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BFH: Begriff der Warenzusammenstellung im Sinne von Anm. 3 zu Abschn. VI KN

Erfasst der Begriff der Warenzusammenstellung im Sinne von Anmerkung 3 zu Abschnitt VI der Kombinierten Nomenklatur Kapselsysteme, in denen sich zwei Komponenten ‑‑Legierungspulver und flüssiges Quecksilber‑‑ zur Mischung von Silberamalgamzahnfüllungen in getrennten, nicht zerstörungsfrei trennba­ren Kammern befinden?

KN 2843 90 10
KN 3006 40 00
KN AV 3 Buchst. b
KN Anm. 3 zu Abschn. VI

BFH-Beschluss vom 12.11.2024, VII R 27/22 (veröffentlicht am 16.1.2025)

Vorinstanz: FG Hamburg vom 19.3.2021, 4 K 139/18 = SIS 21 09 12

I. Im Streit steht die zolltarifliche Einreihung eines Erzeugnisses, das als Zahn­füllstoff Verwendung findet. Es handelt sich um ein kleines Kapselsystem, in dem zwei Komponenten ‑‑nämlich einerseits ein Legierungspulver (…) und andererseits flüssiges Quecksilber (…)‑‑ in getrennte Kammern eingefüllt sind. Die genannten Bestandteile sind nicht zerstörungsfrei trennbar. Die Kapseln sind jeweils zusammen mit Gebrauchsinformationen in für den Einzelverkauf bestimmten Stückzahlen abgepackt (Aufmachung für den Einzelverkauf). Die vorgesehene Verwendung sieht so aus, dass sich aus den Kapseln in Zahnarztpraxen mit Hilfe kleiner Maschinen in einem einfachen Arbeitsschritt verarbeitungsfertiges Silberamalgam in der Portion einer Zahnfüllung mischen lässt.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte im September 2015 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) eine verbindli­che Zolltarifauskunft (vZTA) des Inhalts, dass die Einreihung der Ware in die Unterposition (Unterpos.) 3006 40 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) er­folgt: "Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe; Zement zum Wiederherstellen von Knochen". Das HZA reihte die Ware demgegenüber in der streitgegen­ständlichen vZTA aus November 2015 als "Amalgame" in die Unterpos. 2843 90 10 KN ein.

Der Einspruch und die Klage der Klägerin auf Erteilung der beantragten vZTA blieben ohne Erfolg. Bei der Ware handelte es sich nach Auffassung des Fi­nanzgerichts (FG) um eine Warenzusammenstellung im Sinne der Anmerkung (Anm.) 3 zu Abschnitt (Abschn.) VI KN, die die unter den Buchstaben (Buchst.) a bis c in der Anm. 3 zu Abschn. VI KN aufgestellten Voraussetzun­gen erfülle. Davon ausgehend kam das FG zu dem Ergebnis, dass die zutref­fende Position für das Erzeugnis, das durch das Mischen der beiden Bestand­teile entstehe, die Position (Pos.) 2843 KN sei ("Edelmetalle in kolloidem Zu­stand; anorganische oder organische Verbindungen der Edelmetalle, auch che­misch nicht einheitlich; Edelmetallamalgame"), und nicht die Pos. 3006 KN ("Pharmazeutische Zubereitungen und Waren im Sinne der Anmerkung 4 zu Kapitel 30"). Gegen das Urteil wehrt sich die Klägerin mit ihrer Revision.

II. Der Senat setzt das bei ihm anhängige Revisionsverfahren der Klägerin aus (§ 121 Satz 1 in Verbindung mit § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabent­scheidung vor:
Erfasst der Begriff der Warenzusammenstellung im Sinne von Anm. 3 zu Ab­schn. VI KN Kapselsysteme, in denen sich zwei Komponenten ‑‑Legierungspul­ver und flüssiges Quecksilber‑‑ zur Mischung von Silberamalgamzahnfüllungen in getrennten, nicht zerstörungsfrei trennbaren Kammern befinden?

