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BFH: Aufhebung eines FG-Urteils gegen den falschen Beklagten

Ein nach einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel gegen den falschen Beklagten ergangenes Urteil des FG ist auf die Revision des falschen Beklagten hin auf­zuheben. Der Rechtsstreit ist in einem solchen Fall an das FG zurückzuverwei­sen, wenn der richtige Beklagte selbst nicht ebenfalls Revision eingelegt hat und der Prozessführung des falschen Beklagten im Revisionsverfahren auch nicht zugestimmt hat.

FGO § 57 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nr. 1, § 122 Abs. 1
AO § 122 Abs. 5, § 365 Abs. 1
FAZVO § 2

BFH-Urteil vom 13.12.2022, VIII R 33/20 (veröffentlicht am 9.3.2023)

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 20.10.2020, 5 K 1511/17 = SIS 20 18 94

I. Mit Abrechnungsbescheid vom 25.11.2015 stellte die Beklagte und Revisions­klägerin (Landesfinanzkasse X ‑‑LFK‑‑) fest, dass nacherhobene Kapital­ertragsteuer in Höhe von 7.892,37 € nicht auf die Einkommensteuer 2007 an­zurechnen sei. Der Inhaltsadressat des Abrechnungsbescheids, der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), legte bei der LFK Einspruch ein. Diesen Einspruch wies zunächst das Veranlagungsfinanzamt (Finanzamt Y ‑‑FA‑‑), durch Einspruchsentscheidung vom 15.08.2016 als unbegründet zurück. Auf die ge­gen das FA erhobene Klage des Klägers hob das FA nach Hinweis des Finanz­gerichts (FG) Rheinland-Pfalz die Einspruchsentscheidung "wegen sachlicher Unzuständigkeit (§ 367 Abs. 1 S. 1 AO)" isoliert auf. Die Beteiligten erklärten daraufhin dieses Klageverfahren (mit dem Aktenzeichen 3 K 2081/16) in der Hauptsache für erledigt.

Im Anschluss daran wies die LFK den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die auf den 05.04.2017 datierte Einspruchsentscheidung wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der Zustellungsurkunde am 05.04.2017 (d.h. an dem Tag der Einspruchsentscheidung) durch persönliche Übergabe zugestellt.

Am 08.05.2017 (Montag) erhob der Kläger per Vorab-Fax Klage. Durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 107 veröffentlichte Urteil vom 20.10.2020 ‑ 5 K 1511/17 gab das FG der Klage statt. Es änderte den Abrech­nungsbescheid vom 25.11.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.04.2017 und stellte für den Kläger einen "Anspruch auf Anrechnung bzw. Rückerstattung von Kapitalertragsteuer in Höhe von 7.602,48 €" fest.

Mit ihrer Revision rügt die LFK die Verletzung von materiellem Recht (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑ und § 37 Abs. 2 der Ab­gabenordnung ‑‑AO‑‑) und die Verletzung von Verfahrensrecht (§ 63 Abs. 1 Nr. 1, § 57 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑, § 17 Abs. 2 des Finanz­verwaltungsgesetzes ‑‑FVG‑‑ i.V.m. § 2 der Landesverordnung über Zustän­digkeiten der Finanzämter Rheinland-Pfalz ‑‑FAZVO‑‑ in der Fassung vom 24.08.2018 sowie § 44 Abs. 1, § 67 Abs. 1 FGO).

Einen Verfahrensmangel sieht die LFK insbesondere darin, dass das FG das Ur­teil gegen sie als die falsche Beklagte erlassen habe. Gemäß § 2 FAZVO in der Fassung vom 24.08.2018 sei die Zuständigkeit für die Erteilung von Abrech­nungsbescheiden i.S. des § 218 Abs. 2 AO auf die Finanzämter übergegangen. Der dadurch bewirkte Zuständigkeitswechsel habe während des finanzgericht­lichen Verfahrens zu einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel geführt. Das FG habe die Sachurteilsvoraussetzung der passiven Prozessführungsbefugnis der LFK zu Unrecht bejaht.

