BFH: Kein Ausschluss der Teilnahmebefugnis des Gemeindeprüfers aufgrund Vertragsbeziehungen zwischen Steuerpflichtigem und Gemeinde
- Die gemäß § 21 Abs. 3 FVG erfolgende Anordnung der Teilnahme des Gemeindeprüfers an einer die Gewerbesteuer betreffenden Außenprüfung des FA ist nicht aufgrund des Bestehens von Vertragsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Gemeinde rechtswidrig.
- Die berechtigten Interessen des Steuerpflichtigen in Bezug auf die Nichtoffenlegung von für die Vertragsbeziehungen relevanten Unterlagen und/oder Daten sind dadurch zu schützen, dass der Außenprüfer des FA während der jeweiligen Außenprüfung darüber entscheidet, welche Informationen er an den Gemeindeprüfer weitergibt.
- Der Steuerpflichtige hat dem Außenprüfer im Rahmen seiner Informations- und Mitwirkungspflicht während der Außenprüfung Gegenstand und Umfang der Vertragsbeziehungen zur Gemeinde zu erläutern und die Unterlagen und/oder Daten im Einzelnen zu bezeichnen, die von der Offenbarung gegenüber dem Gemeindebediensteten ausgenommen werden sollen.
- Entscheidet sich das FA trotz des Geheimhaltungsbegehrens des Steuerpflichtigen für eine Offenlegung, muss es dies in Form eines im Einzelnen begründeten Verwaltungsakts tun. Hiergegen kann sich der Steuerpflichtige im Wege des ‑‑auch einstweiligen‑‑ Rechtsschutzes wehren.
FVG § 21 Abs. 2 und Abs. 3
AO § 3 Abs. 2, § 30 Abs. 4 Nr. 1, § 200 Abs. 1 Satz 2
BFH-Urteil vom 20.10.2022, III R 25/21 (veröffentlicht am 6.4.2023)
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 23.6.2021, 7 K 656/18 AO (EFG 2021 S. 1964 = SIS 21 16 20)
I. Die Beteiligten streiten über die Teilnahme eines Gemeindebediensteten an einer u.a. die Gewerbesteuer umfassenden Außenprüfung.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Handel und Vertrieb von Erzeugnissen und Waren und alle damit im Zusammenhang stehenden Dienstleistungen und Tätigkeiten ist.
Mit Verfügung vom 09.08.2017 ordnete der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) eine steuerliche Außenprüfung bei der Klägerin für die Jahre 2013 bis 2015 u.a. für Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer an. Nach einem entsprechenden Teilnahmeersuchen der Gemeinde, auf deren Gebiet die Klägerin ansässig ist, erging am 29.11.2017 eine geänderte Anordnung, in der es unter Bezug auf § 21 Abs. 3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) heißt: "In Ergänzung zur Prüfungsanordnung vom 09.08.2017 teile ich Ihnen mit, dass Herr ... als Bediensteter der Stadt ... für die Gewerbesteuer an der Prüfung teilnimmt."
Den dagegen gerichteten Einspruch wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 14.02.2018 als unbegründet zurück.
