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BFH: Aufhebung der Vollziehung eines EU-Energiekrisenbeitrags

Im Hinblick auf eine etwaige Verletzung des Unionsrechts bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angemeldeten und mit dem Einspruch angefochtenen EU-Energiekrisenbeitrags, die eine Aufhebung der Vollziehung rechtfertigen.

FGO § 69
AO § 168
EU-EnergieKBG § 7

BFH-Beschluss vom 27.10.2025, II B 5/25 (AdV) (veröffentlicht am 13.11.2025)

Vorinstanz: FG Köln vom 20.12.2024, 2 V 1597/24 = SIS 25 02 30

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist ein Unter­nehmen der fossilen Energiewirtschaft. Für das Jahr 2022 meldete sie am 27.05.2024 nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung eines EU-Energie­krisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 (EU-Energiekrisenbei­tragsgesetz ‑‑EU‑EnergieKBG‑‑) ausgehend von einer Bemessungsgrundlage nach § 4 Abs. 1 EU‑EnergieKBG in Höhe von … € sowie einem Steuersatz gemäß § 4 Abs. 3 EU‑EnergieKBG von 33 % einen EU-Energiekri­senbeitrag in Höhe von … € an. Der Ermittlung der Bemessungs­grundlage liegen von der Antragstellerin erzielte steuerliche Gewinne für den Besteuerungszeitraum 2022 (§ 3 Abs. 2 EU‑EnergieKBG) in Höhe von … € zugrunde. In den Jahren 2018 bis 2021 hatte die Antragstelle­rin folgende Gewinne beziehungsweise Verluste erzielt: ./. … € (2018), ./. … € (2019), ./. … € (2020) und … € (2021).

Der angemeldete Betrag wurde in voller Höhe an den Antragsgegner und Be­schwerdeführer (Bundeszentralamt für Steuern ‑‑BZSt‑‑) entrichtet. Am 29.05.2024 legte die Antragstellerin gegen die nach § 168 der Abgabenord­nung (AO) als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ste­hende Steueranmeldung Einspruch ein und beantragte zugleich die Aufhebung der Vollziehung (AdV). Sie vertrat die Auffassung, dass die der Steueranmel­dung zugrunde liegenden Regelungen weder mit dem Unionsrecht noch mit dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar seien.

Das BZSt wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.08.2024 als unbegründet zurück und lehnte zugleich den Antrag auf Gewährung der AdV ab. Gegen die Steueranmeldung in Gestalt der Einspruchsentscheidung wandte sich die Antragstellerin mit ihrer beim Finanzgericht (FG) unter dem Aktenzei­chen 2 K 1595/24 derzeit anhängigen Klage. Zeitgleich stelle sie einen Antrag auf Gewährung der AdV beim FG.

Das FG hat mit Beschluss vom 20.12.2024 ‑ 2 V 1597/24 die Vollziehung der Steueranmeldung ausgesetzt und die Beschwerde zugelassen. Der Beschluss ist in DStR Entscheidungsdienst 2025, 370 veröffentlicht.

Gegen die vom FG gewährte AdV wendet sich das BZSt mit der vom FG zuge­lassenen Beschwerde. Seiner Ansicht nach bestehen keine Zweifel an der Uni­onsrechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 2022/1854 des Rates vom 06.10.2022 über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise (Amtsblatt der Europäischen Union 2022, Nr. L 261 I/1) ‑‑Verordnung (EU) 2022/1854‑‑. Die Verordnung sei für die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) entsprechend Art. 288 Abs. 2 Satz 2 des Vertrags über die Ar­beitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbindlich. Der im Kapitel III der Verordnung geregelte Solidaritätsbeitrag (in Deutschland als EU-Energiekri­senbeitrag umgesetzt) sei zulässigerweise auf Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt worden. Bei der Vorschrift handele es sich um ein Instrument der Krisenvor­sorge oder ‑abwehr. Ziel der Verordnung sei gewesen, eine akute Notfallsitua­tion zu regeln. Hintergrund sei die Energiekrise aufgrund des russischen An­griffskrieges gegen die Ukraine und des damit verbundenen Rückgangs von Gaslieferungen sowie der hierdurch ausgelösten Preisreaktionen gewesen. Der Solidaritätsbeitrag sei erhoben worden, um die hohen Energiepreise für Haus­halte und Unternehmen abzudämpfen. Die Einführung des Beitrags auf Rechts­grundlage von Art. 122 Abs. 1 AEUV stelle keine Umgehung des grundsätzli­chen Einstimmigkeitserfordernisses im Europäischen Rat für Steuern dar. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift fasse den Handlungsspielraum des Europäi­schen Rates möglichst weit, um auf Krisen angemessen reagieren zu können.

