EuGH: Spaltung, Steuerbegünstigung, Slowenien, Genehmigung, Antrag
Rechtsangleichung – Richtlinie 90/434/EWG – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Art. 11 Abs. 1 Buchst. a – Nationale Rechtsvorschriften, die die Gewährung von Steuervergünstigungen an eine Genehmigung knüpfen – Genehmigungsantrag, der mindestens 30 Tage vor Durchführung der vorgesehenen Transaktion gestellt werden muss
EuGH-Urteil vom 18. Oktober 2012, Rechtssache C-603/10
Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die die Gewährung von Steuervergünstigungen bei einer Spaltung gemäß den Vorschriften dieser Richtlinie an die Voraussetzung knüpft, dass der entsprechende Antrag innerhalb einer bestimmten Frist gestellt wird. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Modalitäten der Anwendung dieser Frist, insbesondere die Bestimmung des Fristbeginns, hinreichend genau, klar und vorhersehbar sind, damit der Steuerpflichtige seine Rechte kennen und die nach dieser Richtlinie vorgesehenen Steuervergünstigungen erhalten kann.
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Pelati d.o.o. (im Folgenden: Pelati) und der Republik Slowenien wegen der Zurückweisung eines Antrags auf Gewährung von Steuervergünstigungen für eine Unternehmensspaltung durch die slowenische Steuerverwaltung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434, der zu Abschnitt V („Schlussbestimmungen“) gehört, lautet in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung:
„Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung der Titel II, III und IV ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen
a) als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat. Vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht“.
Nationales Recht
4 Art. 47 des Körperschaftsteuergesetzes (Zakon o davku od dohodkov pravnih oseb, Uradni list RS, Nr. 17/05, im Folgenden: ZDDPO‑1) sieht vor, dass „der einbringenden Gesellschaft, der übernehmenden Gesellschaft und dem Gesellschafter der einbringenden Gesellschaft nach den Art. 41 bis 47 [dieses Gesetzes] auf der Grundlage einer von der Steuerverwaltung bei Vorliegen der in diesen Vorschriften genannten Voraussetzungen erteilten Genehmigung Steuervergünstigungen gewährt werden“.
5 Das Besteuerungsverfahren bei Fusionen oder Spaltungen von Gesellschaften ist im Steuerverfahrensgesetz (Zakon o davčnem postopku, Uradni list RS, Nr. 25/05, im Folgenden: ZDavP‑1) festgelegt.
6 Nach Art. 345 Abs. 2 ZDavP‑1 reicht der Steuerpflichtige seine Steuererklärung spätestens 60 Tage nach Eintragung der Spaltung im Handelsregister des zuständigen Gerichts bei der Steuerverwaltung ein.
7 Art. 363 ZDavP‑1 bestimmt:
„(1) Die Genehmigung nach Art. 47 ZDDPO‑1 wird für jede einzelne Transaktion erteilt.
(2) Der Antrag auf Erteilung der Genehmigung ist von der einbringenden oder der übernehmenden Gesellschaft ... mindestens 30 Tage vor dem Zeitpunkt zu stellen, zu dem die von Art. 41 ZDDPO‑1 erfasste Transaktion erfolgen soll.
...
