BFH: Leichtfertige Steuerverkürzung durch unterlassene Anzeige bei der Grunderwerbsteuer
- Die grunderwerbsteuerrechtlichen Anzeigepflichten der Beteiligten und Notare sind objektiver Natur.
- Die Prüfung der leichtfertigen Steuerverkürzung folgt auch im Rahmen der Festsetzungsverjährung materiell-rechtlich dem Ordnungswidrigkeitenrecht. Es gilt ein subjektiver Leichtfertigkeitsmaßstab.
AO § 38, § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2, § 170 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 370, § 378
GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 3 Nr. 2, § 14, § 18 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 5, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1
BFH-Urteil vom 16.5.2023, II R 35/20 (veröffentlicht am 2.11.2023)
Vorinstanz: Thüringer FG vom 29.1.2020, 4 K 381/18 = SIS 22 00 56
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhielt von seinen Eltern alle Geschäftsanteile an einer GmbH geschenkt, und zwar durch Verträge vom 18.12.2003 und 02.04.2007 und zuletzt von seinem Vater den verbliebenen Anteil von 42,31 % durch Vertrag vom 03.02.2009. Die GmbH war Eigentümerin eines am 18.09.2008 erworbenen Grundstücks. Der Notar hatte die Beteiligten bei der Beurkundung des Vertrags vom 03.02.2009 darüber belehrt, dass eine Grunderwerbsteuerpflicht bestehe, falls die GmbH Grundbesitz habe und der Vertrag eine Anteilsvereinigung bewirke. Er wies darauf hin, dass der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) eine beglaubigte Abschrift des Vertrags erhalte. Die Anzeige des Notars, adressiert an die Körperschaftsteuerstelle des FA, ging am 13.02.2009 beim FA ein. Ein Hinweis auf Grundbesitz der GmbH oder eine Bitte um Weiterleitung an die Grunderwerbsteuerstelle war der Anzeige des Notars nicht beigefügt worden. Der Kläger und sein Vater zeigten die Schenkung der GmbH-Anteile nicht dem FA an.
Im Jahre 2017 veräußerte der Kläger 51 % seiner Anteile an der GmbH an einen Dritten. Aufgrund der Veräußerungsanzeige erhielt das FA Kenntnis von den Schenkungen der GmbH-Anteile an den Kläger. Es setzte erstmals mit Bescheid vom 04.08.2017 Grunderwerbsteuer für eine Anteilsvereinigung vom 03.02.2009 im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (GrEStG) fest. Dabei wurde die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 GrEStG für das Grundstück mit einem Anteil von 42,31 % gewährt. Der hiergegen erhobene Einspruch war erfolglos. Der Bescheid wurde aus hier nicht streitgegenständlichen Gründen noch mehrmals geändert.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, mit der sich der Kläger auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung berief, abgewiesen. Der Kläger habe keine Anzeige nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG, der Notar keine ordnungsgemäße Anzeige nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStG erstattet. Die Festsetzungsfrist habe daher nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) am 01.01.2013 begonnen und betrage wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO fünf Jahre. Der Grunderwerbsteuerbescheid sei daher noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen. Angesichts seines kaufmännischen Hintergrunds sowie des in dem Vertrag vom 03.02.2009 enthaltenen Hinweises auf die Grunderwerbsteuerpflicht hätte der Kläger sich bei einem qualifizierten Dritten nach seinen Anzeigepflichten erkundigen müssen. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 220 veröffentlicht.
Mit der Revision macht der Kläger eine Verletzung von § 169 Abs. 2 Satz 2, § 378 AO geltend und beruft sich auf die Festsetzungsverjährung. Es gelte ein subjektiver Leichtfertigkeitsbegriff, sodass auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters im konkreten Fall abzustellen sei. Diesem Grundsatz sowie dem Schuldprinzip widerspreche es, einen erhöhten Sorgfaltsmaßstab für Kaufleute auch dann anzulegen, wenn das steuerauslösende Rechtsgeschäft nicht zur kaufmännischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen gehöre. Unter dem zutreffenden normalen Sorgfaltsmaßstab habe der Kläger bei seinem hier privaten Rechtsgeschäft nicht leichtfertig gehandelt. Er habe sich zudem auf den Notar verlassen dürfen, zumal selbst für Fachkundige die verschiedenen parallelen Anzeigepflichten kaum nachvollziehbar seien.
