BFH: Zuordnung der mechanischen Bearbeitung von Betonbruch, Naturgestein und Ziegelbruch zum zulagebegünstigten verarbeitenden Gewerbe oder zum nicht begünstigten Bergbau
- Der Begriff des verarbeitenden Gewerbes bestimmt sich im Investitionszulagenrecht nach der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen, zum Zeitpunkt der Investition jeweils geltenden Klassifikation der Wirtschaftszweige (WZ). Nach der WZ 2003 hängt die Zuordnung eines - Bauschutt und Abbruchmaterial recycelnden - Betriebes zum verarbeitenden Gewerbe oder zum Bergbau von der Weiterverwendung des sog. Outputs als Endprodukt oder als Sekundärrohstoff für die weitere industrielle Weiterverarbeitung ab.
- Die Zuordnung eines Betriebes zu einem Wirtschaftszweig der Klassifikation durch das Statistische Landes- oder Bundesamt haben die Finanzbehörden und auch das FG in aller Regel zu übernehmen. Sie können jedoch überprüfen, ob der Zuordnung ein zutreffender Sachverhalt zugrunde liegt und ob die Zuordnung nach den richtigen Kriterien getroffen wurde (hier nach der Verwendung der hergestellten Produkte).
BFH-Urteil vom 28.4.2010, III R 66/09
InvZulG 1999 § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
Vorinstanz: Thüringer FG vom 23.7.2009, 2 K 461/07 (EFG 2009, 1968 = SIS 09 39 95)
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb im Streitjahr 2004 einen Radlader zum Preis von 139.000 €, für den sie im Februar 2005 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine Investitionszulage nach § 2 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999 beantragte. In ihrem Antrag gab die Klägerin an, sie unterhalte einen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999.
Die Tätigkeit der Klägerin besteht überwiegend in der mechanischen Bearbeitung von Betonbruch, Naturgestein und Ziegelbruch durch Brechen, Sieben und Konditionieren mittels eines sogenannten Backenbrechers. Die Klägerin führt diese Arbeiten als Lohnunternehmerin auf den Baustellen ihrer Auftraggeber aus; die Auftraggeber bestimmen die Korngröße des zu zerkleinernden Materials. In Abhängigkeit von der Körnung können die so entstandenen Kiese oder Sande u.a. entweder als untere Tragschicht im Straßenbau oder als Zuschlagstoff für Betonfertigteile, Rohre, Kanalbauteile, Pflastersteine usw. verwendet werden. Da die Klägerin kein Eigentum an den hergestellten Produkten erwirbt, konnte sie nicht belegen, zu welchen Anteilen diese z.B. als Ersatzschotter im Straßenbau oder als Zuschlagstoff bei der Herstellung von Betonfertigteilen eingesetzt werden. Ihre Umsätze entfielen im Streitjahr zu 76,8 % auf Brecherleistungen - einschließlich des in geringen Mengen erforderlichen Sortierens und Entsorgens des beim Abriss und Brechen anfallenden Papiers, Kunststoffs und Glases - und zu 23,2 % auf Abbrucharbeiten.
Der Betrieb der Klägerin war in den Jahren zuvor - entsprechend der damals gültigen Klassifikation der Wirtschaftszweige 1993 (WZ 1993) - als Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen und damit als ein nach dem InvZulG 1999 begünstigtes verarbeitendes Gewerbe eingestuft worden. Nach der für das Streitjahr maßgeblichen Klassifikation der Wirtschaftszweige 2003 (WZ 2003) hängt die Zuordnung der Recyclingbetriebe vom Schwerpunkt der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeiten und der Verwendung der Produkte ab.
Auf Anfrage der Klägerin ordnete das Thüringer Landesamt für Statistik (Landesamt) den Betrieb im April 2005 aufgrund der von der Klägerin angegebenen Tätigkeit wiederum dem verarbeitenden Gewerbe (Abschnitt D, Unterklasse 37.20.5 Recycling von sonstigen Altmaterialien und Reststoffen) zu. Die Klägerin hatte ihre Tätigkeit wie folgt beschrieben: "Bearbeiten (Brechen und Sieben) von Betonbruch, Mauerwerk, Naturgesteine, Asphalt mittels Brecher- und Siebanlagen zu Mineralgemischen verschiedenster Körnungen für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche (Tiefbau, Straßenbau, Kanal- und Wasserbau etc.). Herstellen verschiedener Bodengemische und Substrate. Herstellung erfolgt teilweise mit Zertifikat durch Fremdüberwachung der Materialprüfanstalten."
