EuG: Nationale Rechtsvorschriften, die die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs auf Basis einer fiktiven Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren auf gefälschten Rechnungen vorsehen, sind mit dem Unionsrecht unvereinbar
Neun Monate, nachdem ihm die Zuständigkeit für bestimmte Vorabentscheidungsersuchen übertragen worden ist, erlässt das Gericht der Europäischen Union sein erstes Vorabentscheidungsurteil
Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 84/25 vom 9. Juli 2025
Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-534/24 | [Gotek]1
Am 1. Oktober 2024 wurde dem Gericht die Zuständigkeit für Vorabentscheidungen in sechs besonderen Sachgebieten übertragen2. Bislang sind 55 Vorabentscheidungssachen an das Gericht weitergeleitet worden.
In dieser ersten Vorabentscheidungssache, die das Gericht weniger als neun Monate nach Weiterleitung des Vorabentscheidungsersuchens durch den Gerichtshof mit einem Urteil beendet, wird es um die Auslegung bestimmter Vorschriften der Verbrauchsteuerrichtlinie3 ersucht.
Im Anschluss an eine Steuerprüfung stellte die kroatische Verwaltung fest, dass ein Unternehmer die Mehrwertsteuer auf der Grundlage gefälschter Rechnungen über Lieferungen von Erdölerzeugnissen, die in Wirklichkeit nie stattgefunden hatten, als Vorsteuer abgezogen hatte.
Gemäß den nationalen Rechtsvorschriften forderte die Zollverwaltung die Zahlung der Verbrauchsteuer. Sie war der Auffassung, dass der Unternehmer einen Rechtsmissbrauch bei Beförderungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren begangen habe.
Das kroatische Gericht, das vom Unternehmer angerufen wurde, möchte wissen, ob die nationalen Rechtsvorschriften in ihrer Auslegung durch die nationalen Behörden, die die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs auf Basis einer fiktiven Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren auf gefälschten Rechnungen vorsehen, mit dem Unionsrecht vereinbar sind.
In seinem Urteil verneint das Gericht dies. Es weist u. a. darauf hin, dass der Verbrauchsteueranspruch zum Zeitpunkt der Überführung der Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr entsteht, die einer abschließenden Liste von in der Richtlinie vorgesehenen Fällen entspricht. Vorliegend wurden die Verbrauchsteuern aber wegen eines Rechtsmissbrauchs erhoben, bei dem gefälschte Rechnungen verwendet wurden, während die Mineralölerzeugnisse nicht geliefert wurden, was keinem der genannten Fälle entspricht. Zudem stellt das Gericht fest, dass die Mitgliedstaaten zwar ein legitimes Interesse daran haben, geeignete Maßnahmen zum Schutz ihrer finanziellen Interessen zu ergreifen, ihre Regelungsbefugnis aber nicht unter Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie ausgeübt werden darf.
1 Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.
2 Verordnung (EU, Euratom) 2024/2019 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. April 2024 zur Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Pressemitteilungen Nr. 125/24, Nr. 154/24 und Nr. 179/24).
3 Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG.
Das Gericht ist für Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die ausschließlich in die Sachgebiete 1. gemeinsames Mehrwertsteuersystem, 2. Verbrauchsteuern, 3. Zollkodex, 4. zolltarifliche Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur, 5. Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Flug- und Fahrgäste im Fall der Nichtbeförderung, bei Verspätung oder bei Annullierung von Transportleistungen oder 6. System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten fallen. Der Gerichtshof ist für alle anderen Vorabentscheidungsersuchen zuständig.
Vorabentscheidungen des Gerichts können ausnahmsweise auf Vorschlag des Ersten Generalanwalts vom Gerichtshof überprüft werden, wenn die ernste Gefahr einer Beeinträchtigung der Einheit oder der Kohärenz des Unionsrechts besteht. Wird innerhalb eines Monats nach der Entscheidung des Gerichts kein solcher Vorschlag vorgelegt, so wird diese endgültig. Schlägt der Erste Generalanwalt hingegen eine Überprüfung vor, muss der Ausgang des Verfahrens vor dem Gerichtshof abgewartet werden, damit die Entscheidung des Gerichts endgültig wird oder die Entscheidung des Gerichtshofs an ihre Stelle tritt.
Weder der Gerichtshof noch das Gericht entscheidet dabei den beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit. Dieser ist unter Zugrundelegung der Entscheidung des Gerichtshofs oder des Gerichts vom nationalen Gericht zu entscheiden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nicht amtliches Dokument, das das Gericht nicht bindet.
Der Volltext und gegebenenfalls die Zusammenfassung des Urteils werden am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht.