EuGH zur Unionsrechtmäßigkeit der Hinzurechnung von Dividenden aus Auslandsbeteiligungen nach § 8 Nr. 5 GewStG im Erhebungszeitraum 2001
Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Kapitalverkehr – Art. 63 AEUV – Gewerbesteuer – Ermittlung der Bemessungsgrundlage dieser Steuer – Ermittlungsmodalitäten – Dividenden aus Beteiligungen an inländischen und an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % – Einbeziehung in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer – Zeitpunkt der Einbeziehung – Unterschiedliche Behandlung – Beschränkung – Fehlen
EuGH-Urteil vom 22. Juni 2023, Rechtssache C-258/22
Vorinstanz: BFH 23.11.2021, I R 5/18 = SIS 22 05 61
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einer Gesellschaft Dividenden, die aus Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % stammen, der Bemessungsgrundlage wieder hinzugerechnet werden, wenn und soweit diese Dividenden in einem vorangegangenen Ermittlungsschritt von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden sind, während Dividenden, die aus vergleichbaren Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften stammen, von Anfang an zur Bemessungsgrundlage gehören, ohne von ihr abgezogen und folglich ohne ihr wieder hinzugerechnet zu werden.
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der H Lebensversicherung und dem Finanzamt Hannover-Nord (Deutschland) (im Folgenden: Finanzamt) über die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer für das Jahr 2001.
Deutsches Recht
Einkommensteuergesetz
3 § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (im Folgenden: UntStFG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. 2001 I S. 3858) lautet:
„(1) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören
- Gewinnanteile (Dividenden), Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien, Genussrechten, mit denen das Recht am Gewinn und Liquidationserlös einer Kapitalgesellschaft verbunden ist, aus Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sowie an bergbautreibenden Vereinigungen, die die Rechte einer juristischen Person haben.“
Körperschaftsteuergesetz
4 § 8b Abs. 1 und 3 des Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung des UntStFG (im Folgenden: KStG) bestimmt:
„(1) Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes bleiben bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. …
…
(3) Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen.“
5 § 34 Abs. 4 Nr. 1 KStG lautet:
„(4) § 8b ist erstmals anzuwenden für
- Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes, auf die bei der ausschüttenden Körperschaft der Vierte Teil des Körperschaftsteuergesetzes in der Fassung des Artikels 4 des Gesetzes vom 14. Juli 2000 (BGBl. I S. 1034) nicht mehr anzuwenden ist.“
6 In § 34 Abs. 7 KStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl. 2003 I S. 2840) (im Folgenden: KStG n. F.) heißt es:
„(7) § 8b ist erstmals anzuwenden für
…
[Satz 8] § 8b Abs. 8 und § 21 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 sind anzuwenden:
…
- auf einheitlichen, bis zum 30. Juni 2004 zu stellenden, unwiderruflichen Antrag bereits für die Veranlagungszeiträume 2001 bis 2003, bei vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahren für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 (Rückwirkungszeitraum). Dabei ist § 8b Abs. 8 in folgender Fassung anzuwenden:
‚(8) Die Absätze 1 bis 7 sind anzuwenden auf Anteile, die bei Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen den Kapitalanlagen zuzurechnen sind, mit der Maßgabe, dass die Bezüge, Gewinne und Gewinnminderungen zu 80 vom Hundert bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen sind. …‘“
Gewerbesteuergesetz
7 § 6 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des UntStFG (im Folgenden: GewStG) bestimmt, dass die Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer der Gewerbeertrag ist.
8 Nach § 7 GewStG ist Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge.
9 In § 8 GewStG heißt es:
„Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7) werden folgende Beträge wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind:
…
- die nach § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes oder § 8b Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes außer Ansatz bleibenden Gewinnanteile (Dividenden) und die diesen gleichgestellten Bezüge und erhaltenen Leistungen aus Anteilen an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, soweit sie nicht die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2a oder 7 erfüllen, nach Abzug der mit diesen Einnahmen, Bezügen und erhaltenen Leistungen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben, soweit sie nach § 3c des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes unberücksichtigt bleiben. …“
10 In § 9 GewStG heißt es:
„Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird gekürzt um
…
- die Gewinne aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes, an deren Nennkapital das Unternehmen seit Beginn des Erhebungszeitraums ununterbrochen mindestens zu einem Zehntel beteiligt ist (Tochtergesellschaft) …“
11 § 36 Abs. 4 GewStG lautet:
„§ 8 Nr. 5 ist erstmals für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden.“
Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften
12 § 40 Abs. 2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften in der Fassung des UntStFG bestimmt:
„Auf ausgeschüttete und nicht zur Ausschüttung oder Kostendeckung verwendete inländische und ausländische Einnahmen des Wertpapier-Sondervermögens im Sinne des § 38b Abs. 5 sind § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 1 und § 37 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
13 Die H Lebensversicherung ist eine der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegende Anstalt des öffentlichen Rechts, die ein Lebensversicherungsunternehmen betreibt. Sie bezog im Erhebungszeitraum 2001 Dividenden von mehreren ausländischen Kapitalgesellschaften, an denen sie unmittelbare Beteiligungen von weniger als 10 % des Kapitals hielt, sowie Dividenden aus diesen Beteiligungen an Wertpapier-Sondervermögen (Investmentfonds). Die von den Wertpapier-Sondervermögen vorgenommenen Ausschüttungen beruhten auf Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften, an denen die Investmentfonds zu weniger als 10 % beteiligt waren.
14 Mit Antrag vom April 2004 übte die H Lebensversicherung das Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen zustehende Wahlrecht nach § 34 Abs. 7 Satz 8 Nr. 2 KStG n. F. aus.
15 Im Rahmen der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer der H Lebensversicherung legte das Finanzamt gemäß § 7 Satz 1 GewStG als Gewerbeertrag den nach den Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnden Gewinn fest. Aufgrund der Ausübung des Wahlrechts nach § 34 Abs. 7 Satz 8 Nr. 2 KStG n. F. waren ab dem Erhebungszeitraum 2001 gemäß § 8b Abs. 1 KStG 20 % der Dividendeneinnahmen aus den Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % für die Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Gewinns der H Lebensversicherung nicht zu berücksichtigen. Diese 20 % der Dividenden, die bei der Ermittlung dieses Gewinns nicht berücksichtigt worden waren, wurden jedoch vom Finanzamt gemäß § 8 Nr. 5 Satz 1 GewStG dem Gewinn wieder hinzugerechnet. Auf dieser Grundlage stellte das Finanzamt den vortragsfähigen Gewerbeverlust der H Lebensversicherung zum 31. Dezember 2001 gesondert fest.
16 Mit einer Klage vor dem Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland) wandte sich die H Lebensversicherung gegen die Anwendung von § 8 Nr. 5 Satz 1 GewStG und die daraus folgende Hinzurechnung von 20 % der Dividenden, wobei sie eine Ungleichbehandlung gegenüber Dividenden inländischer Gesellschaften geltend machte. Tatsächlich war § 8b Abs. 1 KStG im Jahr 2001 noch nicht auf Dividendenausschüttungen inländischer Kapitalgesellschaften anwendbar und eine solche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG bei diesen Dividenden daher ausgeschlossen. Nach Auffassung der H Lebensversicherung führte die vom Sitz der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft abhängende unterschiedliche zeitliche Anwendbarkeit dieser Bestimmung zu einer Diskriminierung der Auslandssachverhalte und verstieß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.
17 Nachdem dieses Gericht der Klage der H Lebensversicherung mit Urteil vom 25. Januar 2018 stattgegeben hatte, legte das Finanzamt Revision beim Bundesfinanzhof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein.
18 Der Bundesfinanzhof führt erstens aus, dass der Revision auf der Grundlage des nationalen Rechts stattzugeben sei. Die Dividenden, die die H Lebensversicherung im Erhebungszeitraum 2001 aus den Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % bezogen habe, unterlägen in voller Höhe der Gewerbesteuer. Das Gleiche gelte für die Ausschüttungen der Wertpapier-Sondervermögen, soweit diese ihrerseits aus Ausschüttungen aus Beteiligungen von weniger als 10 % stammten.
19 Der Bundesfinanzhof erläutert, dass gemäß § 6 GewStG die Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer der Gewerbeertrag sei, der nach § 7 GewStG durch eine zweistufige Berechnungsweise ermittelt werde.
20 Im ersten Ermittlungsschritt werde der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu ermittelnde Gewinn aus Gewerbebetrieb herangezogen. Im zweiten Ermittlungsschritt würden Hinzurechnungen nach § 8 und Kürzungen nach § 9 GewStG vorgenommen.
21 Da die H Lebensversicherung ihr Wahlrecht nach § 34 Abs. 7 Satz 8 Nr. 2 KStG n. F. ausgeübt habe, sei § 8b Abs. 1 KStG auf die Dividenden anzuwenden, die die H Lebensversicherung im Erhebungszeitraum 2001 von ausländischen Kapitalgesellschaften unmittelbar oder mittelbar über Beteiligungen an Investmentfonds eingenommen habe, so dass im ersten Ermittlungsschritt nur 80 % dieser Dividenden bei der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen seien.
22 Im zweiten Ermittlungsschritt seien die 20 % der Dividenden von ausländischen Kapitalgesellschaften, die im ersten Schritt nicht berücksichtigt worden seien, wieder hinzuzurechnen. Nach § 8 Nr. 5 des Gewerbesteuergesetzes, der erstmals für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden gewesen sei, würden nämlich Dividenden, die gemäß § 8b Abs. 1 KStG nicht berücksichtigt worden seien, dem Gewerbeertrag wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung dieses Gewinns abgezogen worden seien. Eine solche Hinzurechnung habe zur Folge, dass die Dividenden aus den Beteiligungen an diesen Unternehmen in voller Höhe der Gewerbesteuer unterlägen.
23 Zweitens führt das vorlegende Gericht aus, dass im Erhebungszeitraum 2001 die Bestimmungen, nach denen im ersten Schritt der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer 20 % der an die H Lebensversicherung ausgeschütteten Dividenden nicht berücksichtigt worden seien, nur auf Dividenden aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften anwendbar gewesen seien. Auf Dividenden, die von inländischen Kapitalgesellschaften ausgeschüttet worden seien, sei § 8b Abs. 1 KStG erstmals im Erhebungszeitraum 2002 anwendbar gewesen. Folglich mussten Dividenden aus Beteiligungen an inländischen Gesellschaften, die im Erhebungszeitraum 2001 ausgeschüttet worden seien, bereits in diesem ersten Schritt in voller Höhe berücksichtigt werden. Daher sei im zweiten Ermittlungsschritt keine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG vorzunehmen gewesen. Diese Bestimmung sei nämlich nur anwendbar, wenn und soweit die Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG nicht berücksichtigt worden seien. Die Dividenden aus Beteiligungen an inländischen Gesellschaften, die im Erhebungszeitraum 2001 ausgeschüttet worden seien, unterlägen demnach im Ergebnis in voller Höhe der Gewerbesteuer.
24 Drittens weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass er mit Urteil vom 6. März 2013 in einem vergleichbaren Fall entschieden habe, dass der Umstand, dass die Hinzurechnungsvorschrift von § 8 Nr. 5 GewStG auf Dividendeneinnahmen aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften erstmals für den Erhebungszeitraum 2001 anzuwenden gewesen sei, der unionsrechtlich verbürgten Freiheit des Kapitalverkehrs widersprochen habe.
25 Allerdings bezweifelt der Bundesfinanzhof, dass im Ausgangsrechtsstreit die Hinzurechnung von Dividenden aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften, die nach § 8 Nr. 5 GewStG für den Erhebungszeitraum 2001 vorgeschrieben gewesen sei, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstelle. Die Anwendung dieser Bestimmung auf Dividenden aus Beteiligungen am Kapital ausländischer Gesellschaften von weniger als 10 % habe nämlich nicht dazu geführt, dass diese Dividenden steuerlich weniger günstig behandelt würden als Dividenden aus vergleichbaren Beteiligungen an inländischen Gesellschaften. In beiden Fällen seien die Dividenden aus Beteiligungen von weniger als 10 % in voller Höhe in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einbezogen worden. Die Hinzurechnung von Dividenden aus Beteiligungen an ausländischen Unternehmen führe nur zu einer steuerlichen Gleichbehandlung von inländischen und von grenzüberschreitenden Investitionen, da ohne diese Hinzurechnung die Dividenden, die im Erhebungszeitraum 2001 aus Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % eingenommen worden seien, eine günstigere gewerbesteuerliche Behandlung erfahren hätten als Dividendeneinnahmen aus vergleichbaren Inlandsbeteiligungen. Daher erscheine es wenig wahrscheinlich, dass solche Unterschiede in den beiden Schritten der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer, die sich nicht auf die Höhe der Steuer auswirkten, gewerbesteuerpflichtige Anleger davon abhalten könnten, in ausländische Unternehmen zu investieren.
