BFH: Keine Haftung wegen Firmenfortführung bei Übernahme einer Etablissementbezeichnung
- Wesentliche Voraussetzung für eine Nachfolgehaftung gemäß § 25 HGB ist - neben der Geschäftsfortführung - die Fortführung der bisherigen Firma.
- Entscheidendes Merkmal einer Firma ist, dass dieser Name geeignet ist, den Geschäftsinhaber im Rechtsverkehr zu individualisieren.
- Eine Geschäfts- oder Etablissementbezeichnung, die das Geschäftslokal oder den Betrieb allgemein, nicht aber den Geschäftsinhaber kennzeichnet, ist keine Firma, es sei denn, dass sie im maßgeblichen Rechtsverkehr, in Verträgen, auf Geschäftsbriefen u.ä. "firmenmäßig" verwendet wird.
BFH-Urteil vom 20.5.2014, VII R 46/13 (veröffentlicht am 17.9.2014)
AO § 191
HGB § 25
Vorinstanz: FG Münster vom 23.5.2013, 8 K 1782/11 = SIS 14 12 64
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) wendet sich mit der Revision gegen die Aufhebung eines auf § 191 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 25 des Handelsgesetzbuchs (HGB) gestützten Haftungsbescheids wegen Abgabenrückständen aus den Jahren 2004 bis 2006.
Frau A betrieb in diesen Jahren - und darüber hinaus bis 2008 - als Vollkauffrau, aber ohne Eintragung ins Handelsregister, das Restaurant "XYZ".
Gegenüber ihrem Steuerberater, dem FA, dem Gewerbeamt, der Brauerei und der Verpächterin trat Frau A unter ihrem Namen auf. Die Lieferanten adressierten ihre Rechnungen an "Ausländisches Restaurant XYZ Inh. A", "XYZ A X-Land Restaurant" u.ä.
Mit Gesellschaftsvertrag vom 8.4.2008 wurde die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) gegründet und am 15.10.2008 mit der Firma "B Speise GmbH" ins Handelsregister eingetragen. Alleingesellschafter und Geschäftsführer war Herr B. Mit Vertrag vom 20.4.2008 pachtete dieser die Räumlichkeiten des Restaurants samt Inventar und verpachtete sie am 25.4.2008 an die Klägerin in Gründung (i.Gr.) weiter.
Am 10.7.2008 meldete die Klägerin i.Gr. beim Gewerbeamt ein ausländisches Restaurant an. Mit Kaufvertrag vom 31.7.2008 erwarb die Klägerin i.Gr., vertreten durch den Geschäftsführer B, von Frau A Inventar, Vorräte etc. Die Klägerin i.Gr. beschäftigte ab August 2008 - mit einer Ausnahme - alle vorhandenen Angestellten weiter, ebenso Frau A. Ein Hinweis auf die Firma "B Speise GmbH" fand sich in der Werbung und auf den Speisekarten nicht.
Die Lieferverträge für das Restaurant wurden von der Klägerin neu abgeschlossen. Die Lieferanten von Speisen und Getränken, Gas und Heizöl stellten ihre Rechnungen ab August 2008 an die "B Speise GmbH". Einzelne Lieferanten nutzten auch folgende Bezeichnungen: "YZ Speise GmbH", "YZ X-Land Restaurant" oder "Ausländisches Rest. XYZ" u.a.
Das FA nahm die Klägerin wegen der Betriebsübernahme mit Bescheid vom 15.4.2009 für Abgaberückstände der Jahre 2004 bis 2008 in Haftung. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben. Während des Klageverfahrens beschränkte das FA den Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 25 HGB mit Änderungsbescheid vom 26.10.2011 auf die rückständige Umsatzsteuer der Frau A der Jahre 2004, 2005 und 2006 nebst Zinsen und Säumniszuschlägen.
Das Finanzgericht (FG) hob den Haftungsbescheid in Gestalt des Änderungsbescheides vom 26.10.2011 auf.