III. Nach Auffassung des Senats kommt es für die Lösung des Streitfalles auf die folgenden Vorschriften des Unionsrechts an, bei deren Auslegung für den Streitfall entscheidungserhebliche Zweifel bestehen.

Für die streitgegenständliche vZTA vom 05.11.2015 ist die Kombinierte No­menklatur in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom 16.10.2014 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomen­klatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2014, Nr. L 312, 1), die am 01.01.2015 in Kraft getreten ist, maß­geblich.

Anzuwendendes Unionsrecht:

Pos. 2805 KN:
Alkali- oder Erdalkalimetalle; Seltenerdmetalle, Scandium und Yttrium, auch untereinander gemischt oder miteinander legiert; Quecksilber

Pos. 2843 KN:
Edelmetalle in kolloidem Zustand; anorganische oder organische Verbindungen der Edelmetalle, auch chemisch nicht einheitlich; Edelmetallamalgame

Unterpos. 2843 90 10 KN:
Amalgame

Pos. 3006 KN:
Pharmazeutische Zubereitungen und Waren im Sinne der Anmerkung 4 zu Ka­pitel 30

Unterpos. 3006 40 00 KN:
Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe; Zement zum Wiederherstellen von Knochen

Pos. 7106 KN:
Silber (einschließlich vergoldetes oder platiniertes Silber), in Rohform oder als Halbzeug oder Pulver

Anmerkungen zu Abschn. VI (Erzeugnisse der chemischen Industrie und ver­wandter Industrien, Kapitel ‑‑Kap.‑‑ 28 bis 38) KN:
1.
A) Erzeugnisse (ausgenommen radioaktive Erze), die der Warenbeschreibung der Position 2844 oder 2845 entsprechen, gehören zu diesen Positionen, auch wenn andere Positionen der Nomenklatur in Betracht kommen.
B) Vorbehaltlich des Buchstabens A) gehören Erzeugnisse, die der Warenbe­schreibung der Position 2843, 2846 oder 2852 entsprechen, zu diesen Positio­nen, auch wenn andere Positionen dieses Abschnitts in Betracht kommen.
2.
Vorbehaltlich der Anmerkung 1 sind Waren, die wegen ihrer Dosierung oder wegen ihrer Aufmachung für den Einzelverkauf zu einer der Positionen 3004, 3005, 3006, 3212, 3303, 3304, 3305, 3306, 3307, 3506, 3707 oder 3808 ge­hören können, dieser Position zuzuweisen, auch wenn andere Positionen der Nomenklatur in Betracht kommen.
3.
Warenzusammenstellungen, die aus zwei oder mehreren voneinander getrenn­ten Bestandteilen bestehen, von denen einige oder alle zu diesem Abschnitt gehören, und die erkennbar dazu bestimmt sind, durch Mischen ein Erzeugnis des Abschnitts VI oder VII herzustellen, sind der für dieses Erzeugnis zutref­fenden Position zuzuweisen unter der Voraussetzung, dass die Einzelbestand­teile:

a) ohne weiteres Umpacken aufgrund ihrer Aufmachung eindeutig erkennbar dazu bestimmt sind, zusammen verwendet zu werden,
b) zusammen gestellt werden und
c) entweder aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihrer entsprechenden Mengen als einander ergänzend erkennbar sind.

Anm. 1 zu Kap. 28 KN:

Zu Kapitel 28 gehören, soweit nichts anderes bestimmt ist, nur:

