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BFH: Erbfallkostenpauschale für den Nacherben

  1. Neben dem Vorerben kann auch der Nacherbe den Pauschbetrag für Erbfall­kosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG in Anspruch nehmen.
  2. Der Abzug des Pauschbetrags setzt nicht den Nachweis voraus, dass zumin­dest dem Grunde nach tatsächlich Kosten angefallen sind (Änderung der Rechtsprechung).

ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1, § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 6, Abs. 5 Nr. 3 Sätze 1 und 2
FGO § 100 Abs. 2 Satz 2
BGB § 2100, § 2139

BFH-Urteil vom 1.2.2023, II R 3/20; SIS 23 06 94 (veröffentlicht am 4.5.2023)

Vorinstanz: FG Münster vom 24.10.2019, 3 K 3549/17 Erb = SIS 19 20 89

A. Im Januar 2013 verstarb die Tante der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klä­gerin). Als Vorerbe war deren Ehemann, als Nacherbin die Klägerin berufen. Im Mai 2013 verstarb auch der Ehemann der Tante. Zu dessen Erbin war ebenfalls die Klägerin berufen, die dieses Erbe jedoch ausschlug. Der Klägerin entstanden aufgrund der Nacherbschaft Kosten in Höhe von 40 € beim Nach­lassgericht. Der Vorerbe hatte keine Kosten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) geltend ge­macht. Aufgrund des ihm zukommenden Freibetrags für Ehegatten erfolgte keine Festsetzung der Erbschaftsteuer. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte die Erbschaftsteu­er für die Nacherbschaft gegenüber der Klägerin ohne Berücksichtigung von Nachlassverbindlichkeiten mit Bescheid vom 07.06.2017 auf 3.960 € fest. Den Einspruch dagegen wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 16.10.2017 zurück.

Im Klageverfahren machte die Klägerin den Pauschbetrag nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG geltend. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Der Klägerin seien Kosten im Sinne der Vorschrift entstanden. Sowohl dem Vorer­ben als auch dem Nacherben könne der Pauschbetrag zugutekommen, denn es lägen zwei voneinander getrennt zu beurteilende Erbfälle vor. Zudem habe der Vorerbe den Erbfallkostenpauschbetrag im vorliegenden Fall nicht verbraucht. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 391 veröf­fentlicht.

Mit der Revision macht das FA eine Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG geltend. Die Klägerin habe die Beerdigungskosten der Tante weder tra­gen müssen noch tatsächlich getragen und habe neben dem Nacherbschafts­vermögen nichts von dem Vorerben erworben. Soweit ihr aufgrund der Nach­erbschaft tatsächlich Aufwendungen entstanden seien, die sich auf die Erlan­gung des Erwerbs bezogen hätten, könnten diese unabhängig von dem Pauschbetrag mit Einzelfallnachweis abgezogen werden (R E 10.9 Abs. 4 "Pauschbetrag für Nachlassverbindlichkeiten", der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 vom 19.12.2011, BStBl I 2011, Sondernummer 1/2011, S. 2), was sich vorliegend wegen § 10 Abs. 1 Satz 6 ErbStG nicht auswirke. Der Pauschbetrag stehe hingegen im Falle von Vor- und Nacherbschaft nur einmal zur Verfü­gung. Er werde für den Erbfall im Sinne von Todesfall, nicht für den Erbanfall gewährt, zumal er in erster Linie die Bestattungskosten abdecken solle. Die Vorerbschaft verbrauche deshalb die Pauschale unabhängig davon, wie sich dies im Einzelfall steuerlich auswirke.

Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

B. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsord­nung (FGO) zurückzuweisen.