Mit der Revision macht das FA geltend, die Klägerin sei zu Recht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB i.V.m. § 191 Abs. 1 AO für betriebliche Steuerschulden der Frau A in Anspruch genommen worden.
Von einer Unternehmensfortführung gehe der maßgebliche Verkehr aus, wenn ein Betrieb von einem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert weitergeführt werde, der Tätigkeitsbereich, die innere Organisation und die Räumlichkeiten ebenso wie Kunden- und Lieferantenbeziehungen jedenfalls im Kern beibehalten und/oder Teile des Personals übernommen würden. Für eine Haftung nach § 25 HGB hinzukommen müsse die Fortführung der Firma. Aus der - maßgebenden - Sicht der beteiligten Verkehrskreise sei eine Firmenfortführung anzunehmen, wenn die vom bisherigen Geschäftsinhaber tatsächlich geführte und von dem Erwerber weitergeführte Firma eine derart prägende Kraft besitze, dass der Verkehr sie mit dem Unternehmen gleichsetze und in dem Verhalten des Erwerbers eine Fortführung der bisherigen Firma sehe. Dabei genüge es, dass der prägende Teil der alten Firma in der neuen beibehalten werde. Die firmenrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der alten oder der neuen Firma sei irrelevant. Da § 25 HGB nicht ausdrücklich die bisherige Firma als "erlaubte" Firma i.S. des § 19 HGB bezeichne, umfasse der Firmenbegriff des § 25 HGB i.V.m. § 18 HGB i.d.F. des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22.6.1998 (BGBl I 1998, 1474) auch "unerlaubte" und "Phantasiefirmen" sowie Geschäfts- bzw. Etablissementbezeichnungen.
Im Streitfall habe die Klägerin die Firma, unter der Frau A aufgetreten sei, gegenüber den Essensgästen fortgeführt. Diese machten den qualitativ und quantitativ maßgeblichen Verkehrskreis aus, denn dieser Personenkreis entscheide über den Unternehmenserfolg. Es sei offensichtlich das Bestreben der Klägerin gewesen, ihrer Kundschaft das Bild eines unveränderten Restaurants zu vermitteln, um z.B. Stammkunden zu behalten. Irrelevant sei es, dass die Veräußerin gegenüber Behörden, dem Steuerberater, Lieferanten und anderen Vertragspartnern mit ihrem Namen "A" und die Klägerin als "B Speise GmbH" aufgetreten seien. Die Benutzung des Namens "(X) YZ - ausländisches Restaurant" für ein in denselben Räumlichkeiten mit fast identischem Personal und unverändertem Konzept betriebenes Restaurant sei als Firmenfortführung gemäß § 25 HGB zu werten.
Die Klägerin trägt vor, das FG habe zutreffend entschieden, dass im Streitfall eine Haftung nach § 191 AO i.V.m. § 25 HGB nicht in Betracht komme. Sie (die Klägerin) sei im Rechtsverkehr unter ihrer in das Handelsregister eingetragen Firma - B Speise GmbH - aufgetreten. Diese Firma weise keinerlei Ähnlichkeit zu der Firma der Frau A auf.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme nach § 191 AO i.V.m. § 25 Abs. 1 HGB im Streitfall nicht vorliegen.
1. Gemäß § 25 Abs. 1 HGB haftet derjenige, der ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fortführt, für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers. Wesentliche Voraussetzung für diese Nachfolgehaftung ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut - neben der Geschäftsfortführung - die Fortführung des Handelsgeschäfts unter der "bisherigen Firma" (§ 25 Abs. 1 HGB) bzw. die "Fortführung der Firma" (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 HGB). Gemäß § 17 Abs. 1 HGB ist die Firma eines Kaufmanns der Name, unter dem er seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Entscheidendes Merkmal einer Firma ist, dass dieser Name geeignet ist, den Geschäftsinhaber - den Schuldner der Verbindlichkeit - im Rechtsverkehr zu individualisieren. Eine Geschäfts- oder Etablissementbezeichnung, die lediglich das Geschäftslokal oder den Betrieb allgemein, nicht aber den Geschäftsinhaber kennzeichnet, ist keine Firma (vgl. Senatsbeschluss vom 11.6.2012 VII B 198/11, BFH/NV 2012, 1572, m.w.N.).