(5) Die Steuerverwaltung entscheidet über den Genehmigungsantrag innerhalb von höchstens 30 Tagen nach Antragseingang ...“
8 Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung durch die Steuerverwaltung, wie es nach Art. 47 ZDDPO‑1 in Verbindung mit Art. 363 ZDavP-1 vorgesehen war, wurde mit Inkrafttreten einer neuen Fassung des Körperschaftsteuergesetzes und des Steuerverfahrensgesetzes (Uradni list RS, Nr. 117/06) am 1. Januar 2007 aufgehoben. Mit diesen Gesetzen wurde ein vereinfachtes Notifizierungsverfahren eingeführt, bei dem die Nichteinhaltung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen durch den Steuerpflichtigen nicht mehr automatisch zum Verlust der durch die Richtlinie 90/434 gewährten Rechte führt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
9 Mit notariellem Akt vom 30. Juni 2005 erstellte Pelati ein Spaltungsprojekt, das die Übertragung eines Teils des Unternehmens auf eine neue Gesellschaft vorsah. Am 27. September 2005 beantragte sie bei dem für das Handelsregister zuständigen Gericht die Eintragung von Änderungen ihrer Satzung. Diese Änderungen wurden mit Beschluss vom 12. Oktober 2005 eingetragen. Am 21. Oktober 2005 beantragte Pelati im Zusammenhang mit der damit eingetretenen Spaltung die Gewährung von Steuervergünstigungen.
10 Die Steuerverwaltung stellte fest, dass die Umwandlung der Gesellschaft mit der Eintragung der Satzungsänderungen im Handelsregister erfolgt sei. Sie wies daher den von Pelati gestellten Antrag mit der Begründung zurück, dass er nicht innerhalb der in Art. 363 ZDavP‑1 vorgesehenen Frist, d. h. mindestens 30 Tage vor Durchführung der geplanten Umwandlung, eingereicht worden sei.
11 Dagegen legte Pelati Einspruch ein, mit dem sie geltend machte, dass die Steuerverwaltung nicht einmal geprüft habe, ob die sachlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Steuervergünstigungen nach dem ZDDPO‑1 erfüllt seien. Der Einspruch wurde ebenfalls zurückgewiesen, und zwar mit der Begründung, die 30-tägige Frist sei zwingend, so dass der Antrag von Pelati wegen Verspätung unzulässig sei.
12 Pelati focht diese Entscheidung beim Upravno sodišče Republike Slovenije (Verwaltungsgericht die Republik Slowenien) an. Sie meint, der ihr gegenüber als Sanktion für die Nichteinhaltung der nach Art. 363 Abs. 2 ZDavP‑1 vorgesehenen 30-tägigen Frist geltend gemachte Ausschluss laufe der Richtlinie 90/434 zuwider. Außerdem hänge die Einhaltung dieser Frist nicht ausschließlich von der steuerpflichtigen Gesellschaft ab, weil für den Zeitpunkt des Fristablaufs der Zeitpunkt der Eintragung der Satzungsänderung durch das zuständige Gericht im Handelsregister maßgeblich sei.
13 Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass mit dem ZDDPO‑1 die Richtlinie 90/434 in das slowenische Recht umgesetzt werden solle. Sodann stellt es fest, dass der Antrag auf Steuervergünstigungen zwar gemäß Art. 363 Abs. 2 ZDavP‑1 mindestens 30 Tage vor der geplanten Transaktion eingereicht werden müsse, in diesem Gesetz jedoch nicht geregelt sei, wann diese Transaktion als durchgeführt gelte. Die Steuerverwaltung stütze sich insoweit auf Art. 533 des Gesetzes über die Handelsgesellschaften (Zakon o gospodarskih družbah, Uradni list RS, Nr. 30/1993, in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung), wonach das zuständige Gericht die Spaltung und die Gründung der neuen Gesellschaft gleichzeitig in das Handelsregister eintrage. Daraus sei zu schließen, dass der Zeitpunkt der Transaktion mit dem der Eintragung der Satzungsänderungen in diesem Register übereinstimme. Schließlich biete die Richtlinie 90/434 keine Grundlage, einer steuerpflichtigen Gesellschaft Steuervergünstigungen zu verweigern, ohne dass geprüft worden wäre, ob sie die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Vergünstigungen erfülle.
