BFH: Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen bei unzutreffender zeitlicher Zuordnung von Umsätzen
- Unterjährige Zinsvorteile sind bei der Prüfung eines Liquiditätsvorteils im Rahmen des Billigkeitserlasses von Nachforderungszinsen zur Umsatzsteuer gemäß § 233a AO unbeachtlich.
- Dem Erlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer steht nicht entgegen, dass es zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen kommt (Anschluss an BFH-Urteil vom 11.07.1996 ‑ V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259 = SIS 96 22 76).
AO §§ 227, 233a
UStG §§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, 18 Abs. 6
BFH-Urteil vom 23.2.2023, V R 30/20 (veröffentlicht am 29.6.2023)
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 4.8.2020, 1 K 610/18
I. Die Beteiligten streiten um den Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer.
Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin) gab in den Jahren 2009 bis 2013 (Streitjahre) monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen (Voranmeldungen) für die von ihr nach vereinbarten Entgelten zu versteuernden Dienstleistungen ab. Bei einer Außenprüfung für die Jahre 2009 bis 2011 wurde u.a. festgestellt, dass die Klägerin, die in den Streitjahren keine Dauerfristverlängerung (§ 18 Abs. 6 des Umsatzsteuergesetzes ‑‑UStG‑‑ i.V.m. §§ 46 bis 48 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung) in Anspruch genommen hatte, ihre erklärten Umsätze stets dem Monat der Rechnungsstellung zugeordnet hatte, obwohl sie 90 % ihrer Leistungen bereits im Vormonat erbracht hatte. Der Grund hierfür war, dass die Klägerin meist erst nach Ablauf der Abgabefrist für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum die für die Rechnungsstellung nötigen Informationen von ihren Subunternehmern erhielt. Um die falsche Zuordnung der Umsätze zu korrigieren, ordnete die Außenprüfung jeweils 90 % der im Januar angemeldeten Umsätze dem Vorjahr zu.
In den entsprechend den Prüfungsfeststellungen geänderten Umsatzsteuer-Jahresbescheiden vom 23.12.2015 für 2009 bis 2011 setzte der Beklagte, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) fest. Sie betrugen 1.361.528 € für 2009 (Zinslauf: 56 Monate), 123.981 € für 2010 (Zinslauf: 44 Monate) und 232.800 € für 2011 (Zinslauf: 32 Monate). Nachdem die Klägerin für 2012 und 2013 entsprechend den Prüfungsfeststellungen geänderte Jahressteuererklärungen abgegeben hatte, erließ das FA am 04.01.2016 Zinsbescheide, in denen es Nachzahlungszinsen in Höhe von 165.740 € für 2012 (Zinslauf: 20 Monate) und in Höhe von 38.948 € für 2013 (Zinslauf: 8 Monate) festsetzte. Die insgesamt festgesetzten Zinsen beliefen sich damit auf 1.918.925 €.
Den auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.07.1996 ‑ V R 18/95 (BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259) gestützten Antrag der Klägerin auf Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen lehnte das FA ab, weil der Streitfall nicht mit dem Sachverhalt des genannten Urteils vergleichbar sei. Während es dabei um eine einmalige Umsatzverlagerung gegangen sei, hätten im Streitfall die jahrelangen Umsatzverlagerungen zu Nachforderungen geführt, denen nicht gleich hohe Erstattungen gegenüber gestanden hätten. Der Liquiditätsvorteil sei nicht mit der jeweiligen Voranmeldung des Folgemonats entfallen.
Den Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 01.02.2018 zurück. Die Klägerin habe durch die monatlich wiederkehrende Zuspätzahlung einen dauerhaften Liquiditätsvorteil in Höhe von 3.334.705 € erlangt, der die festgesetzten Nachzahlungszinsen übersteige. Es sei ermessensgerecht, auf diesen Liquiditätsvorteil und nicht auf die Karenzzeit des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO abzustellen. In die Ermessensausübung fließe auch ein, dass vermutlich auch in den Jahren zuvor zu späte Anmeldungen erfolgt seien und eine unzutreffende Anmeldung bei einem der Firmengruppe zugehörigen Unternehmen zuvor schon beanstandet worden sei.
Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Finanzgericht (FG) das FA mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 518 veröffentlichten Urteil ‑‑bei gleichzeitigem Ausspruch der hälftigen Kostenteilung‑‑ zur Neubescheidung. Die Zinsfestsetzung sei sachlich unbillig i.S. von § 227 AO. Da die Neuzuordnung der jeweils im Januar gemeldeten Umsätze nicht nur zu einer Erhöhung der Vorjahresumsätze, sondern auch zu einer gleich hohen Reduzierung der Umsätze des Jahres, in dem die Voranmeldung erfolgt sei, geführt habe, hätten sich Umsatzerhöhungen und ‑reduzierungen jahresübergreifend ausgeglichen. Da der Liquiditätsvorteil nur jeweils einen Monat bestanden habe, sei ein bis zu 56‑monatiger Zinslauf unbillig. Zu Unrecht habe das FA danach einen dauerhaften Liquiditätsvorteil berücksichtigt. Ein unterjähriger, jeweils monatlicher Vorteil sei im Hinblick auf § 233a Abs. 1 Satz 2 AO irrelevant. Es komme aber nicht nur eine Ermessensentscheidung mit einem einzigen Inhalt in Betracht. So könne die Erhebung von Nachforderungszinsen nur für die jeweiligen Monate, in denen ein jahresübergreifender Liquiditätsvorteil bestanden habe, ermessensgerecht sein. Unter Berücksichtigung der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO sei aber auch ein vollständiger Erlass vertretbar. Das Ermessen des FA sei dahingehend begrenzt, dass entweder die Nachzahlungszinsen vollständig erlassen werden müssten oder jedenfalls so weit, als sie den tatsächlichen Liquiditätsvorteil für 90 % der jeweils im Dezember entstandenen Umsätze überstiegen. Die Zinsberechnung der Klägerin, die sich aus der Summe der monatlichen Zinserstattungen und Zinszahlungsverpflichtungen für die Streitjahre ergab, führe zu einer Zinspflicht von nur 15.282,28 €. Das FA sei im Verwaltungsverfahren von einem Liquiditätsvorteil von 47.457 € ausgegangen.
Mit der Revision macht das FA geltend, das BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259 sei auf den Streitfall nicht anwendbar. Der unterjährige Liquiditätsvorteil sei nicht unbeachtlich. § 233a AO gelte nur deshalb nicht für Vorauszahlungszinsen, weil die abschließende Steuerfestsetzung ‑‑anders als im Streitfall‑‑ regelmäßig innerhalb der Karenzfrist erfolge. Da der tatsächliche Liquiditätsvorteil in allen Jahren außer 2009 die Nachzahlungszinsen überstiegen habe, komme ein Erlass nicht in Betracht. Für 2009 habe berücksichtigt werden dürfen, dass die Nachzahlungszinsen in den Folgejahren den Zinsvorteil nicht vollständig abgeschöpft hätten. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, das zu einer einmaligen jahresübergreifenden Umsatzverschiebung ergangen sei, sei es ermessengerecht, den Liquiditätsvorteil von jeweils einem Monat abzuschöpfen.
Das FA beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen
und im Wege der Anschlussrevision
das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als ihr die Kosten hälftig auferlegt wurden, und die Kosten des Verfahrens insgesamt dem FA aufzuerlegen.
Das FG habe dem FA gemäß § 136 Abs. 1 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die gesamten Verfahrenskosten auferlegen müssen, da auf der Grundlage seiner rechtlichen Ausführungen das FA mindestens 97,52 % der Zinsen erlassen müsse.
II. Die Revision des FA ist nach § 126 Abs. 2 FGO unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat das FA zu Recht verpflichtet, die Klägerin neu zu bescheiden. Das FA hat im Streitfall zu Unrecht in seine Billigkeitsentscheidung unterjährig entstandene Liquiditätsvorteile einbezogen. Spruchreife nach § 101 Satz 1 FGO lag nicht vor. Im Übrigen ist die Anschlussrevision der Klägerin begründet und führt zur Änderung der Kostenentscheidung des FG-Urteils (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
1. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Zinsansprüche gehören (§ 37 Abs. 1, § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre (BFH-Urteil vom 26.09.2019 ‑ V R 13/18, BFHE 266, 16, Rz 10).
a) Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 227 AO ist eine Ermessensentscheidung (§ 5 AO), die im finanzgerichtlichen Verfahren nach § 102 Satz 1 FGO nur daraufhin überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (BFH-Urteile in BFHE 266, 16, Rz 12 und vom 31.05.2017 ‑ I R 92/15, BFHE 259, 387, BStBl II 2019, 14, Rz 11).
b) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer oder eines Zinsanspruchs, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass ihre Erhebung unbillig erscheint. Das ist der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage ‑‑wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte‑‑ im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (BFH-Urteile vom 20.09.2012 ‑ IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505, Rz 21 und vom 24.04.2014 ‑ V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106, Rz 11). Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zweck haben (BFH-Urteil vom 21.01.2015 ‑ X R 40/12, BFHE 248, 485, BStBl II 2016, 117, Rz 24). Allerdings dürfen Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ‑‑sich lediglich in einem Einzelfall zeigenden‑‑ ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen (BFH-Urteile vom 17.12.2013 ‑ VII R 8/12, BFHE 244, 184, Rz 30 und in BFHE 266, 16, Rz 11).
c) Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat (BFH-Urteile in BFHE 266, 16, Rz 14; vom 16.08.2001 ‑ V R 72/00, BFH/NV 2002, 545, unter II.2.b und vom 21.10.1999 ‑ V R 94/98, BFH/NV 2000, 610, unter II.2.b).
Bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes durch die Finanzbehörde, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt, sollen aber durch § 233a AO keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind (BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, Leitsatz). Im Billigkeitsverfahren nach § 227 AO auf Erlass festgesetzter Zinsen hat es der Unternehmer nach dem o.g. BFH-Urteil daher nicht hinzunehmen, dass eine um einen Monat verspätete Steueranmeldung zu einem Zinslauf von acht Monaten führt, wenn der erlangte Liquiditätsvorteil durch eine spätere Anmeldung und die entsprechende Vorauszahlung vor Beginn des Zinslaufs wieder entfallen war. Es kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden Steuernachforderung kein Vorteil ausgeglichen werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil hatte. Daher sind bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und einer Steuererstattung führt, tatsächlich nicht vorhandene Zinsvorteile auch nicht abzuschöpfen. Somit kann im Erlassverfahren wegen Nachforderungszinsen nicht unberücksichtigt bleiben, dass z.B. der Liquiditätsvorteil, der dem Steuerpflichtigen durch die verspätete Anmeldung des im Voranmeldungszeitraum Dezember 1990 ausgeführten Umsatzes erwachsen war, bereits mit Zahlung der für den Voranmeldungszeitraum Januar 1991 angemeldeten Steuer und damit vor Beginn des Zinslaufs (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO) wieder entfallen ist. Ergänzend hatte der BFH hierfür zudem darauf abgestellt, dass die der Zinsberechnung zugrunde liegende Steuernachforderung für 1990 mit der Steuererstattung für 1991 verrechnet wurde (BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, unter II.2.c).
Diese für Zwecke des Erlassverfahrens auf einzelne Voranmeldungszeiträume abstellende Betrachtung beruht maßgeblich darauf, dass aufgrund umsatzsteuerrechtlicher Besonderheiten hier trotz der Regelungen in § 233a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 AO, denen eine Jahresbetrachtung zugrunde liegt, nicht einseitig nur auf die nachgeforderte Jahressteuer abgestellt werden kann. Diese Besonderheiten ergeben sich zum einen daraus, dass der Steueranspruch bereits mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Umsatzausführung oder Entgeltvereinnahmung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b UStG) und daher anders als bei anderen Steuerarten nicht erst mit Ablauf des Kalenderjahres entsteht, und zum anderen daraus, dass die Änderung der zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes anders als die "Gewinnverlagerung" bei unveränderter Rechtslage aufkommensneutral ist (BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, unter II.2.c).
2. Danach hat das FG den Bescheid über die Ablehnung des Erlassantrags zu Recht aufgehoben.
a) Auf der Grundlage des BFH-Urteils in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259 hat das FG zutreffend entschieden, dass für die Frage, inwieweit die Klägerin Zinsvorteile erlangt hat, die einem Billigkeitserlass entgegenstehen, die Liquiditätsvorteile außer Betracht zu bleiben haben, die für die Klägerin durch die verspätete Anmeldung der bereits im Vormonat ausgeführten Umsätze unterjährig entstanden waren.