2. Im Streitfall ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Firma der früheren Inhaberin nicht fortgeführt hat. Frau A hat unter ihrem Namen und die Klägerin unter der Firma "B Speise GmbH" firmiert. Bei der Bezeichnung "Ausländisches Restaurant (X) YZ" handelte es sich im vorliegenden Fall um eine reine Geschäfts- oder Etablissementbezeichnung, deren Fortführung keine Firmenfortführung i.S. des § 25 HGB ist.
Gegenüber Behörden, Lieferanten, der Verpächterin etc. trat die ursprüngliche Geschäftsinhaberin, Frau A, unter ihrem Namen auf. Entsprechendes gilt für die Klägerin, die mit der Firma, mit der sie ins Handelsregister eingetragen war, tatsächlich auch im Rechtsverkehr auftrat (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.11.2005 II ZR 355/03, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 1002; Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 25 Rz 7). Soweit einzelne Rechnungen an das Restaurant adressiert waren, handelt es sich ersichtlich um Ungenauigkeiten der Rechnungssteller.
Anders als die Revision meint, ist nicht davon auszugehen, dass im Streitfall der Gaststättenname "(Ausländisches Restaurant) XYZ" aus Gästesicht die Firma der jeweiligen Inhaberin war. Bei Gaststätten sind Etablissementbezeichnungen weit verbreitet, die oft über lange Zeit unabhängig von der Person des Inhabers oder Pächters verwendet werden. Da Speisen und Getränke regelmäßig als Vorleistung gereicht und in Gaststätten meist auch sog. "Bargeschäfte des täglichen Lebens" abgeschlossen werden, sind für Restaurantbesucher die Fähigkeiten des Kochs von größerer Bedeutung als die im Rechtsverkehr verwendete Firma des Inhabers. Deshalb sehen sie oft über das Fehlen von Angaben zur Firma hinweg. Im konkreten Fall handelte es sich bei "XYZ" um den Namen einer bekannten historischen Person, so dass es für Restaurantgäste fern lag anzunehmen, der Inhaber der Gaststätte trage diesen Namen. Auch wenn gemäß § 18 HGB n.F. sog. "Phantasiefirmen" zulässig sind, wurde der Restaurantname jedoch im Streitfall nicht als Firma geführt. Entscheidend ist, dass sowohl die frühere Inhaberin des Restaurants als auch die Klägerin die Bezeichnung "(ausländisches Restaurant) (X) YZ" im rechtsgeschäftlichen Verkehr, in Geschäftsbriefen oder Verträgen und bei Unterschriften nicht als ihren Namen, d.h. nicht "firmenmäßig" verwendet haben.
Angaben in der Werbung können im Einzelfall zwar Indizien sowohl bei der Frage nach der Geschäftsübernahme als auch der Firmenfortführung sein. Da Werbeschriften, Anzeigen oder Schilder in der Außenwerbung nicht im Rechtsverkehr verwendet werden und insbesondere keine Geschäftsbriefe sind, führt jedoch allein der werbende Hinweis auf das "Restaurant (X) YZ" sowie der fehlende Hinweis auf den jeweiligen Inhaber nicht dazu, dass aus der Etablissementbezeichnung eine Firma wurde.
Die übrigen vom FA angeführten Umstände - gleich bleibende Geschäftsadresse und Telefonnummer, unverändertes Personal und Betriebskonzept etc. - sind Ausdruck der im Streitfall unstreitig gegebenen Fortführung eines vollkaufmännischen Gewerbebetriebs, nicht aber der für den Tatbestand des § 25 Abs. 1 HGB gleichfalls erforderlichen Firmenfortführung.
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