a) isolierte chemische Elemente und isolierte chemisch einheitliche Verbindun­gen, auch wenn sie Verunreinigungen enthalten;
b) wässrige Lösungen der unter Buchstabe a genannten Erzeugnisse;
c) andere Lösungen der unter Buchstabe a genannten Erzeugnisse, sofern die Aufmachung in derartigen Lösungen ausschließlich aus Sicherheits- oder Transportgründen üblich und erforderlich ist, vorausgesetzt, dass der Zusatz des Lösemittels das Erzeugnis nicht für bestimmte Verwendungszwecke geeig­neter macht als für den allgemeinen Gebrauch;
d) die unter den Buchstaben a bis c genannten Erzeugnisse mit Zusatz eines zu ihrer Erhaltung oder ihrem Transport notwendigen Stabilisierungsmittels (einschließlich Antibackmittel);
e) die unter den Buchstaben a bis d genannten Erzeugnisse, denen ein Anti­staubmittel oder zum leichteren Erkennen oder aus Sicherheitsgründen ein Farbmittel zugesetzt worden ist, vorausgesetzt, dass diese Zusätze das Er­zeugnis nicht für bestimmte Verwendungszwecke geeigneter machen als für den allgemeinen Gebrauch.

Anm. 4 Buchst. f zu Kap. 30 KN:

Zu Position 3006 gehören nur die nachstehend aufgeführten Erzeugnisse, die dieser Position und keiner anderen Position der Nomenklatur zuzuweisen sind:

(…)

f) Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe; Zement zum Wiederherstellen von Knochen;

(…)

Anm. 3 zu Kap. 71 KN:

Zu Kapitel 71 gehören nicht:

a) Edelmetallamalgame oder Edelmetalle in kolloidem Zustand (Positi­on 2843);
b) steriles chirurgisches Nahtmaterial, Zahnfüllstoffe und andere Waren des Kapitels 30;

(…)

Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 3 Buchst. b:
Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen beste­hen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Cha­rakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS) 09.0 zu Anm. 3 Abschn. VI:
Diese Anmerkung bezieht sich auf Warenzusammenstellungen, die aus zwei oder mehreren voneinander getrennten Bestandteilen bestehen, von denen ei­nige oder alle zum Abschnitt VI gehören. Die Anmerkung betrifft jedoch nur Zusammenstellungen, deren Bestandteile erkennbar dazu bestimmt sind, durch Vermischen ein Erzeugnis des Abschnitts VI oder VII herzustellen. Der­artige Zusammenstellungen sind der für dieses Erzeugnis zutreffenden Position zuzuweisen, vorausgesetzt, dass die Einzelbestandteile die Bedingungen der Unterabsätze a) bis c) der Anmerkung erfüllen.

ErlHS 10.0 zu Anm. 3 Abschn. VI:
Als Beispiele von Erzeugnissen in derartigen Zusammenstellungen sind zu nen­nen Zahnzemente und andere Zahnfüllstoffe der Position 3006 sowie bestimm­te Lacke und Farben der Positionen 3208 bis 3210 und Kitte usw. der Positi­on 3214. Zur Frage der Einreihung von Erzeugnissen, die ohne den für die Verwendung notwendigen Härter gestellt werden, siehe im Einzelnen die Er­läuterungen "Allgemeines" zu Kapitel 32 und die Erläuterungen zu Positi­on 3214.

ErlHS 01.0 zu Pos. 3006:
Hierher gehören nur die nachstehend erschöpfend aufgeführten Erzeugnisse:
(…)

ErlHS 40.1 zu Pos. 3006:
Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe; Zement zum Wiederherstellen von Knochen.

ErlHS 41.0 zu Pos. 3006:
Zahnzement und andere Zahnfüllstoffe sind meist Zubereitungen auf der Grundlage von Metallsalzen (z.B. Zinkphosphat, Zinkchlorid), Metalloxiden, Guttapercha oder Kunststoffen. Sie können auch aus Metalllegierungen (einschl. der Edelmetalllegierungen) bestehen, die besonders als Zahnfüllstoffe zubereitet sind. Obwohl diese Legierungen meist kein Quecksilber enthalten, werden sie bisweilen Amalgame genannt. Hierzu gehören sowohl die zur vor­läufigen als auch die zur endgültigen Zahnfüllung bestimmten Erzeugnisse, so­wie Zahnzement und Zahnfüllstoffe, die medikamentöse Stoffe enthalten und prophylaktische Eigenschaften besitzen.