Ein Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh) liege nicht vor. Art. 17 Abs. 1 EUGrdRCh schütze nicht das Ver­mögen als solches, weswegen Geldzahlungspflichten und Abgaben schon kei­nen Eingriff darstellten. Der Solidaritätsbeitrag verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 20 EUGrdRCh. In der Vorschrift werde vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) kein Prinzip anerkannt, wel­ches dem im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Deutschland entwickelten Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen würde. Im Übrigen befänden sich die Zulieferindustrie der fossilen Energiewirtschaft be­ziehungsweise die Rüstungsindustrie nicht in einer vergleichbaren Situation wie die fossilen Energieunternehmen. Die Gewinne der fossilen Energieunter­nehmen seien in der Krise deutlich angestiegen, ohne dass sich ihre Kosten­struktur wesentlich verändert habe oder Realinvestitionen erhöht worden wä­ren. Die Überschussgewinne infolge der Energiekrise hätten die Unternehmen unter normalen Umständen nicht erzielen können.

Es liege auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seien neue Rechtsvorschriften auf Sachverhalte an­wendbar, die bei ihrem Inkrafttreten noch nicht abgeschlossen gewesen seien (EuGH-Urteile vom 11.12.2008 ‑ C‑334/07 P, EU:C:2008:709, Rz 43; Enel Maritsa Iztok 3 vom 12.05.2011 ‑ C‑107/10, EU:C:2011:298, Rz 39). Selbst wenn eine Rückwirkung vorgelegen hätte, sei diese zulässig gewesen, da das Vertrauen der Betroffenen hinreichend berücksichtigt worden sei. Die Verord­nung sei im Jahr des Angriffs der Russischen Föderation auf die Ukraine und nur zwei Wochen nach dem Anschlag auf die Nordstream-Pipeline erfolgt. In­soweit hätten die Betroffenen kein schutzwürdiges Vertrauen aufbauen kön­nen, dass ihre außergewöhnliche wirtschaftliche Situation aufgrund der Ener­giekrise anhalten würde.

Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen wäre selbst dann, wenn Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit bestünden, nach der Rechtsprechung des EuGH (Hinweis auf Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest vom 21.02.1991 ‑ C‑143/88 und C‑92/89, EU:C:1991:65) eine besonde­re Dringlichkeit aufgrund eines drohenden Schadens für die Antragstellerin zur Gewährung der AdV erforderlich. Eine solche Dringlichkeit sei jedoch weder dargelegt worden noch erkennbar.

Darüber hinaus bestünden auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des EU‑Energiekrisenbeitragsgesetzes. Das Gesetz beruhe auf rechtlich bin­dendem europäischen Recht. Eine etwaige Verfassungswidrigkeit würde durch die vorrangige Geltung von Unionsrecht überlagert und zöge keine Konsequen­zen nach sich. Soweit danach überhaupt eine nationale Gesetzgebungskompe­tenz erforderlich sei, könne diese auf Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG gestützt werden. Der EU‑Energiekrisenbeitrag sei klar als Abgabe im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG zu qualifizieren. Darüber hinaus habe der Bund zur Umsetzung der europäischen Rechtsverordnung eine Ge­setzgebungskompetenz aus der Natur der Sache. Es stehe außer Zweifel, dass eine Umsetzung durch die Länder im damaligen Krisenkontext keine sachge­rechte Lösung gewesen wäre.

