BFH: Im Kaufpreis enthaltene Kosten für Erschließung und Naturschutz-Ausgleichsmaßnahmen als Teil der grunderwerbsteuerpflichtigen Gegenleistung
Kauft ein Erwerber von einer Gemeinde ein Grundstück, das im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits erschlossen ist, und enthält der vereinbarte Kaufpreis Kosten für die Erschließung sowie für durchgeführte Ausgleichsmaßnahmen nach § 135a Abs. 2 BauGB für den Naturschutz, gehört auch der auf die Erschließung und die Ausgleichsmaßnahmen entfallende Teil des Kaufpreises zur Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer.
BFH-Urteil vom 23.9.2009, II R 20/08 = SIS 10 02 26
GrEStG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1
Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 6.3.2008, 4 K 2637/04 (EFG 2008 S. 1653 = SIS 08 36 43)
I. Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 16.4.2004 erwarb der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) zusammen mit B von der Ortsgemeinde S ein 888 qm großes Grundstück, das bereits erschlossen war.
Der Kaufpreis betrug - unter Zugrundelegung von 43,50 € je qm Grundstücksfläche - 38.628 €. In dem Kaufpreis von 43,50 € je qm waren Erschließungsbeiträge in Höhe von 13,2629475 € je qm Grundstücksfläche, Ausbaubeiträge für die Abwasserbeseitigung und ein Baukostenzuschuss für den Anschluss an die Wasserversorgung in Höhe von 12,531904 € je qm Grundstücksfläche sowie Kostenerstattungsbeträge nach den §§ 135a bis 135c des Baugesetzbuches (BauGB) für Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz in Höhe von 0,1935352 € je qm Grundstücksfläche enthalten. Weitere Erschließungsbeiträge sowie der Kostenersatz für Haus- und Grundstücksanschlüsse gingen im Innenverhältnis zu Lasten der Käufer.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte mit Bescheid vom 12.7.2004 gegenüber dem Kläger Grunderwerbsteuer in Höhe von 675 € fest. Dabei wurde die Bemessungsgrundlage ausgehend von einem hälftigen Anteil des Klägers am Kaufpreis mit 19.314 € ermittelt.
Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, die vertragliche Übernahme der Erschließungskosten dürfe bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nicht berücksichtigt werden. Es fehle bereits begrifflich an einer grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung, wenn sich der Erwerber eines Grundstücks gegenüber der veräußernden Gemeinde zur Übernahme der erst künftig entstehenden Erschließungskosten verpflichte. Denn der Erwerber übernehme damit eine ihn ohnehin als Folge der Erschließung treffende zukünftige Beitragsschuld. Bei der Erschließung gemeindeeigener Grundstücke könne eine Beitragspflicht erst beim späteren Grundstückserwerber entstehen. Die im Kaufvertrag mit der Gemeinde geschlossene Vereinbarung zur Übernahme der künftig entstehenden Erschließungskosten sei als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren. Die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer sei daher ohne Einbeziehung der Erschließungskosten unter Berücksichtigung eines Grundstückspreises von 17,50 € je qm zu berechnen. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, Erschließungskosten eines von der Gemeinde erschlossenen eigenen Grundstücks gehörten bei einem Verkauf des Grundstücks nicht zur Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer, wenn die auf die Erschließungsanlagen entfallenden Beträge gegen den Ersterwerber aus Vereinfachungsgründen nicht in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Akt festgesetzt, sondern betragsmäßig nachvollziehbar neben dem Kaufpreis in die zivilrechtliche Vereinbarung mit einfließen würden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1653 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Auffassung des FG gehört auch der Teil des Kaufpreises, der auf die Erschließung und die Ausgleichsmaßnahmen nach § 135a Abs. 2 BauGB für den Naturschutz entfällt, zur Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer.
1. Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerbaren Grundstückskaufvertrag bemisst sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Als Gegenleistung gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen.
a) Der Kaufpreis ist in Übereinstimmung mit dem bürgerlichen Recht (§ 433 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches) das Entgelt für den Kaufgegenstand "Grundstück" (Sack in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 16. Aufl., § 9 Rz 206; Pahlke in Pahlke/ Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2005, § 9 Rz 73). Zum Kaufpreis gehört alles, was der Käufer vereinbarungsgemäß an den Verkäufer leisten muss, um den Kaufgegenstand zu erhalten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3.8.1988 II R 210/85, BFHE 154, 158, BStBl II 1988, 900). Für den Umfang der Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne ist entscheidend darauf abzustellen, in welchem Zustand die Vertragsbeteiligten das Grundstück zum Gegenstand des Erwerbs gemacht haben (vgl. BFH-Urteile vom 15.3.2001 II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, m.w.N.; vom 21.3.2007 II R 67/05, BFHE 215, 301, BStBl II 2007, 614).
b) Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich erschlossen, kann Gegenstand eines solchen Vertrages nur das erschlossene Grundstück sein. In diesem Fall gehören die im Kaufvertrag ausgewiesenen Kosten für die Erschließung grundsätzlich zur Gegenleistung. Das gilt auch, wenn der Erwerber ein erschlossenes Grundstück von einer Gemeinde kauft, der Kaufpreis Kosten für die Erschließung enthält und insoweit eine öffentlich-rechtliche Beitragspflicht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - (vgl. Urteil vom 21.10.1983 8 C 29/82, Deutsches Verwaltungsblatt 1984, 188) erst dann entsteht, wenn sich das Grundstück nicht mehr im Eigentum der zur Beitragserhebung berechtigten Gemeinde befindet.