Der Kläger beantragt,
die Vorentscheidung, die Bescheide vom 04.08.2017, 08.09.2017, 10.10.2017 sowie die Einspruchsentscheidung vom 17.05.2018 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Kläger habe leichtfertig gehandelt, da er sich weder bei dem Notar noch anderweitig im Hinblick auf seine steuerlichen Pflichten habe beraten lassen. Abgesehen davon, dass das auf die Gesellschafterstellung bezogene Rechtsgeschäft als solches Teil der kaufmännischen Tätigkeit sei, hätte der Kläger selbst nach dem für alle Steuerpflichtigen geltenden Sorgfaltsmaßstab wegen des expliziten Hinweises auf die Grunderwerbsteuerpflicht diese und die daraus resultierende Anzeigepflicht erkennen müssen.
II. Die Revision ist begründet mit der Maßgabe, dass das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Bundesfinanzhof (BFH) kann nicht abschließend beurteilen, ob am 04.08.2017, dem Zeitpunkt der ersten Steuerfestsetzung, die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen und gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO die Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig war. Das FG hat die im Streitfall dafür entscheidende Frage, ob sich die Festsetzungsfrist aufgrund einer leichtfertigen Steuerverkürzung des Klägers nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO auf fünf Jahre verlängert hat, aufgrund unzutreffender Maßstäbe bejaht. Es steht nicht fest, ob die Entscheidung sich im Ergebnis gleichwohl als richtig erweist (§ 126 Abs. 4 FGO). Dem FG obliegt nach § 118 Abs. 2 FGO die erneute Würdigung des Sachverhalts.
1. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Grunderwerbsteuer nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich vier Jahre und verlängert sich nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO auf fünf Jahre, soweit eine Steuer leichtfertig verkürzt worden ist. Gemäß § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist. Die Grunderwerbsteuer entsteht außer in den Fällen des § 14 GrEStG gemäß § 38 AO grundsätzlich dann, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (BFH-Urteil vom 12.10.2022 ‑ II R 7/20, BFHE 277, 489, BStBl II 2023, 402, Rz 23). Dieser Tatbestand ist der jeweilige nach § 1 GrEStG steuerpflichtige Erwerbsvorgang (vgl. Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 38 AO Rz 50; Drüen in Tipke/Kruse, § 38 AO Rz 14).
Ist jedoch eine Anzeige zu erstatten, beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
a) Zu der Anzeigepflicht im Sinne des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehört auch die Anzeigepflicht der Beteiligten aus § 19 GrEStG. Für die Anzeigepflicht der Gerichte, Behörden und Notare aus § 18 GrEStG gilt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zwar nicht unmittelbar (BFH-Urteile vom 16.02.1994 ‑ II R 125/90, BFHE 174, 185, BStBl II 1994, 866, unter II.2.b und vom 06.07.2005 ‑ II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, unter II.2.c). Hat aber einer der Verpflichteten eine ordnungsgemäße Anzeige an das zuständige Finanzamt erstattet, so schiebt die Nichterfüllung der Anzeigepflicht des anderen Verpflichteten die Festsetzungsfrist nicht mehr hinaus (BFH-Urteile vom 21.06.1995 ‑ II R 11/92, BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802, unter II.2. und vom 06.07.2005 ‑ II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780, unter II.2.c).
b) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 GrEStG müssen Steuerschuldner an das für die Besteuerung zuständige Finanzamt Anzeige über Geschäfte im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erstatten. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob und inwieweit die Beteiligten wussten, dass der Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer unterliegt und insoweit eine Anzeigepflicht besteht. Die Anzeigepflicht ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten (BFH-Urteil vom 29.07.2009 ‑ II R 58/07, BFH/NV 2010, 63, unter II.2.b bb). Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kann deshalb unabhängig von subjektiven Merkmalen eintreten (BFH-Urteil vom 27.09.2017 ‑ II R 41/15, BFHE 260, 94, BStBl II 2018, 667, Rz 39).
c) Nach § 18 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GrEStG haben Notare innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung dem zuständigen Finanzamt schriftlich Anzeige zu erstatten über von ihnen beurkundete Vorgänge, die die Übertragung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft betreffen, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein im Geltungsbereich des Grunderwerbsteuergesetzes liegendes Grundstück gehört.
aa) Die Anzeige ist nach § 18 Abs. 5 GrEStG an das für die Besteuerung zuständige Finanzamt zu richten und muss nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden oder sich zumindest nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richten. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem Grunderwerbsteuergesetz gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung ‑‑insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihre grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz bedürfte‑‑ an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist (BFH-Urteile vom 21.06.1995 ‑ II R 11/92, BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802, unter II.2.; vom 01.12.2004 ‑ II R 10/02, BFH/NV 2005, 1365, unter II.4.; vom 11.06.2008 ‑ II R 55/06, BFH/NV 2008, 1876, unter II.2.a; vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 25 und vom 22.05.2019 ‑ II R 24/16, BFHE 265, 454, BStBl II 2020, 157, Rz 20).
bb) Wird die Anzeige nicht entsprechend adressiert, erfüllt sie die Anforderungen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht. Zwar beginnt die Festsetzungsfrist im Sinne von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch dann mit Abgabe der Anzeige, wenn die Anzeige teilweise unvollständig oder unrichtig ist. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Anzeige hinausläuft. Dies hängt nach dem Normzweck der Vorschrift davon ab, ob insoweit die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wurde (BFH-Urteil vom 23.05.2012 ‑ II R 56/10, Rz 12). Eine weder ausdrücklich noch inhaltlich an die Grunderwerbsteuerstelle gerichtete Anzeige kommt einem Nichteinreichen der Anzeige in diesem Sinne gleich (vgl. die Sachverhalte in den BFH-Urteilen vom 21.06.1995 ‑ II R 11/92, BFHE 178, 228, BStBl II 1995, 802; vom 01.12.2004 ‑ II R 10/02, BFH/NV 2005, 1365; vom 11.06.2008 ‑ II R 55/06, BFH/NV 2008, 1876; vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777; vom 29.10.2008 ‑ II R 9/08, BFH/NV 2009, 1832 und vom 23.05.2012 ‑ II R 56/10). Eine Anzeige, die lediglich potentiell die Möglichkeit für ein Grunderwerbsteuer-Festsetzungsverfahren eröffnet, der für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen Organisationseinheit der Finanzbehörde aber keine positive Kenntnis vermittelt, reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 29.10.2008 ‑ II R 9/08, BFH/NV 2009, 1832, unter II.1.b).
d) Nach diesen Grundsätzen begann die Festsetzungsfrist im Streitfall mit Ablauf des Jahres 2012. Die Steuer war mit der Anteilsübertragung im Jahre 2009 entstanden, sodass die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2012 endete. Bis zu diesem Zeitpunkt war für die Anteilsübertragung keine wirksame Anzeige beim FA eingereicht worden. Der Notar hatte den Vorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt, weil er die Anzeige nur an die Körperschaftsteuerstelle adressiert hatte, der Kläger selbst hatte gar keine Anzeige beim FA abgegeben. Die vierjährige reguläre Festsetzungsfrist endete demnach mit Ablauf des Kalenderjahres 2016.
2. Der angefochtene Bescheid vom 04.08.2017 wäre danach nur dann innerhalb offener Festsetzungsfrist ergangen, wenn diese sich aufgrund einer leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO auf fünf Jahre verlängert hätte.
a) Ob eine leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne von § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO vorliegt, bestimmt sich bei Prüfung der Festsetzungsverjährung nach § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung), da § 169 AO diesbezüglich keine Legaldefinition enthält. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO) und somit vom Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung ab, müssen zur Rechtmäßigkeit des Bescheids die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 378 AO erfüllt sein. Die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenrechts sind materiell-rechtlich wie im Straf- beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenrecht zu beurteilen, jedoch nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen (BFH-Urteile vom 02.04.2014 ‑ VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, Rz 51; vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 39 und vom 12.07.2016 ‑ II R 42/14, BFHE 254, 105, BStBl II 2016, 868, Rz 13). Nach § 378 Abs. 1 Satz 1 AO handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 AO bezeichneten Taten leichtfertig begeht. Dazu zählt , die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und dadurch Steuern zu verkürzen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden (§ 378 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Wer einer Anzeigepflicht nicht nachkommt, lässt im Allgemeinen Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis und kann deshalb grundsätzlich eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen. Hingegen ist der Notar im Hinblick auf die ihn treffende Anzeigepflicht aus § 18 GrEStG nicht tauglicher Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung. Er ist insoweit weder Steuerpflichtiger noch handelt er "bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen", da er mit der Anzeige nicht eine Pflicht des Steuerschuldners, sondern eine eigene dem Finanzamt gegenüber bestehende Pflicht erfüllt (BFH-Urteil vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 40 bis 42).
b) Leichtfertigkeit bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, im Gegensatz dazu aber auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt (BFH-Urteile vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 44 und vom 17.11.2015 ‑ X R 35/14, Rz 26, m.w.N.).
aa) Ein derartiges Verschulden liegt vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im konkreten Fall ergebenden Sorgfaltspflichten zu genügen. Hierzu ist eine Gesamtbewertung des Verhaltens des Steuerpflichtigen erforderlich (BFH-Urteil vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 44). Fehlen besondere persönliche Fähigkeiten im Bereich der betreffenden Steuern, handelt leichtfertig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, und dem sich deshalb aufdrängen muss, dass er dadurch Steuern verkürzt (BFH-Urteile vom 17.11.2011 ‑ IV R 2/09, Rz 46; vom 24.07.2014 ‑ V R 44/13, BFHE 246, 207, BStBl II 2014, 955, Rz 15 und vom 17.11.2015 ‑ X R 35/14, Rz 27, m.w.N.).
bb) Hat der Steuerpflichtige die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen, so ist bei der Prüfung, ob Leichtfertigkeit gegeben ist, zu berücksichtigen, dass es dem Steuerpflichtigen obliegt, sich bei rechtlichen Zweifeln über seine steuerlichen Pflichten einschließlich der an die Steuerpflicht anknüpfenden Verfahrenspflichten bei qualifizierten Auskunftspersonen zu erkundigen. Die Erkundigungspflichten beschränken sich nicht auf die Steuerpflicht einer Tätigkeit, sondern umfassen auch die an die Steuerpflicht anknüpfenden Verfahrenspflichten. Wer die Steuerpflicht seines Verhaltens kennt, ist umso mehr gehalten, sich um die damit verbundenen Erklärungs- und Anzeigepflichten zu kümmern (BFH-Urteile vom 19.02.2009 ‑ II R 49/07, BFHE 225, 1, BStBl II 2009, 932, unter II.2.a und vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 45).
cc) Zu beachten sind auch Ausbildung, Tätigkeit und Stellung des Steuerpflichtigen. So sind an die Erkundigungspflichten bei Kaufleuten jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu ihrer kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen (BFH-Urteile vom 19.02.2009 ‑ II R 49/07, BFHE 225, 1, BStBl II 2009, 932, unter II.2.a und vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 45). Das bedeutet allerdings nicht, dass für den Leichtfertigkeitsvorwurf nicht auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen im Bereich der betreffenden Steuern abzustellen wäre. Die unter II.2.b aa und bb genannten Voraussetzungen sind auch in diesem Fall zu prüfen (andere Tendenz bei Krumm in Tipke/Kruse, § 378 AO Rz 14). Die Erfahrungstatsache, dass der Kaufmann regelmäßig weitergehende Fähigkeiten als der Nichtkaufmann besitzt, ist nur eine Ausprägung des Grundsatzes, dass auf die individuellen Fähigkeiten abzustellen ist. Er setzt voraus, dass die entsprechenden vermehrten Fähigkeiten und Kenntnisse, die ein Problembewusstsein für mögliche Pflichten schaffen und so erhöhte Erkundigungs- und Sorgfaltspflichten begründen, auch tatsächlich vorhanden sind. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige über eine bestimmte formale Ausbildung oder Stellung verfügt, hat Indizwirkung, kann aber für sich genommen nicht die Leichtfertigkeit im Sinne des § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO begründen. Auf die Frage, ob privates oder geschäftliches Handeln vorliegt, kommt es nach diesen Kriterien nicht an.
c) Ob im konkreten Einzelfall Leichtfertigkeit im Sinne des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO vorliegt, ist im Wesentlichen Tatfrage (BFH-Urteil vom 03.03.2015 ‑ II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 46). In der Revisionsinstanz können die dazu getroffenen Feststellungen des FG grundsätzlich nur daraufhin überprüft werden, ob der Rechtsbegriff der Leichtfertigkeit und die aus ihm abzuleitenden Sorgfaltspflichten richtig erkannt worden sind und ob die Würdigung der Verhältnisse hinsichtlich des notwendigen individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (BFH-Urteil vom 02.04.2014 ‑ VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, Rz 52).