In diesem Zusammenhang verweist die LFK auch auf ein Schreiben des FA vom 28.01.2021, nach dem das FA der Prozessführung durch die LFK nicht zustimmt.

Die LFK beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des FG Rheinland-Pfalz vom 20.10.2020 ‑ 5 K 1511/17 die Klage abzuweisen und dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er habe gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO Klage gegen die LFK erhoben, die den Abrechnungsbescheid vom 25.11.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 05.04.2017 erlassen habe. Der Zuständigkeitswechsel sei erst zum 24.08.2018 und damit nach dem Erlass des streitgegenständlichen Bescheids und der Einspruchsentscheidung eingetreten. Der nachträgliche Wechsel der verwaltungsinternen Zuständigkeit führe nicht dazu, dass das Urteil gegen den falschen Beklagten ergangen sei.

Das mit der Revisionsbegründung übersandte Schreiben des FA vom 28.01.2021 könne daran nichts ändern. Es liege zumindest eine stillschwei­gende Zustimmung zur Prozessführung der LFK vor. Der Prozessvertreter der LFK habe eine vermeintlich fehlende Prozessführungsbefugnis weder im vorbe­reitenden Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung gerügt, sondern vor­behaltlos verhandelt und beantragt, die Klage abzuweisen. Es erscheine le­bensfremd, dass die LFK ohne Zustimmung den Prozess führe und ein Urteil gegen sich ergehen lasse. Zudem habe der Prozessvertreter der LFK in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben, dass die Sache mit dem Lan­desamt für Steuern Rheinland-Pfalz (LfSt), der für die LFK und für das FA übergeordneten Landesbehörde, abgestimmt sei. Aus dem Gesamtzusammen­hang müsse auf eine vorliegende Zustimmung zur Prozessführung geschlossen werden, andernfalls wäre ein solches bewusstes Verhalten treuwidrig.

II. Die Revision der LFK ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

1. Die Revision ist zulässig. Die LFK ist zur Revisionseinlegung unabhängig da­von berechtigt, ob das stattgebende FG-Urteil aufgrund des in der ersten Ins­tanz eingetretenen gesetzlichen Beteiligtenwechsels gegen sie als die falsche Beklagte ergangen ist.

Gemäß § 115 Abs. 1 FGO steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfi­nanzhof (BFH) insbesondere dann zu, wenn das FG sie ‑‑wie im Streitfall‑‑ zu­gelassen hat. Beteiligte am Verfahren sind gemäß § 57 Nrn. 1 und 2 FGO der Kläger und der Beklagte (vgl. zum Revisionsverfahren § 122 Abs. 1 FGO). Ist das Urteil gegen einen falschen Beteiligten ergangen, weil das FG einen nach Erhebung der Klage eingetretenen gesetzlichen Beteiligtenwechsel übersehen hat, ist auch ein irrtümlich als Verfahrensbeteiligter Behandelter zur Einlegung der Revision befugt, da er die Möglichkeit haben muss, das zu Unrecht gegen ihn ergangene Urteil zu beseitigen (vgl. BFH-Urteil vom 21.06.1994 ‑ VIII R 24/92, BFH/NV 1994, 763, unter I. [Rz 14]). Die Befugnis eines fal­schen Beklagten zur Revisionseinlegung besteht in einem solchen Fall neben der Revisionsbefugnis des am Verfahren bislang noch nicht beteiligten, richti­gen Beklagten (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 763, unter I. [Rz 15 f.]; Rüsken in Gosch, FGO § 122 Rz 5).