Das FG hat hierfür zu Recht darauf abgestellt, dass festgesetzte Vorauszahlungen nicht verzinst werden (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO), so dass ein monatlicher Zinsvorteil, den der Gesetzgeber nicht abschöpfen will, nicht als Begründung für die fehlende Unbilligkeit einer Zinsfestsetzung für die Jahressteuer herangezogen werden kann, zumal die Klägerin bei Beginn des Zinslaufs für die Streitjahre bereits alle auf die Steuernachforderung entfallenden Umsätze mit ihren monatlichen Voranmeldungen bezahlt hatte.
Ebenso zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass eine fehlende Verrechnung der Steuernachforderung (für das Jahr der Vorverlagerung) mit einer Steuererstattung (für das Jahr der bisherigen Umsatzerfassung) dem Billigkeitserlass nicht entgegensteht. So führte z.B. die Steuerminderung, die sich aus der Umsatzvorverlagerung aus dem Januar 2010 in den Dezember 2009 ergab, aufgrund einer weiteren Umsatzvorverlagerung (aus dem Januar 2011 in den Dezember 2010) für das Jahr 2010 zu keiner Steuererstattung für 2010, die mit der Nachforderung für 2009 verrechnet werden konnte. Dies ist indes unerheblich, da es maßgeblich auf eine Einzelbetrachtung des jeweils vorzuverlagernden Umsatzes ankommt, der für sich genommen zu der erforderlichen Verrechnung der Nachforderung für 2009 mit einer Erstattung für 2010 geführt hätte. Dass eine Erstattung für 2010 an einer Saldierung mit anderen Besteuerungsgrundlagen scheitert, ist im Hinblick auf diese Einzelbetrachtung unerheblich.
b) Damit erweist sich die vom FA befürwortete Einbeziehung unterjährig entstandener Liquiditätsvorteile in die Billigkeitsbetrachtung als unzutreffend. Eine derartige Einbeziehung kommt auch insoweit nicht in Betracht, als die unterjährig vorzunehmenden Umsatzverlagerungen zu keiner Änderung der für die Zinsentstehung maßgeblichen Jahressteuerfestsetzungen geführt haben. Die Auffassung des FA läuft letztlich darauf hinaus, entgegen dem Wortlaut des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO und der sich hieraus ergebenden gesetzgeberischen Wertung (Nichtverzinsung von Vorauszahlungsfestsetzungen) gleichwohl zu einer weitergehenden Verzinsung zu gelangen, als sie sich auf der Grundlage einer Liquiditätsbetrachtung in Bezug auf die geänderten Jahressteuer-festsetzungen ergibt.
Im Übrigen vermögen auch die sonstigen Gründe, die das FA für die Ablehnung eines Billigkeitserlasses anführt, die Entscheidung des FG nicht in Frage stellen, da dem vom FA insoweit angeführten vorwerfbaren Verhalten neben der maßgeblichen Liquiditätsbetrachtung vorliegend keine Bedeutung zukommt.
c) Das FG-Urteil erweist sich auch nicht in anderer Hinsicht als rechtsfehlerhaft.
aa) Dem Erlass von Nachzahlungszinsen steht nicht entgegen, dass es ‑‑wie im Streitfall‑‑ zu mehreren aufeinanderfolgenden jahresübergreifenden Umsatzverlagerungen gekommen ist und die Erhöhung der Jahressteuer, die durch die Hinzurechnung der im Folgejahr angemeldeten Umsätze ausgelöst wird, sowie die korrespondierende Ermäßigung für das Folgejahr, in dem die im Vorjahr entstandenen Umsätze angemeldet und die Steuern entrichtet wurden, nicht zu einer gleich hohen Erstattung und Nachforderung in zwei aufeinanderfolgenden Steuerjahren führen. Diese Auswirkungen sind für die Prüfung der sachlichen Billigkeit unbeachtlich, weil sie den tatsächlich bestehenden Liquiditätsvorteil für die jeweilige Jahressteuer nicht beeinflussen. Daher steht der Berücksichtigung nur des tatsächlichen Liquiditätsvorteils hinsichtlich der Jahressteuer nicht entgegen, dass das Senatsurteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, unter II.2.c die Fallkonstellation einer einmaligen jahresübergreifenden Umsatzverlagerung behandelt. Der Senat hat damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Abschöpfung jahresübergreifender Liquiditätsvorteile nur dann unbillig ist, wenn sich die Erstattung und die Nachforderung in vollem Umfang ausgleichen. Abweichendes ergibt sich somit auch nicht aus den BFH-Urteilen in BFH/NV 2002, 545, vom 23.10.2003 ‑ V R 2/02 (BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39) und vom 24.02.2005 ‑ V R 62/03 (BFH/NV 2005, 1220).
