C:2014:249, Rn. 98).
73 Daran anknüpfend hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Maßnahme, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung vorzubeugen, wenn sie sich spezifisch gegen rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen richtet, die zu dem Zweck errichtet werden, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für die durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats erzielten Gewinne geschuldet wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 51 und 55, vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C‑524/04, EU:C:2007:161, Rn. 72 und 74, sowie vom 3. Oktober 2013, Itelcar, C‑282/12, EU:C:2013:629, Rn. 34).
74 Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Oktober 2014, van Caster, C‑326/12, EU:C:2014:2269, Rn. 46, und vom 22. November 2018, Huijbrechts, C‑679/17, EU:C:2018:940, Rn. 36). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Steueraufsicht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dazu dient, Steuerhinterziehung und Steuerumgehung zu bekämpfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2012, SIAT, C‑318/10, EU:C:2012:415, Rn. 44).
75 Daher hängen die von den Betroffenen geltend gemachten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eng miteinander zusammen (vgl. entsprechend Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C‑446/03, EU:C:2005:763, Rn. 51, vom 21. Januar 2010, SGI, C‑311/08, EU:C:2010:26, Rn. 69, und vom 5. Juli 2012, SIAT, C‑318/10, EU:C:2012:415, Rn. 48). Da das mit der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden nationalen Regelung verfolgte Ziel, wie es in Rn. 65 des vorliegenden Urteils dargestellt ist, diesen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und insbesondere der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung im Wesentlichen entspricht, ist zu prüfen, ob diese Regelung geeignet ist, die Verwirklichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zu seiner Erreichung erforderlich ist.
76 Zu der Frage, ob die genannte Regelung zur Erreichung des mit ihr angestrebten Ziels geeignet ist, ist darauf hinzuweisen, dass sie insbesondere in § 7 Abs. 6 und in § 8 Abs. 3 AStG 2006 vorsieht, dass die Gewinne einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft, die in Deutschland nicht steuerpflichtige und in dem betreffenden Drittland einer niedrigen Besteuerung im Sinne dieser Regelung unterliegende „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ erzielt, unabhängig davon, ob sie ausgeschüttet werden, der Steuerbemessungsgrundlage eines in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen anteilig in Höhe seiner Beteiligung an dieser Gesellschaft hinzugerechnet und bei ihm wie eine ausgeschüttete Dividende besteuert werden.
77 In diesem Zusammenhang ist, wie der Generalanwalt in Nr. 94 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, nicht auszuschließen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Abtretung von Forderungen durch Z, eine in Deutschland ansässige Gesellschaft, an Y, eine nicht der deutschen Steuerhoheit unterliegende Gesellschaft, zur Folge haben könnte, dass die durch die Tätigkeit von Sportvereinen in Deutschland erzielten Erlöse, auf die sich diese Forderungen beziehen, zumindest teilweise der deutschen Steuerhoheit entzogen werden. Diese Frage des anwendbaren materiellen Steuerrechts ist allerdings vom vorlegenden Gericht zu beurteilen. Auch wenn der Gerichtshof nicht über ausreichende tatsächliche Angaben für die Feststellung verfügt, dass im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorgänge künstlicher Natur sind, kann überdies, da die einzige Tätigkeit von Y darin besteht, Forderungen zu halten, die sie von einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft mittels Fremdfinanzierung – einschließlich eines von X gewährten Darlehens – erworben hat, auch nicht ausgeschlossen werden, dass es für die Beteiligung von X an Y keinen stichhaltigen wirtschaftlichen Grund gibt, sondern dass ihr Hauptziel oder eines ihrer Hauptziele darin bestehen könnte, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für die durch Tätigkeiten im deutschen Hoheitsgebiet erzielten Gewinne geschuldet wird, und Y dabei als Zwischengesellschaft zu benutzen.
78 Da eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Frage stehende, indem sie die Einbeziehung der Einkünfte einer in einem Drittland mit „niedrigem“ Besteuerungsniveau ansässigen Gesellschaft in die Steuerbemessungsgrundlage einer in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft vorsieht, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Auswirkungen einer etwaigen künstlichen Übertragung von Einkünften in ein solches Drittland zu neutralisieren vermag, ist sie grundsätzlich geeignet, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten.