Das FA lehnte die Festsetzung der Investitionszulage ab und wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin unterhalte nach der maßgeblichen WZ 2003 mit dem Recyceln von Bauschutt und Abbruchmaterial einen Mischbetrieb, der nicht dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet werden könne. Die Entscheidung des Landesamtes beruhe auf einer unvollständigen Sachverhaltsdarstellung durch die Klägerin, sei offensichtlich falsch und daher nicht maßgeblich. Die Zuordnung zum nicht begünstigten Bergbau (Abschnitt C, Abteilung 14 Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau, Unterklasse 14.21.0 Gewinnung von Kies und Sand) oder zum verarbeitenden Gewerbe richte sich nach der Weiterverwendung des Outputs. Würden die gebrochenen Materialien als Endprodukt eingesetzt, z.B. als Füllstoff für die Straßenbauindustrie, führe dies zur Einstufung in den Bergbau, die Einbringung des Outputs als Sekundärrohstoff in die direkte industrielle Weiterverarbeitung falle dagegen unter das verarbeitende Gewerbe. Was die Klägerin erzeuge, habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können; die Folgen der Unerweislichkeit wirkten zu ihren Lasten.
Das Statistische Bundesamt (Bundesamt) nahm während des finanzgerichtlichen Verfahrens wie folgt Stellung: Die Erzeugung von Zuschlagstoffen für die Herstellung von Betonfertigteilen, Rohren, Kanalbauteilen, Pflastersteinen usw. durch Brechen, Sieben und Konditionieren sei als Recycling von sonstigen Altmaterialien und Rohstoffen (Unterklasse 37.20.5) anzusehen. Soweit der Output aber direkt als Tragschicht im Straßenbau verwendet werde, liege nach dem Bearbeitungsvorgang ein Enderzeugnis vor, das nicht für den direkten Einsatz in einem industriellen Verarbeitungsprozess aufbereitet worden sei; eine Einreihung in die Abteilung 37 der WZ 2003 scheide dann aus. Zur Abteilung 14 der WZ 2003 - Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau - gehöre auch die Gewinnung von Steinen und Erden unter Verwendung mineralischen Altmaterials. Für die Herstellung von "Ersatzschotter" würden dieselben oder ähnliche Maschinen verwendet wie für die Herstellung von Schotter aus Natursteinen, daher sei es auch sinnvoll, die Tätigkeiten in gleicher Weise zu klassifizieren. Nach der WZ 2008 werde die Rückgewinnung sortierter Werkstoffe generell in Unterklasse 38.32.0 und damit nicht mehr als verarbeitendes Gewerbe erfasst.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Urteil vom 23.7.2009, 2 K 461/07, Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1968). Es entschied, die unterlassene Differenzierung zwischen der Herstellung von Sekundärrohstoffen und der Herstellung von Endprodukten führe zwar zu einer falschen statistischen Eingruppierung. Die Einordnung der Klägerin in das verarbeitende Gewerbe durch das Landesamt sei aber unter Berücksichtigung der in §§ 125, 129 der Abgabenordnung (AO) enthaltenen Grundgedanken nicht offensichtlich falsch und daher für das Verfahren über die Investitionszulage zu übernehmen.
Das FA begründet seine Revision mit der Verletzung des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999. Das FG verleihe der statistischen Einordnung die Qualität eines Grundlagenbescheides, wenn es diese nur dann für unmaßgeblich halte, wenn diese offenbar unrichtig i.S. des § 129 AO oder schwer und offenkundig fehlerhaft i.S. des § 125 AO sei. Nach der Rechtsprechung des Senats - u.a. im Urteil vom 23.3.2005 III R 20/00 (BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497) - hätten die Finanzämter zwar die statistische Einordnung in aller Regel zu übernehmen, wenn diese nicht offensichtlich falsch sei. Offenkundig falsch seien aber auch Eingruppierungen, die auf unrichtigen oder unvollständigen Tätigkeitsbeschreibungen oder einer unzutreffender Ermittlung der Wertschöpfungsanteile oder der Außerachtlassung der gegenwärtigen Verkehrsanschauung des Bundesamtes beruhten.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, weil seine Feststellungen nicht für eine abschließende Entscheidung ausreichen, ob der Betrieb der Klägerin zum verarbeitenden Gewerbe gehört (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999 sind u.a. Wirtschaftsgüter investitionszulagenbegünstigt, die zu einem Betrieb des verarbeitenden Gewerbes gehören.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die Auslegung des Begriffs des verarbeitenden Gewerbes im Investitionszulagenrecht das vom Bundesamt herausgegebene Verzeichnis der Wirtschaftszweige - im Streitfall WZ 2003 - maßgeblich ist und die Einordnung durch das Statistische Landes- oder Bundesamt von den Finanzämtern in aller Regel bei der Entscheidung über die Gewährung der Investitionszulage zu übernehmen ist, soweit sie nicht zu einem offensichtlich falschen Ergebnis führt (ständige Rechtsprechung des Senats, z.B. Urteile in BFHE 209, 186, BStBl II 2005, 497, betr. Produktion und Vertrieb von Sand, Kies und Beton; vom 25.1.2007 III R 69/06, BFH/NV 2007, 1187, betr. Zerkleinern von Altasphalt und Altbeton, Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. 1 BvR 857/07).