Im Laufe des nachfolgenden, auf Aufhebung des Bescheids über die Teilnahme des Gemeindebediensteten gerichteten Klageverfahrens wurde die Außenprüfung ohne Teilnahme des Gemeindebediensteten beendet. Die Klägerin stellte ihr Klagebegehren daher auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um. Zur Begründung verwies sie auf eine konkrete Wiederholungsgefahr bei Außenprüfungen für die Jahre ab 2016. Diese ergebe sich daraus, dass das FA angekündigt habe, für die anstehende Folgeprüfung nicht auf die Teilnahme des Gemeindeprüfers zu verzichten. Da die Klägerin auch in den Jahren ab 2016 Leistungen gegenüber der Stadt und deren Tochtergesellschaften erbracht habe, bestehe weiterhin die Besorgnis der Verletzung des Steuergeheimnisses. Die Gründe für eine Nichtteilnahme des Gemeindebediensteten beständen unverändert fort.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 1964 veröffentlichten Gründen statt. Es stellte fest, dass die Prüfungsanordnung vom 29.11.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.02.2018 rechtswidrig gewesen sei, soweit darin die Teilnahme eines Gemeindebediensteten der Stadt an der Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015 angeordnet worden sei. Zur Begründung verwies es u.a. darauf, dass sich die Klägerin und die Gemeinde nicht nur in einem Über‑/Unterordnungsverhältnis befänden, sondern die Klägerin aufgrund privatrechtlicher Vereinbarungen Leistungen gegenüber der Gemeinde erbringe. Daher sei es denkbar und möglich, dass der Prüfer des FA und damit auch der Gemeindebedienstete Einblicke in Kalkulationsgrundlagen für die vertraglichen Beziehungen mit der Gemeinde und deren Tochtergesellschaften oder in Kalkulationsgrundlagen und Vertragsbeziehungen mit anderen Kunden der Klägerin erhalte. Preisgegebene oder erhaltene Erkenntnisse im Rahmen der Prüfung könnten daher für eine wirtschaftliche Tätigkeit oder für andere außersteuerliche Interessen der Gemeinde von Bedeutung sein. Diese Daten seien aus Sicht der Klägerin besonders sensibel und schützenswert und daher im Rahmen der Abwägung mit besonderem Gewicht ausgestattet. Denn auch anderen Vertragspartnern gegenüber würde die Klägerin ihre Kalkulationsgrundlagen und weiteren Vertragsbeziehungen nicht ohne Weiteres offenlegen.
Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht.
Das FA beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten. Es unterstützt die Auffassung des FA.
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Prüfungsanordnung rechtswidrig war, soweit darin die Teilnahme des Gemeindebediensteten an der Außenprüfung angeordnet wurde.
1. Zu Recht hat das FG entschieden, dass die Klage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig war, da sich die Teilnahmeregelung durch die Beendigung der Außenprüfung ohne Teilnahme des Gemeindebediensteten erledigt und das FA angekündigt hat, bei Folgeprüfungen die Teilnahme des Gemeindebediensteten erneut in gleicher Weise anzuordnen. Es besteht also Wiederholungsgefahr.
2. Zu Unrecht hat das FG hingegen angenommen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Teilnahme des Gemeindebediensteten nicht vorlagen.
Gemäß § 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FVG sind die Gemeinden hinsichtlich der Realsteuern (Gewerbe- und Grundsteuern: § 3 Abs. 2 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑, Art. 106 Abs. 6 Satz 1 des Grundgesetzes), die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, berechtigt, durch Gemeindebedienstete an Außenprüfungen teilzunehmen, die durch die Landesfinanzbehörden bei Steuerpflichtigen durchgeführt werden, die in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalten oder Grundbesitz haben, wenn die Außenprüfungen im Gemeindebezirk erfolgen.
a) Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass das FA für den Erlass eines Verwaltungsakts, der das Beteiligungsrecht der Gemeinde gegenüber der Klägerin im Sinne einer Duldungspflicht regelt, formell zuständig war (Senatsurteil vom 23.01.2020 ‑ III R 9/18, BFHE 268, 112, BStBl II 2020, 436, Rz 19 ff. und 25). Das FA ist die für die Außenprüfung zuständige Landesfinanzbehörde (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 FVG i.V.m. § 1, § 20, § 21 Nr. 1 Buchst. f der Verordnung über die Zuständigkeiten der Finanzämter in Nordrhein-Westfalen). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FVG lagen vor. Die Außenprüfung wurde u.a. für die Gewerbesteuer 2013 bis 2015 als Realsteuer (§ 3 Abs. 2 AO) angeordnet. Die Klägerin hat ihren Sitz im Gebiet der Gemeinde, die gegenüber dem FA das Teilnahmeersuchen gestellt hat; dort sollte die Außenprüfung stattfinden.
