BFH: Anschaffung eines Grundstücks bei Besitzübergabe vor dem vertraglich vereinbarten Zeitpunkt
Ein bebautes Grundstück ist in dem Zeitpunkt angeschafft, in dem Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten auf den Käufer übergehen. Maßgebend ist nicht der vertraglich vorgesehene, sondern der tatsächliche Übergang.
BFH-Urteil vom 17.12.2009, III R 92/08 = SIS 10 05 35
InvZulG 1999 § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 3
Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom 13.9.2007, 2 K 460/05 = SIS 09 10 47
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) kaufte am 18.6.2001 ein Reihenhausgrundstück von einer GmbH, an der er zur Hälfte beteiligt war. Die GmbH hatte das zu diesem Zeitpunkt im Rohbau fertig gestellte Haus auf ihre Kosten zu vollenden. Der Kaufpreis betrug 200.000 DM. Davon waren 150.000 DM zwei Wochen nach Eintragung der Auflassungsvormerkung fällig; diese Rate überwies der Kläger am 24.7.2001. Die restlichen 50.000 DM, nach § 6 des notariellen Kaufvertrages fällig bei vertragsgemäßer Übergabe, wurden am 5.2.2002 gezahlt.
Mit Vertrag vom 19.7.2001 vermietete der Kläger das Haus ab dem 1.9.2001 für unbestimmte Zeit zu einer Kaltmiete von 1.250 DM.
Nach einer vom Kläger vorgelegten privatschriftlichen Vereinbarung vom 5.7.2001 stundete die GmbH die Zahlung der restlichen 50.000 DM bis zum 31.12.2002 und bestätigte eine Änderung von § 6 des Kaufvertrages, wonach das Kaufobjekt mit Rücksicht auf den geplanten Einzug der Mieterin am 1.7.2001 übergeben worden sei.
Den Antrag auf eine Investitionszulage für den Mietwohnungsbau im innerörtlichen Bereich lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ab, weil die Anschaffung neuer Gebäude bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung nur gefördert werde, wenn diese vor dem 1.1.2002 erfolgt sei (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Investitionszulagengesetzes - InvZulG - 1999). Der Kläger habe das Gebäude erst im Februar 2002 angeschafft, weil er erst zu diesem Zeitpunkt die letzte Kaufpreisrate gezahlt und damit die Voraussetzungen für eine Übergabe des Kaufobjektes geschaffen habe. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied (Urteil vom 13.9.2007, 2 K 460/05), der Kläger habe die Investition nicht vor dem 1.1.2002 abgeschlossen. Die Anschaffung werde im Zeitpunkt der Lieferung verwirklicht (§ 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung - EStDV -). Geliefert werde ein Wirtschaftsgut, wenn der Erwerber nach dem Willen der Vertragspartner darüber wirtschaftlich verfügen könne. Dies sei bei Grundstücken regelmäßig der Zeitpunkt, zu dem nach den vertraglichen Vereinbarungen Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerber übergingen. Die Übergabe sei in § 6 des Kaufvertrages von der Bezugsfertigkeit und der Zahlung des Kaufpreises abhängig gemacht worden, den der Kläger erst im Februar 2002 und somit nach Ende des für die Gewährung der Zulage maßgeblichen Zeitpunktes beglichen habe.
Es könne dahinstehen, ob die vom Kläger vorgelegte privatschriftliche Abrede vom 5.7.2001 tatsächlich an diesem Tage oder erst nachträglich getroffen worden sei, denn der notarielle Kaufvertrag habe nur durch eine ebenfalls notariell beurkundete Abrede geändert werden können. Die Heilung einer gegen die Beurkundungspflicht verstoßenden Abrede trete nach § 311b Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ohne Rückwirkung erst mit dem Zeitpunkt der Auflassung und Eintragung im Grundbuch ein, im Streitfall also am 17.6.2002. Durch den Abschluss des Mietvertrages im Juli 2001 und die tatsächliche Vermietung ab September 2001 sei der Kläger nicht wirtschaftlicher Eigentümer geworden, da er den Eigentümer - die GmbH - nicht auf Dauer von der Einwirkung auf das Grundstück habe ausschließen können.
Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, der Zeitpunkt der Anschaffung werde durch den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums bestimmt, d.h. durch den Übergang von Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten. Im Streitfall sei das Grundstück tatsächlich bereits zum September 2001 übergeben worden. Die Übergabe vor der Zahlung des Restkaufpreises sei in der notariellen Urkunde nicht ausgeschlossen worden und auch nicht gemäß § 311b BGB unzulässig. Nach Besitzübertragung habe der noch als Eigentümerin eingetragenen GmbH kein Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB zugestanden (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 2.3.1984 V ZR 102/83, BGHZ 90, 269).
Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage für das Jahr 2001 auf 9.082,59 € festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, weil seine Feststellungen nicht für eine abschließende Entscheidung ausreichen, ob der Kläger schon vor dem 1.1.2002 wirtschaftliches Eigentum an dem Reihenhaus erlangt hat (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1999 ist die Anschaffung neuer Gebäude bis zum Ende des Jahres der Fertigstellung begünstigt, wenn sie der Anspruchsberechtigte nach dem 31.12.1998 und vor dem 1.1.2002 abschließt. Abgeschlossen sind Investitionen i.S. des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1999 mit dem Zeitpunkt der Anschaffung des Gebäudes (§ 3 Abs. 2 Satz 3 InvZulG 1999).
2. Unter Anschaffung ist im Ertragsteuer- wie im Investitionszulagenrecht der Erwerb eines bereits bestehenden Wirtschaftsguts zu verstehen. Angeschafft wird im Zeitpunkt der Lieferung (§ 9a EStDV). Geliefert ist das Wirtschaftsgut, wenn der Erwerber nach dem Willen der Vertragsparteien darüber wirtschaftlich verfügen kann. Das ist bei der Übertragung eines Grundstücks in der Regel der Zeitpunkt, zu dem Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den Erwerber übergehen (Senatsurteile vom 24.3.2006 III R 6/04, BFHE 213, 178, BStBl II 2006, 774; vom 28.11.2006 III R 17/05, BFH/NV 2007, 975, jeweils m.w.N.).
Das FG ist zutreffend hiervon ausgegangen, hat den Zeitpunkt der Anschaffung aber zu Unrecht danach bestimmt, wann der Kläger aufgrund des notariellen Kaufvertrages die Übergabe beanspruchen konnte. Maßgeblich ist dagegen, wann Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten tatsächlich übergingen.
a) Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben (§ 854 Abs. 1 BGB). Dies kann geschehen, indem der bisherige Besitzer die Sache übergibt; gleichgestellt ist die einseitige Besitzergreifung durch den Erwerber mit Einverständnis des Übergebenden (BGH-Urteil vom 10.1.1979 VIII ZR 302/77, Neue Juristische Wochenschrift 1979, 714, 715; Erman/Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 854 Rz 13). Der Besitz an Grundstücken kann auch durch die Übergabe der Schlüssel übertragen werden (BGH-Urteil vom 30.5.1958 V ZR 295/56, BGHZ 27, 360, 362; Staudinger/Bund (2007), § 854 Rz 41).
Bei der Übergabe handelt es sich um einen Realakt, d.h. um eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Willensbetätigung; Willensmängel sind dabei unerheblich (Diep in: jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2008, § 854 BGB Rz 20). Der Besitz kann zu einem späteren oder - wie möglicherweise im Streitfall - zu einem früheren als dem kaufvertraglich vorgesehenen Zeitpunkt übertragen werden.
b) Die Übergabe einer verkauften Sache - auch eines Grundstücks (Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl., § 446 Rz 2) - bewirkt gemäß § 446 BGB, dass die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung auf den Käufer übergehen; von der Übergabe an gebühren dem Käufer die Nutzungen und trägt er die Lasten. Der Zeitpunkt des Eigentumserwerbs ist insoweit unerheblich (Palandt/Putzo, a.a.O., § 446 Rz 13). Die Regelung des § 446 BGB ist im Streitfall nicht - z.B. durch Vereinbarung eines von der Übergabe unabhängigen Gefahrüberganges - abbedungen worden (vgl. Palandt/Putzo, a.a.O., § 446 Rz 3 zu dem insoweit geltenden Formzwang des § 311b BGB).
c) Wenn das verkaufte Gebäude, wie der Kläger behauptet, vor Zahlung des restlichen Kaufpreises und damit früher als nach § 6 des Kaufvertrages vorgesehen übergeben wurde, konnte die GmbH als Verkäuferin danach die Herausgabe (Rückgabe) nicht mehr verlangen, denn dem Kläger stand, soweit die GmbH nicht z.B. wegen Zahlungsverzuges vom Vertrag zurücktrat, gemäß § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Recht zum Besitz zu (vgl. Staudinger/Gursky (2006), § 986 Rz 14, m.w.N.).
3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Bislang ist weder festgestellt worden, ob das Reihenhaus - wie vom Kläger behauptet - tatsächlich im Jahr 2001 übergeben wurde - ggfls. im Zusammenhang mit der Vermietung -, noch ob daraus die sich nach § 446 BGB ergebenden Folgerungen gezogen wurden - z.B. ob der Kläger die Grundstückslasten getragen und die Miete vereinnahmt und nicht an die GmbH weitergeleitet hat--.
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