ErlHS 42.0 zu Pos. 3006:
Alle diese Erzeugnisse sind gewöhnlich in Pulverform oder in Täfelchen. Einige von ihnen gehen zuweilen zusammen mit Flüssigkeiten ein, die dazu bestimmt sind, die Erzeugnisse gebrauchsfertig zu machen. Ihre Verpackungen lassen meist den Verwendungszweck erkennen.

Leitlinien zur Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzu­sammenstellungen in die Kombinierte Nomenklatur der Europäischen Kommis­sion vom 11.04.2013 (ABlEU 2013, Nr. C 105, 1):

Die Allgemeine Vorschrift 3 b) für die Auslegung der Kombinierten Nomenkla­tur bezieht sich auch auf die Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemach­ten Warenzusammenstellungen.

Im Sinne dieser Vorschrift bezeichnet der Begriff "für den Einzelverkauf aufge­machte Warenzusammenstellungen" Warenzusammenstellungen, die

a) aus mindestens zwei verschiedenen Waren bestehen, für deren Einreihung unterschiedliche Positionen in Betracht kommen;
b) aus Waren bestehen, die zur Befriedigung eines speziellen Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit zusammengestellt worden sind und
c) so aufgemacht sind, dass sie sich ohne vorheriges Umpacken zur direkten Abgabe an die Verbraucher eignen (z.B. in Schachteln, Kästchen oder auf Un­terlagen).

(…)

Alle oben angegebenen Voraussetzungen müssen erfüllt sein.

Die oben angeführten Vorschriften gelten nicht für Warenzusammenstellun­gen, die nach Maßgabe der Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 einzureihen sind, wenn der Begriff "Zusammenstellung" im Wortlaut eines KN-Codes enthalten ist, z.B.:
(…) oder wenn gewisse Bestimmungen zutreffen, z.B.:
- Anmerkung 3 zu Abschnitt VI;

(…).

IV.Die rechtliche Würdigung des Streitfalls ist unionsrechtlich zweifelhaft. Für die Beurteilung des Streitfalls gelten folgende Grundsätze:

1. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung ist ‑‑vorbehaltlich der Anwendbarkeit einer Einreihungsverordnung‑‑ im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Ein­reihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaf­ten zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der Kombinierten Nomenkla­tur und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Die Erläuterungen sowohl zum Harmonisierten System als auch zur Kombinier­ten Nomenklatur sind demgegenüber zwar nicht verbindlich, aber wichtige Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten. Sie können wertvolle Hinweise für dessen Auslegung liefern (EuGH-Urteil PRODEX vom 28.04.2022 ‑ C‑72/21, EU:C:2022:312, Rz 28 ff., m.w.N.). Dies gilt umso mehr für die Leitlinien der Kommission, die ebenfalls bedeutsame Auslegungshilfen für die von ihnen behandelten Fragen bieten, aber die Bedeutung der KN-Bestimmungen nicht verändern dürfen (EuGH-Ur­teil VAD und van Aert vom 10.03.2016 ‑ C‑499/14, EU:C:2016:155, Rz 34).

2. Hinsichtlich der für die Tarifierung der streitgegenständlichen Ware maß­geblichen Auslegung des Begriffs einer "Warenzusammenstellung" im Sinne der Anm. 3 zu Abschn. VI KN bestehen Zweifel.

a) Die Ware (Kapselsystem, das sowohl Quecksilber als auch Silberlegierungs­pulver enthält) kann nicht nach AV 1 anhand des Wortlauts einer Position ein­gereiht werden.

Bei dem Kapselsystem handelt es sich nicht um Quecksilber im Sinne der Posi­tion 2805 KN, da gemäß der rechtsverbindlichen Anm. 1 Buchst. a zu Kap. 28 nur isolierte chemische Elemente in dieses Kapitel gehören. Die Ausnahmen der Anm. 1 Buchst. b bis e sind hier nicht anwendbar.

Ebenso wenig kann die Ware als Silber in die Pos. 7106 KN eingereiht werden. Nach der rechtsverbindlichen Anm. 3 Buchst. a beziehungsweise (bzw.) Anm. 3 Buchst. b zu Kap. 71 zählen weder Edelmetallamalgame noch Zahn­füllstoffe zu Kap. 71. Die streitgegenständliche Ware dient indes der Mischung von Edelmetallamalgam, das als Zahnfüllstoff Verwendung findet.

b) Dies führt zu der Überlegung, ob der Unionsgesetzgeber nicht in Anm. 3 zu Abschn. VI KN die einschlägigen Vorgaben für die Tarifierung der streitgegen­ständlichen Ware gemacht hat. Diese Anmerkung wäre gemäß AV 1 vorrangig vor den AV 2 folgende (ff.) zu beachten.

Es kommt daher darauf an, wie der Begriff der Warenzusammenstellung im Sinne der Anm. 3 zu Abschn. VI KN zu verstehen ist und ob es sich bei dem im Streitfall einzureihenden Kapselsystem um eine Warenzusammenstellung in diesem Sinne handelt, welche in die Position einzureihen ist, die für das zu mischende Erzeugnis zutreffend ist.

aa) Liegt eine Warenzusammenstellung im Sinne von Anm. 3 zu Abschn. VI KN vor, wäre das streitgegenständliche Kapselsystem der für das aus ihm herzu­stellenden Erzeugnis zutreffenden Position zuzuweisen. Die zutreffende Positi­on für das Erzeugnis, das durch das Mischen der beiden Bestandteile entsteht, wäre dann die Pos. 2843 KN für Edelmetallamalgame und nicht die Pos. 3006 KN für Zahnfüllstoffe, obgleich die Warenbeschreibung augenscheinlich für bei­de Positionen passen könnte. Allerdings gehören zur Pos. 3006 KN nur Erzeug­nisse, die keiner anderen Position der Nomenklatur zuzuweisen sind (Anm. 4 zu Kap. 30). Sofern die Waren in Pos. 2843 KN eingereiht werden können, scheidet die Pos. 3006 KN demnach aus. Und auch ausweislich der in Anm. 1 Buchst. B und Anm. 2 zu Abschn. VI KN durch die dort geregelten Vorbehalte ‑‑"Vorbehaltlich des Buchstabens A)" und "Vorbehaltlich der Anmerkung 1"‑‑ bestimmten Rangfolge hat die Einreihung in die Pos. 2843 KN Vorrang gegen­über der Einreihung in die Pos. 3006 KN. Die Warenbeschreibung der Zahnfüll­stoffe in ErlHS 41.0 zu Pos. 3006 bestätigt dieses Ergebnis, weil danach Zahn­füllstoffe ‑‑anders als die im vorliegenden Streitfall zu beurteilende Ware‑‑ meist Zubereitungen auf der Grundlage von Metallsalzen sind und meist kein Quecksilber enthalten.

bb) Liegt keine Warenzusammenstellung im Sinne von Anm. 3 zu Abschn. VI KN vor, wäre nicht das herzustellende Erzeugnis für die Einreihung maßgeb­lich. In diesem Falle käme Anm. 2 zu Abschn. VI KN zum Tragen, wonach Wa­ren, die wegen ihrer Dosierung oder wegen ihrer Aufmachung für den Einzel­verkauf zu einer der Pos. 3004, 3005, 3006, 3212, 3303, 3304, 3305, 3306, 3307, 3506, 3707 oder 3808 KN gehören können, dieser Position zuzuweisen sind, ungeachtet der möglichen Einschlägigkeit anderer Positionen der Nomen­klatur. Im Streitfall wäre dies die Pos. 3006 KN, Unterpos. 3006 40 00 KN für Zahnfüllstoffe, da die Aufmachung der Kapseln für den Einzelverkauf diesem Verwendungszweck entspricht. Eine Anwendung der ‑‑gegenüber der Anm. 2 zu Abschn. VI KN vorrangig zu prüfenden‑‑ Anm. 1 Buchst. B zu Abschn. VI KN und eine Einreihung des Kapselsystems in die Pos. 2843 KN wäre dagegen nicht möglich, weil das Legierungspulver und das Quecksilber noch nicht vermischt wurden und somit noch kein Amalgam vorliegt.