79 Zu prüfen ist jedoch weiter, ob diese Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist.
80 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann der bloße Umstand, dass eine gebietsansässige Gesellschaft eine Beteiligung an einer anderen, in einem Drittland ansässigen Gesellschaft hält, als solcher keine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung begründen und damit eine steuerliche Maßnahme rechtfertigen, die den freien Kapitalverkehr beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 1998, ICI, C‑264/96, EU:C:1998:370, Rn. 26, vom 21. November 2002, X und Y, C‑436/00, EU:C:2002:704, Rn. 62, sowie vom 11. Oktober 2007, ELISA, C‑451/05, EU:C:2007:594, Rn. 91). Wie sich aus der in Rn. 73 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, kann eine nationale Maßnahme, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, hingegen gerechtfertigt sein, wenn sie speziell darauf abzielt, Verhaltensweisen entgegenzuwirken, durch die rein künstliche Gestaltungen errichtet werden.
81 In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Auslegung des Ausdrucks „rein künstliche Gestaltung“ durch den Gerichtshof im Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544), auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens übertragbar ist. Es weist zudem darauf hin, dass die Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, im Kontext der u. a. in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit gestanden habe, da es darin um eine innerstaatliche Regelung eines Mitgliedstaats gegangen sei, nach der ein in diesem Staat ansässiger Steuerpflichtiger für Einkünfte einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, insbesondere dann zur Steuer herangezogen worden sei, wenn er zu mehr als 50 % an dieser Gesellschaft beteiligt gewesen sei.
82 In den Rn. 67 und 68 des Urteils vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544), hat der Gerichtshof entschieden, dass die Niederlassung einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat eine „rein künstliche Gestaltung“ darstellt, wenn auf der Grundlage objektiver, von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte festgestellt wird, dass diese Gesellschaft eine fiktive Ansiedlung ist, da sie keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats entfaltet, wobei das Ausmaß ihres greifbaren Vorhandenseins in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen zu berücksichtigen ist. Der Gerichtshof hat daraus den Schluss gezogen, dass derartige fiktive Niederlassungen, insbesondere solche, die die Merkmale einer als „Briefkastenfirma“ oder „Strohfirma“ fungierenden Tochtergesellschaft aufweisen, einer besonderen Steuerregelung unterworfen werden können, um der Steuerhinterziehung und der Steuerumgehung vorzubeugen, ohne dass die Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit dem entgegenstünden.
83 Was die vom vorlegenden Gericht ausdrücklich aufgeworfene Frage betrifft, welche qualitativen und quantitativen Anforderungen die Beteiligung eines inländischen Steuerpflichtigen an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft erfüllen muss, um nicht als „rein künstlich“ angesehen zu werden, ist darauf hinzuweisen, dass der freie Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern nicht darauf abzielt, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen sich die Gesellschaften im Binnenmarkt niederlassen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑35/11, EU:C:2012:707, Rn. 100), sondern darauf, die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs zu verwirklichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 1995, Sanz de Lera u. a., C‑163/94, C‑165/94 und C‑250/94, EU:C:1995:451, Rn. 19, sowie vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 46).
84 Somit deckt sich der Begriff „rein künstliche Gestaltung“ im Kontext des freien Kapitalverkehrs nicht unbedingt mit den in den Rn. 67 und 68 des Urteils vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544), genannten Anhaltspunkten für die fehlende wirtschaftliche Realität der Niederlassung einer Gesellschaft, da die künstliche Schaffung der Voraussetzungen, um unberechtigt der Besteuerung in einem Mitgliedstaat zu entgehen oder dort unberechtigt einen Steuervorteil in Anspruch zu nehmen, bei grenzüberschreitendem Kapitalverkehr in verschiedenen Formen erfolgen kann. Zwar können die genannten Anhaltspunkte auch im Rahmen der Anwendung der Vorschriften über den freien Kapitalverkehr als Indizien für das Vorliegen einer rein künstlichen Gestaltung dienen, insbesondere wenn es sich als notwendig erweist, den wirtschaftlichen Grund für eine Beteiligung an einer Gesellschaft, die keine eigenen wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet, zu bewerten. Der genannte Begriff kann jedoch im Kontext des freien Kapitalverkehrs auch jede Vorkehrung umfassen, bei der das Hauptziel oder eines der Hauptziele darin besteht, durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erzielte Gewinne künstlich in Drittländer mit niedrigem Besteuerungsniveau zu transferieren.