26 Des Weiteren weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass er nicht mehr an seiner im Urteil vom 6. März 2013 vertretenen und in Rn. 24 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Auffassung festhalte, wonach ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens mit dem Sachverhalt vergleichbar sei, der Gegenstand der Rechtssache gewesen sei, in dem das Urteil vom 22. Januar 2009, STEKO Industriemontage (C‑377/07, EU:C:2009:29), ergangen sei. Zwar habe der letztgenannte Sachverhalt auch die Anwendung von § 8b KStG auf Einkünfte aus Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften im Erhebungszeitraum 2001 betroffen. Anders als im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens habe in der Rechtssache, in der das letztgenannte Urteil ergangen sei, für Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften im Erhebungszeitraum 2001 eine höhere Körperschaftsteuer gegolten als für entsprechende Beteiligungen an inländischen Gesellschaften. Im vorliegenden Fall führe die Hinzurechnung gemäß § 8 Nr. 5 GewStG aber letztlich nicht zu einer ungünstigeren steuerlichen Behandlung von Sachverhalten mit Auslandsbezug.
27 Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV) dahin auszulegen, dass er der Vorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einer Körperschaft Dividenden, die aus Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % (Streubesitzbeteiligungen) stammen, der Bemessungsgrundlage wieder hinzugerechnet werden, wenn und soweit diese Dividenden in einem vorangegangenen Ermittlungsschritt von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden sind, während hinsichtlich solcher Dividenden, die aus Streubesitzbeteiligungen an Kapitalgesellschaften mit Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat stammen, bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer kein Abzug und folglich auch keine (Wieder‑)Hinzurechnung der Dividenden stattfindet?
Zur Vorlagefrage
28 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einer Gesellschaft Dividenden, die aus Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % stammen, der Bemessungsgrundlage wieder hinzugerechnet werden, wenn und soweit diese Dividenden in einem vorangegangenen Ermittlungsschritt von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden sind, während Dividenden, die aus vergleichbaren Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften stammen, von Anfang an zur Bemessungsgrundlage gehören, ohne von ihr abgezogen und folglich ohne ihr wieder hinzugerechnet zu werden.
29 Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet ganz allgemein Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.
30 Nach ständiger Rechtsprechung stellen u. a. Maßnahmen, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in einem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten, Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs dar (Urteil vom 16. Juni 2022, ACC Silicones, C‑572/20, EU:C:2022:469, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Zu den nationalen Maßnahmen, die als „Beschränkungen“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, gehören u. a. Maßnahmen, mit denen eine Ungleichbehandlung geschaffen wird, die, wenn sie dazu führt, dass Einkünfte, die eine in einem Mitgliedstaat ansässige Person aus einem anderen Mitgliedstaat bezieht, gegenüber Einkünften aus dem ersten Mitgliedstaat ungünstiger behandelt werden, geeignet ist, eine solche Person davon abzuhalten, ihr Kapital in einem anderen Mitgliedstaat zu investieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 2021, Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö [Einkünfte aus OGAW], C‑480/19, EU:C:2021:334, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
32 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass im Erhebungszeitraum 2001 bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer unterschiedliche Besteuerungsmodalitäten für Dividenden, die von inländischen Gesellschaften bezogen wurden, und für Dividenden, die von ausländischen Gesellschaften bezogen wurden, galten.