bb) Unerheblich ist, dass die Klägerin de facto die Vorteile einer Dauerfristverlängerung gemäß § 18 Abs. 6 UStG ohne die hierfür erforderliche Sondervorauszahlung in Anspruch genommen hat. § 233a AO schöpft lediglich die nach der gesetzgeberischen Wertung im Rahmen der Festsetzung der Jahressteuer angenommenen Liquiditätsvorteile ab, sanktioniert aber nicht ‑‑wie etwa das Steuerstrafrecht bei Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO)‑‑ die vorsätzliche oder leichtfertige unzutreffende Erklärung der Umsätze in den Voranmeldungen.
3. Im Übrigen hat das FG zutreffend das FA zur Neubescheidung (§ 101 Satz 2 FGO) verpflichtet. Die Sache war im Hinblick auf die Frage eines abzuschöpfenden Zinsvorteils nur dem Grunde nach, nicht aber auch der Höhe nach ‑‑und damit im Ergebnis‑‑ nicht i.S. des § 101 Satz 1 FGO spruchreif. Das FG konnte insoweit zu Recht auf die unterschiedlichen Liquiditätsvorteilsberechnungen (Klägerin: 15.282,28 €, FA: 47.457 €) und ‑‑als sachgerechte Entscheidungsalternative‑‑ auf die Ermessensgerechtigkeit einer Betrachtung nach Maßgabe der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO verweisen. Eine Reduzierung des Ermessens des FA auf Null hat das FG daher im Streitfall insoweit zu Recht verneint.
4. Die Anschlussrevision, die die Klägerin zulässigerweise auf die Anfechtung der Entscheidung im Kostenpunkt beschränken konnte (BFH-Urteile vom 02.06.1971 ‑ III R 105/70, BFHE 102, 563, BStBl II 1971, 675, unter II.1.; vom 22.04.2004 ‑ V R 72/03, BFHE 205, 525, BStBl II 2004, 684, unter II.2.a), ist begründet. Die Kostenentscheidung ist dahin zu treffen, dass das FA die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Im Falle des teilweisen Obsiegens können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere Beteiligte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Zwar ist ‑‑worauf das FG zutreffend hinweist‑‑ regelmäßig eine Kostenteilung angebracht, wenn ein Beteiligter mit seinem Verpflichtungsantrag nur ein Bescheidungsurteil erstritten hat (BFH-Urteile vom 06.12.2012 ‑ V R 1/12, BFH/NV 2013, 906, Rz 18; vom 16.09.1992 ‑ X R 169/90, BFH/NV 1993, 510, unter II.). Dies gilt jedoch nur, sofern keine besonderen Umstände vorliegen (BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 906, Rz 18; vom 02.06.2005 ‑ III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184, unter II.3. und in BFH/NV 1993, 510, unter II.). Das BFH-Urteil vom 08.02.1994 ‑ VII R 88/92 (BFHE 174, 197, BStBl II 1994, 552), auf das sich das FG bezogen hat, betrifft ein Bescheidungsurteil zu einem nicht bezifferbaren Anspruch, bei dem zudem keine besonderen Umstände vorlagen.
Im Streitfall sind indes besondere Umstände gegeben. Vorliegend ist das Ermessen des FA infolge der bei seiner Billigkeitsentscheidung nicht zu berücksichtigenden unterjährigen Liquiditätsvorteile dahingehend eingeschränkt, dass ‑‑wie vom FG angenommen‑‑ nur Nachforderungszinsen für die jeweiligen Monate des Liquiditätsvorteils (s. unter II.2.) nicht zu erlassen wären. Danach ist das Unterliegen der Klägerin aufgrund der besonderen Umstände der Ermessensentscheidung dieses Einzelfalls derart geringfügig, dass das FA die Verfahrenskosten vollständig zu tragen hat.
5. Die Kostenentscheidung, nach der die Kosten der Revision und der Anschlussrevision von dem FA zu tragen sind, beruht auf § 135 Abs. 2 und Abs. 1 FGO.
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