85 Hier zielt die im Ausgangsverfahren in Frage stehende Regelung allerdings offenbar nicht ausschließlich darauf ab, Verhaltensweisen entgegenzuwirken, mit denen derartige künstliche Vorkehrungen geschaffen werden. Der Vorlageentscheidung ist nämlich zu entnehmen, dass nach § 7 Abs. 6 und § 8 Abs. 3 AStG 2006, wenn festgestellt wird, dass ein inländischer Steuerpflichtiger zu mindestens 1 % an einer in einem Drittland mit niedrigem Besteuerungsniveau im Sinne der genannten Regelung ansässigen Gesellschaft, die „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne dieser Regelung erzielt, beteiligt ist, diese Einkünfte automatisch in die Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen einbezogen werden, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben wird, Anhaltspunkte zu liefern, die – wie etwa die wirtschaftlichen Gründe für seine Beteiligung an der Gesellschaft oder die von ihr ausgeübte wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit – belegen, dass seine Beteiligung nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht.
86 Dieser Automatismus der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Regelung, der dem Wesen nach mit einer unwiderleglichen Vermutung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung vergleichbar ist, lässt sich aber nicht allein anhand der durch diese Regelung geschaffenen Kriterien rechtfertigen. Ein niedriges Besteuerungsniveau für Einkünfte einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft oder die „passive“ Natur der zu diesen Einkünften führenden Tätigkeit, wie sie in dieser Regelung definiert werden, sind nämlich, auch wenn sie Indizien für eine Verhaltensweise, die geeignet ist, zu einer Steuerhinterziehung oder einer Steuerumgehung zu führen, darstellen können, für sich genommen nicht ausreichend für die Feststellung, dass die Beteiligung eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen an dieser Gesellschaft zwangsläufig in allen Fällen eine künstliche Gestaltung darstellt.
87 Nach ständiger Rechtsprechung muss hinsichtlich der Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten eine nationale Regelung, damit sie in angemessenem Verhältnis zum Ziel der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung steht, in jedem Fall, in dem künstliche Vorgänge nicht auszuschließen sind, den Steuerpflichtigen, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des betreffenden Geschäfts beizubringen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C‑524/04, EU:C:2007:161, Rn. 82, vom 5. Juli 2012, SIAT, C‑318/10, EU:C:2012:415, Rn. 50, und vom 3. Oktober 2013, Itelcar, C‑282/12, EU:C:2013:629, Rn. 37).
88 Angesichts der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung geht die im Ausgangsverfahren in Frage stehende Regelung, da sie das Vorliegen künstlicher Vorgänge allein deshalb vermutet, weil die darin festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, und dem betroffenen Steuerpflichtigen keine Möglichkeit einräumt, diese Vermutung zu widerlegen, grundsätzlich über das hinaus, was zur Erreichung ihres Ziels erforderlich ist.
89 Die Regelung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, bezieht sich jedoch nicht auf die Mitgliedstaaten, sondern auf Drittländer.
90 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung zu Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Union nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern übertragen werden kann, da dieser sich in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt (vgl. u. a. Urteil vom 28. Oktober 2010, Établissements Rimbaud, C‑72/09, EU:C:2010:645, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
91 Was insbesondere die Verpflichtung der Mitgliedstaaten betrifft, einen Steuerpflichtigen in die Lage zu versetzen, Anhaltspunkte zum Nachweis der etwaigen wirtschaftlichen Gründe für seine Beteiligung an einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft vorzulegen, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das Bestehen einer solchen Verpflichtung anhand der Verfügbarkeit von Verwaltungs- und Regulierungsmaßnahmen, die gegebenenfalls eine Überprüfung der Richtigkeit solcher Anhaltspunkte erlauben, zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Oktober 2007, ELISA, C‑451/05, EU:C:2007:594, Rn. 98, vom 28. Oktober 2010, Établissements Rimbaud, C‑72/09, EU:C:2010:645, Rn. 45 und 46, und vom 10. April 2014, Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C‑190/12, EU:C:2014:249, Rn. 85).