I. Die Revision hat nicht bereits aus formellen Gründen Erfolg. Das angefochtene Urteil entspricht noch den Anforderungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Eine Tenorierung muss dem Bestimmtheitserfordernis genügen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 06.11.2019 ‑ II R 34/16, BFHE 267, 440, BStBl II 2020, 465, Rz 44). Die Übertragung der Steuerberechnung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO setzt voraus, dass dem FA nur noch die Berechnung der Steuer verbleibt (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 100 Rz 42). Es darf keine Wertungs-, Beurteilungs- oder Entscheidungsspielräume mehr geben. Sind noch Ermittlungen zur Höhe der Bemessungsgrundlage an­zustellen, kommt die Übertragung der Steuerberechnung nicht in Betracht. Trotz der nur pauschalen Verweisung auf die Gründe der Entscheidung ist aber angesichts des einfach strukturierten Sachverhalts und der betragsmäßig ein­deutigen Höhe der Erbfallkostenpauschale nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG im konkreten Fall die Formulierung des Tenors noch ausreichend.

II. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Erbschaftsteuerpauschale steuer­mindernd zu berücksichtigen ist.

1. Sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe verwirklichen den Besteuerungs­tatbestand gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 ErbStG für einen Erwerb von Todes wegen.

a) Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Während zivilrechtlich nach §§ 2100, 2139 des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerrechtlich nach § 6 Abs. 1 ErbStG der Vor­erbe als Erbe. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichti­gung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu ver­steuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Tritt der Nacherbfall durch den Tod des Vor­erben ein und wird der Nacherbe zugleich Erbe nach dem Vorerben, liegen zwar zivilrechtlich zwei Erbfälle vor, erbschaftsteuerrechtlich jedoch nur ein einheitlicher Erwerb vom Vorerben (zum Ganzen BFH-Urteile vom 31.08.2021 ‑ II R 2/20, BFHE 273, 572, BStBl II 2022, 387, Rz 13, m.w.N., und vom 01.12.2021 ‑ II R 1/20, BFHE 275, 355, BStBl II 2022, 518, Rz 11 bis 13).

b) Für jeden der Erwerbe gilt als Bereicherung der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Wert des gesamten Vermö­gensanfalls‚ soweit er der Besteuerung nach dem ErbStG unterliegt, die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG, vgl. BFH-Urteil vom 22.01.2020 ‑ II R 41/17, BFHE 267, 460, BStBl II 2020, 459, Rz 20). Als Nachlassverbind­lichkeiten sind von dem Erwerb abzugsfähig, soweit sich nicht aus den Absät­zen 6 bis 9 etwas anderes ergibt, nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG die Kosten der Bestattung des Erblassers, die Kosten für ein angemessenes Grab­denkmal, die Kosten für die übliche Grabpflege mit ihrem Kapitalwert für eine unbestimmte Dauer sowie die Kosten, die dem Erwerber unmittelbar im Zu­sammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung des Erwerbs entstehen. Der Begriff der Nachlassrege­lungskosten ist grundsätzlich weit auszulegen und umfasst u.a. die Kosten der tatsächlichen und rechtlichen Feststellung des Nachlasses, sowie alle Kosten, die aufgewendet werden müssen, um die Erben in den Besitz der ihnen aus der Erbschaft zukommenden Güter zu setzen (BFH-Urteile vom 02.12.2020 ‑ II R 17/18, BFHE 272, 108, Rz 24, und vom 06.05.2021 ‑ II R 24/19, BFHE 272, 530, BStBl II 2022, 340‚ Rz 17, jeweils m.w.N.).

2. Beim Erwerb des Nacherben schließt die Ermittlung der Nachlassverbind­lichkeiten auch den Pauschbetrag nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG ein (ebenso BeckOK ErbStG/Königer, 15. Ed. [01.04.2022], ErbStG § 10 Rz 259; Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuergesetz‚ Kommen­tar, 18. Aufl., § 10 Rz 55; a.A. Weinmann in Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 90; Höne, Neue Wirtschafts-Briefe Erben und Vermögen 6/2013, 201; Billig, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2021, 92; zweifelnd Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz 154.1).

a) Nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG wird für die in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG genannten Kosten insgesamt ein Betrag von 10.300 € ohne Nachweis abgezogen. Der Betrag ist für jeden Erbfall nur einmal zu gewähren, nament­lich für mehrere Miterben nur einmal (vgl. BFH-Beschluss vom 24.02.2010 ‑ II R 31/08, BFHE 228, 189, BStBl II 2010, 491, m.w.N.). Die Abfolge von Vor- und Nacherbfall stellt jedoch erbschaftsteuerrechtlich nicht einen Erbfall mit mehreren Erben dar. Vielmehr sind (s. oben unter 1.a) die beiden Vorgänge als zwei getrennte Erbfälle zu behandeln. Es entspricht dieser Systematik, im Rahmen der Ermittlung der Bereicherung (s. oben unter 1.b) zweimal den Pauschbetrag anzusetzen.

b) Der Umstand, dass bei Vor- und Nacherbschaft bezogen auf den ursprüngli­chen Erblasser nur ein Todesfall zu verzeichnen ist, verlangt nicht nach einer teleologischen Reduktion der Vorschrift. Es mag zutreffen, dass der Pauschbe­trag auch die Beerdigungskosten erfassen soll (vgl. BTDrucks 8/3688, S. 23) und ursprünglich der Höhe nach auch daran ausgerichtet war (BFH-Beschluss in BFHE 228, 189, BStBl II 2010, 491, Rz 5). Richtig ist somit, dass bei zwei­maliger Gewährung der Pauschale auch die Beerdigungskosten zweimal typi­sierend berücksichtigt werden, obwohl sie nicht zweimal anfallen. Der Pausch­betrag umfasst aber nicht nur Beerdigungskosten, sondern dient außerdem dazu, Nachlassregelungskosten im weiteren Sinne abzugelten. Nachlassrege­lungskosten können jedoch ohne Weiteres zweimal in jeweils unbegrenzter Höhe anfallen. Sie fallen in unterschiedlicher Höhe typischerweise auch in ei­nem Nacherbfall an. Der Ansatz der Kostenpauschale dient der Vereinfachung der Steuerfestsetzung. Dies gilt auch im Nacherbfall, und zwar unabhängig davon, ob der Nacherbe außerdem zivilrechtlich Erbe des Vorerben wird.

c) Der Abzug des Pauschbetrags setzt nicht den Nachweis voraus, dass zumin­dest dem Grunde nach tatsächlich Kosten angefallen sind, die der Pauschbe­trag erfasst. Das Gesetz geht zutreffend davon aus, dass mit dem Erbanfall typischerweise entsprechende Kosten entstehen. Der Abzug der Pauschale ist nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich ohne Nachweis möglich. Ein Nach­weis darüber, dass Kosten dem Grunde nach entstanden sind, würde dem Vereinfachungszweck entgegenstehen. Anderenfalls müsste der Erwerber zu­nächst nachweisen, dass Kosten entstanden sind, um anschließend ‑‑ohne Nachweis‑‑ die Kosten in Höhe des Pauschbetrags geltend machen zu können. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen eine andere Rechtsauffassung vertreten hat (so die BFH-Beschlüsse vom 28.11.1990 ‑ II S 10/90, BFH/NV 1991, 243, unter 2., und vom 21.01.2005 ‑ II B 6/04, BFH/NV 2005, 1092), hält er daran ausdrücklich nicht mehr fest.

3. Das Urteil des FG entspricht diesen Maßstäben. Die Klägerin ist in ihrer Ei­genschaft als zivilrechtliche Nacherbin nach ihrer Tante erbschaftsteuerrecht­lich als Erbin nach deren Ehemann zu behandeln. Auf die Frage, ob sie diesen auch zivilrechtlich unmittelbar beerbt hat, kommt es nicht an. Bei der Ermitt­lung des steuerpflichtigen Erwerbs für die Nacherbschaft ist der Pauschbetrag nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG zu berücksichtigen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

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