aa) Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das FG hat bei seiner Entscheidung die Maßstäbe, die an den Begriff der Leichtfertigkeit im Sinne des § 378 AO anzulegen sind, verkannt.
aaa) Das FG ist von einem objektiven Leichtfertigkeitsbegriff ausgegangen. Es definiert mehrfach ein abstrakt höheres Anforderungsprofil an Kaufleute ("Besondere Anforderungen werden diesbezüglich an Kaufleute gestellt, …", "Bei Anwendung der für einen ausgebildeten und in der Geschäftsführung einer GmbH länger aktiv tätigen Kaufmann notwendigen Sorgfalt …", "… bei Anwendung der kaufmännischen Sorgfaltspflichten für den erfahrenen Kaufmann …", FG-Urteil, Rz 40; "Hätte der Kläger die für einen Kaufmann erforderliche Sorgfalt ausgeübt, …", FG-Urteil, Rz 42). Zwar hat das FG zusätzlich einen Schluss aus der kaufmännischen Tätigkeit auf Kenntnisse des Klägers persönlich formuliert, in dem ein subjektiver Maßstab anklingt ("… ist der Überzeugung, dass beim Kläger aufgrund seiner Ausbildung als Betriebswirt … Kenntnisse vorliegen, die zum Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes gehören. …", FG-Urteil, Rz 40; "… verfügt aufgrund seiner Ausbildung über erhöhte Kenntnisse im kaufmännischen Bereich. …", FG-Urteil, Rz 42; "… trotz seiner kaufmännischen Kenntnisse …", FG-Urteil, Rz 43). Ohne zusätzliche auf das Individuum bezogene Feststellungen ist der Schluss von gruppenspezifisch typischen Eigenschaften auf persönliche Fähigkeiten aber lediglich ein objektiver Maßstab, denn er erschöpft sich in der Erwartung, dass ein Angehöriger der Gruppe diese Fähigkeit zu haben habe, ungeachtet der Frage, ob er sie tatsächlich hat. Gleichzeitig ist er ein denklogischer Fehler, denn Typizität trägt nicht die Schlussfolgerung auf jeden Einzelfall. Das gilt erst recht angesichts der Vielgestaltigkeit kaufmännischer Ausbildungen sowie der Mehrdeutigkeit des Kaufmannsbegriffs selbst.
bbb) Das FG hat zwar, um das Wissen des Klägers in Bezug auf die Grunderwerbsteuerpflicht zu begründen, auf konkrete Umstände und dessen individuelle Fähigkeiten abgestellt (die Alleingeschäftsführerstellung, der Kauf des Firmengrundstücks im Jahre 2008 sowie der Hinweis auf die eventuelle Grunderwerbsteuerpflicht für den streitigen Vorgang, FG-Urteil, Rz 40). Dies trägt den Leichtfertigkeitsvorwurf jedoch nicht, da dieser sich auf die grunderwerbsteuerliche Anzeigepflicht des Klägers nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 GrEStG beziehen muss. Diese besteht zwar unabhängig davon, ob und inwieweit die Beteiligten erkannt haben, dass der Rechtsvorgang der Grunderwerbsteuer unterliegt, beziehungsweise wussten, dass insoweit eine Anzeigepflicht besteht (BFH-Urteil vom 27.09.2017 ‑ II R 41/15, BFHE 260, 94, BStBl II 2018, 667, Rz 39 zur Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und s. oben unter II.1.b). Für die Frage, ob eine leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne des § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO vorliegt, ist jedoch auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen im Bereich der betreffenden Steuern, das heißt in Bezug auf die Anzeigepflicht abzustellen (s. hierzu unter II.2.b aa).
bb) Eine eigene Beurteilung, ob in dem Unterlassen der Anzeige durch den Kläger eine leichtfertige Steuerverkürzung liegt, ist dem BFH verwehrt, da nicht auszuschließen ist, dass noch weitere Feststellungen zu den subjektiven Merkmalen der Leichtfertigkeit getroffen werden können. Aus diesem Grund ist das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
3. Der Senat entscheidet nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid.
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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