Materiell-rechtlich sei das Gesetz ebenfalls verfassungskonform. Eine Überprüfung des Unionsrechts anhand nationaler Grundrechte komme ohnehin nur dort in Be­tracht, wo Umsetzungsspielräume bestünden. Deutschland habe lediglich mit der Entscheidung, den EU-Energiekrisenbeitrag in den Jahren 2022 und 2023 und nicht nur in einem der beiden Jahre zu erheben, eine Entscheidung inner­halb des Umsetzungsspielraums getroffen. Dies entspreche dem weiten Ent­scheidungsspielraum des Gesetzgebers bei wirtschaftslenkenden Sachverhal­ten. Das Gesetz wahre auch die verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen zu­lässiger unechter Rückwirkung. Es sei mit Wirkung für die Jahre 2022 und 2023 nur circa sieben Monate nach dem russischen Angriff in Kraft getreten. Der Angriffskrieg habe eine Dringlichkeit der Maßnahmen begründet. Die zeit­liche Befristung auf zwei Jahre bewege sich im Rahmen des Zumutbaren.

Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege nicht vor. Im Streitfall seien die betroffenen Gewinne infolge der europäischen Wirtschaftssanktionen gegen die Russische Föderation gestiegen. Ohne die Kriegsereignisse wären die Gewinne der An­tragstellerin mutmaßlich geringer ausgefallen. Die Erhebung des EU-Energie­krisenbeitrags sei somit sachlich begründet. Die Auswahl der Steuerpflichtigen sei nicht willkürlich. Ein Verstoß gegen Art. 12 GG sei ebenfalls nicht gegeben. Selbst wenn eine berufsregelnde Tendenz der Maßnahme anzunehmen sei, sei diese jedenfalls gerechtfertigt, da insoweit vernünftige Erwägungen des Allge­meinwohls ausreichten. Ein Verstoß gegen Art. 14 GG sei bei einer Gewinnbe­steuerung zu 33 % derjenigen Gewinne, die um mehr als 20 % über den durchschnittlichen Gewinnen lägen, nicht gegeben.

Soweit entgegen der vorstehenden Ausführungen Zweifel an der Verfassungs­mäßigkeit der Verordnung EU 2022/1854 oder des EU-Energiekrisenbeitrags­gesetzes bestünden, bedürfe es für die Begründetheit der AdV zusätzlich einer besonderen Interessenabwägung. Das berechtigte Aus­setzungsinteresse der Antragstellerin müsse gegenüber den öffentlichen Be­langen abgewogen werden. Betroffen wäre hier insbesondere die Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung. Die individuellen Interessen der Antragstel­lerin seien gegenüber diesen öffentlichen Interessen nachrangig. Im Falle der AdV käme es im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung des Gesetzes. Die Antrag­stellerin habe keine überzeugenden Gründe vorgetragen, die ein be­rechtigtes Interesse an der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes recht­fertigten. Das Steuersubstrat, das auf die einzelnen Steuerpflichtigen entfalle, sei erheblich und haushaltswirksam. Die Energiekrise habe einen außerordent­lichen Finanzbedarf begründet.

Soweit eine AdV in Betracht käme, sei die Anforderung einer Sicherheitsleis­tung in Betracht zu ziehen.

Das BZSt beantragt,
den Beschluss des FG vom 20.12.2024 ‑ 2 V 1597/24 aufzuheben und den An­trag der Antragstellerin auf Gewährung der AdV abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung der AdV ist begründet und die Beschwerde daher als unbegründet zurückzuweisen. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist im vorliegenden Fall nicht daran gehindert, über die AdV selbst zu entscheiden.

1. Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch über­wiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungs­akts sind zu bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des Be­scheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, ge­gen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschieden­heit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10.02.1967 ‑ III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, unter II.3.; vgl. BFH-Beschluss vom 27.05.2024 ‑ II B 78/23 (AdV), BStBl II 2024, 543, Rz 25).