33 Wie das vorlegende Gericht ausführt, waren nämlich im Erhebungszeitraum 2001 die Bestimmungen, nach denen im ersten Ermittlungsschritt 20 % der bezogenen Dividenden nicht in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einbezogen wurden, nur auf Dividenden aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften anwendbar. Daher fielen im zweiten Ermittlungsschritt nur diese Dividenden unter § 8 Nr. 5 GewStG, wonach Dividenden, die nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz geblieben waren, dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wieder hinzugerechnet wurden, soweit sie bei der Ermittlung dieses Gewinns abgesetzt worden waren. Dies hatte zur Folge, dass die 20 % der Dividenden, die zuvor von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden waren, dieser wieder hinzugerechnet wurden.
34 Auf Dividenden, die von inländischen Kapitalgesellschaften ausgeschüttet wurden, war § 8b Abs. 1 KStG erstmals im Erhebungszeitraum 2002 anwendbar. Dies bedeutete, dass bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer für eine Gesellschaft die Dividenden, die im Erhebungszeitraum 2001 ausgeschüttet worden waren, bereits im ersten Ermittlungsschritt in voller Höhe berücksichtigt werden mussten. Da § 8b Abs. 1 KStG nicht anwendbar war, blieb kein Teil dieser Dividenden außer Ansatz. Folglich war im zweiten Ermittlungsschritt auch keine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 5 GewStG vorzunehmen, da diese Bestimmung nur anwendbar war, wenn und soweit Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG nicht berücksichtigt worden waren.
35 Wie aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts hervorgeht, führte eine solche Ungleichbehandlung in den beiden Ermittlungsschritten der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer dazu, dass sowohl die von inländischen als auch die von ausländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden vollständig in diese Bemessungsgrundlage einbezogen wurden und derselben steuerlichen Belastung unterlagen. Die von inländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden wurden von Anfang an in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Die von ausländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden wurden im ersten Ermittlungsschritt zu 80 % in diese Bemessungsgrundlage einbezogen, und die verbleibenden 20 % wurden ihr im zweiten Ermittlungsschritt wieder hinzugerechnet, so dass sie im Erhebungszeitraum 2001 zu 100 % der Gewerbesteuer unterlagen.
36 Die in den beiden Ermittlungsschritten der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer erfolgende Ungleichbehandlung von Dividenden, die von inländischen Gesellschaften ausgeschüttet werden, und von Dividenden, die von ausländischen Gesellschaften ausgeschüttet werden, führt daher nicht zu einer Benachteiligung der Letzteren gegenüber den Ersteren, da in beiden Fällen die Dividenden in voller Höhe in diese Bemessungsgrundlage einbezogen werden.
37 Vielmehr sollen diese Ungleichbehandlung und insbesondere die von der H Lebensversicherung beanstandete Hinzurechnung von 20 % der Dividenden zur Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer sicherstellen, dass die von ausländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden der gleichen steuerlichen Belastung unterliegen wie die von inländischen Gesellschaften ausgeschütteten, indem sie in voller Höhe in diese Bemessungsgrundlage einbezogen werden.
38 Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens von dem der Rechtssache, in der das Urteil vom 22. Januar 2009, STEKO Industriemontage (C‑377/07, EU:C:2009:29), ergangen ist. In jener Rechtssache führte die Anwendung zweier unterschiedlicher Körperschaftsteuerregelungen für den Erhebungszeitraum 2001 auf Dividenden, die von inländischen Gesellschaften ausgeschüttet worden waren, und auf Dividenden, die von ausländischen Gesellschaften ausgeschüttet worden waren, dazu, dass nur die Gesellschaften, die Beteiligungen an inländischen Gesellschaften hielten, einen Steuervorteil erlangen konnten.
39 Mit jenem Urteil hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass sich inländische Gesellschaften mit im Wert gesunkenen Anteilen an ausländischen Gesellschaften aufgrund der Anwendung – für den Veranlagungszeitraum 2001 – zweier unterschiedlicher Körperschaftsteuerregelungen auf Dividenden, die von inländischen Gesellschaften ausgeschüttet worden waren, und auf Dividenden, die von ausländischen Gesellschaften ausgeschüttet worden waren, in diesem Veranlagungszeitraum in einer ungünstigeren Lage befanden als diejenigen, die solche Anteile an inländischen Gesellschaften hielten, denn eine inländische Gesellschaft konnte von ihren zu versteuernden Einkünften die Gewinnminderungen, die auf eine Teilwertabschreibung der Anteile an inländischen Gesellschaften zurückgingen, abziehen; demgegenüber konnte sie solche Gewinnminderungen von ihren zu versteuernden Einkünften nicht abziehen, wenn sie aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften herrührten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2009, STEKO Industriemontage, C‑377/07, EU:C:2009:29, Rn. 25 und 26).