Dementsprechend sind Kostenerstattungsbeträge, die wegen durchgeführter Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz als Berechnungsfaktor bei der Festlegung des Kaufpreises für ein gemeindeeigenes Grundstück berücksichtigt werden, ebenfalls als Teil des Kaufpreises in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einzubeziehen.
2. Danach ist im Streitfall der vereinbarte Kaufpreis in hälftiger Höhe als Gegenleistung anzusetzen.
a) Bei Abschluss des Kaufvertrags war das Grundstück - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - bereits erschlossen. Gegenstand der Übereignungsverpflichtung der Gemeinde konnte daher nur das erschlossene Grundstück sein. Bei den im Kaufvertrag als Teil des Kaufpreises bezeichneten Beträgen für die Erschließung, den Ausbau der Abwasserbeseitigung, den Baukostenzuschuss für den Anschluss an die Wasserversorgung und die Kostenerstattung für Ausgleichsmaßnahmen handelte es sich nicht um anteilige eigennützige Leistungen des Klägers, die für einen noch herzustellenden künftigen Grundstückszustand zu erbringen waren. Vielmehr waren diese Kaufpreisteile, soweit sie auf den Kläger entfallen, kraft kaufvertraglicher Verpflichtung allein für die Übertragung des Miteigentumsanteils an einem Grundstück zu entrichten, für das die Erschließungsanlagen hergestellt und Ausgleichsmaßnahmen für den Naturschutz durchgeführt waren.
b) Der Kaufvertrag enthält auch keine Vereinbarungen über eine Ablösung künftig entstehender Erschließungskosten und der Kostenerstattungsbeträge für Ausgleichsmaßnahmen (vgl. hierzu BVerwG-Urteil vom 1.12.1989 8 C 44/88, BVerwGE 84, 183). Denn im notariell beurkundeten Kaufvertrag wurde lediglich bestimmt, dass die Erschließungsbeiträge und einmaligen Anliegerbeiträge im Kaufpreis enthalten sein sollten. Die im Einzelnen genannten Beiträge und Kosten waren danach Bestandteil des privatrechtlich vereinbarten Kaufpreises. Die spätere Bescheinigung der Gemeinde S vom 8.10.2004, dass in dem Kaufpreis Ablösebeträge enthalten seien, kann die im Kaufvertrag fehlende Vereinbarung zu einer Ablösung nicht ersetzen.
Aus dem BFH-Urteil vom 11.2.2004 II R 31/02 (BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521) können keine anderen Schlussfolgerungen gezogen werden. Denn diese Entscheidung ist zu einem nicht vergleichbaren Sachverhalt ergangen. Sie betrifft den Erwerb eines noch nicht erschlossenen Grundstücks unter Übernahme des vom Veräußerer wirksam abgeschlossenen Ablösevertrags.
3. Das BFH-Urteil vom 30.1.1985 II R 6/83 (BFHE 143, 161, BStBl II 1985, 373), das zu Vorauszahlungen auf den Erschließungsbeitrag ergangen ist, ist im Streitfall ebenfalls nicht einschlägig. Denn derartige Vorausleistungen wurden im notariell beurkundeten Vertrag vom 16.4.2004 nicht vereinbart.
4. Der Senat kann offen lassen, ob die Einbeziehung von Erschließungskosten in die Gegenleistung ausgeschlossen ist, wenn beim Erwerb eines gemeindeeigenen erschlossenen Grundstücks die Gemeinde die Erschließungsbeiträge gegenüber dem Erwerber abgabenrechtlich geltend macht (vgl. z.B. Erlasse des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 25.7.2002 3-S 4521/13, Tz 1, Deutsches Steuerrecht 2002, 1532; der Oberfinanzdirektion Hannover vom 10.8.2004 S 4521-2-StH 232, S 4521-4-StO 241, Tz 1; Baumann, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2004, 64, 66).
5. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage war abzuweisen. Der vom FA erlassene Grunderwerbsteuerbescheid, in dem als Bemessungsgrundlage der auf den Kläger entfallende hälftige Anteil am Kaufpreis berücksichtigt wurde, und die Einspruchsentscheidung verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
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