2. Der Senat hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des am 27.05.2024 angemeldeten und mit dem Einspruch vom 29.05.2024 angefochtenen EU-En­ergiekrisenbeitrags im Hinblick auf eine etwaige Verletzung des Unionsrechts.

a) Die angefochtene Steueranmeldung beruht auf § 7 Abs. 1 EU‑EnergieKBG. Sie steht nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprü­fung gleich. Rechtsgrundlage des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes ist die Verordnung (EU) 2022/1854, deren Regelungen mit dem EU-Energiekrisenbei­tragsgesetz auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollen. Die Verordnung (EU) 2022/1854 selbst ist gestützt auf Art. 122 Abs. 1 AEUV.

b) Derzeit ist beim EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen des Grondwettelijk Hof (Belgien) vom 16.05.2024 in der Sache Varo Energy Belgium NV, EG Retail (Belgium) BV, Gilops Group NV, Van Raak Trading NV, Kuwait Petroleum (Belgium) NV gegen Ministerraad (Eerste Minister) unter dem Aktenzeichen C‑358/24 anhängig. Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens ist die Fra­ge, ob die Verordnung (EU) 2022/1854 mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Das betrifft nicht nur die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 122 Abs. 1 AEUV (Vorla­gefrage 1). Streitig ist auch, ob die Verordnung (EU) 2022/1854 deshalb ge­gen Art. 20 EUGrdRCh (Gleichheitsgrundsatz) und Art. 21 EUGrdRCh (Nichtdiskriminierung) verstößt, weil die Verordnung und das diese umsetzende nationale (belgische) Gesetz nur für bestimmte Marktteilnehmer des Energiesektors gilt (Vorlagefrage 3). Weitere Vorlagefragen betreffen unter anderem das Rück­wirkungsverbot (Vorlagefrage 7) und die Frage der Auswirkungen eines et­waigen Verstoßes der Verordnung (EU) 2022/1854 auf das nationale Umset­zungsgesetz. Weitere Vorabentscheidungsersuchen des Grondwettelijk Hof (Belgien) vom 02.07.2024 (Aktenzeichen C‑467/24) und des Cour d'appel de Bruxelles (Belgien) vom 23.10.2023 (Aktenzeichen C‑633/23) betreffen die gleichen Rechtsfragen.

c) Ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen des High Court (Irland) vom 01.08.2024 ist beim EuGH unter dem Aktenzeichen C‑533/24 anhängig. Dort geht es ebenfalls um die Frage, ob die Verordnung (EU) 2022/1854 rechtmä­ßig erlassen wurde. Zudem ist dort ebenfalls streitig, ob Art. 16 EUGrdRCh (Unternehmerische Freiheit) und Art. 17 EUGrdRCh (Eigentumsrecht) durch die konkreten Regelungen des nationalen Gesetzes verletzt sein könnten, un­ter anderem wegen des hohen Steuersatzes, des Umstands, dass der Solidari­täts­beitrag neben weiteren nationalen Steuern erhoben wird, und wegen der Nichtberücksichtigung von Verlusten bei der Ermittlung der Bemessungsgrund­lage.

d) Neben den beiden näher zitierten Vorabentscheidungsersuchen ist ein wei­teres Vorabentscheidungsersuchen zur Frage der Vereinbarkeit der Verord­nung (EU) 2022/1854 und des nationalen Umsetzungsgesetzes mit dem Uni­onsrecht der Curtea de Apel Bucureşti (Rumänien) vom 09.04.2024 unter dem Aktenzeichen C‑251/24 anhängig. Zudem sind weitere Verfahren beim Gericht der Euro­päischen Union (EuG) unter den Aktenzeichen T‑759/22, T‑775/22, T‑802/22 und T‑803/22 anhängig. Dabei handelt es sich um Klagen von Unternehmen der Energiebranche gegen den Rat der Europäischen Union.

e) Zutreffend hat das FG in seinem AdV-Beschluss darauf hingewiesen, dass die Frage, ob die dem EU-Energiekrisenbeitragsgesetz zugrunde liegende Ver­ordnung (EU) 2022/1854 überhaupt auf einer hinreichenden Ermächtigungs­grundlage beruht und, falls ja, gegebenenfalls gegen weitere Vorschriften des Unionsrechts verstößt, auch im Schrifttum kritisch diskutiert wird (vgl. z.B. Ellerbusch/Nonnenmacher/Thoß, Der Betrieb 2023, 344; Hackemann/Weiler, Internationale Steuer-Rundschau 2023, 70; Meyering/Hegemann, FinanzRundschau 2023, 433; Keuper/Zeck, Deutsches Steuerrecht 2023, 1297; Schumacher, Die Unternehmensbesteuerung 2023, 79; Valta, Steuer und Wirtschaft 2023, 72). In sämtlichen Beiträgen werden erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht dargelegt.