b) Zu Unrecht hat das FG hingegen angenommen, dass aufgrund des Bestehens von Vertragsbeziehungen zwischen Steuerpflichtigem und Gemeinde der Schutz des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) bereits dem Erlass der Teilnahmeanordnung durch das FA entgegensteht und im vorliegenden Fall das Teilnahmerecht der Gemeinde gemäß § 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FVG ausschließt.
aa) (1) Aus § 21 Abs. 3 FVG ergibt sich zwar eine das Steuergeheimnis (§ 30 AO) berührende Pflicht des FA gegenüber der Gemeinde, die ihr zustehenden Informationen, soweit die Realsteuer betroffen ist, mitzuteilen (Senatsurteil in BFHE 268, 112, BStBl II 2020, 436, Rz 30, m.w.N.).
(2) Die sich aus § 21 Abs. 3 FVG ergebende Mitteilungspflicht des FA besteht aber nicht schrankenlos. Wie der Senat im Urteil in BFHE 268, 112, BStBl II 2020, 436, Rz 31, m.w.N. ausgeführt hat, muss das FA dafür Sorge tragen, dass der Gemeinde nur solche Informationen mitgeteilt werden, die für den Gewerbeertrag i.S. des § 7 des Gewerbesteuergesetzes Bedeutung haben. Das heißt, dass eine Offenbarung nur bei realsteuerrelevanten Tatsachen in Betracht kommt. Insoweit kann (und muss) das FA jedoch erst während der Außenprüfung im Einzelnen prüfen, ob die Offenbarung bestimmter Informationen der Durchführung des Verfahrens "dient" (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 AO). Zudem hat die Offenbarung den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu genügen (Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 07.07.2008 ‑ II B 9/07, BFH/NV 2008, 1811; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 30 AO Rz 153; Härtwig, Finanz-Rundschau 2019, 871, 874).
Hierzu ist es erforderlich, dass der Steuerpflichtige während der jeweiligen Prüfung die Unterlagen und/oder Daten im Einzelnen bezeichnet, die seiner Ansicht nach schützenswert sind und von der Offenbarung gegenüber dem Gemeindebediensteten ausgenommen werden sollen. Zudem muss der Steuerpflichtige dem Außenprüfer des FA auch Gegenstand und Umfang der Vertragsbeziehungen zur Gemeinde erläutern, um dem FA eine Beurteilung zu ermöglichen, ob und ggf. in welchem Umfang die betreffenden Unterlagen gegenüber dem Gemeindebediensteten offenzulegen oder schutzwürdig sind. Den Steuerpflichtigen trifft also auch insoweit eine Informations- und Mitwirkungspflicht (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO).
Entscheidet sich das FA trotz des Geheimhaltungsbegehrens des Steuerpflichtigen für eine Offenlegung, muss es dies in Form eines im Einzelnen begründeten Verwaltungsakts tun. Hiergegen kann sich der Steuerpflichtige im Wege des ‑‑auch einstweiligen‑‑ Rechtsschutzes wehren (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 16.01.2013 ‑ III S 38/11, BFH/NV 2013, 701).
Dies ist jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall des Bestehens von Vertragsbeziehungen ausreichend, um etwaige Geheimhaltungsinteressen des Steuerpflichtigen zu schützen.