2. Die Revision der LFK ist auch begründet. Das FG hat verfahrensfehlerhaft den aus der geänderten Fassung des § 2 FAZVO folgenden gesetzlichen Betei­ligtenwechsel nicht beachtet und das Urteil vom 20.10.2020 ‑ 5 K 1511/17 ge­gen die LFK als die falsche Beklagte erlassen.

a) Die Prozessführungsbefugnis der beklagten Behörde ist eine Sachurteilsvo­raussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens, deren fehlerhafte Beurteilung durch das FG einen Verfahrensmangel darstellt. Das Vorliegen der Sachurteils­voraussetzungen hat der BFH als Revisionsgericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (vgl. BFH-Urteile vom 03.04.2008 ‑ IV R 54/04, BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742, unter II.1.a, und vom 02.12.2015 ‑ I R 3/15, BFH/NV 2016, 939, Rz 9).

b) § 63 FGO bestimmt, welche Behörde am finanzgerichtlichen Verfahren als Beklagte (§ 57 Nr. 2 FGO) zu beteiligen ist. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist bei der Anfechtung eines Bescheids die Klage gegen diejenige Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat. Danach hat der Kläger im Jahr 2017 zu Recht Klage gegen die LFK erhoben.

c) Die Vorinstanz hat jedoch nicht beachtet, dass durch die Änderung des § 2 FAZVO während des Klageverfahrens auf der Beklagtenseite ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel eintrat.

aa) Wird nach der Erhebung der Klage statt der beklagten Behörde eine ande­re Finanzbehörde zuständig, so bleibt die prozessuale Stellung der beklagten Behörde hiervon grundsätzlich unberührt. Eine Ausnahme gilt insbesondere dann, wenn der Zuständigkeitswechsel auf einem Organisationsakt der Ver­waltung beruht. In diesem Fall kommt es zu einem gesetzlichen Beteiligten­wechsel dergestalt, dass das neu zuständig gewordene Finanzamt ohne Ver­fahrensunterbrechung auf der Beklagtenseite in den anhängigen Rechtsstreit eintritt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742, unter II.1.c [Rz 32], und in BFH/NV 2016, 939, Rz 11).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist das FG-Urteil rechtsfehlerhaft, weil das FG die passive Prozessführungsbefugnis der LFK im Urteilszeitpunkt zu Unrecht bejaht hat. Es hat die LFK weiterhin als Beteiligte angesehen, obgleich ihre passive Prozessführungsbefugnis entfallen und auf das FA übergegangen war. Diese Rechtslage hat das FG verkannt, so dass sein Urteil keinen Bestand ha­ben kann.

Bei der FAZVO handelt es sich um die rheinland-pfälzische Landesverordnung über Zuständigkeiten der Finanzämter (vgl. zur sachlichen Zuständigkeit allge­mein § 16 AO i.V.m. § 17 FVG). Nach § 2 Satz 2 FAZVO in der Fassung vom 24.08.2018, die während der Anhängigkeit des durch das Urteil vom 20.10.2020 abgeschlossenen Klageverfahrens am 29.09.2018 in Kraft trat, ist die LFK zuständig für die Führung der Kassengeschäfte einschließlich der Er­teilung von Abrechnungsbescheiden i.S. des § 218 Abs. 2 AO, jedoch mit Aus­nahme der Fälle, in denen nach § 36 Abs. 2 Nrn. 2 oder 3 EStG über die An­rechnung von Steuerabzugsbeträgen auf die Einkommensteuer zu entscheiden ist. Bei der Neufassung des § 2 FAZVO handelt es sich um einen Organisati­onsakt des Verordnungsgebers. Jedenfalls danach ist die LFK nicht (mehr) zu­ständig für Abrechnungsbescheide, die Anrechnungen auf die Einkommensteu­er gemäß § 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 EStG betreffen. Der Abrechnungsbescheid vom 25.11.2015 ist ein solcher Abrechnungsbescheid über die (Nicht‑)Anrech­nung von Kapitalertragsteuer. Zuständig ist nach der Neufassung des § 2 Satz 2 FAZVO das FA als das für den Kläger zuständige Veranlagungsfinanz­amt.