14 In diesem Zusammenhang hat der Upravno sodišče Republike Slovenije beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 11 der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, mit der die Republik Slowenien den steuerlichen Vorteil für eine Handelsgesellschaft, die eine Spaltung (Abspaltung eines Teils der Gesellschaft und Gründung einer neuen Gesellschaft) durchführen will, davon abhängig macht, dass die Handelsgesellschaft rechtzeitig den Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für die Gewährung der Steuervergünstigungen stellt, die sich, sofern die vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind, aus der Spaltung ergeben, bzw. einer nationalen Regelung, nach der der Steuerpflichtige mit Ablauf der Frist die Steuervorteile automatisch verliert, entgegensteht?
Zur Vorlagefrage
Vorbemerkungen
15 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Art. 267 AEUV im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Auslegung der Verträge und der Handlungen der Organe der Europäischen Union entscheidet.
16 Es steht fest, dass der Ausgangsrechtsstreit eine Vorschrift des nationalen Rechts betrifft, die in einem rein innerstaatlichen Kontext Anwendung findet.
17 Wie jedoch der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, hat der slowenische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie 90/434 in die nationale Rechtsordnung beschlossen, die in der Richtlinie vorgesehene steuerliche Behandlung auch für rein innerstaatliche Sachverhalte vorzuschreiben, so dass nationale und grenzüberschreitende Umstrukturierungen derselben steuerlichen Regelung unterliegen.
18 Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, um insbesondere zu verhindern, dass es zu Benachteiligungen der eigenen Staatsangehörigen oder zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, besteht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. Urteile vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C‑28/95, Slg. 1997, I‑4161, Randnr. 32, und vom 15. Januar 2002, Andersen og Jensen, C‑43/00, Slg. 2002, I‑379, Randnr. 18, und vom 20. Mai 2010, Modehuis A. Zwijnenburg, C‑352/08, Slg. 2010, I‑4303, Randnr. 33).
19 Dabei ist es allein Sache des nationalen Gerichts, die genaue Tragweite dieser Verweisung auf das Unionsrecht zu beurteilen; die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich auf die Prüfung der unionsrechtlichen Bestimmungen (vgl. Urteile Leur-Bloem, Randnr. 33, und Modehuis A. Zwijnenburg, Randnr. 34).
20 Der Gerichtshof ist demnach für die Auslegung der Richtlinie 90/434 – auch wenn sie den Ausgangssachverhalt nicht unmittelbar regelt – und somit für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage zuständig.
Zur Begründetheit
21 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die die Gewährung von Steuervergünstigungen bei einer Spaltung an die Voraussetzung knüpft, dass der entsprechende Antrag innerhalb einer bestimmten Frist gestellt wird, deren Beginn der Steuerpflichtige nicht kennt und mit deren Ablauf er den Anspruch auf diese Steuervergünstigungen verliert, ohne dass geprüft worden wäre, ob er die Voraussetzungen für ihre Gewährung erfüllt.
22 Die Richtlinie 90/434 enthält, wie sowohl die Klägerin des Ausgangsverfahrens als auch die slowenische Regierung und die Europäische Kommission, die schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, festgestellt haben, keine Vorschrift über die Verfahrensmodalitäten, die die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gewährung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Steuervergünstigungen einzuhalten haben.
23 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. u.a. Urteile vom 19. September 2006, i‑21 Germany und Arcor, C‑392/04 und C‑422/04, Slg. 2006, I‑8559, Randnr. 57, sowie vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a., C‑262/09 = SIS 11 20 35, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55).
24 Zum Äquivalenzgrundsatz ist festzustellen, dass der Gerichtshof im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt dafür hat, an der Vereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit diesem Grundsatz zu zweifeln.
25 Es ist jedoch zu prüfen, ob eine solche Regelung den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht, der als verletzt gilt, wenn die Ausübung eines durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechts unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird.
26 Was die durch die Richtlinie 90/434 eingeräumten Rechte angeht, ist das in dieser Richtlinie vorgesehene gemeinsame Steuersystem, das verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermaßen auf alle Fusionen, Spaltungen und Einbringungen von Unternehmensteilen sowie jeden Austausch von Anteilen anzuwenden, gleichgültig, ob ihre Gründe finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art sind (vgl. Urteile Leur-Bloem, Randnr. 36, und Modehuis A. Zwijnenburg, Randnr. 41).