(3) Die Teilnahmeregelung (als Ergänzung zur Prüfungsanordnung) muss keine Maßnahmen bezeichnen, die abstrakt Konflikte über die Offenlegung vermeiden. Wie das FG und der IV. Senat des BFH in seiner Entscheidung vom 04.05.2017 ‑ IV B 10/17 (BFH/NV 2017, 1009, Rz 19) hält es der erkennende Senat für zweifelhaft, ob der Gefahr der Verwertung von (bereits erlangten) Prüfungserkenntnissen für eigene wirtschaftliche Interessen der Gemeinde mit Vorgaben zur institutionellen Trennung der Zuständigkeiten innerhalb der Gemeinde wirksam begegnet werden kann. Deshalb ist bereits auf der vorgelagerten Ebene der Offenlegung von Unterlagen und Daten zu prüfen, wie den berechtigten Interessen des Steuerpflichtigen genügt werden kann. Dies kann aber nur mit der auch vom IV. Senat im Beschluss in BFH/NV 2017, 1009, Rz 18 für einen Fall der Konkurrenz‑/Wettbewerbssituation befürworteten Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls geschehen. Hierzu muss im jeweiligen Einzelfall während der Prüfung die Schutzwürdigkeit der Unterlagen und/oder Daten beurteilt werden.
bb) Dies zugrunde gelegt, durfte das FG die Teilnahmeregelung nicht als rechtswidrig qualifizieren.
(1) Aufgrund § 21 Abs. 3 FVG ist das FA gegenüber der Gemeinde grundsätzlich verpflichtet, dieser die ihr zustehenden realsteuerrelevanten Informationen mitzuteilen.
(2) Entgegen der Auffassung des FG lässt sich aus dem Bestehen von Vertragsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Gemeinde und der daraus abgeleiteten abstrakten Gefahr einer Verletzung des Steuergeheimnisses kein Ausschluss des Teilnahmerechts der Gemeinde ableiten. Würde ‑‑wie das FG meint‑‑ allein das Bestehen irgendwelcher Vertragsbeziehungen zwischen Steuerpflichtigem und Gemeinde für einen Ausschluss der Teilnahme ausreichen, wäre das Teilnahmerecht der Gemeinde entweder faktisch ausgehöhlt oder aber die Gemeinde müsste zur Wahrung ihres Teilnahmerechts vorsorglich Vertragsbeziehungen zu ihren Standortunternehmen vermeiden, was nicht im Interesse der betroffenen Unternehmen liegen dürfte.
Daher kommt eine Beschränkung des Teilnahmerechts nach den dargestellten Rechtsgrundsätzen erst in Betracht, wenn die Klägerin während der Außenprüfung dem Prüfer konkret erläutert, welchen Gegenstand und Umfang die Vertragsbeziehungen zur Gemeinde haben und welche Unterlagen und/oder Daten sie im Hinblick auf diese Vertragsbeziehungen als schützenswert erachtet. Auf dieser Grundlage kann das FA die Unterlagen und/oder Daten der Klägerin in qualitativer Weise auf ihre Vertragssensibilität prüfen. Eine rein quantitative Betrachtung ‑‑wie sie das FG angestellt hat‑‑ würde entweder das Steuergeheimnis der Klägerin oder das Teilnahme- und Informationsinteresse der Gemeinde unverhältnismäßig beschränken.
Somit hat das FA während der Prüfung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Klägerin und dem Offenlegungsinteresse der Gemeinde abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen, welche Unterlagen und/oder Daten offenbart werden können. Hiergegen kann sich die Klägerin dann erforderlichenfalls im konkreten Einzelfall durch die Einlegung von Rechtsbehelfen wehren.
(3) Entgegen der Auffassung des FG muss die Teilnahmeregelung ‑‑wie ausgeführt‑‑ mithin keine abstrakten Schutzmechanismen bezeichnen, die verhindern sollen, dass zur Kenntnis des Gemeindeprüfers gelangte sensible Daten innerhalb der Gemeindeverwaltung an mit den Vertragsbeziehungen befasste Bedienstete weitergeleitet werden. Solche Sicherungsmaßnahmen sind entbehrlich, da die Klägerin während der Prüfung ihre für die Vertragsbeziehungen relevanten Geschäftsgeheimnisse auf die dargelegte Weise schützen kann.
3. Da die Revision des FA bereits mit der Sachrüge Erfolg hat, kommt es nicht darauf an, ob das FA Verfahrensfehler in zulässiger Weise gerügt hat und ob diese Verfahrensfehler tatsächlich vorliegen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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