Danach hat das FG im Zeitpunkt seiner Entscheidung die LFK zu Unrecht als Beteiligte des Klageverfahrens angesehen. Die Beteiligtenfähigkeit einer Be­hörde als Beklagte ist nur gewahrt, wenn sie auch noch im Zeitpunkt der Ge­richtsentscheidung die Verwaltungskompetenz besitzt, den angefochtenen Be­scheid zu erlassen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 763, unter II. [Rz 19]). Durch die Neufassung des § 2 Satz 2 FAZVO war die LFK für den Abrech­nungsbescheid vom 25.11.2015 nicht mehr sachlich zuständig und daher im Klageverfahren nicht mehr passiv prozessführungsbefugt. Infolgedessen ist das FA im Wege des gesetzlichen Beteiligtenwechsels in die Beklagtenrolle ein­getreten.

Der Mangel der fehlenden Prozessführungsbefugnis der LFK wurde auch nicht durch eine Zustimmung des FA zu deren Prozessführung geheilt. Die mangeln­de passive Prozessführungsbefugnis kann durch die ausdrückliche oder still­schweigende Zustimmung des richtigen Beklagten zur Prozessführung jeder­zeit ‑‑also auch noch während des Revisionsverfahrens‑‑ geheilt werden (BFH-Urteil in BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742, unter II.1.d [Rz 36]). Dies ist im Streitfall jedoch nicht geschehen. Nach den für den Senat maßgeblichen tat­sächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) blieb die LFK im erstins­tanzlichen Verfahren weder aufgrund einer ausdrücklichen Zustimmung des FA noch aufgrund einer konkludenten Zustimmung des FA prozessführungsbefugt. Ebenso wenig sind Anhaltspunkte für ein treuwidriges Verhalten der LFK oder des FA gegeben. Die von der LFK in der mündlichen Verhandlung offengelegte inhaltliche Abstimmung mit dem LfSt als der gemeinsamen Oberbehörde des FA und der LFK genügt nicht, um eine Zustimmung zur Prozessführung oder einen Verstoß gegen Treu und Glauben festzustellen. Auch in der Revisions­instanz ist keine Heilung durch eine Zustimmung des FA zur Prozessführung der LFK eingetreten. Die Zustimmung des FA kann nicht wegen einer ver­meintlichen Treuwidrigkeit der beteiligten rheinland-pfälzischen Behörden fingiert werden.

3. Mangels Beteiligung des richtigen Beklagten am Revisionsverfahren kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Das zuständige FA hat weder Revision eingelegt noch hat es der Prozessführung durch die LFK im Revisions­verfahren zugestimmt.

4. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Im zweiten Rechtsgang wird das FG unter Beteiligung des zuständigen FA als Beklagten über die Klage zu entscheiden haben. Im Hinblick darauf weist der Senat darauf hin, dass Zweifel an der Zulässigkeit der Klage des Klä­gers bezüglich der Klagefrist bestehen. Da die der Klageerhebung vorausge­gangene Einspruchsentscheidung den Bevollmächtigten des Klägers am 05.04.2017 durch persönliche Übergabe nach § 365 Abs. 1, § 122 Abs. 5 AO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt wurde, endete die einmonatige Klagefrist (§ 47 Abs. 1 FGO) gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerli­chen Gesetzbuchs bereits mit Ablauf des 05.05.2017 (Freitag). Die Klage wur­de nach Aktenlage indes erst am 08.05.2017 (Montag) erhoben. Sie könnte verfristet sein, weil Anhaltspunkte für einen Zustellungsfehler nicht ersichtlich sind und die Dreitagefiktion (§ 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO) im Fall der förmlichen Zustellung eines Verwaltungsakts und insbesondere einer Ein­spruchsentscheidung (§ 366 AO) nicht gilt (vgl. BFH-Urteil vom 19.06.1991 ‑ I R 77/89, BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826; BFH-Beschlüsse vom 15.10.2008 ‑ VII B 14/08, BFH/NV 2009, 115, und vom 25.03.2011 ‑ II B 141/10, BFH/NV 2011, 1006, und Klein/Ratschow, AO, 16. Aufl., § 122 Rz 79).

5. Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Ver­handlung (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).

6. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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