27 Die Mitgliedstaaten können nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 nur ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen (Urteile vom 5. Juli 2007, Kofoed, C‑321/05, Slg. 2007, I‑5795, Randnr. 37, und Modehuis A. Zwijnenburg, Randnr. 45), nämlich dann, wenn die vorgesehene Umstrukturierung als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat.
28 Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass gemäß Art. 47 ZDDPO‑1 in Verbindung mit Art. 363 Abs. 2 ZDavP‑1 der Steuerpflichtige seinen Antrag auf Gewährung der in der Richtlinie 90/434 vorgesehenen Steuervergünstigungen mindestens 30 Tage vor der geplanten Umstrukturierung stellen muss, um den Verlust der durch die Richtlinie eingeräumten Rechte zu vermeiden.
29 Es ist daher zu prüfen, ob diese Frist von 30 Tagen sowohl hinsichtlich ihrer Länge als auch ihres Beginns den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes entspricht.
30 Zur Länge der Frist hat der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Schutzes der den Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte bereits entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren (Urteile vom 10. Juli 1997, Palmisani, C‑261/95, Slg. 1997, I‑4025, Randnr. 28, und vom 17. November 1998, Aprile, C‑228/96, Slg. 1998, I‑7141, Randnr. 19). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof außerdem festgestellt, dass eine Anfechtungsfrist von 60 Tagen als solche nicht zu beanstanden ist (Urteile vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck, C‑312/93, Slg. 1995, I‑4599, Randnr. 16, und vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C‑40/08, Slg. 2009, I‑9579, Randnr. 43).
31 Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass diese Rechtsprechung auch dann gilt, wenn es um die Beurteilung der Modalitäten der Erstattung rechtsgrundlos erhobener nationaler Abgaben geht (Urteil Meilicke u. a., Randnrn. 55 bis 58). Das Gleiche muss gelten, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob die Festlegung einer Frist für die Einreichung eines Antrags auf Gewährung von Steuervergünstigungen dem Effektivitätsgrundsatz entspricht.
32 Demzufolge ist eine nationale Regelung, nach der die in der Richtlinie 90/434 vorgesehenen Steuervergünstigungen nur unter der Voraussetzung gewährt werden, dass der entsprechende Antrag mindestens 30 Tage vor der geplanten Umstrukturierung gestellt wird, nicht geeignet, die Ausübung der dem Steuerpflichtigen durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren.
33 Zwar verstößt eine Ausschlussfrist wie die des Ausgangsverfahrens also nicht als solche gegen das Effektivitätsgebot, doch lässt sich nicht ausschließen, dass die Modalitäten der Anwendung dieser Frist unter den konkreten Umständen des dem Vorlagegericht vorliegenden Falles gegen dieses Gebot verstoßen.
34 Bezüglich des Beginns der in Art. 363 Abs. 2 ZDavP‑1 vorgesehenen 30-tägigen Frist ergibt sich aus der Vorlageentscheidung nämlich, dass sie rückwärts ab dem Tag berechnet wird, an dem die Umstrukturierung erfolgt, wobei dafür auf den Zeitpunkt abgestellt wird, zu dem das zuständige Gericht den Vorgang in das Handelsregister einträgt.
35 Demzufolge hängt in einem solchen Fall der Zeitraum, in dem die 30-tägige Frist läuft, nicht vom Steuerpflichtigen ab, denn dieser kann weder den Fristbeginn noch das Fristende, d. h. den Tag, an dem die geplante Umstrukturierung in das Handelsregister eingetragen wird, genau kennen.