40 Dagegen sind, wie in den Rn. 35 und 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens sowohl die von inländischen als auch die von ausländischen Gesellschaften bezogenen Dividenden vollständig in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einbezogen und unterliegen derselben steuerlichen Belastung.
41 Dem Vorbringen der H Lebensversicherung, dass sich eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs aus der Komplexität der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften sowie aus deren Unvorhersehbarkeit aufgrund der Reform und des Umstands ergebe, dass eine Unsicherheit in Bezug auf die Anlageergebnisse nur bei Investitionen in ausländische Gesellschaften bestanden habe, ist nicht zu folgen. Zum einen ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, wie in Rn. 14 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dass die Anwendung dieser Vorschriften darauf zurückgeht, dass die H Lebensversicherung ein Wahlrecht ausgeübt hat. Zum anderen ist das Vorbringen der H Lebensversicherung zur Komplexität der genannten Vorschriften nicht geeignet, zu belegen, dass es unmöglich oder übermäßig schwierig gewesen wäre, die in diesen Vorschriften vorgesehenen Regelungen bei der Investition in ausländische Gesellschaften einzuhalten.
42 Schließlich trifft es zwar zu, dass die nationalen Maßnahmen, die als „Beschränkungen“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV eingestuft werden können, nicht nur Maßnahmen umfassen, die geeignet sind, den Erwerb von Anteilen in anderen Mitgliedstaaten niedergelassener Gesellschaften zu verhindern oder zu beschränken, sondern auch Maßnahmen, die davon abhalten können, solche Beteiligungen an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Gesellschaften zu behalten (Urteil vom 22. Januar 2009, STEKO Industriemontage, C‑377/07, EU:C:2009:29, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43 Insoweit soll mit dem Vorbringen der H Lebensversicherung belegt werden, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die Weiterveräußerung von Beteiligungen an einer ausländischen Gesellschaft attraktiver gemacht hat als sie zu behalten, da im Fall ihrer Weiterveräußerung die daraus resultierenden Gewinne nicht gewerbesteuerpflichtig gewesen wären. Ein solches Vorbringen vermag jedoch nicht zu belegen, dass Dividenden, die eine ausländische Gesellschaft ausgeschüttet hat, im Verhältnis zu Dividenden, die eine inländische Gesellschaft ausgeschüttet hat, benachteiligt würden, weil die Beteiligungen behalten werden.
44 Die nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats in den Schritten zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer erfolgende Ungleichbehandlung von Dividenden, die von inländischen Gesellschaften ausgeschüttet werden, und von Dividenden, die von ausländischen Gesellschaften ausgeschüttet werden, führt folglich nicht zu einer Benachteiligung der Letzteren gegenüber den Ersteren, da in beiden Fällen die Dividenden in voller Höhe in diese Bemessungsgrundlage einbezogen werden und der gleichen steuerlichen Belastung unterliegen; demnach ist eine solche Ungleichbehandlung nicht geeignet, die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen ihres Kapitals in einem anderen Mitgliedstaat abzuhalten, und stellt somit keine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.
45 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, nach der bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einer Gesellschaft Dividenden, die aus Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften in Höhe von weniger als 10 % stammen, der Bemessungsgrundlage wieder hinzugerechnet werden, wenn und soweit diese Dividenden in einem vorangegangenen Ermittlungsschritt von der Bemessungsgrundlage abgezogen worden sind, während Dividenden, die aus vergleichbaren Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften stammen, von Anfang an zur Bemessungsgrundlage gehören, ohne von ihr abgezogen und folglich ohne ihr wieder hinzugerechnet zu werden.
An dieser Fassung sind noch Änderungen möglich; verbindlich sind nur die in der "Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts" und im "Amtsblatt der Europäischen Union" veröffentlichten Fassungen.
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