BFH: Strafbefreiende Erklärung bei fehlender Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit unwirksam
- Eine strafbefreiende Erklärung ist unwirksam, wenn ihr keine Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit zugrunde liegt.
- Die durch die Abgabe der Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung ist in diesem Fall jedenfalls zur Beseitigung eines Rechtsscheins aufzuheben.
- Gleiches gilt, wenn das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit nicht festgestellt werden kann.
BFH-Urteil vom 1.10.2014, II R 6/13 (veröffentlicht am 12.11.2014)
StraBEG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 6, § 10
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 29.11.2012, 1 K 184/09 (EFG 2013 S. 331 = SIS 13 03 72)
I. Mit "strafbefreiender Erklärung" vom 30.11.2004 nach dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) gab der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gegenüber dem Beklagten, Revisionsbeklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) für die Jahre 1993 bis 2002 zu Unrecht nicht besteuerte Einnahmen i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 StraBEG in Höhe von 5.598.006,71 € und eine daraus mit einem Satz von 25 % errechnete Abgabe in Höhe von 1.399.501,68 € an. Der Kläger entrichtete den Betrag von 1.399.501,68 € am 1.12.2004.
Die "strafbefreiende Erklärung" betraf u.a. die Schenkungsteuer für die Übertragung des Vermögens der Stiftung X in Liechtenstein auf den Kläger, die Übertragung von Vermögen des Klägers auf die neu gegründeten Stiftungen Y und Z in Liechtenstein und die Rückübertragung dieses Vermögens auf den Kläger. Hierauf entfielen Einnahmen i.S. des § 1 Abs. 5 StraBEG in Höhe von 3.861.959 € und eine Abgabe nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StraBEG in Höhe von 965.489,75 €.
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 28.6.2007 II R 21/05 (BFHE 217, 254, BStBl II 2007, 669) entschieden hatte, dass die Übertragung von Vermögen auf eine liechtensteinische Stiftung nicht der Schenkungsteuer unterliegt, wenn die Stiftung nach den getroffenen Vereinbarungen und Regelungen über das Vermögen im Innenverhältnis zum Stifter nicht tatsächlich und rechtlich frei verfügen kann, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 14.10.2008, die strafbefreiende Erklärung gemäß § 173 der Abgabenordnung (AO) bzw. § 10 Abs. 3 StraBEG zu ändern. Die Übertragung des Vermögens auf die Stiftungen sowie die Rückübertragung hätten nicht der Schenkungsteuer unterlegen. Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12.12.2008 ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der der Kläger beantragt hatte, den Bescheid vom 12.12.2008 und die Einspruchsentscheidung vom 7.8.2009 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die aufgrund der strafbefreienden Erklärung festgesetzte Abgabe um 965.489,75 € herabzusetzen, insoweit statt, als es das FA verpflichtete, die Abgabe um 315.779,20 € herabzusetzen. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe einen aus § 10 Abs. 3 StraBEG folgenden Anspruch auf Änderung der gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG aus der strafbefreienden Erklärung resultierenden Festsetzung, soweit die Abgabe die Übertragung des Vermögens der Stiftung X auf den Kläger betreffe. Diese Vorschrift sei auch dann anwendbar, wenn keine Straftat vorliege und keine Steuerverkürzung eingetreten sei. Dies treffe hinsichtlich der Vermögensübertragung von der Stiftung X auf den Kläger zu. Diese habe nicht der Schenkungsteuer unterlegen. Die Stiftung X habe nach den getroffenen Vereinbarungen und Regelungen über das Vermögen im Innenverhältnis zum Kläger nicht tatsächlich und rechtlich frei verfügen können. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Hinsichtlich der Stiftungen Y und Z habe es sich zwar wahrscheinlich ebenso wie bei der Stiftung X verhalten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit könne dies aber wegen des Fehlens zur abschließenden Prüfung erforderlicher Unterlagen nicht festgestellt werden. Dies gehe zulasten des Klägers. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 331 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 10 Abs. 3 i.V.m. § 1 Abs. 1 StraBEG und der §§ 370 und 370a AO sowie des Grundsatzes "in dubio pro reo". Die aufgrund der strafbefreienden Erklärung festgesetzte Abgabe müsse um insgesamt 965.489,75 € herabgesetzt werden.