c) Konkret stellt sich die Auslegungsfrage, ob der Begriff "Warenzusammen­stellung" in Anm. 3 zu Abschn. VI KN anders auszulegen ist als die aus den Leitlinien zur Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzu­sammenstellungen in die Kombinierte Nomenklatur der Europäischen Kommis­sion vom 11.04.2013 (ABlEU 2013, Nr. C 105, 1) bzw. aus der AV 3 Buchst. b ersichtliche und maßgebliche Definition einer Warenzusammenstellung. Letzte­re geht nämlich davon aus, dass eine Warenzusammenstellung aus zwei oder mehr voneinander getrennten oder trennbaren Waren bestehen muss (vgl. auch zweiter Absatz Buchst. a der genannten Leitlinien, wonach eine Warenzu­sammenstellung aus mindestens zwei verschiedenen Waren besteht). Würde man diese Anforderung auch an Warenzusammenstellungen im Sinne von Anm. 3 zu Abschn. VI KN anlegen, so fiele das streitgegenständliche Kapsel­system mangels zerstörungsfreier Trennbarkeit seiner Komponenten nicht da­runter. Es ist nicht eindeutig erkennbar, ob zwei Bestandteile, die wie im Streitfall zwar in zwei Kammern räumlich getrennt, aber doch untrennbar mit­einander verbunden sind, eine Warenzusammenstellung im Sinne der Anm. 3 zu Abschn. VI KN darstellen können.

In diesem Zusammenhang wirft zudem die Voraussetzung in Anm. 3 Buchst. b zu Abschn. VI KN Fragen auf. Denn da dort die Voraussetzung der "gemeinsa­men Gestellung" aufgestellt wird, impliziert dies die Möglichkeit einer getrenn­ten Gestellung der einzelnen Bestandteile. Dies ist im Streitfall aber aufgrund der untrennbaren Verbindung der beiden Kammern des Kapselsystems ausge­schlossen, sodass es durchaus denkbar ist, dass die beiden Kammern der zu tarifierenden Ware keine getrennten Bestandteile sind.

Der Wortlaut der deutschen Fassung der Anm. 3 zu Abschn. VI KN enthält zu­dem noch eine weitere Ungenauigkeit. Im Fall von zwei voneinander getrenn­ten Bestandteilen kann es die Variante, dass davon "einige" zu Abschn. VI KN gehören, nicht geben. Denn einige ist Mehrzahl, sodass man bei zwei Bestand­teilen damit automatisch alle Bestandteile erfasst. Möglicherweise ist hier ge­meint, dass ein Teil (also mindestens einer) oder alle der Bestandteile zu Abschn. VI KN gehören müssen. Dies entspricht auch der französischen Ver­sion der Anmerkung ("en totalité ou en partie"). Die englische Sprachfassung ("some or all of which") ist demgegenüber in dieser Hinsicht ebenfalls nicht eindeutig, da "some" zwar "irgendein", aber auch "ein paar" oder "einige" be­deuten kann.

d) Die dargestellte Vorlagefrage ist bislang vom EuGH nicht entschieden wor­den und kann auch anhand der bereits vorliegenden Rechtsprechung des EuGH nicht zufriedenstellend beantwortet werden, obgleich sich der EuGH be­reits mit dem Begriff der Warenzusammenstellung im Zolltarifrecht befasst hat. Soweit er ausführt, dass der Begriff "Warenzusammenstellung" sich auf eine Kombination von Waren beziehe, die gewöhnlich, insbesondere im Einzel­handel, zusammen in einer gemeinsamen Verpackung zur Befriedigung eines Bedarfs oder zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit angeboten werden, zielt dies auf die AV 3 Buchst. b ab (EuGH-Urteil VAD und van Aert vom 10.03.2016 ‑ C‑499/14, EU:C:2016:155, Rz 37). Die Frage, ob und gegebe­nenfalls inwieweit der in Anm. 3 zu Abschn. VI KN gebrauchte Begriff der Wa­renzusammenstellung davon abweicht, ist in der Rechtsprechung des EuGH bisher nicht behandelt worden.