36 Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die mit der Richtlinie 90/434 angestrebten Ziele im nationalen Recht unter Beachtung der Erfordernisse der Rechtssicherheit verwirklicht werden müssen. Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedstaaten eine Fristenregelung schaffen, die hinreichend genau, klar und vorhersehbar ist, damit der Einzelne seine Rechte und Pflichten kennen kann (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Januar 2010, Uniplex [UK], C‑406/08, Slg. 2010, I‑817, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Anforderungen erfüllt sind.
37 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, die die Gewährung von Steuervergünstigungen bei einer Spaltung gemäß den Vorschriften dieser Richtlinie an die Voraussetzung knüpft, dass der entsprechende Antrag innerhalb einer bestimmten Frist gestellt wird. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Modalitäten der Anwendung dieser Frist, insbesondere die Bestimmung des Fristbeginns, hinreichend genau, klar und vorhersehbar sind, damit der Steuerpflichtige seine Rechte kennen und die in dieser Richtlinie vorgesehenen Steuervergünstigungen erhalten kann.
31 Im Rahmen der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wurde darauf hingewiesen, dass der Begriff „Diebstahl“ im Wortlaut der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Steuervorschriften nicht ausdrücklich erwähnt wird; dort wird die „Feststellung von Fehlmengen“ als Grund für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs genannt.
32 Insoweit ist festzustellen, dass es den Mitgliedstaaten, wenn sie von der in Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Befugnis Gebrauch machen, freisteht, in ihrem nationalen Steuerrecht Begriffe zu verwenden, die nicht mit den in der Ermächtigungsnorm der Richtlinie verwendeten Begriffen identisch sind, soweit diese Begriffe das mit der Richtlinie verfolgte Ziel widerspiegeln.
33 Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie eine durch die Richtlinie gewährte Befugnis ausüben, die Rechtsetzungstechnik wählen können, die ihnen am geeignetsten erscheint. So können sie sich u. a. darauf beschränken, die in der Richtlinie enthaltene Formulierung oder einen gleichwertigen Ausdruck in das nationale Recht zu übernehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2009, SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, C‑102/08, Slg. 2009, I‑4629, Randnr. 56).
34 Da der Begriff „Diebstahl“ grundsätzlich in den Bereich des Strafrechts fällt, dürfen die Mitgliedstaaten Begriffe verwenden, die ihnen in dem steuerrechtlichen Rahmen zur Anwendung einer unionsrechtlichen Vorschrift auf dem Gebiet der Mehrwertsteuerberichtigung geeigneter erscheinen.
35 Somit sind das nationale Steuerrecht und seine Anwendung durch die zuständige Verwaltung als eine geeignete Umsetzung von Art. 185 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie anzusehen, da ein Diebstahl in Bezug auf die betreffenden Gegenstände zu „Fehlmengen“ führt, so dass sie nicht mehr für steuerbare Ausgangsumsätze genutzt werden können.
36 Aus den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen geht hervor, dass die Berichtigung des Vorsteuerabzugs – wenn noch andere Bestimmungen des im Ausgangsverfahren fraglichen Steuerrechts herangezogen werden – u.a. dann nicht erfolgt, wenn „Fehlmengen“ durch „höhere Gewalt“ verursacht wurden. Daher genügt der Hinweis, dass aufgrund der vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen ein solcher Fall in dieser Rechtssache nicht vorliegt.
37 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 185 Abs. 2 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er Vorschriften des nationalen Steuerrechts wie den Art. 79 und 80 ZDDS nicht entgegensteht, nach denen im Fall der Feststellung des Fehlens mehrwertsteuerpflichtiger Gegenstände der zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Gegenstände vorgenommene Vorsteuerabzug zu berichtigen ist, wenn sie dem Steuerpflichtigen gestohlen wurden und der Täter nicht ermittelt worden ist.
An dieser Fassung sind noch Änderungen möglich; verbindlich sind nur die in der "Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts erster Instanz" und im "Amtsblatt der Europäischen Union" veröffentlichten Fassungen.
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