f) Der Senat teilt die vom FG in seinem AdV-Beschluss und in der Literatur ge­äußerten unionsrechtlichen Zweifel.

aa) Sie betreffen zum einen die Frage, ob die dem EU-Energiekrisenbeitrags­gesetz zugrunde liegende Verordnung (EU) 2022/1854 unionsrechtskonform erlassen wurde.

Der Gesetzgeber des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes hat sich ausweislich der Gesetzesbegründung zum Erlass des Gesetzes auf die verfassungsrechtli­che Ermächtigungsgrundlage von Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG berufen. Er ordnet den EU-Energiekrisenbeitrag somit als Abgabe "im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften" (heute: der Europäischen Union) ein und stellt ausdrücklich darauf ab, dass Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG in allen Fällen gelten soll, in denen die Europäischen Gemeinschaften Abgaben neu einführen können, die inner­staatlich zu erheben seien (vgl. BTDrucks 20/4729, S. 158). Ist zweifelhaft, ob die unionsrechtliche Verordnung, auf die sich der Gesetzgeber bezieht, ihrer­seits mit dem Unionsrecht vereinbar ist, schlagen diese Zweifel ‑‑wie das FG zutreffend ausführt‑‑ auch auf die Frage durch, ob das EU-Energiekrisenbei­tragsgesetz, das zur Umsetzung einer europäischen Verordnung erlassen wur­de, vom Kompetenztitel des Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG getragen wird. Die Zwei­fel an der Unionsrechtmäßigkeit der Verordnung (EU) 2022/1854 führen inso­weit zu Zweifeln an der formellen Verfassungsmäßigkeit des EU‑Energiekrisen­beitragsgesetzes. Zutreffend weist das BZSt darauf hin, dass die Verordnung (EU) 2022/1854 nach Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV verbindlich ist. Umso mehr schlagen unionsrechtliche Zweifel an den Voraussetzungen für den Erlass der Verordnung auf die Anwendung des darauf beruhenden nationalen Gesetzes durch. Ob die Verordnung (EU) 2022/1854 zulässigerweise auf Art. 122 Abs. 1 AEUV gestützt werden konnte, ist Gegenstand der zitierten Vorabentschei­dungsersuchen.

bb) Über die rechtlichen Zweifel über die Ermächtigungsgrundlage für die Ver­ordnung (EU) 2022/1854 hinaus ist auch rechtlich zweifelhaft, ob die einzelnen Vorschriften des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes gegen unionsrechtliche Vorschriften, insbesondere Art. 16, 17, 20 und 21 EUGrdRCh verstoßen. Die bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchen betreffen unter anderem auch die Anwendung dieser Normen auf die jeweiligen nationalen Umsetzungs­ge­setze. Das deutsche EU-Energiekrisenbeitragsgesetz enthält ähnliche bis gleichlautende Vorschriften.

So betreffen die zusätzlichen Abgaben nach dem EU-Energiekrisenbeitragsge­setz lediglich eine kleine Gruppe von Unternehmen bestimmter Branchen. Ob dies zu einer den Art. 20 und 21 EUGrdRCh widersprechenden Ungleichbe­handlung gegenüber anderen Steuerpflichtigen anderer Branchen führt, die nicht von dem EU-Energiekrisenbeitragsgesetz betroffen sind, aber gleichwohl hohe Gewinne aufgrund der gestiegenen Energiepreise erzielt haben, bedarf einer Prüfung der Vorschriften durch den EuGH. Das gilt unabhängig davon, ob das aus Art. 3 GG entwickelte Leistungsfähigkeitsprinzip auch im Rahmen der Art. 20 und 21 EUGrdRCh Anwendung findet. Ob sich die Zulieferindustrie der fossilen Energiewirtschaft beziehungsweise die Rüstungsindustrie in einer ver­gleichbaren Situation wie die vom EU-Energiekrisenbeitragsgesetz betroffenen fossilen Energieunternehmen befunden haben, oder ‑‑wie das BZSt vorträgt‑‑ die unterschiedliche Kostenstruktur der Unternehmen eine unterschiedliche Heranziehung zum EU-Energiekrisenbeitrag rechtfertigen könnte, ist bereits Gegenstand der anhängigen Vorabentscheidungsersuchen.

Bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen sind individuelle Besonderhei­ten wie zum Beispiel lange Verlustzeiträume aufgrund von Investitionen nicht zu berücksichtigen. Die Abgabe könnte daher neben den weiteren nationalen Steuern zu einer Einschränkung der innerhalb der Europäischen Union garan­tierten unternehmerischen Freiheit führen. Zutreffend weist das BZSt zwar da­rauf hin, dass Art. 17 Abs. 1 EUGrdRCh nicht das Vermögen als solches schützt. Die Nichtberücksichtigung von Verlusten der Vergangenheit und die konkrete Berechnung der Bemessungsgrundlage könnten jedoch Art. 16 und 17 EUGrdRCh berühren. Das gilt insbesondere für die hier betroffene Energie­branche, in der langfristige Investitionen typisch sind.

cc) Alle dargestellten unionsrechtlichen Zweifelsfragen sind derzeit nicht ge­klärt und Gegenstand unterschiedlicher Verfahren beim EuGH und EuG. Im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens wäre im Rahmen eines Vorabentschei­dungsverfahrens vor dem EuGH auch für das deutsche EU-Energiekrisenbei­tragsgesetz zu klären, ob die dem Gesetz zugrunde liegende Verordnung (EU) 2022/1854 formell unionsrechtskonform erlassen wurde und ‑‑falls ja‑‑ ob die einzelnen Regelungen des Gesetzes materiell-rechtlich unionsrechts­konform sind. Dies begründet ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO.

3. Der BFH ist im vorliegenden Fall nicht daran gehindert, über die AdV selbst zu entscheiden. Eine besondere Dringlichkeit aufgrund eines drohenden Scha­dens für die Antragstellerin ist für die Gewährung der AdV nicht erforderlich.

a) Bestehen ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit einzelner Steuerrechtsnor­men mit Unionsrecht, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kein be­sonderes Aussetzungsinteresse erforderlich (BFH-Beschluss vom 31.03.2016 ‑ XI B 13/16, BFH/NV 2016, 1187, Rz 20, m.w.N.; Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rz 98; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 69 Rz 191). Auf ein besonderes Aussetzungsinteresse kommt es daher im Streit­fall nicht an.

b) Nichts anderes folgt aus der vom BZSt zitierten EuGH-Rechtsprechung, insbesondere dem EuGH-Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest vom 21.02.1991 ‑ C‑143/88 und C‑92/89 (EU:C:1991:65).

aa) Danach können angefochtene Verwaltungsakte, die unmittelbar auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhen, von der Vollziehung ausgesetzt werden, wenn die vom Antragsteller angeführten sachlichen und rechtlichen Gegeben­heiten das nationale Gericht davon überzeugen, dass an der Gültigkeit der Ge­meinschaftsverordnung, auf der der angefochtene Verwaltungsakt beruht, er­hebliche Zweifel bestehen (EuGH-Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest vom 21.02.1991 ‑ C‑143/88 und C‑92/89, EU:C:1991:65, Rz 23). Die Vollziehung eines solchen angefochtenen Akts soll aber nur ausge­setzt werden, wenn die Aussetzung dringend ist. Dringlichkeit ist anzunehmen, wenn der vom Antragsteller geltend gemachte Schaden eintreten kann, bevor der Gerichtshof über die Gültigkeit der gerügten Gemeinschaftshandlung hat entscheiden können. Ein reiner Geldschaden ist grundsätzlich nicht als nicht wiedergutzumachender Schaden anzusehen (vgl. EuGH-Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest vom 21.02.1991 ‑ C‑143/88 und C‑92/89, EU:C:1991:65, Rz 28 f.).