Das FA rügt mit seiner Revision ebenfalls Verletzung des § 10 Abs. 3 StraBEG. Diese Vorschrift sei im Streitfall nicht anwendbar.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung dergestalt zu ändern, dass die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung um weitere 649.710,55 €, also um insgesamt 965.489,75 € herabgesetzt wird, und die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA beantragt, die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen und die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Bescheids vom 12.12.2008 und zur Verpflichtung des FA, die aufgrund der strafbefreienden Erklärung vom 1.12.2004 festgesetzte Abgabe um 965.489,75 € herabzusetzen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Revision des FA ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Das FG hat zutreffend angenommen, dass § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG auch dann anwendbar ist, wenn die in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG genannten Voraussetzungen für eine strafbefreiende Erklärung nicht erfüllt sind, weil es an einer Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 6 StraBEG) des Steuerpflichtigen fehlt.
a) Die strafbefreiende Erklärung (§ 1 StraBEG) steht gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Dies schließt allerdings nach übereinstimmender Auffassung der Finanzverwaltung und der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht die Prüfung aus, ob der Steuerpflichtige eine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten oder eine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG begangen hat. Ist dies nicht der Fall, ist die strafbefreiende Erklärung unwirksam und kann von der Finanzbehörde abgelehnt werden (BFH-Urteil vom 4.12.2012 VIII R 50/10, BFHE 239, 495, BStBl II 2014, 222). Eine versuchte Steuerhinterziehung genügt nicht als Voraussetzung für eine strafbefreiende Erklärung (BFH-Urteil vom 17.5.2011 VIII R 31/08, BFH/NV 2011, 1477, Rz 9 ff.).
b) Ob die unwirksame strafbefreiende Erklärung in einem solchen Fall zu einer wirksamen Steuerfestsetzung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG führt, wie das FG angenommen hat, oder ob auch die Steuerfestsetzung unwirksam ist, hat der BFH noch nicht ausdrücklich entschieden und kann im Streitfall auf sich beruhen.
aa) Ist die Steuerfestsetzung wirksam, ist sie nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG aufzuheben, soweit der Steuerpflichtige keine der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG bezeichneten Taten und auch keine Steuerordnungswidrigkeit i.S. des § 6 StraBEG begangen hat.
Die mit der Abgabe der strafbefreienden Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung ist nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG aufzuheben oder zu ändern, soweit nach dem StraBEG keine Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt. Ob Straf- oder Bußgeldfreiheit im Sinne der Vorschrift eintritt, richtet sich nach dem ersten Abschnitt des Gesetzes (vgl. § 8 Abs. 1 StraBEG). Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 StraBEG wird u.a. nicht nach den §§ 370, 370a AO bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Schenkungsteuer verkürzt hat, wenn auch die weiteren Voraussetzungen der Norm vorliegen. Entsprechendes gilt gemäß § 6 StraBEG für Steuerordnungswidrigkeiten.
Soweit es bei einer strafbefreienden Erklärung an einer vollendeten Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit fehlt, ist die durch die Abgabe der Erklärung bewirkte Steuerfestsetzung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG aufzuheben oder zu ändern (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1477, Rz 14). § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG ist eine eigenständige Änderungsvorschrift, die nicht die Einlegung eines Einspruchs (§ 347 AO) gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung voraussetzt.
bb) Ist die Steuerfestsetzung bei einer unwirksamen strafbefreienden Erklärung ebenfalls unwirksam, dient ihre Aufhebung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG der Beseitigung eines Rechtsscheins.
2. Die Annahme des FG, § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG sei nur anwendbar, soweit das Fehlen einer Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit positiv festgestellt werden könne, ist unzutreffend. Vielmehr ist § 10 Abs. 3 Satz 1 StraBEG bereits dann anwendbar, wenn das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder Steuerordnungswidrigkeit des Steuerpflichtigen nicht festgestellt werden kann. Wie der BFH im Urteil in BFH/NV 2011, 1477 (Rz 16) zutreffend ausgeführt hat, ist der Grundsatz "in dubio pro reo" auch bei Anwendung des StraBEG beachtlich mit der Folge, dass bei bestehenden Zweifeln über eine Tatbegehung die Unschuldsvermutung gilt und das StraBEG keine Anwendung findet, weil dann nicht von einer begangenen Straftat (oder Steuerordnungswidrigkeit) ausgegangen werden kann.
Da das FG seiner Entscheidung eine andere Ansicht zugrunde gelegt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.
3. Die Sache ist spruchreif. Die durch die strafbefreiende Erklärung des Klägers bewirkte Steuerfestsetzung ist jedenfalls zur Beseitigung des Rechtsscheins ihrer vollständigen Wirksamkeit um den Betrag zu vermindern, der auf die in der Erklärung erfassten Zuwendungen in Bezug auf die Stiftungen entfällt, also um 965.489,75 €; denn das FG hat in diesem Zusammenhang das Entstehen von Schenkungsteuer teilweise verneint und im Übrigen nicht positiv festgestellt, sondern ausgeführt, wahrscheinlich sei insgesamt keine Schenkungsteuer entstanden. Die Verletzung von Mitwirkungspflichten kann dem Kläger in diesem Zusammenhang nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dies gilt auch für die sog. erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO (BFH-Urteil vom 7.11.2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364).
Festsetzungsverjährung steht der Änderung nicht entgegen. Die Festsetzungsfrist war bei der Stellung des Änderungsantrags vom 14.10.2008 noch nicht abgelaufen. Sie betrug nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und begann mit Ablauf des Jahres 2004, in dem der Kläger die strafbefreiende Erklärung abgegeben hat (Levedag, Finanz-Rundschau 2006, 491, 493 f., m.w.N.).
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