e) Der vorlegende Senat neigt der Auffassung zu, dass die Kriterien für Wa­renzusammenstellungen nach AV 3 Buchst. b und nach Anm. 3 zu Abschn. VI KN nicht übereinstimmen. In inhaltlicher Hinsicht bestehen zwischen der AV 3 Buchst. b und der Anm. 3 zu Abschn. VI KN erhebliche Unterschiede. Insbe­sondere richtet sich die Tarifierung bei Anwendung der Anm. 3 zu Abschn. VI KN nicht nach dem charakterbestimmenden Bestandteil, sondern nach dem Er­zeugnis, das durch Mischen der Bestandteile entsteht. Die detaillierte Definiti­on einer Warenzusammenstellung in Anm. 3 zu Abschn. VI KN enthält spezifi­sche Kriterien, die sich von denen einer Warenzusammenstellung nach AV 3 Buchst. b unterscheiden und ausschließlich für die Abschnitte VI und VII der Kombinierten Nomenklatur gelten. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass die AV 1 ("Grundregel jeglicher Einreihung") im zweiten Satz unter ande­rem auch den Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln rechtliche Ver­bindlichkeit verleiht. Der in AV 1 enthaltene Hinweis auf die Anwendung der "nachstehenden Allgemeinen Vorschriften" (AV 2 bis 6) ist zudem mit einem Vorbehalt verbunden: "… soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist …". Dieser Vor­behalt begründet wohl auch im vorliegenden Fall die Subsidiarität der AV 2 bis 5, einschließlich AV 3 Buchst. b, gegenüber spezielleren Anforderungen, die in den Anmerkungen genannt sind.

Die Kriterien der Europäischen Kommission in den Leitlinien zur Einreihung von für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellungen in die Kombi­nierte Nomenklatur vom 11.04.2013 (ABlEU 2013, Nr. C 105, 1) sind demge­genüber nicht rechtsverbindlich. Diese Leitlinien betreffen zudem ausschließ­lich Warenzusammenstellungen im Sinne der AV 3 Buchst. b. Und die Leitlinie schließt schlussendlich auch ausdrücklich die in ihr benannten Anforderungen für Warenzusammenstellungen aus, "wenn gewisse Bestimmungen zutreffen", wie es zum Beispiel "in Anmerkung 3 zu Abschnitt VI" KN der Fall ist. Ange­sichts des spezielleren Begriffsverständnisses in Anm. 3 zu Abschn. VI KN muss eine Warenzusammenstellung in diesem speziellen Sinne nach Meinung des vorlegenden Gerichts nicht aus zwei oder mehr voneinander getrennten oder trennbaren Waren bestehen. Mindestens zwei Bestandteile, selbst wenn sie nicht zerstörungsfrei trennbar sein sollten, reichen aus. Die Sorge, dass dann sämtliche aus zwei oder mehr Bestandteilen bestehende Waren, die nicht trennbar sind und eine körperliche Einheit bilden, generell als Warenzusam­menstellungen im Sinne des Abschn. VI KN angesehen werden könnten, ist unbegründet. Dies liegt an den zusätzlichen Anforderungen, die in Anm. 3 zu Abschn. VI KN an eine solche Warenzusammenstellung gestellt werden.