bb) Es kann dahinstehen, ob eine solche Dringlichkeit im Streitfall gegeben ist, denn die vorstehende Rechtsprechung findet im Streitfall keine Anwendung. Die Antragstellerin begehrt die AdV für eine auf einem nationalen Gesetz beruhende Steueranmeldung, die einem Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nach­prüfung gleichsteht. Dieser Steuerbescheid beruht nicht unmittelbar auf der Gemeinschaftsverordnung. Auch wenn das EU-Energiekrisenbeitragsgesetz die Verordnung (EU) 2022/1854 in nationales Recht umsetzt, bleibt es ein natio­nales Steuergesetz. Durch Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den auf diesem Gesetz beruhenden und angefochtenen Steuerbescheid wird die Rechtsprechung des EuGH zur Aussetzung der Vollziehung von auf Gemein­schaftsverordnungen beruhenden Verwaltungsakten nicht berührt und die ein­heitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die Gewährung der AdV nicht gefährdet.

4. Da nach den oben dargestellten Grundsätzen bereits ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorschriften des EU-Energiekrisenbeitragsgesetzes mit unionsrechtlichen Vorschriften bestehen, war nicht mehr zu prüfen, ob die AdV auch wegen der vom FG dargelegten formellen und materiellen verfassungs­rechtlichen Zweifel zu gewähren ist.

Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung des Senats zu der Frage, ob ein besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vor­läufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes einzuräumen ist (vgl. hierzu BFH-Beschlüs­se vom 18.01.2023 ‑ II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382, Rz 9; vom 20.09.2022 ‑ II B 3/22 (AdV), BFH/NV 2022, 1328, Rz 9, und vom 19.02.2018 ‑ II B 75/16, BFH/NV 2018, 706, Rz 33, m.w.N.).

5. Zutreffend hat das FG die AdV ohne Sicherheitsleistung gewährt.

a) Ist die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts ernstlich zwei­felhaft und bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass bei einem Un­terliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre, ist die Vollziehung des Verwaltungsakts re­gelmäßig ohne Sicherheitsleistung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO) auszusetzen. Das gilt selbst dann, wenn die für die Rechtswidrig­keit des Verwaltungsakts sprechenden Gründe nicht überwiegen (BFH-Be­schluss vom 12.04.2023 ‑ I B 74/22 (AdV), BFHE 280, 181, BStBl II 2024, 912, Rz 27).

b) Im Streitfall sind keine solchen Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Durchsetzung des Steueranspruchs nach einem etwaigen Unterliegen in der Hauptsache gefährdet sein könnte. Der Umstand, dass die Antragstellerin beim BZSt nachgefragt hat, wann mit einer Auszahlung aufgrund des FG-Beschlus­ses zu rechnen sei, reicht dafür nicht aus. Das Vorbringen der Antragstellerin zur finanziellen Bedeutung des geleisteten EU-Energiekrisenbeitrags hat das FG zutreffend so bewertet, dass dies nicht auf eine Gefährdung des Steueran­spruchs hinweist.

c) Es ist auch nicht erkennbar oder dargelegt, dass die Gewährung der AdV nach der vom BZSt zitierten Rechtsprechung ein finanzielles Risiko für die EU darstellt, so dass das nationale Gericht vom Antragsteller hinreichende Sicher­heiten verlangen müsste (vgl. EuGH-Urteil Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest vom 21.02.1991 ‑ C‑143/88 und C‑92/89, EU:C:1991:65, Rz 32). Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine Steuer im Sinne der Abgabenordnung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 EU‑EnergieKBG), das Aufkommen steht allein Deutschland ‑‑hier dem Bund‑‑ zu (§ 1 Abs. 3 Satz 1 EU‑EnergieKBG). Der Verweis in § 1 Abs. 3 Satz 1 EU‑EnergieKBG auf Art. 17 der Verordnung (EU) 2022/1854, in dem die Verwendung der Mittel geregelt ist, steht dem nicht entgegen. Dabei handelt es sich jeweils um nationale Maß­nahmen, die den EU-Haushalt nicht berühren. Nichts anderes gilt für die aus den nationalen Aufkommen nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) 2022/1854 aus Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten gemeinsam zu finan­zierenden Maßnahmen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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