92 Ferner ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Bedingungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittstaats eingeholt werden, grundsätzlich gerechtfertigt, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, die Auskünfte von ihm zu erhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2007, A, C‑101/05, EU:C:2007:804, Rn. 63, vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C‑436/08 und C‑437/08, EU:C:2011:61, Rn. 67, sowie vom 10. April 2014, Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C‑190/12, EU:C:2014:249, Rn. 84).
93 Im vorliegenden Fall erfordert die Feststellung, dass die im Ausgangsverfahren in Frage stehende Beteiligung der in Deutschland ansässigen Gesellschaft an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft trotz der Erfüllung der in § 7 Abs. 6 und in § 8 Abs. 3 AStG 2006 genannten Voraussetzungen nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht, eine Prüfung von Informationen insbesondere zur Art der Tätigkeiten dieser in einem Drittland ansässigen Gesellschaft durch die deutschen Steuerbehörden.
94 Da ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, Auskünfte zu den Tätigkeiten einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft, an der ein Steuerpflichtiger aus diesem Mitgliedstaat beteiligt ist, zu akzeptieren, ohne gegebenenfalls die Richtigkeit dieser Auskünfte überprüfen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2014, Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C‑190/12, EU:C:2014:249, Rn. 85), hat das vorlegende Gericht im konkreten Fall zu prüfen, ob zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft insbesondere vertragliche Verpflichtungen bestehen, die einen rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit und Mechanismen zum Austausch von Informationen zwischen den betreffenden nationalen Behörden begründen und die es den deutschen Steuerbehörden tatsächlich ermöglichen können, gegebenenfalls die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die in der Schweiz ansässige Gesellschaft zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt werden, dass die Beteiligung des Steuerpflichtigen an ihr nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht.
95 Sofern ein solcher rechtlicher, insbesondere vertraglicher Rahmen zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und dem betreffenden Drittstaat fehlt, ist davon auszugehen, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV den betreffenden Mitgliedstaat nicht daran hindert, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Frage stehende anzuwenden, nach der die Einkünfte einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft in die Steuerbemessungsgrundlage eines inländischen Steuerpflichtigen einbezogen werden, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben wird, die etwaigen wirtschaftlichen Gründe für seine Beteiligung an der Gesellschaft darzutun. Sollte sich dagegen herausstellen, dass ein solcher rechtlicher Rahmen besteht, müsste der betreffende Steuerpflichtige in die Lage versetzt werden, die etwaigen wirtschaftlichen Gründe für seine Investition in dem betreffenden Drittland darzutun, ohne übermäßigen Verwaltungszwängen unterworfen zu werden.
96 In Anbetracht dessen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der die von einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft erzielten, nicht aus einer eigenen Tätigkeit dieser Gesellschaft stammenden Einkünfte wie die „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ im Sinne dieser Regelung anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligung in die Steuerbemessungsgrundlage eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einbezogen werden, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens 1 % an der genannten Gesellschaft beteiligt ist und die Einkünfte im Drittland einem niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegen als in dem betreffenden Mitgliedstaat, nicht entgegensteht, es sei denn, dass ein rechtlicher Rahmen besteht, der insbesondere vertragliche Verpflichtungen vorsieht, die es den Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats ermöglichen können, die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die betreffende Gesellschaft zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt werden, dass die Beteiligung des Steuerpflichtigen an ihr nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht.
An dieser Fassung sind noch Änderungen möglich; verbindlich sind nur die in der "Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts" und im "Amtsblatt der Europäischen Union" veröffentlichten Fassungen.
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