aa) Die in Anm. 3 zu Abschn. VI KN zunächst genannten drei Bedingungen sind nach dem Dafürhalten des vorlegenden Senats im Falle von Kapselsyste­men, in denen sich zwei Komponenten ‑‑Legierungspulver und flüssiges Quecksilber‑‑ zur Mischung von Silberamalgamzahnfüllungen in getrennten, nicht zerstörungsfrei trennbaren Kammern befinden, erfüllt. Eine solche Ware besteht angesichts der aus zwei Kammern bestehenden Kapselkonstruktion aus mehreren voneinander getrennten Bestandteilen. Erkennbar ist zudem die Bestimmung, durch Mischen jedenfalls ein Erzeugnis des Abschn. VI KN herzu­stellen. Der Abschn. VI umfasst die Kap. 28 bis 38 der Kombinierten Nomen­klatur. "Amalgame" unterfallen der Unterpos. 2843 90 10 KN (Kap. 28) und "Zahnfüllstoffe" der Unterpos. 3006 40 00 KN (Kap. 30).

Quecksilber als ein Bestandteil der zu tarifierenden Ware gehört zudem ein­deutig zum Abschn. VI (Kap. 28, Pos. 2805 KN). Nach Auffassung des vorle­genden Senats genügt es, dass nur einer von zwei Bestandteilen zu Abschn. VI KN zählt, obgleich das Kriterium in der deutschsprachigen Fassung "einige oder alle" lautet. Die nichtamtliche deutschsprachige Übersetzung wirkt ‑‑inso­fern ist der Klägerin zuzustimmen‑‑ an dieser Stelle etwas irreführend, wobei ‑‑worauf das HZA zu Recht hinweist‑‑ die Formulierung "einige oder alle" nicht vollständig den amtlich gültigen Fassungen in französischer und englischer Sprache entspricht. Nach der amtlich geltenden französischsprachigen Fassung der Anm. 3 zu Abschn. VI KN ("en totalité ou en partie") reicht es aus, wenn ein Bestandteil zu diesem Abschnitt gehört (Übersetzung: "ganz oder teilwei­se"). Auch die amtlich gültige englischsprachige Fassung ("some or all") lässt sich entsprechend auslegen, da "some" auch die Bedeutung von "irgendein" haben kann und somit dem Sinn des französischen Textes entspricht.

bb) Auch die in den Buchst. a bis c der Anm. 3 zu Abschn. VI KN genannten weiteren Bedingungen, dass die Einzelbestandteile

  • ohne weiteres Umpacken aufgrund ihrer Aufmachung eindeutig erkennbar dazu bestimmt sind, zusammen verwendet zu werden,
  • zusammen gestellt werden und
  • entweder aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihrer entsprechenden Mengen als einander ergänzend erkennbar sind,

sind nach dem Dafürhalten des vorlegenden Senats gegeben. Besonders über­zeugt die Meinung der Klägerin, aus dem Erfordernis der gemeinsamen Gestel­lung folge die Bedingung einer getrennten Gestellbarkeit, den Senat nicht. Ei­ne solche Auslegung wäre weder vom Wortlaut der Anm. 3 Buchst. b zu Abschn. VI KN gedeckt noch für deren Zielsetzung ‑‑sicherzustellen, dass alle Komponenten einer Warenzusammenstellung bei der Einfuhr ordnungsgemäß erfasst und bewertet werden‑‑ erforderlich.

3. Die aufgeworfene Vorlagefrage wäre nach Meinung des vorlegenden Ge­richts aus den oben dargestellten Gründen mithin dahingehend zu beantwor­ten, dass der Begriff der Warenzusammenstellung im Sinne von Anm. 3 zu Abschn. VI KN Kapselsysteme erfasst, in denen sich zwei Komponenten ‑‑Le­gierungspulver und flüssiges Quecksilber‑‑ zur Mischung von Silberamalgam­zahnfüllungen in getrennten, nicht zerstörungsfrei trennbaren Kammern be­finden. In der Folge sind solche Kapselsysteme, in denen sich ein Legierungs­pulver () und flüssiges Quecksilber () zur Mischung von Silberamalgamzahnfüllungen befinden, als "Amalgame" der Unterpos. 2843 90 10 KN zu tarifieren.

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  • "Ihre Datenbank ist konkurrenzlos benutzerfreundlich."

    Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld

  • "Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."

    Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart

  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

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