a) Grundsätzlich verbindlich ist danach die jeweils maßgebliche Klassifikation der Wirtschaftszweige. Tätigkeiten, die darin nicht unter dem verarbeitenden Gewerbe (Abschnitt D der WZ 2003) aufgeführt sind, sondern in einem anderen Abschnitt erfasst werden - z.B. Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden (Abschnitt C der WZ 2003) oder Baugewerbe (Abschnitt F der WZ 2003) -, könnten nur dann als verarbeitendes Gewerbe im Sinne des Zulagenrechts angesehen werden, wenn die Eingruppierung durch die Klassifikation selbst offensichtlich und unzweifelhaft falsch wäre (z.B. Automobilbau als "Baugewerbe"). Diese Bindung an die Klassifikation der Wirtschaftszweige rechtfertigt sich dadurch, dass sie auf Expertenwissen beruht und der Rechtsprechung anderweitige Kriterien für die Auslegung fehlen.
Die Maßgeblichkeit der Klassifikation der Wirtschaftszweige für die Branchenzuordnung wird im Übrigen nunmehr durch § 3 Abs. 1 Satz 2 InvZulG 2010 ausdrücklich angeordnet.
b) Die Bindungswirkung erstreckt sich aufgrund des Expertenwissens der Statischen Landesämter und des Bundesamtes grundsätzlich auch auf die "Auslegung" der Klassifikation, d.h. auf die Zuordnung bestimmter betrieblicher Tätigkeiten zu einem Abschnitt, einer Abteilung, einer Gruppe, einer Klasse und einer Unterklasse in Grenzfällen.
2. Steuerverwaltung und Finanzgerichte können aber überprüfen, ob die statistische Eingruppierung aufgrund eines zutreffenden Sachverhaltes ergangen ist, ob der Betrieb richtig abgegrenzt wurde (vgl. z.B. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 InvZulG 1999, § 3 Abs. 1 Satz 3 InvZulG 2010, jeweils betreffend Betriebe mit Betriebsstätten innerhalb und außerhalb des Fördergebietes) und ob bei Mischbetrieben richtig zugeordnet wurde (z.B. Senatsurteil vom 17.4.2008 III R 100/06, BFH/NV 2008, 1531, betr. Baumarkt, der Erzeugnisse einer unternehmenseigenen Sägerei vertreibt).
a) Dem entspricht das FG-Urteil nicht, das sich auf die bereits durch die Stellungnahme des Bundesamtes infrage gestellte Einordnung des Landesamtes stützt. Denn das FG-Urteil lässt zum einen ausdrücklich die entscheidungserhebliche Frage offen, inwieweit der Output der Klägerin als Enderzeugnis verwendet wird (Tragschicht im Straßenbau) oder als Grundstoff für einen weiteren industriellen Verarbeitungsprozess dient. Zum anderen begründet es auch nicht nachvollziehbar, warum der Schwerpunkt des Unternehmens - etwa aufgrund hoher Wertschöpfungsanteile trotz eines nur relativ geringen Umsatzanteils oder aufgrund anderer Kriterien - nicht im Abbruch lag, d.h. im Baugewerbe (Abschnitt F der WZ 2003).
b) Der Senat kann nicht beurteilen, ob der Betrieb der Klägerin danach zu Recht dem verarbeitenden Gewerbe zugeordnet wurde, oder ob er als Bergbau oder Baugewerbe einzugruppieren ist. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
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